30 Jahre Bayern Innovativ: Wie alles begann - und wo es hingeht

Ein Gespräch mit dem Gründungsvater der Bayern Innovativ GmbH

02.07.2025

Vor 30 Jahren brachte er Bayern Innovativ auf den Weg – mit dem Ziel, die Bayerische Wirtschaft voranzubringen. Auf seinen Visionen fußt das Fundament, auf dem die Bayern Innovativ GmbH bis heute steht. Ohne den damaligen bayerischen Wirtschaftsminister Dr. Otto Wiesheu gäbe es das Netzwerk der Netzwerke, das heute Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammenbringt, in dieser Form nicht. Zum Jubiläum blicken wir mit ihm zurück auf die Anfänge: Was hat ihn damals angetrieben? Welche Herausforderungen galt es zu überwinden – und wie blickt er heute auf die Entwicklung der Bayern Innovativ? Gleichzeitig richtet sich der Blick nach vorn: Dr. Rainer Seßner, seit zehn Jahren Geschäftsführer von Bayern Innovativ, gibt Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und seine Vision für die Zukunft der bayerischen Innovationslandschaft. Ein Gespräch über Mut, Netzwerke, technologische Sprünge – und über das, was Innovation in Bayern auch in Zukunft braucht.

Herr Dr. Wiesheu, vor 30 Jahren wurde die Bayern Innovativ GmbH gegründet. Wenn Sie zurückblicken in das Jahr 1995, was hat Sie angetrieben, Bayern Innovativ zu gründen?

Dr. Wiesheu: Das Ganze hat eine Vorgeschichte: Mit der Wiedervereinigung und der Öffnung der Grenzen nach Osten hatten wir plötzlich eine völlig andere Situation. Bis dahin hatten wir Billiglohnländer in Fernost, was von Großbetrieben ausgenutzt wurde. Es sind durchaus beachtliche Produkte von dort zu uns auf den Markt gekommen, aber zu niedrigeren Preisen.

Und wir hatten in diesem Zeitraum nach 1990-1993 einen riesengroßen Anstieg an Arbeitsplatzverlusten. Erst hieß es, die Öffnung der Grenzen ist für uns in Deutschland ein dreißigjähriges Konjunkturprogramm, weil die Wirtschaft in den Ostländern aufgebaut werden muss. Es war aber nicht so, weil die Frage, wer das bezahlen soll, nie beantwortet war. Doch die Konkurrenzsituation war da, und diese zu beherrschen, wieder die Arbeitsplätze zu stabilisieren und zu neuen Arbeitsplätzen zu kommen, hat es erforderlich gemacht, viele Betriebe zu sanieren.

Dann sind die Gewerkschaften und die Arbeitgeber gekommen und haben gewollt, dass wir staatlich etwas machen. Wir konnten aber nichts mit staatlichen Subventionen machen, wir konnten nur mit Gesprächen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern oder auch Banken schauen, dass man die auf neue Beine stellt. Das war aber noch keine Innovation.

Die Überlegung war dann: Wie kommen wir weiter? Und wir haben Konzeptionen entwickelt, die sich vielleicht damals illusionär angehört hatten. Heute wäre es naheliegend: Wir brauchten neue Produkte, neue Betriebe und neue Märkte. Und bei den neuen Produkten gab es eben nicht nur die Bio- und Gentechnologie, die damals neu auf den Markt gekommen ist, oder die Informations- und Kommunikationstechnik mit den Handys, denen viele skeptisch gegenüber waren, vor allem bei der Aufstellung von Sendemasten.

Das war alles notwendig, aber es war auch notwendig, dass der gesamte mittelständische Bereich, der ja keine Forschungseinrichtungen in den Betrieben hatte, dass der an neue Themen und neue Technologien herangeführt wird oder daran teilnehmen kann.

