30 Jahre Mobilität – die Evolution der Fortbewegung
Eine Geschichte der Mobilitätsentwicklung seit 1995
Navigieren mit Papierkarte, Mitfahrgelegenheiten per Telefon – all das klingt heute fast nostalgisch. Doch wer glaubt, die großen Revolutionen in der Mobilitätswelt lägen schon hinter uns, irrt sich. Die nächsten Innovationen stehen längst vor der Tür: Vernetzte Fahrzeuge, smarte Infrastrukturen, autonomes Fahren und Mobilitätsplattformen, die alles aus einer Hand anbieten – das ist keine ferne Vision mehr, sondern Teil eines rasant fortschreitenden Wandels.
Wie sehr sich Mobilität in den letzten 30 Jahren bereits verändert hat, welche Innovationen wirklich den Unterschied gemacht haben – und welche Fragen sich stellen, wenn wir 30 Jahre in die Zukunft blicken – darüber spricht Jennifer Reinz-Zettler, Mobilitätsexpertin bei Bayern Innovativ.

Welche Entwicklungen der Mobilitätswelt waren in den vergangenen 30 Jahren die gravierendsten?
Jennifer Reinz-Zettler: 30 Jahre klingt wie eine wahnsinnig lange Zeit und trotzdem denke ich, dass 1995 noch gar nicht so lange her ist. Wenn ich mich so zurückerinnere, würde ich ganz klar sagen, die Digitalisierung in der Automobilindustrie, das Thema Elektromobilität und die Digitalisierung in der Mobilität allgemein waren die wichtigsten Entwicklungen. Ich erinnere mich noch ganz genau an die Zeit, als ich den Führerschein gemacht habe, ca. 1999. Da waren die Fahrzeuge wesentlich analoger, es gab weniger elektrische Komponenten im Fahrzeug, zum Beispiel gab es keine standardmäßig verbauten Navigationssysteme, sondern man hat klassisch mit Karte navigiert. Über die letzten Jahre sind Fahrzeuge viel elektronischer geworden. Und dadurch wurden sie auch viel sicherer. Neu sind Technologien, die Fahrzeuge in der Spur halten oder Notbremsen, wenn Gefahren auf der Straße sind oder die einfach mehr Komfort bieten und dem Vorderfahrzeug folgen können, wenn man sich entspannt auf der Autobahn zurücklehnen möchte. Und natürlich sind die Autos heutzutage viel mehr vernetzt. Sie können mit der Umwelt kommunizieren und auch mit anderen Fahrzeugen oder der Infrastruktur. Das zweite ganz wichtige Thema ist die Elektromobilität. Das hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren wahnsinnig weiterentwickelt. Am Anfang gab es eher Hybridfahrzeuge, dann später mit dem Tesla Model S wurde die Elektromobilität massentauglich. Das waren die ersten E-Fahrzeuge, die eine höhere Reichweite hatten. Das Thema Ladeinfrastruktur und die Speichertechnologie haben sich angepasst, da gab es einen Riesensprung nach vorn. Der Bereich Digitalisierung der Mobilität ist allgemein ein sehr spannendes Thema. Wenn ich mich zurückerinnere, an die 2000er Jahre: Wenn ich damals in eine neue Stadt gekommen bin, hab ich mir eine Karte besorgt und ich bin damit durch die Stadt gelaufen. Heute ist das alles digitalisiert. Es gibt digitale Karten, man kann über das Smartphone unterschiedliche Mobilitätsoptionen buchen und sich aussuchen, ob man mit dem ÖPNV fahren möchte oder sich ein Fahrrad oder einen E-Scooter ausleihen möchte. Das hat die Mobilität gravierend verändert.
Gab es in Ihrer persönlichen Vergangenheit einen Moment, in dem Sie wussten, dass sich die Mobilitätswelt von Grund auf verändern wird?
