Systematik zur Nachhaltigkeitsbewertung von Unternehmen
05.07.2022
Der Begriff Nachhaltigkeit spielt in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und dem Sozialen eine große Rolle und beeinflusst viele Branchen, so auch die Automobilindustrie. Deshalb rücken wir im nachfolgenden Interview die Frage in den Fokus: Wie kann man bewerten, ob Produkte eines Automobilunternehmens nachhaltig sind? Um Ihnen eine Antwort zu geben, hat unser Cluster Energietechnik in Zusammenarbeit mit unserem Cluster Automotive eine Systematik entwickelt, mit deren Hilfe es möglich ist, die Nachhaltigkeit von Produkten zu quantifizieren - branchenübergreifend. Die Hintergründe erklären Prof. Dr.-Ing. habil. Oliver Mayer, Leiter des Cluster Energietechnik, und Holger Czuday, Leiter des Cluster Automotive.

Holger, der Begriff Nachhaltigkeit wird unterschiedlich definiert. Warum ist das so? Und was verstehst Du darunter?
Holger Czuday: Richtig, man findet in der Literatur sehr diverse Definitionen zu dem Begriff und man kann das aus verschiedenen Sichtweisen definieren. Im Rahmen meiner täglichen Arbeit verstehe ich unter dem Begriff, dass eine nachhaltige Entwicklung drei Säulen zugeordnet werden kann oder muss: Wirtschaft, Umwelt, Soziales. Es ist also notwendig, in diesen drei Bereichen zu agieren, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Möchte man zum Beispiel einen Staat betrachten oder Unternehmen oder Produkte in ihrer Nachhaltigkeit bewerten, dann ist es durchaus vonnöten, alle drei dieser Aspekte zu untersuchen.
Wenn ich Produkte als nachhaltig bewerte – heißt das im Umkehrschluss, dass das ganze Unternehmen nachhaltig ist?
Holger Czuday: Nein, davon kann man nicht automatisch ausgehen. Man muss klar unterscheiden zwischen Unternehmens-Nachhaltigkeit und Produkt-Nachhaltigkeit. Nachhaltige Produkte sollen möglichst langlebig gestaltet werden. Sie sollen ressourceneffizient sein und nach ihrer Nutzung soweit wie möglich wiederverwendbar sein. Von ihnen darf außerdem keine Gefahr für die Gesundheit ausgehen. Und der Fokus liegt hier eindeutig auf dem ökologischen Aspekt beim Produkt. Wenn wir die Unternehmens- Nachhaltigkeit betrachten, dann betrifft das den gesamten Konzern und das Unternehmen, welches dieses Produkte entwickelt, herstellt und produziert. Hier gilt nicht nur das Produkt des Unternehmens selbst als nachhaltig, sondern es muss wie gesagt das ganze Unternehmen bewertet werden. Auch hier spielen wieder soziale, ökologische und ökonomische Aspekte eine Rolle. Also, ein sehr breiter Ansatz in Abgrenzung zu dem Produkt.
Es kann also durchaus sein, dass ein Produkt nachhaltig ist, aber das ganze Unternehmen noch nicht nachhaltig agiert?
Holger Czuday: Das wäre im Zweifel richtig, aber dann hätte das Unternehmen irgendwie etwas falsch gemacht. Das nachhaltige Produkt würde in der Bewertung schon in die Unternehmensbewertung mit einfließen. Aber da kommen wir jetzt schon zu sehr in die Tiefe und zur Methodik der Studie.
Dann leite ich gerne zu Oliver über: Ihr habt eine Systematik entwickelt, um die Nachhaltigkeit von Produkten zu bewerten. Wie seid Ihr dabei vorgegangen?
Oliver Mayer: Hier im Rahmen dieser Podcast-Folge in die Tiefe einzugehen, ist nicht machbar. Aber dafür haben wir ja die Studie geschrieben, die auf unserer Website kostenfrei gelesen werden kann. Dennoch kurz zur Erläuterung: Unsere Zielsetzung war vor allem, eine Methodik zu zeigen, die simpel und praxisnah ist. Wir haben für diese Systematik verschiedene Methoden angewandt, die auch schon bekannt sind, zum Beispiel die Funktions-Analyse aus der TRIZ-Methode. Damit haben wir Funktionen von Produkten und Komponenten identifiziert und auch klassifiziert in nützliche, aber auch in Funktionen, die wir eigentlich nicht haben wollen, die aber trotzdem da sind. Denken wir an ein Auto, das hat einfach einen Platzbedarf. Obwohl es schön wäre, wenn es keinen Platzbedarf hätte. Dann haben wir die beste Methode angewandt, die einfach das ökologische oder das nachhaltige Pendant ist, wo wir sagen: „Wie können diese Elemente hier mit der Funktions-Analyse gekoppelt werden, damit wir die ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekte verknüpfen?“ Und als drittes ist noch die Nutzwert-Analyse zu nennen, die an sich auch nicht neu ist, aber damit gekoppelt ist, um dann Gewichtung und Bewertung der Ergebnisse zu erreichen.
