Gesundheitswesen der Zukunft

Das Vorantreiben der Digitalisierung ist die zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Weiterentwicklung unserer Gesundheitsversorgung. So helfen u. a. Apps bereits dabei, Gesundheitsdaten zu erfassen und auszuwerten. Und ein großer Teil der Ärzteschaft bietet derzeit schon Hilfestellungen via Internet an. Nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, welche Chancen mit der Digitalisierung für das deutsche Gesundheitswesen verbunden sind. Lesen Sie das nachfolgende Interview mit Sebastian Hilke, Leiter der ZD.B-Themenplattform Digitale Gesundheit und Medizin bei Bayern Innovativ, um noch mehr spannende digitale Technologien des Gesundheitswesens zu entdecken.

Gesundheitswesen der Zukunft
Wie sieht das Gesundheitswesen der Zukunft aus?


Ich habe neulich von der elektronischen Patientenakte (ePA) gelesen. Was ist das für eine Akte?

Sebastian Hilke: Die elektronische Patientenakte wird seit 01.01.2021 jedem gesetzlich Versicherten von der jeweiligen Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist freiwillig. Seit Juli diesen Jahres sollten sämtliche Vertragsärzte und Psychotherapeuten alle Behandlungsdaten sowie die Diagnosen dort reinschreiben, aber auch lesen können. Das wird aber wahrscheinlich erst Anfang 2021 in vollem Umfang funktionieren, da hier aktuell noch ein paar technische Grundlagen fehlen. Die ePA wird momentan für Privatversicherte noch nicht angeboten, weil die privaten Krankenversicherungen hier noch nicht mit dabei sind.

Welche Daten kommen in die elektronische Patientenakte rein – und vor allem, wie?

Sebastian Hilke: Die Idee ist, dass dort alle Gesundheitsdaten abgespeichert werden, die bei einem Arztbesuch, im Krankenhaus, beim Physiotherapeuten oder in ähnlichen Einrichtungen anfallen. Das können z. B. Blutwerte aus der letzten Blutuntersuchung sein, das Ergebnis einer Ultraschalluntersuchung oder auch der aktuelle Medikationsplan. Zudem hat jede Person die Möglichkeit auch selbstständig Informationen in der eigenen Akte abzulegen. Beispielsweise kann man einen Arztbrief einscannen und abspeichern, um ihn dort zu dokumentieren. Es ist dann auch deutlich gekennzeichnet, dass dieses Dokument nicht vom Arzt abgelegt wurde. Ein weiterer interessanter und wichtiger Punkt ist der individuelle Notfall-Datensatz. Dabei handelt es sich um Informationen für den Rettungsdienst. Wenn die verletzte Person bei einem Unfall z. B. nicht mehr ansprechbar ist, können die entsprechenden Daten (wie Unverträglichkeiten, Blutgruppe, etc.) hier eingesehen werden, ohne dass es einer Mitwirkung der Person bedarf.

Solche Daten sind sehr sensibel. Ist es auch sicher?

Sebastian Hilke: Grundsätzlich sind alle Daten verschlüsselt. Auf diese Informationen kann nur die jeweilige Person selber oder diejenigen, denen man die Daten selbst freigibt, zugreifen. So hat jeder immer die Kontrolle über die eigenen Daten und kann diese für das medizinische Fachpersonal oder andere Leistungserbringende (z. B. Physio- oder Ergotherapierende, Psychotherapierende, Geburtshelfende) zur Verfügung stellen. Um das zu überprüfen und aktiv steuern zu können, gibt es eine Smartphone-App, die die jeweilige Krankenkasse anbietet. Beim Praxisbesuch wird die elektronische Gesundheitskarte, wie gewohnt, in das Kartenlesegerät gesteckt. Die einzige Änderung ist, dass man nun noch eine Persönliche Identifikationsnummer (PIN) eingeben muss, um sich als die richtige Person zu identifizieren. Aber auch die Praxis muss sich entsprechend ausweisen und nachweisen, dass es sich um registrierte Ärztinnen und Ärzte handelt. Durch deren elektronischen Heilberuf-Ausweis gelingt auch die Nachverfolgung, wer wann welche Daten abgerufen und in die Akte eingetragen hat. Es handelt sich hierbei um ein durchdachtes System mit einer guten Protokollierung der Zugriffe. Die elektronische Patientenakte wird sicherheitstechnisch auch in den nächsten Jahren weiterentwickelt, so dass sie immer auf dem aktuellen Stand ist.

Der persönliche Kontakt soll durch digitale Anwendungen nicht ersetzt werden. Im Idealfall wird durch diese aber die Behandlung noch besser, effizienter und für uns alle angenehmer.