Jennifer Reinz-Zettler: Ich würde sagen, das war nicht unbedingt ein Moment, sondern eher eine schleichende Entwicklung. Ein Gefühl, dass etwas Bedeutendes passiert. Für mich persönlich war das die Digitalisierung in der Mobilitätswelt. Es gibt einen Menschen, der ist in der Mobilitätswelt relativ bekannt: Sampo Hietanen. Er hat das Thema Mobility-as-a-Service entwickelt. Er hat irgendwann einmal gesagt „Mobility is being hit by a digital Tsunami“. Ich finde das trifft es gut, weil diese Digitalisierung ganz viele Mobilitätsoptionen verändert hat. Zum Beispiel das Thema Mitfahrgelegenheit. Da gab es früher Möglichkeiten, wie Blablacar oder die Mitfahrzentrale. Dort konnte man zum Beispiel sehen, dass jemand von Nürnberg nach Berlin fährt und diese Person dann anrufen, um gemeinsam zu fahren. Heute funktioniert es ganz anders. Heute hat man die Möglichkeit, über das Handy alles digital zu buchen. Im besten Fall kann man damit auch noch bezahlen. Das war schon eine gravierende Entwicklung, die da in den letzten Jahren passiert ist. Natürlich hat das alles gestartet mit dem Smartphone. Als die Smartphones so gegen 2007 auf den Markt gekommen sind, hat es einen ganz großen Entwicklungsschub gegeben.
Wie haben sich diese Entwicklungen auf die Arbeit Ihres Teams und auf die Wünsche Ihrer Kundinnen und Kunden ausgewirkt?
Jennifer Reinz-Zettler: Die beiden Themen Vernetzung und Elektromobilität haben den Bereich Mobilität bei Bayern Innovativ unglaublich verändert. Zunächst haben wir uns nur mit der Fahrzeugindustrie beschäftigt, später haben wir das Thema dann ausgeweitet. Die Elektromobilität ist so groß, man kann das nicht nur fahrzeugseitig betrachten, sondern muss auch ganz stark die Infrastruktur mitdenken. Denn die Elektromobilität entwickelt sich dann, wenn es eine Infrastruktur dazu gibt und die Menschen sie auch nutzen können. Es gibt noch einen weiteren großen Bereich bei uns. Das ist die Vernetzte Mobilität, die sich allgemein mit der Digitalisierung in der Mobilität beschäftigt, also mit all den Dingen, die ich vorher genannt habe: Connectivity von Fahrzeugen, Digitalisierung von Mobilitätssystemen als Ganzes oder Mobility-as-a-Service.
Was wird der nächste große technische Durchbruch sein?
Jennifer Reinz-Zettler: Es ist ja immer eine schwierige Frage, ob man Innovationen vorhersehen kann. Ich muss dabei an einen Spruch denken, den Henry Ford gesagt haben soll. Er sagte, hätte er die Leute gefragt, was sie haben wollen, hätten sie gesagt: sie wollen schnellere Pferde. Das wirft die Frage auf, ob Innovationen durch die Bedürfnisse von Menschen entstehen und ob man sie so voraussagen könnte. Ich bin mir da nicht sicher. Oft kommen Dinge oder Ereignisse um die Ecke, mit denen man gar nicht gerechnet hat.
Mit dem Smartphone hat, glaube ich, auch niemand gerechnet, das konnte man sich so nicht vorstellen. Ich denke aber, dass wir in den Bereichen, die ich zuvor genannt habe, also Digitalisierung und Elektromobilität, noch viel mehr Entwicklungen erleben werden. Da wird sich noch wahnsinnig viel tun. Beispielsweise im Bereich Elektromobilität glaube ich daran, dass sich die Speichertechnologien weiterentwickeln, dass die Reichweite der Fahrzeuge weiter steigt und dass die Fahrzeuge viel mehr Teil eines Gesamtsystems werden. Ich denke auch, dass die Fahrzeuge der Zukunft nachhaltige Energie laden und speichern können, dass sie diese Energie dann auch wieder abgeben können, wenn sie gebraucht wird. So könnte man Mobilität und Energie als Gesamtsystem nennen. Im Bereich der Digitalisierung glaube ich, dass die Automatisierung und die Vernetzung sich noch wesentlich weiterentwickeln werden. Wir haben ja heute schon teilautonome oder autonome Fahrzeuge. Ich glaube, dass diese sich weiterentwickeln können, dass sich Städte durch autonome Fahrzeuge weiterentwickeln können und so beispielsweise ländliche Regionen besser anbinden können. Die Städte werden sich vielleicht in Richtung hypervernetzter Systeme weiterentwickeln. Zum Beispiel durch viel Sensorik in Infrastruktur und viel Sensorik in verschiedenen Fahrzeugen, autonome Lieferroboter, autonome Reinigungsmaschinen und so weiter.