Ihr habt auch ein gut greifbares Anwendungsbeispiel in der Studie genannt. Holger, kannst Du uns dieses veranschaulichen?
Holger Czuday: Ja, gerne. Wir haben im Rahmen der Studie zwei Fahrzeuge hergenommen, die am Markt verfügbar sind. Das ist zum einen ein BMW Dreier in der Diesel Version und das Tesla Model drei. Wir hätten natürlich auch jegliche andere Modelle von anderen Herstellern nehmen können. Das sind die zwei Beispiele, die hier zur Verfügung standen und wir haben sie nach dieser Methodik untersucht, die Oliver eben schon angerissen hat. Jetzt kann man sagen: „Gewonnen hat Tesla”. Sowohl das betrachtete Fahrzeug, also das Model drei, als auch das Unternehmen wurden hier jeweils als nachhaltiger bewertet. Aber ganz so einfach ist das Ganze natürlich nicht. Der Teufel steckt ein Stück weit auch im Detail! Und wie gesagt, die Methodik, die Oliver hier vorgestellt hat, mit sehr vielen verschiedenen Bewertungskriterien, liest man am besten in der Studie in Ruhe genauer nach.
Wenn ich als Unternehmen auf diese Studie aufmerksam werde und nun die Analyse für meine Produkte machen möchte … Kann ich Eure Systematik branchenübergreifend anwenden oder funktioniert sie ausschließlich für die Automobilindustrie?
Oliver Mayer: Man kann unsere Systematik natürlich auch in anderen Branchen verwenden. Wir haben die Automobilindustrie lediglich für unsere Studie als Anwendungsbeispiel herangezogen. Ich möchte hierbei betonen: Die Systematik ist noch nicht bis ins letzte Detail aufgebrochen. Das wird sich erst über die Zeit entwickeln. Ich meine, wie man Nachhaltigkeit bewertet, ist je nach Branche oder Firma unterschiedlich. Aber es ist ein Ansatzpunkt, wie man das Ganze mal anfangen kann. Und auf der Basis wird sich das weiterentwickeln. Wir haben das auch mal ausprobiert bei Photovoltaik-Modulen oder auch bei Waschmaschinen. Und das Feedback war recht interessant. Es hat geheißen: „Verdammt viel Arbeit, aber es funktioniert!“ Und insofern sind wir recht zuversichtlich, dass diese Methodik über Branchen hinweg und vor allem auch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen angewandt werden kann, weil es viel auf Werkzeuge zurückgreift, die dort schon bekannt sind.
Bewertung der Nachhaltigkeit von Pkw in der Automobilindustrie
Der Cluster Energietechnik stellt sich vor
Cluster Automotive – das Netzwerk für bayerische Automobilhersteller und Automobilzulieferer
Wenn ich als Unternehmen Eure Systematik anwenden will, reicht es, die Studie zu lesen und ich kann dann sofort einsteigen oder wie gehe ich es an?
Oliver Mayer: Also, ich würde mal sagen, es ist wie mit jeder Methodik. Klar kann man die Studie runterladen und manche werden sagen: „Kann ich, reicht mir, fang ich an!“ Üblicherweise entstehen Fragen und wir wollen im Rahmen der Netzwerkarbeit – Holger mit Automotive und ich mit Energie – zu Diskussionen anregen. Also, wir wären froh, wenn Leute uns Feedback geben, wie es bei ihnen funktioniert hat. Einfach im Dialog bleiben, um die Systematik weiterzuentwickeln. Am einfachsten ist es, auf den Cluster Energietechnik oder den Cluster Automotive per E-Mail-Kontakt zuzugehen. Gerne auch Holger oder mich direkt anschreiben. Dann können wir hier helfen und auch selbst lernen. Wir wollen dazu auch mal ein Seminar anbieten, einen Workshop , einen Tag zum Einstieg. Wir haben das mal probeweise gemacht und da kam auch schon Feedback und wir haben festgestellt: An dieser oder anderen Ecke muss man noch nachschärfen. Vor allem lernt man auch Anwendungsbeispiele, an die man vorher gar nicht gedacht hat. Insofern wirklich Geben und Nehmen. Ich kann nur appellieren, wen es interessiert, gerne kontaktieren.
