Unternehmensübergreifende Kooperation im Datenraum Industrie 4.0

Immer mehr produzierende Unternehmen setzen in der eigenen Produktion datenbasierte Anwendungen ein, um zum Beispiel den Zustand von Maschinen und Anlagen zu überwachen.

Titel Kooperation Datenraum Industrie 4.0

Für viele datenbasierte Anwendungen, wie zum Beispiel die Ermittlung des CO 2 -Fußabdrucks eines Produkts oder das Teilen von Produktionskapazitäten ist jedoch ein unternehmensübergreifender Datenaustausch notwendig. Oft reicht für solche Anwendungsfälle der bilaterale Datenaustausch, den viele kooperierende Unternehmen bereits betreiben, nicht aus. Um einen sicheren und vertrauensvollen Datenaustausch, vor allem auch zwischen mehreren Akteuren in der Wertschöpfungskette zu ermöglichen, wird aktuell im Kontext des europäischen Leitprojekts Gaia-X in einer Vielzahl von Forschungsprojekten an der Implementierung eines Datenraums Industrie 4.0 gearbeitet.

Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und -ergebnisse zum Datenraum Industrie 4.0 und in deren Anwendung in der industriellen Praxis erhielten die Teilnehmenden der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ im Juli 2022. Wie viele Unternehmen befinden sich gegenwärtig im regelmäßigen Datentausch mit anderen Akteuren? Diese Frage wurde den Teilnehmenden zu Beginn des Webinars gestellt. 29% von ihnen bejahen diese Frage. 46% geben an, dass sie in vereinzelten Fällen Daten mit anderen Organisationen teilen. Und 24 % teilen bislang keine Daten. Die Mehrheit der Befragten ist sich jedoch einig, dass ein multilateraler Datenaustausch für die eigene Organisation in Zukunft sehr wichtig bzw. wichtig sein wird.

Zielbild für das multilaterale Datenteilen am Beispiel des Collaborative Condition Monitoring

Auf die Aspekte des multilateralen Datenaustausches geht der erste Vortrag ein. Herr Michael Jochem von der Robert Bosch GmbH erläutert das Zielbild der Plattform Industrie 4.0 für das multilaterale Datenteilen. Dazu hat die Projektgruppe CCM (Collaborative Condition Monitoring) der Plattform folgende Arbeitshypothese erstellt: „Das multilaterale Teilen von Daten potenziert die Möglichkeiten für datenbasierte B2B-Geschäftsmodelle und die Schaffung von Mehrwert für alle Beteiligten.“ Kernfrage dabei ist, welche ökonomischen, rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen sowie Innovationen benötigt werden, um das multilaterale Teilen von Daten durch mindestens drei teilnehmende Akteure und dadurch datenbasierte Geschäftsmodelle zu ermöglichen.

Die Bedeutung des Teilens von Daten

Warum ist es für Unternehmen wichtig, Daten zu teilen? Zum einen geht es um die Verbesserung bestehender Prozesse und Produkte. Sind Lieferketten transparent, lassen sich Potenziale für Kosteneinsparungen offenlegen und nutzen. Das betrifft auch die Qualitätskosten. Hat man Informationen über die Fertigungshistorie von Produktbestandteilen zur Verfügung, kann man diese durch eine datengetriebene Fehleranalyse erheblich reduzieren. Ein weiterer Grund ist die Weiterentwicklung bestehender oder die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Und der dritte Beweggrund ist ein ganz zwingender. Dabei geht es um die Erfüllung aktueller und zukünftiger regulatorischer Vorgaben. Dazu gehören das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die CO 2 - Berichterstattung in der Herstellphase sowie die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Kriterien.

Ein gemeinsamer Datenraum ermöglicht Austausch

Doch wo liegen die Hemmnisse für die Umsetzung kollaborativer Geschäftsmodelle – die Basis für das multilaterale Datenteilen in der Industrie? Kurz gesagt: Noch fehlt es an Kooperation, an Skalierung, an einem Geschäftsmodell, um den generierten Profit fair zu verteilen, an Vertrauen bezüglich der Datenverwendung und schließlich an einem Rahmen für digitalen Austausch. Die meisten bisherigen Modelle sind bilateral ausgelegt und wachsen nicht mit der Anzahl der Teilnehmenden. Schnell wird klar, dass es definierte Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung der drei Gestaltungsdimensionen (Ökonomie, Recht und Technik) geben muss, die es allen beteiligten Unternehmen ermöglichen, auch große Datenmengen ohne Sorge vor Verlust ihres marktkompetitiven Wissens zur Weiterverwendung bereitzustellen. Hier kommt ein Datenraum ins Spiel. Er legt die konkrete Ausgestaltung der drei Gestaltungsdimensionen fest. Festhalten lässt sich, ein Datenraum skaliert nur, wenn alle drei Gestaltungsdimensionen skalieren, eine einfache Anschlussfähigkeit vorhanden ist und alle Beteiligen die Bereitschaft zum Anschluss mitbringen.