"Im Bereich Digitalisierung gehe ich davon aus, dass sich Themen wie Automatisierung und Vernetzung rasant weiterentwickeln werden. Dadurch wird auch die Entwicklung des ländlichen und städtischen Raums maßgeblich geprägt werden."
Jennifer Reinz-Zettler
Leiterin Mobilität, Bayern Innovativ GmbH
Was wird die nächste große Herausforderung in Bezug auf Nachhaltigkeit sein und wie werden Sie als Innovationsnetzwerk die Mobilität der Unternehmen unterstützen, diese Herausforderungen anzunehmen?
Jennifer Reinz-Zettler: Ich finde, dass Nachhaltigkeit ein Dauerthema ist. Wir müssen uns hierbei echt noch mehr anstrengen und die Nachhaltigkeit immer weiter vorantreiben. Zum einen glaube ich, dass hierbei das „Design to Recycling“ eine ganz wichtige Rolle spielen wird. Das bedeutet, dass die Komponenten der Fahrzeuge beispielsweise so designt sind, dass man sie am Ende auch wieder auseinandernehmen kann, um sie dann zu recyclen. So kann man die Teile wieder in die Wertkreisläufe zurückführen. Man muss schauen, wo die Rohstoffe herkommen und wie diese verarbeitet und produziert sind. Es ist nicht nur wichtig, dass es CO2-effiziente Fahrzeuge gibt, sondern man muss auch die gesamte Nutzungsdauer betrachten. Wichtig finde ich natürlich auch, dass die Lebensdauer von Fahrzeugen länger wird. Ich habe beispielsweise kürzlich gelesen, dass jeder siebte Porsche, der je produziert wurde, noch heute auf den Straßen fährt. Und das ist grundsätzlich ein guter Gedanke. Andererseits kann es auch bremsen, wenn die Fahrzeuge eine lange Lebensdauer haben. Denn man möchte natürlich innovative Technologien, die neuesten Innovationen in den Fahrzeugen haben. Vielleicht finden wir da eine Möglichkeit, wie beides kombinierbar ist.
Uns ist es wichtig, immer über den Tellerrand zu schauen. Wir überlegen, wie man die eigenen Branchenentwicklungen mit Innovationen aus anderen Branchen verbinden kann. So bringen wir verschiedene Innovationen zusammen und finden vielleicht ganz anderen Lösungen für unsere Themen. Und das ist eine der Kernkompetenzen von Bayern Innovativ, über den Tellerrand zu schauen, unterschiedliche Player zusammenzubringen, große Unternehmen, kleine Unternehmen, Start-ups, den Mittelstand, aber auch Kommunen dabei mit einzubeziehen.
Was sind denn die wichtigsten Veränderungen bei den Kundenwünschen, die Unternehmen dazu gezwungen haben, ihre Strategien anzupassen?
