08.05.2020
Medizinisches Zubehör wie Atemschutzmasken, Adapter und Ventile können flexibel vor Ort produziert werden; Bauteile, die wegen Lieferengpässen nicht verfügbar sind, lassen sich vor Ort mit dem 3D-Drucker herstellen. Doch besonders in der Medizintechnik hat der Einsatz der noch jungen Technologie seine Grenzen.
Additive Fertigung im Kampf gegen Corona. Die Branche erlebt durch Covid-19 einen Entwicklungsschub. (Bildnachweis: AdobeStock©Monkey Business)
Als Norditalien Mitte März schwer von der Corona-Pandemie getroffen wurde, sorgten 3D-gedruckte Ventile für Beatmungsgeräte weltweit für Aufsehen. Ein Krankenhaus in Brescia benötigte dringend Ersatzventile für seine Beatmungsgeräte und fragte ansässige Fablabs und Unternehmen mit 3D-Druck-Expertise an. Innerhalb weniger Stunden konnten so Ersatzventile additiv gefertigt und dadurch mindestens zehn Menschen zusätzlich künstlich beatmet werden.
Seitdem wird der 3D-Druck auf der ganzen Welt eingesetzt, um lokale Lieferengpässe zu schließen und dringend benötigte Schutzausrüstung für medizinisches Personal und Rettungskräfte zu produzieren: Angefangen bei Ventilen und Adaptern für Beatmungsgeräte über Gesichtsschilde, Atemschutz- und Alltagsmasken bis hin zu Notfall-Beatmungsgeräten auf Basis eines sogenannten „Ambu-Bags“ (Beatmungsbeutel). Auch viele bayerische Unternehmen unterstützen lokale Krankenhäuser, Pflegedienste und Arztpraxen, beispielsweise die Gramm GmbH , das Ingenieurbüro Christian Reil, ApWorks (Airbus Company), EOS oder FIT. Auch Hochschulen wie die TH Deggendorf helfen bei der Versorgung mit Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) durch 3D-Druck.
Bild links: Maske aus dem 3D-Drucker der Gramm GmbH, Bild mitte: Gesichtsschutz der TH Deggendorf, Bild rechts: Beatmungsgerät der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. (Bildnachweis: Gramm GmbH/David Schäfer, TH Deggendorf, FHWS/Bräutigam)
Strenge Vorgaben für Medizinprodukte
So erfreulich die Hilfsbereitschaft und Unterstützung von zum Teil medizinbranchenfremden Unternehmen auch ist, müssen sich Unternehmen und Institute dennoch der geltenden Richtlinien und Regularien bewusst sein: Medizinische Produkte und Persönliche Schutzausrüstung unterliegen strengen Anforderungen hinsichtlich Qualitätssicherung und Zertifizierungen. Sobald ein Produkt auf den Markt kommen oder ausgeliefert werden soll, muss der Inverkehrbringer mit einer Konformitätserklärung bescheinigen, dass er die Normen und Regularien des Medizinproduktegesetzes bzw. der Persönlichen Schutzausrüstung einhält. Die Festlegung weiterer Qualitätskriterien und deren Überprüfung obliegt der Stelle der Beschaffung des Produkts. In Bayern sind dies normalerweise der Einkauf der Kliniken, Praxen oder anderer Einrichtungen, in der aktuellen Krisensituation ist es das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Doch warum wird trotz strenger Richtlinien und Anforderungen auf additiv gefertigte Produkte von teils branchenfremden Unternehmen zurückgegriffen? Im Zuge der Corona-Krise sind durch Grenzschließungen und eingeschränkte Produktionskapazitäten im Ausland globale Liefermärkte teilweise zusammengebrochen. Darüber hinaus stieg und steigt der Bedarf an medizinischen Hilfsmitteln weltweit sprunghaft an, sodass es zu einer weiteren Verschärfung der Versorgungssituation gekommen ist. Durch den 3D-Druck können lokal und kurzfristig solche Versorgungsengpässe geschlossen werden, bis zusätzliche Produktionskapazitäten in der Massenfertigung geschaffen werden oder der globale Handel wieder Fahrt aufnimmt.
3D-Druck schließt Lücken in Lieferketten
Lieferengpässe gibt es aber nicht nur im medizinischen Bereich. Überall dort, wo Lieferketten von internationalen Kooperationen abhängen, kann es kurz- und mittelfristig durch die aktuelle Pandemie zu Versorgungsmängeln kommen. Dabei kann es sich um Ersatzteile für Produktionsmaschinen bis hin zu vollständigen Zuliefererbauteilen handeln. Hier kann die Additive Fertigung ihre Vorteile voll ausspielen und schnell und dezentral die benötigten Teile produzieren und nachliefern. Hierbei spielen auch die Kosten der Ersatzteile eine vernachlässigbare Rolle, da der Stillstand von großtechnischen Anlagen deutlich teurer ist. Um hochwertige Ersatzteile herzustellen, ist allerdings großes Know-how im jeweiligen 3D-Druck-Verfahren und in der Anlagentechnik notwendig.
Die aktuelle Krisensituation zeigt, dass mit der Globalisierung der Lieferketten auch Risiken in der Versorgung mit kritischen Produkten einhergehen. Die Krise und der verstärkte Einsatz additiver Technologien und die damit einhergehende dezentralere Produktion wird mit den Lieferketten voraussichtlich auch den gesamten globalen Handel langfristig ändern. Durch den 3D-Druck könnten zukünftig theoretisch alle notwendigen Güter direkt vor Ort, visionär gesehen vielleicht auch direkt beim Endkunden produziert werden, sodass letztlich nur die Produktionsdaten versendet werden müssen. In einem von der EU geförderten Projekt erarbeitet die Koordinierungsstelle Additive Fertigung der Bayern Innovativ GmbH gemeinsam mit Projektpartnern aus Wissenschaft und Wirtschaft die Möglichkeiten der „grenzübergreifenden Kooperation mit 3D-Druck“ (Projektlaufzeit: 01.01.2019 bis 31.12.2021). Dabei geht es auch um die potenziellen Veränderungen des globalen Handels und darauf beruhender Geschäftsmodelle durch einen verbreiteten Einsatz von additiven Fertigungstechnologien und dezentraler Produktion. Informationen und aktuelle Projektergebnisse können hier eingesehen werden.
In der aktuellen Krisensituation erweist sich die Additive Fertigung auf vielfältige Weise als Schlüsseltechnologie , die vor allem durch ihren flexiblen Einsatz überzeugt. Nichtsdestotrotz steht der industrielle 3D-Druck noch am Anfang und muss in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt werden. Aus wirtschaftlicher Sicht können die verschiedenen Verfahren der Additiven Fertigung nicht mit etablierten Technologien wie dem Spritzguss in der Massenfertigung mithalten. Dies schließt jedoch nicht aus, dass es Anwendungen gibt, bei denen durch bestimmte Anforderungen an Gestalt oder Eigenschaften des Bauteils der 3D-Druck auch für die Großserie interessant sein kann. Und auch um volatile Märkte und kurzfristige Bedarfe zu bedienen, erscheint der Einsatz additiver Fertigungstechnologien als sinnvoll, auch wenn der 3D-Druck kein Allheilmittel sein kann.