- Bayern Innovativ
- eMagazin
- # mobilität
- Detail
Interview: Mobility-as-a-Feature
Mobility-as-a-Feature (MaaF) möchte mit Angeboten auch jenseits der typischen Mobilitäts-Services einen Marktplatz mit Mehrwert schaffen, der auch neue Nutzergruppen ansprechen soll. Hat dieser Trend das Potenzial zum Gamechanger in der vernetzten Mobilität? Darüber haben wir mit Eva Graßl, Managerin Produktkommunikation bei banbutsu, und Nicolai Harnisch, Leiter Vernetzte Mobilität bei Bayern Innovativ, gesprochen.

Nicolai, was genau verbirgt sich denn hinter Mobility-as-a-Feature (MaaF)?
Nicolai : Um das zu erklären, muss man vielleicht noch einen Schritt zurück zum Konzept von Mobility-as-a-Service (MaaS) gehen. Dabei handelt es sich um die Integration verschiedenster Mobilitätsdienstleistungen und -angeboten auf einer Plattform. Die Idee dahinter ist, dass ich mich als Nutzender nicht durch einen Dschungel aus Apps der verschiedenen Mobilitätsdienstleistungsunternehmen und Verkehrsverbünden kämpfen muss, sondern einen einzigen Zugang benötige, um – je nach Bedarf - das Verkehrsmittel zu buchen und zu bezahlen, das ich für meinen Weg benötige. Bekannte Beispiele für Mobility-as-a-Service Plattformen sind z.B. Free Now oder die MVGO-App der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG.
Mobility-as-a-Service ist somit ein wichtiger Faktor für die Etablierung und Skalierung von Shared Mobility, da es den Zugang enorm erleichtert und die Nutzerfreundlichkeit erhöht.
MaaF beschreibt in einfachen Worten die Bereitstellung von Mobilitätsservices auf Plattformen, die per se keinen Mobilitätsbezug haben müssen, bzw. die Weiterentwicklung von Mobilitätsplattformen zu Anbietern verschiedenster – auch nicht mobilitätsbezogener – Services.
Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen und wie lassen sich diese meistern?
Nicolai : Shared Mobility Angebote haben es generell schwer, da sie in einem sehr kompetitiven Markt um geringe Margen operieren. Zugleich erschweren viele Umstände, z.B. datenschutzbezogene Bedenken, die Tiefenintegration von Shared Mobility Services im Sinne von MaaS. Folglich sind sowohl Shared Mobility als auch Mobility-as-a-Service im Gartner Hype Cycle im „Trough of disillusionment“ – im Tal der Enttäuschung – verortet.
Hier setzt MaaF an: Um neue Nutzergruppen anzusprechen, werden zunehmend Funktionen und Kooperationen etabliert, die so genannten „Mobility-as-a-Feature (MaaF). MaaF beschreibt in einfachen Worten die Bereitstellung von Mobilitätsservices auf Plattformen, die per se keinen Mobilitätsbezug haben müssen, bzw. die Weiterentwicklung von Mobilitätsplattformen zu Anbietern verschiedenster – auch nicht mobilitätsbezogener – Dienste sind. Ein Beispiel hierfür wäre UBER, das als Ride-Hailing Service gestartet ist und später mit UberEats einen Food-Delivery Service gelauncht hat. Dabei konnte UBER einige Synergien intelligent in einem neuen Geschäftsmodell zusammenführen: eine etablierte Marke und Plattform mit großem Kundenstamm sowie Fahrerinnen und Fahrer, die bei Bedarf auch für Essenslieferungen disponiert werden und die sogenannten ‚Idle Times‘, die Standzeiten der Fahrzeuge, damit verringert werden können.
Eva, Wie geht ihr bei banbutsu das Thema MaaF an?