Nun kommt dazu, dass ich vor meiner Zeit als Wirtschaftsminister drei Jahre Staatssekretär im Kultusministerium für den Bereich Wissenschaft und Kunst war. Ich hatte damals alle Universitäten, alle Fachhochschulen in Bayern besucht, und ich habe Kontakte geschlossen mit der Fraunhofer-Gesellschaft und mit der Max-Planck-Gesellschaft und mit anderen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ich hatte eine Ahnung, was an Potenzial da war.

In den Achtzigern hatte es anfangs eine Diskussion gegeben, eine möglichst strenge Trennung zwischen Hochschule und Wirtschaft zu haben. Und ich habe gesagt, die muss man als erstes aufheben. Wir brauchen den Meinungsaustausch, den Fluss zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und wir brauchen eine Organisation, die das kann. Wir brauchen eine Einrichtung, bei der Leute dabei sind, die sowohl mit der Wissenschaft wie auch mit der Wirtschaft reden können und wissen, was in beiden Bereichen los ist.

Diese Einrichtung konnte nicht eine Abteilung im Wirtschaftsministerium sein, sie musste etwas sein, wo kein staatlicher oder administrativer Eingriff stattfindet. Das war meine Devise. Wir mussten uns staatlich finanzieren, aber Staatsfern organisieren und die richtigen Leute dazuholen.

Gab es bei solch einem innovativen Vorhaben anfangs Gegenwind?

Dr. Wiesheu: Es hatte ein paar Leute gegeben, die meinten, ich spinne. Es war ein Experiment ohne Erfolgsgarantie. Ich hatte die Überzeugung, wenn wir die richtigen Leute finden würden, die das Wissen, die Sensibilität und die Dialogfähigkeit, dass sie auf beiden Seiten respektiert werden, dann kann so etwas Gutes zusammenkommen. Das ist das Entscheidende, das kam auf die richtige Personalauswahl an und darauf, dass man sie ungestört hat arbeiten lassen. Das waren die zwei wesentlichen Punkte.
Es hat klein angefangen, ist dann ausgeweitet worden, weil die Nachfrage eben größer wurde. Ein gutes Beispiel dafür waren diese Automobilzulieferer Kongresse, die haben klein angefangen, da haben wir am Anfang die Leute noch individuell einladen müssen. Ich weiß noch, der erste größere Kongress, das war bei Audi in Ingolstadt, da waren 40 oder 50 Firmen da. Und dann ist es gewachsen. Nach einigen Jahren, gegen 2000 oder 2001, waren dort 1200 Firmen vertreten, was kaum vorstellbar war. 
Es war dann auch interessant, dass nicht nur Firmen aus Bayern kamen, sie kamen aus ganz Deutschland, aus Frankreich, sie kamen bis aus Kanada. Denn die Automobilzulieferer waren insgesamt weltweit tätig und haben sich dafür interessiert. 
Also es ist gewachsen, weil Bayern Innovativ das hervorragend gemacht hat und einen Anklang gefunden hatte. Das war nicht nur hier der Fall, das war bei einer ganzen Reihe von Technologiefeldern der Fall. Wichtig war, und ist glaube ich auch heute noch, der Ansatz: Lass‘ sie arbeiten und mische Dich nicht ein.

Gab es diesen einen Moment, in dem Sie realisierten: Da entsteht etwas Großes, was Bayern verändern wird? 

Dr. Wiesheu: Ja, das war das Gefühl nach zwei bis drei Jahren, als wir festgestellt haben, dass diejenigen, die zu den Kongressen kommen, dann immer wieder kommen und zu Kollegen sagen: Das ist interessant, da müsst Ihr hingehen. Das war eben nicht die Werbung, die Bayern Innovativ gemacht hat, mit irgendwelchen Plakaten oder Rundschreiben oder sonst was. Das war die Mund-zu-Mund-Propaganda, dass dann auch immer mehr Hochschulen gekommen sind und dass sich ein Netzwerk ergeben hat, wo ich dann nach mehreren Jahren den Eindruck hatte: „Hoppla. Das lebt von selbst.“ 

Welche Grundideen von damals sind heute noch genauso wichtig, Herr Dr. Seßner?

