DiPAs - Digitale Pflegeanwendungen

Stürze sind ein großes pflegerisches Risiko. Wie kann hier eine DiPA helfen? Es gibt verschiedene Technologien, die z. B. App-gestützt ein Bewegungsmuster charakterisieren und eine Selbsteinschätzung geben, wie ein Sturzgrad ist. Nun könnte man fragen: „Was hilft mir diese Information?“ Und genau ab diesem Punkt fängt das Thema „DiPA“ an, spannend zu werden. Tauchen Sie im Interview mit Prof. Dr. Jürgen Zerth - Vizepräsident für Forschung und Institutsleiter des Forschungs-instituts IDC an der SRH Wilhelm-Löhe-Hochschule – tiefer in das Thema ein.

DiPAs
DiPAs sollen Pflegebedürftige und deren Angehörige sowie den (ambulanten) Pflegedienst unterstützen.


Prof. Dr. Zerth, was kann man sich unter Digitalen Pflegeanwendungen (DiPAs) vorstellen ?

Prof. Dr. Zerth: Digitale Pflegeanwendungen adressieren Pflegebedürftige – nicht nur in den eigenen vier Wänden. DiPAs sollen also Pflegebedürftige und deren Angehörige sowie den (ambulanten) Pflegedienst dabei unterstützen, einen gewissen Grad an selbstbestimmten Leben aufrechtzuerhalten. Sie werden nicht vom Arzt verordnet, sondern sind Teil der Pflegeversicherung. Das heißt, man braucht einen Pflegegrad und kann über die Pflegekasse eine DiPA beantragen.

Welche Beispiele für DiPAs gibt es?

Prof. Dr. Zerth: Hierzu muss ich vorab erwähnen, dass DiPAs noch nicht angewendet werden, weil eine Anwendungsverordnung, die vom Bundesgesundheitsministerium erlassen werden muss, bisher fehlt. Ursprünglich hieß es, sie würde im zweiten Quartal 2022 erlassen werden. Es kann aber durchaus sein, dass es sich noch ein bisschen hinzieht. Kurz gesprochen kann man sich DiPAs so vorstellen: Stürze sind beispielsweise ein großes pflegerisches Risiko. Hier können App-gestützte Technologien Bewegungsmuster charakterisieren und eine Selbsteinschätzung geben, wie das persönliche Sturzrisiko ausgeprägt ist. Die Idee ist, dass man mit dieser Information eine Art Selbstmanagement erzeugt, sodass sich der Pflegebedürftige in einer Art längsschnittlichen Verlaufskontrolle selbst einordnet und die Informationen auch mit seinen pflegenden Angehörigen, dem Pflegedienst oder Hausarzt bespricht.

Der „Expertenkreis Pflegeinnovationen“, ein Format des Forum MedTech Pharma, hat sich zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen und ein Thesenpapier zu pflegerischem Nutzen von DiPAs veröffentlicht. Welche Erkenntnisse kann man daraus gewinnen ?

Prof. Dr. Zerth: Die Arbeitsgruppe hat sieben Thesen formuliert, die sagen „Ja, DiPAs sind eine Chance, aber sie springen ein bisschen zu kurz“. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens nehmen DiPAs sehr stark nur den ambulanten Fokus in den Blick und stellen nicht ausreichend technische bzw. organisatorische Fragen wie „Was passiert mit der DiPA, wenn der Pflegebedürftige mit höherer Betreuungsnotwendigkeit doch in den stationären Kontext wechseln muss? Kann er die DiPA dann einfach mitnehmen?“. Weiterhin stellen sich zweitens methodische bzw. soziale Fragen wie z. B. „Was ist der pflegerische Nutzen, wenn man zu Hause in einer Pflegebeziehung mit Angehörigen lebt? Wie wäre eine „gemeinsamer pflegerischer Nutzen“ aus Sicht des Pflegebedürftigen aber auch aus Sicht der Pflegenden?“. Drittens muss der Vergütungsaspekt diskutiert werden. Vielleicht können wir das später noch vertiefen.

DiPAs sollen Pflegebedürftige und deren Angehörige sowie den (ambulanten) Pflegedienst dabei unterstützen, einen gewissen Grad an selbstbestimmten Leben aufrechtzuerhalten.

Prof. Dr. Jürgen Zerth Vizepräsident für Forschung und Institutsleiter des Forschungsinstituts IDC an der SRH Wilhelm-Löhe-Hochschule


Welche weiteren Forderungen werden noch in dem Thesenpapier formuliert ?

Prof. Dr. Zerth: Also, eine ganz wesentliche Forderung ist neben einer Erweiterung der Perspektive vom ambulanten Bereich auch auf andere Bereiche zu denken. Beispielsweise das Thema der Befähigung mit Apps umzugehen. Es gibt verschiedene Studien zur sogenannten Gesundheitskompetenz oder zur digitalen Kompetenz. Und ich glaube, man braucht nicht überrascht sein, dass die Gesundheitskompetenz allgemein, aber auch vor allem die digitale Kompetenz abhängig ist von ein paar Parametern - einerseits vom Bildungsstand, andererseits vom Alter. Jetzt haben wir im pflegerischen Bereich aus der Natur der Sache eine Zielgruppe, die etwas Richtung ältere Bevölkerung zielt. Es geht aber nicht nur um die jetzt Gepflegten, es ist auch eine Perspektive in die Zukunft. Auch im Referentenentwurf beispielsweise der Bundesregierung steht formuliert, dass in vier Jahren ca. 10 Prozent der Pflegebedürftigen DiPAs nutzen würden. Diese DiPAs werden aber nicht einfach funktionieren. Man benötigt zum einen die technische Kompetenz, um das Gerät zu bedienen. Und zum anderen benötigt man die Kompetenz, mit den zur Verfügung gestellten Gesundheitsinformationen auch umgehen zu können. Wir brauchen künftig also mehr Anleitung in Form von Schulungen etc.

Wie werden DiPAs beantragt bzw. finanziert?

Prof. Dr. Zerth: Es muss festgestellt sein, dass ich pflegebedürftig bin und dann kann ich als Pflegebedürftiger die DiPA ähnlich wie ein Hilfsmittel beantragen. Je nach Pflegegrad wird einem ein gedeckelter Betrag von der Pflegeversicherung bezahlt. Man bekommt pro Monat, so sieht es momentan das Gesetz vor, 50 Euro bezahlt, die sich dann auf die DiPA und auf begleitende Unterstützungsleistungen konzentrieren und aufteilen müssen. Gerade da scheint es noch offene Fragen zu geben, wie man das aufteilt. Das ist möglicherweise auch noch ein Grund, der nach meiner Einschätzung die Einführung von DiPAs verzögern kann.



Das Interview führte Dr. Petra Blumenroth, Projektmanagerin Technologie I Frugale Innovation bei der Bayern Innovativ GmbH.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Digitale Pflegeanwendungen – Bewertung des pflegerischen Nutzens

Der Fachkräftemangel ist in der Pflegebranche schon länger eine Herausforderung, die durch die Pandemie verschärft wird. Wie können DiPAs hierbei u. a. das Pflegepersonal entlasten? Darüber sprechen wir mit Prof. Dr. Jürgen Zerth - Vizepräsident für Forschung und Institutsleiter des Forschungsinstituts IDC an der SRH Wilhelm-Löhe-Hochschule in Fürth.

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