Eva : Wie es Nicolai bereits treffend formuliert hat, geht es bei ‚MaaF‘ im Grunde darum, Mobilitätsangebote verschiedenster Anbieter als ‚Features‘, also als eigenständige Elemente anzubieten. Diese können dann wie Bausteine mit anderen Plattformen oder Anwendungen zu neuen Geschäftsmodellen und Dienstleistungsangeboten kombiniert werden. Der Ansatz existiert jedoch nicht nur im Kontext der Mobilität, sondern ist in Bereichen wie E-Commerce, Entertainment, Bezahlung und Logistik bereits verbreitet und etabliert. Und genau an dieser Stelle kommen wir mit banbutsu ins Spiel. Wir nutzen unsere Plattform, um bestehende Features, z. B. aus Mobilität und E-Commerce, miteinander zu kombinieren und zu orchestrieren. Dadurch entstehen aus eigenständigen, isolierten Diensten (sog. Verticals) schnell relevante und individuelle Erlebnisse, die sich auf das aktuelle Nutzerbedürfnis beziehen.
Bei konventionellen „Mobility-as-a-Service“ Angeboten ist Mobilität die primäre Dienstleistung, um Nutzende von einem zum anderen Ort zu befördern. Im Gegensatz dazu ermöglicht Mobilität als Feature, die eigentliche Reiseintention wie bspw. den Wochenendausflug mit der Familie in den Fokus zu setzten.
Durch ‚MaaF‘ entstehen somit neue Potentiale, die es Anbietern von Mobilität erleichtern, sich in bestehende Reiseplattformen zu integrieren. Andererseits können Mobilitätsanbieter ihr eigenes Angebot durch Features anderer Bereitsteller weiter ausbauen um bspw. selbst als Einstiegspunkt für Reiseinspiration und Planung wahrgenommen zu werden.
Wir positionieren uns als Plattformanbieter im Zentrum der ‚Featurelandschaft‘, um unsere Kunden schnell und effizient bei dieser Transformation zu unterstützen und klare Vorteile hinsichtlich der Wettbewerbsdifferenzierung zu generieren.
Das effiziente Bündeln von Angeboten sowie eine Mobilitätsdienstleistung, abgestimmt auf das Ziel und den Wegezweck des einzelnen Nutzenden, schaffen eine bessere Auslastung von alternativen, nachhaltigen Mobilitätslösungen.
Wie seid ihr vorgegangen, um „Mobility- as- a-Feature“ zu etablieren?
Eva : Wir haben uns die Intentionen für Mobilität angesehen und was Menschen erleben möchten, wenn sie mobil sind. Das war unser Ausgangspunkt. Zum Beispiel nutzen Städter ihren eigenen PKW oft nur für Tages- oder Wochenendausflüge im Umland, in der Stadt ist das Fahrzeug meist gar nicht in Betrieb. MaaS Angebote wie Carsharing sind dann oft ein Hindernis, weil sie zusätzlich zu Freizeitangeboten separat gebucht werden müssen und sich nicht so einfach in den Ausflug integrieren lassen wie das eigene Fahrzeug. Wir haben uns deshalb nach unserer Unternehmensgründung die Bereiche Carsharing und Tourismus herausgepickt und ein Erlebnisangebot entworfen, indem „Mobility-as-a-Feature“ zum Einsatz kommt.
In einem Pilotprojekt haben wir dann den Carsharing Dienst SHARE NOW sowie Anbieter verschiedener Freizeitaktivitäten in Tourismusregionen auf unserer Plattform gebündelt. Das Resultat ist keine Fahrt mit dem Mietwagen, sondern ein ganzer Erlebnisausflug, der mit der Motivation „Ich möchte etwas mit dem Auto erleben“ gestartet wird und um das Fahrzeug orchestriert wird. Dabei werden die Angebote so intelligent und nahtlos verknüpft und vorgeschlagen, dass sie kein Hindernis, sondern einen absoluten Mehrwert für die Kundinnen und Kunden darstellen.