Dr. Seßner: Erstmal geht es weiterhin darum, dass wir im Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft das Thema Innovation vorantreiben, dass wir mit den Innovationsakteuren hier intensiv das Vorantreiben pushen. Es geht darum, dass wir mit den richtigen Menschen diesen Dialog begleiten und das Ganze entsprechend wächst. 
Dr. Wiesheu hat gerade so schön gesagt: „Da ist Leben drin und es kommt immer wieder was Neues dazu.“ Und insofern, da kann ich nur sagen, das ist auch genau die letzten zehn Jahre das, was den Erfolg und die weitere Entwicklung der Bayern Innovativ GmbH getrieben hat. Immer wieder diese Schnittstelle aus Wissenschaft, Wirtschaft und mit den richtigen Leuten auch immer wieder neue Themen aufzubringen.
Auch diese ständige Veränderung ist das, was aus meiner Sicht von den ersten Tagen geblieben ist und was sich auch bis heute durchzieht. Insofern ist diese Grundidee nach wie vor gegeben. Das Gute ist, man lässt uns auch bis heute gestalten und machen, darüber freuen wir uns tatsächlich sehr, dass wir eben hier dieses Vertrauen genießen und uns weiterentwickeln dürfen. 
So sind wir heute in allen Zukunftsfeldern des Freistaats aktiv. Damals waren es die zehn Technologiefelder und die zehn Branchen. Heute in der Innovationsstrategie des Freistaats, sind es eben die Zukunftsfelder des Freistaats und die Bayern Innovativ ist in all diesen Zukunftsfeldern aktiv mit unwahrscheinlich starken Netzwerken: Von der Gesundheit über die Mobilität, Energie, Material, Produktion, Digitalisierung, Sicherheit und Verteidigung, aber auch die Kultur- und Kreativwirtschaft. Jetzt kommt der zweite Baustein dazu mit den entsprechenden Services, also mit einer Förder- und Gründerberatung als Projektträger, oder mit einer Patentunterstützung.
Wir führen dieses Gespräch gerade, weil Bayern Innovativ 30 Jahre alt wird. Unser ältester Teil wird einhundertfünfzig Jahre alt - das Patentzentrum Bayern. Wir haben aber auch eine starke Innovationsabteilung, die dabei unterstützen kann, Trends zu scouten, Technologien zu scouten, Roadmaps zu erstellen, Szenarioanalysen zu machen. Last but not least, gibt es auch noch das ganze Thema Europa und Internationales, denn Innovationen machen weder an bayerischen- noch an den Bundesgrenzen Halt, sondern sind international und da arbeiten wir ja auch ganz eng und gerne mit unseren Schwestergesellschaften der Bayern International und Investment Bavaria zusammen, die ja auch wieder auf den Ideen von Herrn Dr. Wiesheu fußen. 

Wenn Sie heute auf die Innovationslandschaft in Bayern schauen, hat sich Ihre Vision von damals erfüllt, Herr Dr. Wiesheu?

