08.05.2020
Hinter dem Begriff „Additive Fertigung“ verbergen sich zahlreiche Technologien und Verfahren. Einsteiger müssen sich mit vielen Fragen bezüglich der passenden Technologie, der Wirtschaftlichkeit, Material, Sicherheit, Material- und Energieeffizienz sowie mit rechtlichen Aspekten auseinandersetzen. Unser Fachartikel gibt einen Überblick über die Stärken und Schwächen der Additiven Fertigung.
Für wen und ab wann lohnt sich der Einsatz Additiver Fertigung? Unser Überblick gibt Aufschluss über Stärken und Schwächen dieses Verfahrens. (Bildnachweis: Bayern Innovativ / Matthias Merz)
Wöchentlich gibt es neue Informationen und Entwicklungen. Unternehmen, die in die Additive Fertigung einsteigen möchten, stehen vor zahlreichen Herausforderungen hinsichtlich der Integration neuer Verfahren in deren Produktionsprozess. Wissenslücken, das fehlende Mindset, Unsicherheiten beim Risikomanagement sowie fehlende Visionen sorgen häufig dafür, dass Unternehmen den Einstieg hinauszögern.
Für diese Unternehmen ist es besonders wichtig, sich einen umfassenden Überblick über die Technologie zu verschaffen. Welche Stärken und Schwächen die Additive Fertigung hat und wann sich ihr Einsatz lohnt, erfahren Sie hier.
Additive Verfahren - das sind die Stärken
1. Design
Additive Verfahren bieten viele Designmöglichkeiten. Komplexe Geometrien wie beispielsweise bionische Strukturen sind umsetzbar, hier können klassische Fertigungstechnologien nicht mithalten. Damit sind neue Konstruktionen wie Hohlräume, Hinterschnitte, Kanäle mit Bögen oder Überhänge ohne Weiteres machbar. Ein „Design for Manufacturing“ ist nicht mehr nötig, weil Objekte rein nach funktionalen Gebrauchskriterien erstellt werden können.
2. Leichtbau
Die Additive Fertigung erlaubt den Einbau von dünnen Wandstärken und Hohlräumen sowie die Einbindung von bionischen Strukturen in den Bauteilen. Gerade in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Automobilindustrie spielt Leichtbau eine wichtige Rolle. Somit hat die Additive Fertigung dort einen sehr hohen Stellenwert.
3. Individualisierung
Über additive Fertigungsmethoden kann ein Höchstmaß an Individualisierung realisiert werden. Bauteile sind mit unterschiedlich dicken Wandflächen, sehr feinen Strukturen oder in sehr kleinen Größen herstellbar. Gerade in der Medizintechnik ist ein hohes Maß an Individualisierung notwendig. Der Zahnersatz ist ein Paradebeispiel dafür.
4. Entwicklungs- und Innovationsprozessgeschwindigkeit
Entwurfslösungen können direkt gedruckt und sofort getestet werden, ohne die Kosten zu sprengen. Dadurch sind Unternehmen unabhängig von Dienstleistern, welche die Prototypen erst herstellen und dann versenden müssen und sparen somit Zeit und Geld. Im Entwicklungsprozess arbeiten Personen aus verschiedenen Bereichen interdisziplinär zusammen. Greifbare gedruckte Prototypen erleichtern und verbessern die Kommunikation und das Verständnis für die Entwicklung. Potenzielle Konstruktionsfehler werden früh erkannt. Der Einsatz von 3D-Druckern erhöht die Zufriedenheit gleichermaßen bei internen sowie externen Kunden. Modelle von Prototypen können angesehen und vorgestellt werden. Somit kann eine bestmögliche Lösung erarbeitet werden. Will man ein Produkt verkaufen, ist es schwierig, nur eine Zeichnung zu präsentieren. Besser ist es, wenn man ein dreidimensionales Produkt als Verkaufsgegenstand zeigt. Das weckt Interesse und Begeisterung beim Kunden.
5. Fertigungsgeschwindigkeit
Die Additive Fertigung eines Objekts nimmt einige Stunden in Anspruch. Die Fertigung mit konventionellen Methoden, besonders wenn ein Formenbau nötig ist, benötigt oft Tage oder Wochen.
6. Werkzeuglose Fertigung
Für den Druckprozess selbst werden keine weiteren Werkzeuge benötigt. Die Additive Fertigung erlaubt eine Formgebung, die mit herkömmlichen Fertigungsverfahren nicht oder nur sehr aufwendig realisiert werden kann.
7. Nur ein Fertigungsgerät notwendig
Während in herkömmlichen Produktionsprozessen Objekte in mehreren Schritten auf verschiedenen Maschinen verarbeitet werden, ermöglichen additive Fertigungsverfahren die Herstellung von Komponenten mit einem einzigen Gerät.
8. Materialvielfalt
Die nutzbaren Materialien sind vielfältig. Mit Metallen, Keramiken und Polymeren können vielfältige und komplexe Produkteigenschaften realisiert werden.
9. Ressourcen-/Materialeffizienz
Additive Fertigungsverfahren können auch positive Auswirkungen auf die Ressourcen haben. Bei der Herstellung fallen keine oder nur sehr wenig Materialabfälle im Vergleich zu den subtraktiven Fertigungsverfahren an. Auch die Herstellung einer Gussform für Bauteile ist nicht mehr notwendig.