Ich gebe mal ein Beispiel, um das Ganze greifbarer zu machen: Mit SHARE NOW können Kundinnen und Kunden für das Wochenende im österreichischen Zillertal ein Fahrzeug, z.B. einen E-Fiat 500, buchen. Im Anschluss verknüpft die banbutsu Plattform die Fahrzeugmiete mit einer Fahrradmiete vor Ort. Dabei werden allgemeine Buchungsparameter wie Personenanzahl, Mietdauer und Fahrradpräferenz direkt mit Verfügbarkeiten abgeglichen und nur Anbieter mit verfügbaren Angeboten vorgeschlagen. Beim Fahrradverleih angekommen findet sich bereits ein reservierter Ladeparkplatz vor und die E-Mountainbikes stehen zum Ausleihen bereit. Eine Radroute, angepasst an die Bedürfnisse und Präferenzen der Fahrenden beginnt direkt am Fahrradladen. Nutzende müssen damit nur angeben, auf welche Aktivität sie Lust haben. Sie müssen sich weder um den Transport von Fahrrädern wie beim eigenen Auto kümmern noch die Aktivitäten selbst zusammenbauen und Verfügbarkeiten und Abläufe recherchieren. Durch die Abwicklung über eine Plattform können die einzelnen Komponenten so ineinandergreifen, dass der Buchungs- und Umsetzungsprozess so einfach und unkompliziert wie möglich wird und er für Kund*innen zum nahtlosen Erlebnis wird.
Worin liegt der größte Vorteil von MaaF für die Nutzenden sowie auch für die Gesellschaft (z.B. in Bezug auf Nachhaltigkeit)?
Eva : Durch Plattformlösungen, die Mobilität als ein Feature integrieren und letztlich ganze Erlebnisse schaffen, können bestehende Synergien bestmöglich genutzt werden. Gerade im Bereich Mobilität gibt es bereits viele gute Angebote und Spezialisten, da müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Wenn wir bestehenden Mobilitätsanbietern ermöglichen, die Nachfrage besser und zielgerichteter zu bedienen, müssen keine Ressourcen für einen weiteren Mobilitätsdienstleistenden aufgebaut und die Infrastruktur weiter belastet werden. Im Gegenteil, das effiziente Bündeln von Angeboten sowie eine Mobilitätsdienstleistung, abgestimmt auf das Ziel und den Wegezweck des einzelnen Nutzenden, schaffen eine bessere Auslastung von alternativen, nachhaltigen Mobilitätslösungen.
Daneben werden den Nutzenden Angebote zur Verfügung gestellt, wann und wo sie relevant sind. Intelligente Systeme helfen dabei, Verfügbarkeiten in Echtzeit zu aktualisieren, und Partner und deren Angebote so aufeinander abzustimmen, dass ein reibungsloser Verlauf für die Kundinnen und Kunden sichergestellt ist - von der Buchung bis zur Realisierung des Erlebnisses.
Die Bündelung von Mobilität und nicht-mobilitätsbezogenen Angeboten auf unabhängigen sogenannten ‚White-Label‘ Plattformen wie banbutsu, gibt Unternehmen außerdem die Möglichkeit, ihre DNA zu bewahren und ihre eigene Markenidentität hervorzuheben. Das stärkt die Beziehung zu Nutzenden und macht Unternehmen unabhängiger von Mobilitätsaggregatoren, für die nur ein Preisdruck statt das Kundenerlebnis relevant ist.
Welche Faktoren müssen gegeben sein, damit MaaF gelingt?
Eva : Zunächst einmal müssen alle Angebote, Mobilitätsdienste sowie nicht-mobilitätsbezogene Dienstleistungen, gemeinsam auf einer Plattform gebündelt und zur Verfügung gestellt werden. Die Plattform muss so flexibel gestaltet sein, dass sie Pakete aus aller Art von Angeboten schnüren kann. Andererseits müssen Angebote bis zu einem gewissen Grad standardisiert sein, damit die Plattform stabil und robust betrieben werden kann. Dies ist eine große aber spannende technische Herausforderung.