Dr. Wiesheu: Wenn ich es anschaue, bin ich mehr als zufrieden, das war damals nicht zu erwarten. Wir hatten gesagt, wir wollen schauen, dass bei uns in Bayern der Mittelstand mit Produktverbesserung und neuen Produkten besser und wettbewerbsfähiger wird, dass er dem Wettbewerb standhält und dass er bei gleichen Lohnkosten, und so weiter, mithalten kann. Es war ein Denken für die bayerische Wirtschaft. Dass das Ganze aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten und der großen Verflechtungen der Lieferketten in verschiedenen Bereichen sehr bald über die Grenzen Bayerns hinausgewachsen ist, war eine interessante Erfahrung.
Damals haben wir gedacht: Deutschland kann interessant sein. Dass es mittlerweile ein Netzwerk gibt, dass in verschiedenen Themenbereichen in das Europäische Ausland und über Europa hinausgeht, ist super.
Aber dass sich die ganze Institution so entwickelt, dass sie als Leuchtturm dasteht, in Deutschland und in Europa, damit habe ich nicht gerechnet und das war auch nicht das Ziel am Anfang ehrlich gesagt. Das Ziel war, der bayerischen Wirtschaft zu helfen. Das Ziel war auch, die Potenziale unserer Hochschulen, unsere Forschungseinrichtungen zu nutzen, also dadurch den Innovationsprozess zu fördern. Und wir sind – Gott sei Dank – über das Ziel hinausgeschossen. Jetzt zieht es viel größere Kreise und das kann man eigentlich nur begrüßen, weil dann die Entwicklung in Richtung der Innovationen und der Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit viel besser ist. Ein Grundsatz gilt immer und den sollte man sich merken: Nichts ist beständiger als der Wandel. Das gilt in der Wissenschaft, und in der Wirtschaft und das lebt Bayern Innovativ vor. 

Herr Dr. Seßner, hat sich der Innovationsgeist im Laufe der Zeit verändert?

Dr. Seßner: Wenn ich diese Idee verfolge und wenn ich auch zuhöre, wie sich das damals entwickelt hat, dann ist viel gleichgeblieben. Und gerade der Satz, „nichts ist beständiger als der Wandel“, ist ja etwas, was wir uns sogar in unserer Strategie vorgenommen haben. Wir haben uns als Strategie gegeben, uns ständig zu verändern, immer wieder anzupassen. Unser Team weiß auch, dass wir uns regelmäßig anschauen und fragen, ob wir noch in den richtigen Themenfeldern unterwegs sind, oder ob wir noch das Richtige tun.
Deshalb passen wir uns auch regelmäßig organisatorisch an. Das haben wir die letzten neun bis zehn Jahre gemacht und es ist in den 20 Jahren davor, letztendlich auch immer wieder passiert. Es kamen neue Aufgaben, neue Themen hinzu, die dann einen Bedarf – und darum geht es am Ende des Tages in der Wirtschaft – adressiert haben. 
An der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft geht es darum, dass wir das, was die Unternehmen brauchen, oder auch das, was die Wissenschaft braucht, immer wieder adressieren und hier neue Leistungen, mit neuen Services immer wieder anbieten, um dann für die Unternehmen die richtigen Innovationsimpulse zu setzen. Und das hat auch zu dem großen Erfolg der letzten Jahre beigetragen und hat Bayern innovativ zu dem gemacht, was es heute ist.

„Wir leben unseren Netzwerkpartnern vor, wie wichtig es ist, sich technologischen Entwicklungen und Markttrends anzupassen. Dadurch sind wir zu einem Zuhause für alle geworden, die Innovation leben und Zukunft schreiben.“

Dr. Rainer Seßner,
Geschäftsführer der Bayern Innovativ GmbH

Welche Entwicklungen werden die Zukunft bestimmen?