Wer sich intensiver mit den Aktivitäten der Plattform Industrie 4.0 zum Thema Multilaterales Datenteilen auseinandersetzen möchte, dem stehen folgende frei verfügbaren Publikationen in Deutsch und Englisch und ein aufgezeichnetes Webinar zur Verfügung:

>> Plattform Industrie 4.0 – Multilaterales Datenteilen in der Industrie

>> Plattform Industrie 4.0 – Multilateral data sharing in industry

>> Plattform Industrie 4.0 – Webinar: Multilaterales Datenteilen in der Industrie

Verteilte Produktion: Gaia-X und die Produktion von morgen

Herr Keran Sivalingam von der SmartFactory Kaiserslautern stellt im Anschluss das Projekt smartMA-X vor. Dabei geht es um ein Umsetzungsprojekt von Gaia-X im Industriekontext, das sich schwerpunktmäßig mit dem Teilen von Produktionsressourcen beschäftigt. Um ein reales Produktionsnetzwerk nachzubilden, wurde eine einzigartige Demonstratoranlage an drei verschiedenen Standorten gebaut. Man nutzte hier die Erfahrungen von Gaia-X – einer 2019 gestarteten europäischen Initiative, die zum Ziel hat, Datenschutz, Datensouveränität, Offenheit und Transparenz in der EU umzusetzen. Am Beispiel smartMA-X soll evaluiert werden, was rechtliche, ökonomische und auch ökologische Aspekte in der realen Produktion bedeuten. Am Beispiel eines LKWs aus Noppensteinen, den man in unterschiedlichster Art und Weise konfigurieren kann, wird aufgezeigt, wie sich an verschiedenen Standorten durch Nutzung eines gemeinsamen Datenpools produzieren lässt.

Verwaltungsschale als Sammelstelle für Daten

Die Idee ist, die anfallenden Daten in einer Art Produktpass zu speichern, um jederzeit auf diese zugreifen zu können. Entscheidend hierbei ist eine Standardisierung, also eine Vereinheitlichung der Datenformate. Dazu hat man in der SmartFactory eine so genannte Verwaltungsschale kreiert. In dieser werden alle Informationen über das zu produzierende Produkt gespeichert. Darüber hinaus kann sie auch für die Auftragsplanung, die Beschreibung der Fertigung und den Service genutzt werden. Damit wird schnell klar, welche Dimensionen eine Verwaltungsschale annehmen kann. Wenn alle am Produkt beteiligten Akteure über einheitliche Schnittstellen auf die für sie relevanten Daten zugreifen können, entsteht eine Referenzarchitektur für eine Industrie 4.0 Produktionsplattform.

Fertigung auf Produktionsinseln

Anschaulich erklärt wird dies am Beispiel des LKWs. Dieser kann aus Modulen oder Baugruppen an verschiedenen Produktionsinseln zusammengesetzt werden. Jede dieser Inseln mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad ist in der Lage einen bestimmten Fertigungsschritt auszuführen. So kann sich eine Insel z.B. auf das Fräsen individuell gefertigter Container konzentrieren, eine andere auf die vorwiegend manuelle Herstellung des Führerhauses. Wichtig hierbei: der Austausch der Daten, auch um die Qualität zu sichern und die entsprechenden Services anzubieten. Beispiel hierfür: Über eine KI-basierte Bilderkennung kann festgestellt werden, ob die definierten Qualitätsmerkmale erfüllt sind.

Konnektoren verbinden die Produktion von morgen

Der Austausch der Daten erfolgt über Konnektoren an ein standardisiertes Gaia-X Ökosystem. Der Vorteil: Fällt eine Produktionsinsel aus, kann ein möglicher Ersatz schnell eingebunden werden. Gleiches gilt für fehlende Komponenten, Materialien oder Bauteile, um die Supply Chain wiederherzustellen. So unterstützt Gaia-X dabei, resiliente zukunftsorientierte, nachhaltige Produktionslinien oder Supply Chains zu kreieren. Damit sieht man an einem Demonstrationsmodell, wie die Produktion von morgen aussehen kann.