Außerdem muss die Relevanz für die Kundschaft gegeben sein. Nur, wenn die nicht-mobilitätsbezogenen Dienstleistungen den Intentionen der Kundschaft entsprechen und passgenau mit Mobilitätsangeboten verknüpft sind, werden sich alternative Mobilitätsformen besser etablieren können. Oder in anderen Worten: Wir müssen herausfinden, warum Nutzende einen Weg zurücklegen und das Angebot darauf basierend ausrichten.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Eva : banbutsu hat eine eigene KI (Künstliche Intelligenz) entwickelt, die anders als generative KI-Systeme wie ChatGPT auf konkretem Expertenwissen, Sensordaten und Fakten basiert. Die großen Vorteile sind einerseits die Kontrolle über die Empfehlung selbst und andererseits die Skalierung.
Unsere KI wird zunächst mit Expertenwissen gefüttert, im konkreten Fall sind das alle Informationen zu Mobilitätsdiensten und transportunabhängigen Angeboten. Damit meine ich wirklich detaillierte Informationen, z.B. wie viel Ladevolumen ein bestimmter PKW hat oder Informationen des Bergführers zu Begehbarkeiten von Routen. Danach bringt, abhängig vom Nutzerkontext, das System alle Informationen für einen bestimmten Anwendungsfall zusammen, z.B. die Präferenzen von Nutzenden, wie viele Teilnehmende geplant sind, wie viele davon Kinder sind, wie die Wetterbedingungen vor Ort sind etc.
Außerdem können wir die Empfehlungen unserer KI dann je nach Anwendungsfall mit eigenen Plattformmodulen wie bspw. Bezahlung, Logistik und Benachrichtigungen kombinieren, um ein nahtloses Reiseerlebnis abzubilden. Am Ende steht dann eine dynamische Plattform, mit der wir das Kundeninteresse in den Mittelpunkt rücken und MaaF nutzen, um Mobilität so einfach wie möglich in jeder relevanten Situation zur Verfügung zu stellen.
Wie seht ihr die Zukunft von MaaF aus bzw. welche Rolle spielt MaaF für die Mobilität der Zukunft?
Nicolai : Ich kann mir gut vorstellen, dass MaaF dazu beitragen kann, Shared Mobility in den Mobilitätsroutinen der Nutzenden zu etablieren, wenn ihnen für ihre alltäglichen Erledigungen oder Freizeitaktivitäten direkt passende Mobilitätsangebote gemacht werden können. Viele vereinbaren heutzutage Arzttermine über Plattformen wie doctolib – hier würde es Sinn machen, wenn direkt ein passendes Mobilitätsangebot mitgeliefert würde. Ähnliches könnte ich mir für Angebote wie Urban Sports Club vorstellen. Hier würden beide Plattformen profitieren: Freizeitangebote werden erreichbar gemacht und der Kundenkreis für Mobilitätsanbieter erweitert.
Auf der anderen Seite kann Mobility-as-a-Feature Menschen unterstützen, die kein eigenes Auto haben beispielsweise, insbesondere bei alltäglichen Erledigungsfahrten. Schon jetzt kooperieren Car-Sharing bspw. Mit Baumärkten, damit Nutzende ihre Miete während des Einkaufs pausieren könnten. Damit lässt sich Car-Sharing besser in den Alltag integrieren und Autoabhängigkeit wird reduziert.
Eva : Die Beispiele, die du beschrieben hast, sind definitiv denkbar. Mobilitätsdienste können dann nicht nur als reines Transportmittel dienen, um Nutzende von A nach B zu bringen, sondern noch besser in individuelle Situationen eingebunden werden. Wenn ich z.B. mit einem Carsharing Fahrzeug zum Sport fahre und das Auto dort während eines Kurses abstelle, kann ein Lieferdienst in der Zwischenzeit meinen Wocheneinkauf ins Fahrzeug stellen. Solange die einzelnen Komponenten miteinander verknüpft werden können, sind die Möglichkeiten endlos…
Veranstaltungshinweis
Eva Graßl ist auch Referierende auf unserer Netzwerkveranstaltung „Wie gelingt die Verkehrswende? Smarte Lösungen für Stadt und Land“ am 25.10.2023
Das könnte Sie auch interessieren
Bayern Innovativ Newsservice
Sie möchten regelmäßige Updates zu den Branchen, Technologie- und Themenfeldern von Bayern Innovativ erhalten? Bei unserem Newsservice sind Sie genau richtig!