Dr. Seßner: Das ist eine enorme Vielzahl an Themen, die die bayerische Wirtschaft umtreiben. Seit vielen Jahren treibt uns die Digitalisierung um, innerhalb der Digitalisierung natürlich auch Themen wie Quantentechnologie. Auch im Bereich der Energie mit den regenerativen Energien, aber auch neuen Energieformen wie Fusionstechnologien, die natürlich auch wieder diese Interdisziplinarität brauchen, sind wir aktiv. Ein anderes Thema ist die Verknüpfung von Technologien, also Quantentechnologie mit künstlicher Intelligenz oder beispielsweise 6G, die dann eine Anwendung ermöglichen, die sonst gar nicht denkbar wären.
Wichtig ist es aber vor allem, dass wir hier verschiedene Stoßrichtungen haben. Wir begleiten Unternehmen dabei, in diese Wertschöpfungsketten dieser neuen Technologien zu kommen, das heißt, dass sie einen Beitrag leisten, dass diese Technologie umgesetzt werden kann.
Der zweite Aspekt ist aber auch, dass wir dann diese neuen Technologien für die Unternehmen und mit den Unternehmen in die Anwendung bringen. Beispielsweise bei der Quantentechnologie unterstützen wir einerseits Unternehmen dabei, mit Komponenten in dieser Technologie ihren Beitrag leisten zu können, und auf der anderen Seite dabei, dass Unternehmen frühzeitig drauf vorbereitet werden, was sie alles mit dieser Technologie machen können.

Was müsste in einer Innovationsstrategie für die kommenden 30 Jahre drinstehen, Herr Dr. Wiesheu?

Dr. Wiesheu: Also erstens würde ich die nicht schreiben, weil ich mir nicht anmaße, dass ich so in den Themen drin bin, wie das erforderlich wäre. Aber ich denke, es gibt eine Reihe von Punkten, die sich aufzeigen. Was immer bleibt, ist das Thema Energie, das ist sogar viel aktueller geworden als es vor 30 Jahren war. Was auch interessant bleibt sind die Themen Mobilität und Gesundheit, das sind Dauerthemen, mit denen die Menschheit beschäftigt ist.
Was für uns aktuell dazukommt ist die Frage nach Sicherheit und Verteidigung. Die Kriege finden nicht mehr so simpel statt wie es vor Jahrzehnten war, sondern das ist alles HighTech und da muss man auch schauen, ob wir auf der Höhe der Zeit sind.
Genauso ist es bei den Technologien im Cyberraum. Das sind Themen wie die Überwachung und all diese Dinge. Hier in Europa haben wir meiner Meinung nach in den letzten Jahren trotz technischer Potenziale und trotz großem Know-how, viele Dinge versäumt oder einfach links liegen lassen aus Bequemlichkeit. 
Der Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft lebt ja davon, dass Anforderungen von beiden Seiten kommen und kommen müssen. In früheren Jahren war das einfacher, als wir angefangen haben mit Herrn Dr. Nassauer als ersten Geschäftsführer der Bayern Innovativ, da waren die Anforderungen von der Wirtschaft sehr klar und die Potenziale der Wissenschaft auch, da konnte man einiges kombinieren. Jetzt lese ich immer wieder in Zeitungen, Deutschland hat eine hochqualifizierte Wissenschaftslandschaft, hat aber auch immer noch Probleme in der Umsetzung des Know-hows in die Wirtschaft und in Produkte. Da lässt sich vielleicht das ein oder andere noch rauskitzeln, vielleicht muss man da noch eine Möglichkeit schaffen, dass die Hochschulen und die Wissenschaft nicht nur auf die Anforderung der Wirtschaft reagiert, sondern mit eigenen Themen kommen.

Dr. Seßner: Tatsächlich erleben wir das auch in unserer täglichen Arbeit. Wenn wir eine Roadmap, oder einen Technologie-, beziehungsweise Trendradar erstellen und uns einerseits angucken, wo die Wissenschaft in Bayern und in Deutschland steht, dann sind wir tatsächlich auf Augenhöhe mit allen führenden Nationen. Wenn wir uns dann aber zum Beispiel angucken, was an Patenten, und das ist ja schon der erste Transfer in die Wirtschaft, aus den Hochschulen heraus passiert, dann sind wir da an vielen Stellen kaum existent. Da sind wir also auf Wissenschaftsseite auf Augenhöhe und in diesem Themenfeld zum Beispiel um ein oder zwei Größenordnungen schlechter als diese anderen führenden Nationen. Und da könnten wir ansetzen und viel tun. 
Das andere ist natürlich, dass man dann auch bereit ist, in diese neuen Technologien und Produkte, oder auch Ausgründungen, zu investieren. Wir sind in den Frühförderungen noch sehr stark, wenn es dann aber um die großvolumigeren Investitionen geht, fehlt uns oft auch der Mut. Das ist etwas, wo können wir intensiv angreifen, zu begleiten und auch unsere Industrie zu ermutigen, in solche neuen Technologien, in neue Produkte reinzugehen.

