Imme, wie unterstützt die Themenplattform Arbeitswelt 4.0 Unternehmen und ihre Mitarbeiter?
Dr. Imme Witzel: Die Online-Seminarreihe ist ein sehr schönes Beispiel für unsere eigene digitale Entwicklung in der Themenplattform. Wir haben schon vorher kleine Videoclips auf unserer Webseite veröffentlicht. Pünktlich zum Lockdown haben wir eine ganze Online-Seminarreihe aufgesetzt, weil wir akuten Bedarf gesehen haben. Zu Beginn ging es in erster Linie um das Thema Homeoffice, dann haben wir die Themen erweitert um grundlegende Aspekte des digitalen Arbeitens, also „wie moderiere ich eine Videokonferenz“, „wie sorge ich für Ergonomie im Homeoffice“, und inzwischen geht es auch um Themen wie „was ist eigentlich ein digitales Mindset“, „wie setze ich Agilität im Unternehmen um“ und vieles mehr.
Besonders gut finde ich, dass wir eine große Bandbreite an Akteuren mit unseren Online-Seminaren erreicht haben. Wir hatten Teilnehmende aus Unternehmen, aber auch aus der Verwaltung, aus Ministerien, Verbänden, viele auch inzwischen über Bayern hinaus. Die Online-Seminare sind kostenlos und haben eine Länge von etwa 45 Minuten, sind also für jedermann „machbar“. Insgesamt war die Resonanz sehr positiv.
Für mich ist die Online-Seminarreihe ein schönes Beispiel für unsere Aktivitäten der Themenplattform, die das Ziel haben, die Sensibilität für diese Themen zu schärfen und Akteure zu unterstützen. Nicht nur in Bezug auf die technischen Aspekte, sondern auch in Bezug auf „soziotechnische Themen“, also Dinge wie lebensbegleitendes Lernen, Weiterbildung, Flexibilisierung, neue Unternehmensstrukturen, Digitalisierungsstrategien und auch ethische Fragestellungen.
Die Aktivitäten der Themenplattform beschäftigen sich auch mit Fragen der KI und des Datenschutzes, mit dem Thema des „gläsernen Mitarbeiters“ und Fragen der Einbindung z. B. des Betriebsrates – das sind typische Fragestellungen, mit denen wir uns im Rahmen der Corporate Digital Responsibility beschäftigen. In der Vergangenheit haben wir das insbesondere durch Präsenzveranstaltungen getan, inzwischen bieten wir mit Onlineveranstaltungen, Videos zu New Work-Themen, Publikationen usw. ein breites Spektrum an.
Ich kann mir vorstellen, dass die Situation für viele, die vorher nicht oder kaum im Homeoffice gearbeitet haben, sehr herausfordernd ist. Wie nimmst Du das wahr, Johanna?
Johanna Lison: Es ist eine echte Ausnahmesituation – es ist ja eigentlich kein „echtes Homeoffice“, sondern ein Arbeiten von zuhause aus im Krisenmodus. Viele Eltern müssen Kinderbetreuung, Homeschooling etc. mit ihrem Job vereinbaren. Die Isolation von Alleinstehenden und die häufigen Existenzängste durch Jobverlust und Kurzarbeit sind eine Belastung, mit der nicht jeder gleich resilient umgehen kann. Gleichzeitig kann Remote Work mit den vielen virtuellen Konferenzen überfordernd sein. Man eignet sich einen Tunnelblick auf den Monitor an und vermisst die nonverbale Kommunikation, die Resonanz und Präsenz von anderen. Die Konzentration nimmt zu, das Persönliche fehlt – auf Dauer ist das anstrengend. Auch die Abgrenzung zwischen Privatem und Beruf fällt schwer, hier muss jeder auf sich selbst achten.
Und was kann man in dieser Situation tun?
Johanna Lison: Ich kann gerne berichten, was die Kollegen aus unserem Team Innovationsmanagement zusammengetragen haben: Es ist in virtuellen Konferenzen hilfreich, Gestik und Mimik einzusetzen, und nicht nur ein „Pokerface“ zu zeigen, um eine persönliche Note hineinzubringen. Auch die abwechselnde Nutzung traditioneller Kanäle – wie z. B. Telefonieren – kann sinnvoll sein, dabei entfällt die starre Konzentration auf den Monitor.
Ebenso wichtig ist eine klare Regelung zur Arbeitsorganisation und eine klare Rollenverteilung in virtuellen Konferenzen, also Moderation, Protokollführung etc. – auch Visualisierung durch Whiteboards oder PowerPoint-Präsentationen ist sinnvoll.Ich empfehle, zuhause kleine Rituale zu pflegen, um die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatem zu verdeutlichen. Ich persönlich wechsle meine Kleidung, wenn ich den „Arbeitsplatz“ betrete und verlasse und schaffe durch regelmäßige Spaziergänge klare Zäsuren. Und ich pflege das Ritual der „positiven Dusche“ – dabei reflektiere ich über die Vorteile und Gewinne der neuen Situation. Das alles kann bei der Bewältigung sehr helfen.
Imme, welche Fähigkeiten sind für Mitarbeiter aus Deiner Sicht die wichtigsten, um mit der neuen Situation umzugehen?
Dr. Imme Witzel: Die Corona-Krise stellt hohe Anforderungen an den Umgang und die Kommunikation miteinander, man braucht bestimmte Regeln und Voraussetzungen. Viele Dinge, die in der „alten Welt“, also der Arbeitswelt vor Corona und vor der digitalen Arbeitswelt insgesamt wichtig waren, sind inzwischen gar nicht mehr opportun. Im Homeoffice zeigt sich die Bedeutung, selbstbefähigt und vernetzt zu arbeiten. Auch die sogenannten „sozialen Hard Skills“ im Umgang zwischen Mensch und Maschine, Prozesskompetenzen und die Befähigung, Lösungen und neue Ideen zu erarbeiten, sind gerade in der wirtschaftlichen Krise wichtig.
Insgesamt ist es gut, wenn Mitarbeiter ein sog. „Entrepreneurial Mindset“ mitbringen, also Ideen haben, und ihre Märkte und Kundenbedürfnisse kennen und ins Zentrum stellen. Besonders wichtig sind derzeit auch Aspekte der Führung – Vertrauen ist hier ein wichtiges Stichwort. Leider gab es da einige besonders schlimme Negativbeispiele wie die Installation von Spycams oder Massenkündigungen per Videokonferenz. Da stellt sich für eine Organisation die Frage, welches Menschenbild man eigentlich vertritt – vertraue ich meinen Mitarbeitern, oder setze ich auf Kontrolle? Auch der Umgang mit Feedback ist wichtig – beim Arbeiten auf Distanz ist das eine wichtige Frage, um gut miteinander arbeiten zu können.
Das Interview führte Dr. Kord Pannkoke, Leiter Business Development bei der Bayern Innovativ GmbH.
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