Jennifer Reinz-Zettler: Ich würde sagen, Verbraucher heute wollen viel mehr konsumieren. Ich glaube, das Smartphone hat uns auch da sehr geprägt, denn es liefert mir alles, was ich brauche. Wenn ich an die Mobilität denke, möchte man das am liebsten alles aus einem Guss haben. Niemand möchte sich in Hamburg eine andere Mobilitätsapp runterladen als beispielsweise in München. Vielleicht will ich mir noch ein Fahrrad ausleihen können und einen E-Scooter, wenn ich Lust habe, vielleicht auch ein ganz anderes Mobilitätsdevice. Das hat sich auf jeden Fall in diesem Bereich verändert. Ich kann mich noch erinnern, als wir vor einigen Jahren mit Verkehrsbetrieben gesprochen haben. Diese meinten, dass eine Kooperation sehr schwierig sei, weil sie ja ihre Kundenschnittstellen hergeben müssten, da war an Kooperationen gar nicht zu denken. Heute gibt es viele großartige Beispiele, wo das schon gut funktioniert. Zum Beispiel in Berlin: da gibt es eine App mit ganz vielen unterschiedlichen integrierten Mobilitätsangeboten. Oder auch hier in Nürnberg gibt es eine tolle App, da kann ich den öffentlichen Verkehr buchen, ich kann mich auch über die Abfahrtszeiten und die Fahrtdauer informieren, darüber hinaus kann ich aber auch für 30 Minuten ein Fahrrad ausleihen oder für 15 Minuten E-Scooter fahren, wenn ich ein Abo habe. Das ist genau diese Gesamtintegration und das spüren wir auch in der Fahrzeugindustrie. Auch in einem privaten PKW möchte man connected sein. Am liebsten würde man seine Playlist sofort im Auto haben, genauso wie seine Kontakte, man möchte da telefonieren können, vielleicht auch noch die Office Anwendungen parat haben, dass man während der Fahrt in den nächsten Teams-Call gehen kann. Darauf haben sich die Unternehmen dann auch eingestellt. Mittlerweile ist es in der Automobilindustrie möglich, das Smartphone mit einzubinden. Die Geräte können dort nahtlos verbunden werden. So gibt es auch in der Mobilitätswelt viele neue Geschäftsmodelle. Diese Kooperationen, die ich vorher erwähnt habe, die gab es früher nicht in diesem großen Stil.
Welche Trends und / oder Entwicklungen werden in den kommenden 30 Jahren den Verkehr der Zukunft maßgeblich prägen?
Jennifer Reinz-Zettler: Was sich schon ändern könnte, sind die Themen Digitalisierung, Datennutzung und die Mobilität allgemein. Beispielsweise, dass die Fahrzeuge miteinander und mit der Infrastruktur kommunizieren, dass Daten die Fahrzeuge erfassen. Beispielsweise durch Bewegungsdaten, die intelligent genutzt werden, um den Verkehr besser zu machen und vielleicht auch Städte weiterzuentwickeln.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten in einer Zeitmaschine 30 Jahre in die Zukunft reisen und dort der Mobilitätswelt eine Frage stellen, welche wäre das?
Jennifer Reinz-Zettler: 30 Jahre sind eine total spannende Zeit. In 30 Jahren ist mein Sohn so alt wie ich heute bin und ich glaube ich würde als erstes wissen wollen, wie er persönlich mobil ist. Ob er in der Stadt lebt oder ob er auf dem Land lebt. Wenn er auf dem Land lebt, möchte ich gerne wissen, wie ist das Land angebunden? Braucht man da immer noch einen eigenen PKW oder gibt es autonome Shuttle, die das Land mit der Stadt vernetzen? Welche technologischen Innovationen haben das möglich gemacht, dass das Land besser angebunden ist? Und dann fällt mir noch eine total spannende Frage ein, nämlich würde ich gerne wissen, wie wir es als Bayern oder als Deutschland geschafft haben, zum Herz der weltweiten Mobilitätsindustrie zu werden. Wir sind eher das „Autoland“. Aber ich glaube fest dran, dass wir in Zukunft Mobilitätsland werden können und möchte gerne wissen, wie wir das geschafft haben.
Das Interview führte Barbara Groll, Media Relations, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Länge der Audiodatei: 00:19:01 (hh:mm::ss)
Welche entscheidenden Faktoren haben die Mobilitätswelt in den vergangenen 30 Jahre revolutioniert und welche werden die Mobilitätsbranche künftig weiter revolutionieren?
Über diese und viele weitere spannenden Fragen spricht Barbara Groll mit Jennifer Reinz-Zettler, Leiterin des Bereichs Mobilität bei der Bayern Innovativ GmbH.
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