Geht es hierbei um fehlende Risikobereitschaft?

Dr. Seßner: Ja, auch das ist etwas, was man immer wieder liest und was ich auch so wahrnehme, dass es in anderen Kulturen durchaus akzeptiert ist, zu scheitern und bei uns eher schwierig ist. Dabei habe ich beispielsweise immer am meisten dabei gelernt und mich auch am meisten weiterentwickelt, wenn ich gescheitert bin. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um sich in neue Dimensionen zu entwickeln. Also wenn alles immer glatt läuft, dann hat man nichts gelernt dabei. 
Dr. Wiesheu: Ja, da gebe ich Herrn Dr. Seßner recht. In anderen Ländern gibt es eine andere Kultur. Ich habe genau das erfahren, so um die Jahre 1993 bis 1994, als es um die Frage der Gründung neuer Betriebe, speziell in der Bio- und Gentechnologie und in der Informationskommunikationstechnik ging. Da holten wir uns gute Absolventen aus den Hochschulen und die sollten das dann aufbauen. Und wenn es um die Finanzierung gegangen ist, haben die Banken gesagt, die haben kein Eigenkapital, da könne man leider nichts machen.
Da bekam ich einen Hinweis, damals war der Begriff Venture Capital in Deutschland überhaupt nicht bekannt. Das wurde in den USA, in Kalifornien praktiziert. Da bin ich damals hingegangen und habe mir drei Termine bei Venture-Capital-Firmen geben lassen und war auch bei Existenzgründern, um das zu studieren. Es war interessant, weil die Venture-Capital-Firmen gesagt hatten, von zehn Firmen, die sie finanzieren, gehen acht bankrott. Das war eine große Zahl. Ich habe dann gefragt, was mit diesen Firmen passierte, darauf hieß es, dass sie vielleicht später wieder mit einer neuen Idee kommen und dann wird wieder mit denen geredet. Denn wenn die schon eine schlechte Erfahrung gemacht haben, dann machen sie es nachher besser. In Deutschland ist das kaum vorstellbar. 
Wir haben viele Gründungen in Deutschland, aber wir hätten viele Leute, die in der Lage wären, etwas auf die Beine zu stellen und einen Innovationsschub in neuen Betrieben mit neuen Produkten zu bringen, wenn das mit der mit der Finanzierung leichter gehen würde. Da stehen wir uns selbst im Weg. Man muss schauen, dass man das Geld mobilisiert. Nur über mobilisiertes Geld entstehen neue Arbeitsplätze, neue Einnahmen und neue Steuern. Diese Steuern entstehen nicht, wenn das Geld irgendwo auf den Konten liegt, die entstehen, dann wenn es eben neue Arbeitsplätze, Produkte, Ideen und eine neue Kreativität gibt. Da können wir von anderen Ländern viel lernen.

Welche langfristigen Visionen hat Bayern Innovativ für die Zukunft, Herr
Dr. Seßner?