10. Qualitätskontrolle und hohe Qualität
In laserbasierten additiven Fertigungsanlagen ist es möglich, optische Systeme für Echtzeit-Qualitätskontrollen zu integrieren. Diese nutzen das Laserlicht, das im „Druckvorgang“ emittiert wird. In Abhängigkeit des eingesetzten additiven Fertigungsverfahrens können eine hohe Präzision und Qualität erreicht werden. Es ist möglich, Toleranzen von unter 30 Mikrometern zu erreichen. Die Materialdichte bei metallischen Elementen liegt bei 99 % des Rohmaterials. Durch das Laserschmelzen entstehen keine Hohlräume im Material.
11. Niedriger Energieverbrauch
Positiv zu erwähnen ist auch der Energieverbrauch. Durch die Möglichkeit der Bauteilfertigung im eigenen Unternehmen entfällt der logistische Aufwand. Hohe Energieeinsparungen sind beispielsweise auch durch die Nutzung und Verbreitung von additiv gefertigten Leichtbau-Bauteilen in der Automobilindustrie und in der Luft- und Raumfahrt möglich.
12. Digitalisierung von Prozessketten
Additive Fertigungsverfahren gelten als Musterbeispiel für die Anwendung von Industrie 4.0. Die Prozesse basieren auf neuen Verfahren des Informationsmanagements entlang einer durchgängig digitalen Prozesskette, die sowohl die horizontale als auch die vertikale Vernetzung ermöglicht.
13. Kurze Lieferketten
Durch die Additive Fertigung wird eine kundennahe Produktion ermöglicht.
14. Wirtschaftlichkeit
Die Kosten für die Additive Fertigung werden oft sowohl bei den Vor- als auch bei den Nachteilen aufgelistet. Die Maschinenkosten sind mit den einbezogenen Unterhaltskosten im Vergleich mit sonstigen Maschinen eher günstig. In einigen Branchen wie der Medizintechnik bietet dies einen Kostenvorteil. Additive Verfahren sind nach aktuellem Stand der Technik für kleinere Stückzahlen sinnvoll.
Additive Verfahren - das sind die Schwächen
1. Fertigungsgeschwindigkeit
Bei einigen additiv gefertigten Bauteilen ist mit langen Fertigungszeiten zu rechnen, da nur kleine Aufbaugeschwindigkeiten möglich sind.
2. Nachbearbeitung
Wenn bei einem Objekt eine bestimmte Oberflächengüte eingehalten werden muss, bedarf es einer Nachbearbeitung. Gleiches gilt in der Regel, wenn bestimmte Toleranzgrößen eingehalten werden sollen. Gerade beim 3D-Metalldruck kann die Nachbearbeitung ausgesprochen aufwendig werden.
3. Industrielle Massenfertigung
Wie viele Teile gleichzeitig produziert werden können, ist vom Bauvolumen der Maschine abhängig. Konventionelle Fertigungsmethoden erlauben hingegen die Produktion sehr viel größerer Stückzahlen. Für die industrielle Massenfertigung ist die additive Fertigung deshalb nur bedingt geeignet. Hohe Stückzahlen sind somit teilweise (noch) nicht wirtschaftlich.
4. Eigenschaften
Die Bauteil- und Materialeigenschaften sind oft abhängig vom jeweiligen 3D-Druckverfahren und dadurch teilweise sehr unterschiedlich.
5. Urheberrecht/Patentrecht
Der 3D-Druck bietet die Möglichkeit, alle möglichen Bauteile zu reproduzieren. Dies birgt Konfliktpotenzial mit dem Urheberrecht bzw. Patentrecht .
6. Wirtschaftlichkeit
In der Industrie ergänzt beispielsweise der 3D-Metalldruck konventionelle Fertigungsanlagen, ersetzt diese aber nicht vollständig. Dies hat zur Folge, dass durch die Additive Fertigung zusätzliche Kosten entstehen.
Lohnt sich die Additive Fertigung? Ein Blick in die Zukunft
Der Additiven Fertigung wird eine große Zukunft vorausgesagt. Additive Fertigungsverfahren eröffnen neue Möglichkeiten für Unternehmen. Sie werden die Produktion in vielen Branchen mittelfristig verändern und in einigen Bereichen sogar revolutionieren.
Voraussichtlich werden sich additive Fertigungsverfahren in der Industrie mittelfristig in Anwendungsfeldern verbreiten, in denen sich ihr Nutzen leicht quantifizieren lässt. Große Veränderungen sind vor allem im B2B-Bereich zu erwarten. Unternehmen, die Vorprodukte bzw. Halbzeuge von Zulieferern weiterverarbeiteten, werden in der Lage sein, diese Vorstufen des Produkts selbst herzustellen. Additive Verfahren erlauben es, auch Ersatzteile für den Maschinenpark vor Ort herzustellen.
Derzeit konkurriert die Additive Fertigung noch immer mit CNC-gesteuerten Maschinen, die in der Serienfertigung überlegen sind. Der 3D-Metalldruck kann aber für komplexe Objekte sehr gut genutzt werden.
Über die Koordinierungsstelle Additive Fertigung
Bayern ist bereits heute führender Standort im Bereich der Additiven Fertigung. Die „Koordinierungsstelle Additive Fertigung“ verknüpft viele Aktivitäten rund um dieses Zukunftsthema und dient als zentrale Anlaufstelle für Kompetenzträger und Neueinsteiger im 3D-Druck.
Um bayerische Kompetenzen rund um den 3D-Druck sichtbar zu machen, hat die Koordinierungsstelle eine interaktive Landkarte erstellt. Hier finden beispielsweise Unternehmen, die den Einstieg in die Additive Fertigung planen, Partner und Dienstleister. Falls Sie Fragen zur Karte haben und/oder sich eintragen lassen möchten, stehen wir Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite.