Wie schaffen wir diesen Transfer von der Wissenschaft in die Praxis? Sabine, hast Du aus Deiner Forschung Tipps für Unternehmen, wie sie mit einer komplett neuen, vielleicht auch komplexeren Technologie umgehen?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Transfer der Wissenschaft in die Praxis ist ein altes Thema. Es gibt immer wieder große Förderprogramme, nicht nur bayerische, sondern auch bundesweit. Wenn man sich die anschaut, sind sehr häufig immer dieselben Firmen in diesen Förderprogrammen. Die haben verstanden, dass enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft helfen kann und sie sogar oft eine finanzielle Förderung kriegen, um Wege zu gehen, die sie sich aus ökonomischen Gründen sonst vielleicht nicht trauen würden. Irgendwie haben aber alle immer das Gefühl, das reicht nicht. Obwohl Bayern auch mit Clustern und all dem, was in Bayern Innovativ gemacht wird, um Interessen ähnlicher Unternehmen aus ähnlichen Sektoren oder mit ähnlichen Technologiebedarfen zusammenzubringen, schon ungemein hilft.
So ein bisschen müssen die Hochschulen, die Universitäten sich an die eigene Nase fassen, weil sie häufig anfangen, von der neuen Technologie zu denken, die sie gerade an ihrem Lehrstuhl vorantreiben. Und dann verzweifelt nach Anwendungsfällen suchen, die dazu passen, wo man gerade wissenschaftlich steht. Wir müssten es öfter umdrehen. Wir müssten öfter danach schauen, was passiert in den Unternehmen und wo stoßen die an Grenzen mit der Technologie, die sie gerade haben? Und welche der neuen Technologien könnte da eine Antwort sein? Ich glaube, wir haben immer so ein bisschen das Gefühl, die aktuell neue Technologie ist jetzt die eine Antwort für alles. Industrie 4.0 war die Antwort für alles, was irgendwie mit Produktion zu tun hatte. Da haben wir jetzt über zehn Jahre darüber geredet und die Produktionslandschaft hat sich deswegen nicht revolutioniert. Jetzt haben wir mit KI so ein bisschen dasselbe Gefühl. In Unternehmen bastelt man mit viel Aufwand, Geld und langen Lernphasen KI-Anwendungen und bringt erst dann die Daten, an denen überhaupt sinnvoll gelernt werden kann. Manchmal sogar für Anwendungen, für die es eine relationale Datenbank und ein ganz normaler, hart gecodeter Algorithmus auch getan hätten. Wir haben die wunderbare Situation, dass wir ganz viele verschiedene Technologieangebote haben, die man passend machen kann, aber man muss sie eben auch passend machen. Dieser Schritt fehlt aus meiner Sicht. Dass wir wegkommen von der Sichtweise, gerade war es noch KI, jetzt ist es Quantentechnologie. Letzere wird natürlich nicht für jedes Unternehmen in Bayern interessant sein, um in den nächsten drei Jahren darin zu investieren. Aber für bestimmte Sektoren über Wertschöpfungsketten hinweg, wo genug Daten anfallen, die ein einzelnes Unternehmen allein gar nicht produzieren kann, lohnt es sich, über Quantentechnologie nachzudenken. Kurz gesagt, wir müssen von den Problemen herdenken und nicht von der Technologie her.
Dr. Rainer Seßner: Ich möchte das gerne noch ergänzen. Von DER Technologie würde ich gerne erweitern auf von DEN Technologien. Wir blicken immer nur auf eine Technologie. Wir schauen auf die Künstliche Intelligenz, wir schauen auf die Quantentechnologie, statt zu überlegen, wie es ist, wenn ich Technologien kombiniere, denn daraus entstehen neue Systeme. Damit sind wir in Deutschland über viele Jahre schon sehr erfolgreich. Dass wir verschiedene Technologien gut und sinnvoll kombinieren, genau diese Probleme zu lösen, von denen Sabine gerade gesprochen hat. Also zu sagen, okay, ich habe viele verschiedene Technologien und ich habe hier ein Problem. Wie muss ich diese Technologien kombinieren, damit am Ende eine gute Lösung rauskommt? Ein schönes Beispiel ist die zukünftige Kombination von Künstlicher Intelligenz mit Quantentechnologie und 6G, um autonomes Fahren wesentlich besser zu ermöglichen. Weil es dann möglich sein wird, Routenauswertungen, Berechnungen oder auch das autonome Fahren auf zentralen Systemen durchzuführen und über 6G eine schnelle Kommunikation zu gewährleisten. Ein anderes Thema ist Cybersecurity, also klassische Sicherheit. Auch dafür gilt es wieder, verschiedene Systeme zu kombinieren. Ich glaube, da lässt sich auch noch viel erreichen. Und ich gebe Sabine recht, dass wir vom Problem herdenken müssen. Aber es betrifft nicht nur die Unis. Ich habe selbst in meiner Vergangenheit immer wieder erlebt, dass in technologisch orientierten Unternehmen, die Technologen erst mal tolle technische Lösungen erarbeiteten, aber kein Problem dazu hatten. Und dann diesen Transfer hinzukriegen, ist eine große Herausforderung. Also vom Problem her zu denken und den Nutzen in den Vordergrund zu stellen, ist generell das, was die Technologie erlebbar und greifbar macht.
Ihr wart beide Teil einer sehr spannenden Podiumsdiskussion auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel. Es ging um die Frage, wie unsere Wirtschaft den Hochtechnologiestandort Bayern in punkto KI und Quantencomputing pushen kann. Was ist Euer Fazit dieser Diskussion in ein bis zwei Sätzen?
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer: Die Diskussion über KI und Quantentechnologie fängt gerade erst an. Und für Bayern ist aus meiner Sicht die entscheidende Frage, ob es gelingt, diese Technologien in die Breite dieses sehr spezifischen Wirtschaftsstandorts zu bringen. Nicht die einen Leuchttürme, sondern in der Breite.
Dr. Rainer Seßner: Just do it.
Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Leitung Marketing und Innovationsmanagement, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.
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