Holger, Nachhaltigkeit ist das eine Schlagwort. Wenn ich mir die Industrie anschaue, dann ist das zweite große Schlagwort die Transformation. Wie unterstützt Ihr in dem Prozess?
Holger Czuday: Wir haben vor eineinhalb Jahren den Transformationslotsen Automotive hierzu ins Leben gerufen. Auch ein Stück weit im Auftrag des Ministeriums suchen wir hier ganz gezielt den Kontakt zu Unternehmen, speziell zu KMU, um mal über deren Herausforderungen zu reden. Also nicht nur über Innovation, neue Ansätze – das machen wir natürlich auch – sondern auch ganz gezielt zu fragen: „Vor welcher Problematik steht Ihr in diesem Transformationsgeschehen? Habt Ihr das eigentlich erkannt, was es bedeutet, Produkte nachhaltig zu entwickeln? Vielleicht neue Produkte zu entwickeln, in andere Branchen zu gehen… Wenn bestimmte Produktkategorien einfach wegfallen in der Automobilindustrie, Stichwort Verbrenner...?“. Deswegen steht der Transformationslotse hier zusätzlich als Ansprechpartner zur Verfügung. Auch hier können wir vertiefend das Thema Nachhaltigkeit besprechen.
Oliver Mayer: Vielleicht darf ich hier noch etwas ergänzen: Wir arbeiten als Cluster nicht mehr getrennt, sondern zusammen. Cross Cluster – Energie, Automotive und Neue Werkstoffe , Mechatronik & Automation . Bei Bayern Innovativ findet intern also auch Transformation statt. Wir haben erkannt, es funktioniert nicht mehr spartenmäßig, sondern man muss das Gesamte denken. Und das ist auch etwas, wo wir uns weiterentwickeln und was wir als Besonderheit liefern.
Ist das vielleicht auch gerade der Ansatz, zu dem wir herausgefordert sind, um die besten Lösungen zu finden: zusammenzuarbeiten?
Oliver Mayer: Absolut. Das ist auch eine Transformation, die stattfindet. Dieses Lernen sieht man an Universitäten: Es ist nicht der einzelne Lehrstuhl, sondern es ist die Kombination mehrerer Fachexpertisen. Und das ist der Grund, warum wir für die Studie zusammengearbeitet haben und auch in Zukunft zusammenarbeiten werden.
Holger Czuday: Es ist ja im Übrigen der Grundgedanke von Bayern Innovativ, Kooperationen anzustoßen, um die Ecke zu denken, entsprechende Partner zusammenzubringen. Und warum nicht wir auch als interne Partner? Also wir leben das Prinzip, nicht nur zwischen dem Cluster Energietechnik und dem Cluster Automotive, sondern auch mit den Kollegen von den Neuen Werkstoffen, Mechatronik & Automation etc.
Abschließend zurück zu Eurer Studie: Kann ich als Unternehmen Eure entwickelte Systematik nutzen, um den Einstieg in meinen individuellen Transformationsprozess zu finden?
Oliver Mayer: Ja, das hast Du schön formuliert. In dem Moment, wo man sich auf neues Terrain bewegt, ist es immer schön, wenn man irgendwo ein Geländer hat. Und wir wollten mit dieser Studie so ein Geländer bieten, damit man sich als Unternehmen einmal durchhangeln kann. Und wenn man das geschafft hat, dann geht es normalerweise weiter. Dann sagt man: „Hey, das ist ja gar nicht so schlimm, das ist auch sinnvoll.“ Und von dort aus geht es dann weiter. Und das ist eben auch die Zielsetzung dieser Studie gewesen. Einen Einstieg zu zeigen. Das ist kein Hexenwerk, das ist nicht Rocket Science oder sowas. Man muss es nur einfach konsequent machen und einmal durchziehen, um dann festzustellen: „Hey, auf dem Pfad können wir weitergehen.“ Und der Punkt ist, je früher man damit anfängt, desto wettbewerbsfähiger ist man. Nicht nur in Bayern oder in Deutschland, sondern auch international.
Das Interview führte Christoph Raithel, Teamleiter Event bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Wie nachhaltig produziert die Automobilindustrie?
Um Ihnen eine Antwort zu geben, hat unser Cluster Energietechnik in Zusammenarbeit mit unserem Cluster Automotive eine Systematik entwickelt, mit deren Hilfe es möglich ist, die Nachhaltigkeit von Produkten zu quantifizieren. Diese Systematik haben unsere Experten für Sie anhand des Beispiels der Automobilindustrie veranschaulicht. Hören Sie sich gleich diese spannende Podcast-Folge an.
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