Dr. Seßner: Eine der Entwicklungen der letzten 20 Jahre neben der Bayern Innovativ ist das extrem starke Ökosystem, das entstanden ist.  Es ist aber auch ein extrem komplexes Ökosystem mit unwahrscheinlich vielen Initiativen und Möglichkeiten einerseits. Auf der anderen Seite ist das aber auch eine Herausforderung für die Unternehmen. Mit welchem Netzwerk soll ich denn jetzt zusammenarbeiten? Wer bietet mir welche Leistung an?
Wenn ich da an die Vision der Zukunft für die Bayern Innovativ denke, dann ist es noch mehr, dass wir als Netzwerk der Netzwerke ganz eng mit diesen vielen Initiativen zusammenarbeiten. Und dass wir für die Unternehmen der Anlaufpunkt sind, der „One Stop Shop“, über den die Unternehmen dann auf dieses Ökosystem mit all den starken Leistungen zugreifen können. Damit soll es einfacher und durchschaubarer für die Unternehmen werden. Darin sehe ich einen ganz großen Mehrwert. Den zweiten, den gilt es noch weiter zu stärken, das ist genau dieses Branchen- und Technologieübergreifende, also wirklich in allen Zukunftsfeldern aktiv zu sein und damit auch die großen Investitionen aus dem HighTech- und DeepTech-Bereich vorantreiben zu können. Denn HighTech und DeepTech erfordern letztendlich eine große Multidisziplinarität. Da kommen Energiefragen, Robotikfragen, Materialfragen, Mobilitätsfragen und Logistikfragen zusammen und diese gilt es dann zu lösen, damit letztendlich auch diese komplexen Themen zu einer Innovation werden können.
Und das müssen wir weiter ausbauen und darauf freue ich mich, da habe ich richtig Lust drauf. Denn diese vielen Ideen und Impulse, die da entstehen, werden uns als Freistaat voranbringen. Wir als Bayern Innovativ werden das hoffentlich über die nächsten 30 Jahre weiter erfolgreich begleiten können.

Wenn Sie zum 30. Geburtstag von Bayern Innovativ einen Wunsch frei hätten, um die Innovationskraft von Bayern zu stärken, was würden Sie sich wünschen?

Dr. Wiesheu: Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, dann betrifft er nicht die Bayern Innovativ, sondern schließt an das an, was ich bereits gesagt habe. Ich würde mir wünschen, dass diese Kreativität, die hier und auch bei den Hochschulen vorhanden ist, nicht nur in neuen Produkten, sondern auch in neuen Betrieben, noch stärker zum Ausdruck kommt. Wir haben hier große Potenziale, aber es hängt an der Finanzierung, wobei viele zu lasch sind, um zu sehen, was man machen kann, ohne dem Staat zu schaden.

Dr. Seßner: Mein Wunsch folgt einem Prinzip, dass ich seit zehn Jahren hier bei der Bayern Innovativ als wichtigen Strategiepunkt etabliert habe. Das ist das ganze Thema Open Innovation. Ich glaube tatsächlich, dass, wenn wir als Ökosystem gemeinsam an den neuen Innovationen arbeiten und miteinander oder untereinander gar nicht so sehr den Wettbewerb pflegen, besonders in diesem Ökosystem, dann werden wir noch erfolgreicher sein.
Der Wettbewerb ist nämlich damals wie heute eigentlich gar nicht hier in der Region oder im Land, sondern global und die Herausforderungen sind global. Und denen können wir nur gemeinsam begegnen, das ist mein großer Wunsch, dass wir das im Sinne dieses Open Innovation-Ansatzes tun. Wenn uns das gelingt, dann werden wir weiterhin sehr, sehr erfolgreich sein.

Das Interview führte Barbara Groll, Media Relations, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg. 

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Länge der Audiodatei: 00:36:38 (hh:mm::ss)

Hören Sie in diesem Podcast den Mann, ohne den es die Bayern Innovativ GmbH nicht gäbe: Dr. Otto Wiesheu, ehemaliger bayerischer Wirtschaftsminister und unser Gründungsvater. Gemeinsam mit unserem aktuellen CEO, Dr. Rainer Seßner, beleuchtet er die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unseres Unternehmens.

Ihr Kontakt

Barbara Groll
Barbara Groll
+49 911 20671-247
Presse, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg
Dr. Rainer Seßner
Geschäftsführer I CEO, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg

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