Sebastian Hilke Leiter der ZD.B-Themenplattform Digitale Gesundheit/Medizin, Bayern Innovativ GmbH


Werden die Daten bei jedem Arztbesuch automatisch in die Akte übertragen?

Sebastian Hilke: Die Idee dahinter ist, dass alle Daten, die irgendwo anfallen, dort gesammelt werden und so eine komplette Übersicht ergeben. Dies geschieht automatisch, sobald man die Karte in der Praxis in das Terminal steckt und mit der PIN bestätigt. Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist auch für Personen möglich, die sich nicht mit einem Smartphone oder Tablet auskennen oder keines besitzen – die jeweilige Krankenkasse hilft in diesen Fällen weiter.

Habe ich als Patient weitere Vorteile?

Sebastian Hilke: Neben dem schon genannten Notfall-Datensatz, für eine entsprechende Sicherheit in der Notfallversorgung, sind alle Gesundheitsdaten gebündelt an einem Ort. So kann sich das medizinische Fachpersonal einen besseren Überblick verschaffen, welche Vorerkrankungen, Untersuchungen und Diagnosen vorliegen, was wiederum Doppeluntersuchungen, wie wiederholtes Röntgen, vermeidet.
Auch der vorher erwähnte Medikationsplan stellt eine wichtige Funktion dar. Denn dort sind das Medikament und die Einnahmehinweise vermerkt. Hierdurch haben alle an der Behandlung Beteiligten einen Überblick, welche Medikamente bereits verschrieben wurden. Es kann somit nicht mehr passieren, dass ein Medikament, das potentielle, vielleicht sogar tödliche, Wechsel- oder Nebenwirkungen im Zusammenhang mit anderen Arzneimitteln aufweist, verschrieben wird.

Sind die niedergelassenen Praxen auf diese digitale Herausforderung überhaupt vorbereitet?

Sebastian Hilke: Im Schnitt sind es 7,6 Minuten pro Person. Grundsätzlich ist es aber durch eine elektronische digitale Patientenakte zukünftig einfacher und schneller möglich, einen Überblick zu bekommen, es sind ja alle relevanten Daten gespeichert, wie beispielsweise der Impfausweis oder Mutterpass. Man kennt es auch von sich selbst: Sitzend im Behandlungszimmer, es geht einem nicht gut, wird nach Vorerkrankungen oder Voruntersuchungen befragt, an die man sich in diesem Moment vielleicht nicht erinnern kann. Wenn aber alle Informationen an einer zentralen Stelle gespeichert sind, steigt die Qualität der Behandlung durch einen besseren Datenzugang und es entsteht somit ein größerer Vorteil gegenüber dem Aufwand. Die Praxen sind auch eigentlich seit einigen Jahren schon gut auf das Thema elektronische Patientenakte vorbereitet, weil sie angehalten sind, ihre ganzen Abrechnungen digital einzureichen. Die ePA ist eine Angelegenheit, die uns seit über einem Jahrzehnt begleitet. Und von daher glaube ich, kommt das jetzt nicht überraschend. Für die technische Umsetzung brauchen Praxen neben den klassischen Karten-Terminals (die sowieso jede Praxis hat) einen sogenannten Konnektor. Das kann man sich vorstellen wie einen hochsicheren Router, also der Router daheim, der uns dann ja auch ins Internet bringt. Dabei handelt es sich um eine sehr sichere, verschlüsselte Verbindung, die dahintersteckt. Es ist auch alles voneinander abgetrennt und läuft nicht über das normale Internet, um einen Hackerangriff so unwahrscheinlich wie möglich zu machen.

E-Health
Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist auch für Personen möglich, die kein Smartphone oder Tablet besitzen.


Ist es abzusehen, dass in Zukunft noch mehr digitale Lösungen kommen?

Sebastian Hilke: Der Impf- sowie der Mutterpass sollen digitalisiert werden, genauso wie das Zahnbonus- und das Kinderuntersuchungsheft. Also alles was wir in analoger Papierform kennen, wird dann auch digitalisiert und abgelegt werden. Dazu kommen noch weitere Leistungserbringende, wie Geburtshelfende oder Physio- und Ergotherapierende, die ebenfalls an das System angeschlossen werden. Auch die Pflege kann zukünftig mit der elektronischen Akte arbeiten und dort Daten auslesen und eintragen. Was es seit Herbst 2021 schon gibt ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. D. h. die Praxen können die diagnostizierte Arbeitsunfähigkeit direkt an die Krankenkasse übermitteln. Ab Mitte 2022 sollen dann auch die Unternehmen bei den Krankenkassen ihrer Arbeitskräfte die Arbeitsunfähigkeit abrufen können. Die kranke Person spart sich also den postalischen Versand der Krankmeldungen. Eine weitere digitale Alternative wird es auch bei Rezepten geben. Das E-Rezept löst demnächst das bisher bekannte Papierrezept ab. Zum 01.01.2022 soll es bundesweit kommen, man muss aber abwarten, ob der Termin zu halten ist. Zusätzlich gibt es noch die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) . Diese „Gesundheits-Apps“ werden wie Medikamente per Rezept verschrieben.

