„Grüne Digitalisierung“ – der Weg zur erfolgreichen Energiewende
Hinter der Energiewende steht ein komplexes System. Deshalb ist die Umstellung auf erneuerbare Energien nicht so einfach, wie sich das manch einer vorstellt. Ist hierbei die Digitalisierung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Energiewende und mehr Nachhaltigkeit? Darüber sprechen wir im nachfolgenden Interview mit Maximilian Irlbeck, Leiter der ZD.B-Themenplattform Digitalisierung im Energiebereich.

Ist das gegenwärtige Energiesystem nachhaltig, Maximilian?
Maximilian Irlbeck: Lass uns auf das Jahr 2000 zurückblicken: Damals wurde das Gesetz für den Vorrang erneuerbarer Energien verabschiedet und keiner hätte mit der heutigen positiven Entwicklung gerechnet. Zur damaligen Zeit betrug der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland gerade mal sechs Prozent. Heute haben wir ca. 42 Prozent erreicht. Wenn wir allerdings über Klimaziele auf globaler Ebene sprechen, ist die Entwicklung nicht zufriedenstellend. Hier ist noch viel Arbeit notwendig.
Welche Ziele müssen wir erreichen, damit der Klimawandel gestoppt wird?
Maximilian Irlbeck: Wir müssen es schaffen, unsere Lebensgrundlage nachhaltig zu gestalten. Damit meine ich ein erneuerbares Energiesystem, ohne Emissionen zu produzieren. Ansonsten feuern wir den Klimawandel weiter an. Die Herausforderung dabei ist, dass ein nachhaltiges Energiesystem nicht nur den Stromsektor umfasst. Viele Menschen setzen Strom mit Energie gleich. Aber an der Energiewende sind auch Sektoren wie Mobilität, Industrie, Landwirtschaft u. v. m. beteiligt. All diese Sektoren müssen ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf Null reduzieren. Und schließlich ist es notwendig, alle beteiligten Sektoren künftig zu koppeln. Denn erst diese Sektorenkopplung ermöglicht insgesamt ein nachhaltiges, wirtschaftliches und versorgungssicheres Energiesystem. Das ist eine gewaltige Koordinierungsaufgabe, bei der wir noch am Anfang stehen.
Ist die Digitalisierung der Hebel für mehr Nachhaltigkeit im Energiesektor?
Maximilian Irlbeck: Ja, wir werden Digitalisierung definitiv benötigen, um Nachhaltigkeit im Energiesystem, aber auch in anderen Bereichen zu erreichen. Denn gerade sie wird die Kopplung der verschiedenen Sektoren ermöglichen. Hierbei fehlt es aber noch an wichtigen Grundlagen:
- Beispielsweise benötigt man ausreichend Wissen über die jeweiligen Sektoren, um zum richtigen Zeitpunkt z. B. zu laden.
- Zudem muss man Verbraucher, volatile Erzeuger und Speicher insgesamt koordinieren und das bedeutet, dass man nicht nur technische Daten braucht, sondern z. B. auch Prognosedaten, Marktdaten und eine unzählige Zahl von Sensordaten.
- Aber Daten alleine reichen wiederum auch nicht aus, weil diese in einem System gekoppelt werden müssen. Für diese Koordination benötigt man Schnittstellen und eine Menge digitaler Technologien.
- Letztlich müssen alle beteiligten Akteure auch eine gemeinsame Sprache sprechen, wenn sie sich über die gesammelten Daten austauschen und gemeinsam nächste Entwicklungsschritte definieren möchten.

Gibt es bereits Best Practice Beispiele, die die Theorie veranschaulichen?
Maximilian Irlbeck: Ja, es gibt seit 2016 den Energie Start-up Bayern Wettbewerb, bei dem sich junge Energie-Pioniere bewerben können, um ihre Ideen für die Zukunft der Energie zu präsentieren. Natürlich ist das ein Puzzle-Werk, weil in dieses Gesamtsystem auch Staaten verwickelt sind und ein Unternehmen alleine erst einmal kein Best Practice liefern kann. Aber nichtsdestotrotz gibt es eine Reihe von Unternehmen, die gute Ideen einbringen.
- Das ist beispielsweise die enmacc GmbH - eine OTC-Handelsplattform für die Energiewirtschaft und Weltmarktführer, wenn es um die Liquiditätsabsicherung in Energiemärkten geht. Das Unternehmen ermöglicht es, dass Daten aus verschiedenen Märkten auf einer Plattform abgebildet werden.
- Das zweite Beispiel ist die gridX GmbH aus dem Energie-IoT-Bereich. Das Unternehmen ist Spezialist für die Verknüpfung verschiedener Geräte mit dem Ziel, eine Betriebsplattform für dezentrale und digitalisierte Energiewende zu etablieren.
- Das dritte Beispiel-Unternehmen ist die VoltStorage GmbH – übrigens auch Gewinner unseres INNOVATION LEBEN AWARDS. VoltStorage ist das weltweit erste Unternehmen, das die im Großspeichersegment erfolgreiche VRF-Technologie als Heimspeicherlösung für Privathaushalte verfügbar macht.
