Vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit für das Interview genommen habt! Bevor wir loslegen: Könnt Ihr Euch bitte kurz vorstellen?
Dr. Nicole de Boer: Ich bin Nicole de Boer, promovierte Werkstoffwissenschaftlerin und Leiterin des Spezialisierungsfelds Material und Produktion . Meine Hauptaufgabe besteht darin, die verschiedenen Themen im Spezialisierungsfeld zu managen. Dazu gehören unter anderem Neue Materialien , Künstliche Intelligenz in der Produktion, Additive Fertigung , digitale Produktion und Engineering .
Frank Hoppe: Mein Name ist Frank Hoppe. Ich bin als Projektmanager in den Bereichen Bau , Papier und Mobilität tätig . Studiert habe ich Geografie mit Schwerpunkt Angewandte Geografie/Fremdenverkehrsgeografie.
Dr. Eva Halsch: Mein Name ist Eva Halsch. Ich bin promovierte Chemikerin, meine fachlichen Schwerpunkte bei Bayern Innovativ liegen auf den Themen Umwelttechnik, Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit .
Tina Johnscher: Ich bin Tina Johnscher, Werkstoffwissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin des Spezialisierungsfelds Material und Produktion. Meine fachlichen Schwerpunkte sind die Additive Fertigung und der Bereich Digital Production & Engineering .
Wieso sind neue Materialien so wichtig für Innovationen? Und wie werden diese entwickelt?
Dr. Nicole de Boer: Neue Materialien sind so wichtig, weil sie durch ganz spezifische Eigenschaften Innovationen oft erst ermöglichen. Sie werden entweder nach dem Push- oder nach dem Pull-Prinzip entwickelt. Beim Push-Prinzip werden neue Werkstoffe im Rahmen der Grundlagenforschung entdeckt und bei passenden Anwendungen eingesetzt, der Werkstoff pusht also die Innovation. Beim Pull-Prinzip ist es genau umgekehrt: Für eine bestimmte Anwendung – beispielsweise für die Additive Fertigung – müssen ganz spezifische Materialien entwickelt werden, damit die Innovation überhaupt funktionieren kann. Bei der Entwicklung neuer Materialien setzen Forscherinnen und Forscher außerdem zunehmend auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz .
Dr. Eva Halsch: Auch durch Kundenbedarfe oder gesetzliche Vorgaben – ein Beispiel hierfür ist die europäischen Chemikalienverordnung REACH – kommt das Pull-Prinzip zum Tragen. REACH sorgt beispielsweise dafür, dass Substanzen, die als bedenklich eingestuft wurden, durch andere ersetzt werden müssen. Dadurch verändern sich Materialien, Rezepturen und Herstellungsprozesse.
Tina Johnscher: Wichtig ist außerdem, dass man bei der Entwicklung neuer Materialien immer die verschiedenen Produktionstechniken im Blick haben muss, denn diese haben maßgeblichen Einfluss auf die Eigenschaften der Materialien.
Was sind die Werkstoffe der Zukunft und wo werden sie eingesetzt? Werden dabei auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt?
Dr. Nicole de Boer: Nachhaltigkeitsaspekte spielen eine immer wichtigere Rolle. Bei der Entwicklung neuer Werkstoffe ist der „Design for Recycling“-Ansatz essenziell. Das bedeutet, dass Materialien so konzipiert sein müssen, dass sie dauerhaft in einen Materialkreislauf integriert werden können. Das Ziel dabei ist es, Ressourcen zu schonen und Abfälle zu vermeiden.
Dr. Eva Halsch: Aufgrund der bekannten Problematik rund um Kunststoffabfälle und Mikroplastik werden biobasierte Materialien eine immer wichtigere Rolle spielen. Wichtig ist aber, dass nicht in allen Branchen die Entwicklung völlig neuer Materialien der Innovationstreiber ist: In der Textilbranche ist beispielsweise die Verarbeitung und die Funktionalisierung entscheidend und sorgt dafür, dass innovative Produkte entstehen. Aus Polyester kann man zum Beispiel je nach Verarbeitung ganz unterschiedliche Produkte herstellen – vom Turnschuh bis zum Ballkleid.
Frank Hoppe: Auch Papier – einer der ältesten Werkstoffe überhaupt – hat großes Zukunftspotenzial. Aufgrund seines geringen Gewichts wird es zunehmend auch im Leichtbau in ganz unterschiedlichen Branchen eingesetzt.
Tina Johnscher: Neben biobasierten und bioabbaubaren Werkstoffen sind auch Hochleistungswerkstoffe von großer Bedeutung. Hierzu zählen beispielsweise extra hochfeste Materialien, die aufgrund ihrer Hitzebeständigkeit in Flugzeugturbinen eingesetzt werden oder Titanlegierungen, die eine geringe Dichte und eine hohe Festigkeit aufweisen. Auffällig ist, dass hierbei die Grenzen immer weiter verschoben werden, die Werkstoffe also immer höhere Erwartungen erfüllen.
Frank Hoppe: Eingesetzt werden innovative Materialien überall – egal ob in der Luft- und Raumfahrt, in der Automobilindustrie , in der Medizin oder auf dem Bau. Deshalb ist Materialentwicklung ein absolut branchenübergreifendes Thema. Das wird auch vielen Unternehmen zunehmend bewusst, die verstärkt über Branchengrenzen hinweg nach Lösungen suchen.