Wie kann ich mir das mit einer verschriebenen App vorstellen?

Sebastian Hilke: Das sind meistens Apps für Smartphones, aber auch Anwendungen für zu Hause am Computer, die einen dabei unterstützen sollen, mit beispielsweise Knieschmerzen, einer Depression oder Krebserkrankung zurechtzukommen. Dabei fallen die Funktionen unterschiedlich aus, z. B. kann es sich um einen Therapieplan handeln mit Übungen, eventuell auch mit einer Beobachtung über die Videofunktion für die korrekte Ausführung. Aber auch psychotherapeutische Übungen sind möglich, die Betroffenen helfen sollen, mit einer Depression zurechtzukommen. Oder es handelt sich um eine Art Tagebuch, in welches Diabetiker ihre Blutzuckerwerte aufschreiben und kontinuierlich beobachten. Parallel dazu soll es dann im nächsten Jahr ebenfalls digitale Pflegeanwendungen geben. Wir werden dann sowohl digitale Gesundheits- als auch Pflegeanwendungen haben.

Solche Apps existieren schon länger. Und es gibt ja auch Fitness-Apps. Warum werden gerade diese von der Krankenkasse bezahlt und die anderen nicht?

Sebastian Hilke: Diese Apps haben einen aufwendigen Prozess durchlaufen: es wurden klinische Studien gemacht und sie werden sicherheitstechnisch überprüft. Sie absolvieren somit ein ähnlich aufwändiges Verfahren wie Medikamente. Die Apps müssen in den Studien zeigen, dass sie funktionieren, ein entsprechender Nutzen da ist und sie einen therapeutischen Effekt erzielen. Das bedeutet, man weiß wirklich, dass diese Anwendungen einen Mehrwert für die Behandlung bringen. Zukünftig werden diese digitalen Gesundheitsanwendungen auch an die elektronische Patientenakte angeschlossen werden, sodass die Daten da ebenfalls hin und her fließen können.

Aber wie sieht es denn bei diesen ganzen elektronischen Anwendungen mit der Barrierefreiheit aus?

Sebastian Hilke: Also bei der elektronischen Patientenakte kann ich zumindest schon einmal sagen, dass die Anwendungen grundsätzlich barrierefrei angelegt sind. Es besteht eine Verbindung mit den Smartphone Betriebssystemen und somit sind die Funktionen nutzbar, die es dort gibt, wie z. B. das Bildschirmvorlesen, aber auch das Touch Feedback. Letzteres bedeutet, dass das Telefon vibriert, sobald man irgendwo draufdrückt, und so zeigt es an, welche Dinge nutzbar sind. Ein wenig schwieriger wird es bei den Dokumenten, die in der ePA liegen können. Das sind manchmal einfach eingescannte PDFs und damit fehlen die notwendigen Textinformation zur Erkennung für das System. Damit ist eine Barrierefreiheit nicht mehr gegeben. Aber alles, was an strukturierten Daten in der Akte liegt und auch zukünftig an Einträgen vorhanden sein wird, ist barrierefrei zugänglich.

Das klingt alles sehr praktisch, bequem und flexibel. Wird man so seinen Arzt oder seine Ärztin künftig noch sehen?

Sebastian Hilke: Meiner Meinung nach werden wir den persönlichen Kontakt mit dem Arzt oder der Ärztin und den anderen Leistungserbringenden auch weiterhin haben. Denn sie können nicht alles digital machen. Zudem ist es wichtig zu verstehen, dass eine digitale Anwendung eine Unterstützung darstellen soll. Sie hilft, die relevanten Daten jederzeit abrufbar zu haben, um so beispielsweise auch entsprechende kleinere Abstimmungen virtuell machen zu können. Es gibt schon länger die Videosprechstunden, aber auch die sind nur eine digitale Ergänzung. Der persönliche Kontakt soll durch digitale Anwendungen nicht ersetzt werden. Im Idealfall wird durch diese aber die Behandlung noch besser, effizienter und für uns alle angenehmer.



Das Interview führte Dr. Petra Blumenroth, Projektmanagerin Technologie I Frugale Innovation bei der Bayern Innovativ GmbH.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Elektronische Patientenakte, digitale Gesundheitsanwendungen & Co.

Digitalisierung macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht halt. So sollen zunehmend moderne digitale Lösungen geschaffen werden.

Sebastian Hilke, Leiter der ZD.B-Themenplattform Digitale Gesundheit und Medizin , gibt einen umfassenden Überblick.

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