Es gibt also eine Reihe von guten Ideen, um die zahlreichen Herausforderungen zu lösen. Aber es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Damit meine ich vor allem auch das Verständnis und die Akzeptanz von Bürgern für das komplexe System hinter der Energiewende.
Wie könnte man die Akzeptanz von Bürgern steigern?
Maximilian Irlbeck: Durch mehr Bürgerbeteiligung, die auch insbesondere bei digitalen Energiesystemen aktiv erforscht wird. Es gibt beispielsweise das C/sells-Projekt. Das ist ein nationales Schaufensterprojekt im gesamten Süden Deutschlands, das sich mit der Erforschung der Bürgerbeteiligung mithilfe digitaler Technologien beschäftigt. Wir haben mit dem Projekt 2020 den 14-tägigen C/sells-Climathon durchgeführt. Ziel war es, durch Digitalisierung Lösungen zu schaffen, die Bürger spüren lassen, dass die Energiewende bei ihnen in den urbanen Räumen ankommt. Da kamen tolle Ideen dabei raus!
Kannst Du noch näher ausführen, wie man die Bürgerbeteiligung weiter stärken kann?
Maximilian Irlbeck: Ja, die Digitalisierung per se bietet viele Möglichkeiten. Beispielsweise kann man Bürgerbeteiligung über Blockchain managen. Es ist ein großes Problem, dass durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz eine Einspeisevergütung für Solaranlagen oder erneuerbare Energieanlagen anfällt. Diese Regelung läuft im Jahr 2021 bei den ersten Anlagen aus. Das heißt, man hat keine garantierte Einspeisevergütung mehr. Deswegen stehen viele Besitzer von Freiflächen und (Dach-)Anlagen vor der Frage: “Woher kriegen wir in Zukunft das Investment, um die Anlagen weiterbetreiben zu können?”
Dafür bietet z. B. die Firma Youki ein Beteiligungsmanagement für Solarparks über Blockchain. Hierbei handelt es sich um ein unabhängiges System, das fälschungssicher ist. Damit kann man bereits ab einem Euro in einen Solarpark investieren und auch an dessen Vergütung und Erzeugung beteiligt werden. Das Ganze basiert auf einem Blockchain Node, der auf einem Smartmeter Gateway, also einem zertifizierten, geeichten Zähler betrieben wird und worüber dann die Erzeugung und die Gewinne des Solarparks an die Bürger verteilt werden. Das ist echte Bürgerbeteiligung.
Auch im Rahmen des C/sells-Climathon sind viele tolle Ideen entstanden:
- Beispielsweise sogenannte Klima-Kisten. Mit diesen können Stadtwerke den Bürgern ein Rundum-Sorglos-Paket zur digitalen Verknüpfung einzelner Geräte bieten.
- Eine weitere Chance ist das Konzept “Heat as a service”. Hier müssen sich Bürger nicht mehr darum kümmern, dass Wärme nachhaltig produziert wird, weil Energieversorger dies als Basis-Dienstleistung anbieten. Natürlich voll digital. Deshalb glaube ich, dass es wirklich wichtig ist, die Bürgerbeteiligung zu stärken und die Digitalisierung kann dabei definitiv helfen.
Wie stellst Du Dir unsere Welt im Jahre 2030 mit Fokus auf die Energiewende vor?
Maximilian Irlbeck: E-Mobilität ist z. B. ein Thema, das auf dem Vormarsch ist. Ich erhoffe mir aber, dass sie bis 2030 in den Stromsektor und in das Energiesystem integriert sein wird. So könnten wir z. B. Ladesäulen schneller bauen. Zudem wünsche ich mir, dass Elektroautos nachhaltig produziert werden und gleichzeitig ihr Reichweite-Versprechen halten. Obwohl das schon heute nicht mehr ein allzu großes Problem ist. Des Weiteren ist es natürlich wünschenswert, dass wir unseren Klimazielen insgesamt einen Schritt durch eine moderne Regulierung näherkommen. Auch durch Rahmenbedingungen, die Innovation stärken, Experimente belohnen und nicht bestrafen. Und schließlich ist für mich – wie eben schon erklärt – die Steigerung der Bürgerbeteiligung durch digitale Technologien der Schlüssel zum Erfolg. Wir brauchen hierfür noch viel mehr Fachkräfte. Das gelingt uns hoffentlich bis 2030.
Wir unterstützen das #TeamEnergiewende für eine nachhaltige Zukunft.
Das Interview führte Dr. Kord Pannkoke, Leiter Business Development bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Ist die Digitalisierung der Schlüssel zu einer erfolgreichen Energiewende?
Maximilian Irlbeck - Leiter der ZD.B-Themenplattform Digitalisierung im Energiebereich - ist fest davon überzeugt. Wieso, weshalb, warum? Die Hintergründe erklärt er Ihnen ausführlich in dieser Podcast-Folge. Gleich anhören!
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