Ermittlung des CO 2 -Fußabdrucks im Catena-X Automotive Network

Aus Perspektive eines Industrieunternehmens erläutert Herr Niels Angel, Projektleiter des Anwendungsfalls Nachhaltigkeit im Catena-X Automotive Network bei der BMW Group, was über die Supply Chain hinweg im Bereich CO2-Footprint-Erfassung passiert. Auch in diesem Projekt geht es darum, ein dezentrales Datenökosystem auf die Beine zu stellen, um die verschiedenen Stufen der Lieferkette miteinander zu vernetzen. Die Lieferketten in der Automobilindustrie sind sehr komplex. Ziel des Catena-X Automotive Network ist es, diese Lieferketten transparenter und resilienter zu machen. Ob Halbleiter, Kabelbäume oder Nachhaltigkeitsthemen – um solche Themen abzusichern, braucht man ein besseres Verständnis der Lieferketten, ohne dass alle Informationen mit jedem geteilt werden müssen. Datensouveränität und Datensicherheit müssen jederzeit gewährleistet werden. Jeder, der im Datenökosystem eingebunden ist soll selbstbestimmt entscheiden können wann und wem er seine Daten bereit stellt.

Dekarbonisierung von Anfang an

Die Elektromobilität nimmt Fahrt auf. Insbesondere Batterien, aber auch Leichtbaumaterialien benötigen viel Energie bei der Herstellung. Wie kann ein Automobilhersteller bei der Erstellung seiner Ökobilanz ermitteln, wie viele Emissionen in welchem Fertigungsschritt entstanden sind? Zum einen kann er auf spezifische Daten aus seiner Lieferkette zugreifen. Oder er nutzt Durchschnittswerte aus Datenbanken. Diese geben aber nur an, welche Materialien CO2-freundlicher sind, aber nicht, wie energieeffizient sie tatsächlich hergestellt wurden. Dazu bräuchte man Angaben über den Strommix, der eingesetzt wurde, um diese Materialien zu produzieren. Es geht also darum, Informationen über die Kette hinweg zu erfassen, um damit Einfluss auf die Prozesse nehmen und zielgerichtet Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen umzusetzen.

Kontrolliertes Datenteilen ist dezentral

Hier kommt die Idee der Kaskade ins Spiel. Jeder Teilnehmende an der Lieferkette kalkuliert die Emissionen seiner eigenen Wertschöpfung, und fragt die Emissionen seiner bezogenen Teile bei seinen Lieferanten an. So geht man Schritt zu Schritt entlang der Lieferkette, idealerweise bis zum Anfang der Rohstoffgewinnung und -erzeugung zurück. Vorteil: nur die jeweils Berechtigten sehen die entsprechenden Daten, ohne dass die komplette Lieferkette offen gelegt werden muss. Je besser die Kaskadenabfrage funktioniert, umso leichter lassen sich darauf aufbauend Maßnahmen implementieren. Voraussetzung der Weitergabe der Daten über das Datenökosystem ist, dass gleiche Datenmodelle verwendet werden, dass verschiedene Anwendungen interoperabel miteinander kommunizieren können und dass die Kalkulationen miteinander kompatibel sind. Jetzt geht es darum, ein für alle Akteure verbindliches Regelwerk zu erstellen, damit sie sich sicher im Datenraum Catena-X austauschen können. Wichtig ist der Initiative außerdem, dass sich auch kleine und mittelständische Unternehmen einfach und kostengünstig in das Netzwerk integrieren können. Das hilft ihnen zum einen effizient auf Anforderungen zur Berichterstattung der CO 2 -Emissionen zu reagieren und sichert zum anderen eine hohe Abdeckung der Lieferketten.

Gerne unterstützen auch wir als Themenplattform mittelständische Unternehmen dabei, einen geeigneten Zugang zum multilateralen Datenaustausch und den damit verbundenen Datenräumen zu erhalten. Kommen Sie bei Interesse gerne auf uns zu!

Kontaktdaten der Referierenden

Michael Jochem, Robert Bosch GmbH
Per Mail kontaktieren

Keran Sivalingam, SmartFactory-KL
Per Mail kontaktieren

Niels Angel, Catena-X Automotive Network
Per Mail kontaktieren

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