Bioökonomie im Fokus

Dr. Tobias Schwarzmüller ist Gruppenleiter Technologie und Experte für industrielle Biotechnologie und Bioökonomie bei Bayern Innovativ. Im Gespräch erläutert der promovierte Molekularbiologe, warum Bayern im Thema Bioökonomie gut aufgestellt ist und warum der Freistaat eine eigene Strategie für den Transformationsprozess zur Bioökonomie verabschiedet hat.

Bioökonomie im Fokus
Im Fokus: Bioökonomie bei Bayern Innovativ.

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Tobias, muss aus Deiner Sicht unser heutiges Wirtschaftssystem in Frage gestellt werden?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Tatsächlich müssen viele Punkte überdacht werden. Unser heute vorherrschendes System, die sogenannte lineare Wirtschaft, beruht vor allem auf der Weiterverarbeitung fossiler Rohstoffe zu Produkten, die großteils nicht wiederverwertet werden und zum Teil sogar aufwendig entsorgt werden müssen. Dies ist mit dem Blick auf endliche Rohstoffvorkommen und den fortschreitenden Klimawandel kritisch zu hinterfragen. Die zirkuläre Bioökonomie hingegen nutzt biogene Roh- und Reststoffe durch Koppel- und Kaskadennutzung effizienter und führt Materialien in Kreisläufen. Bioökonomie ist aber nicht nur ein neues technologisches Konzept, sondern ein komplett neues Wirtschaftssystem. Verfolgt man das Konzept konsequent, ließen sich Emissionen und Rohstoffbedarf auf ein Minimum reduzieren. Dazu müssten aber viele Bereiche unserer Gesellschaft umgekrempelt werden.

Wo steht Bayern zurzeit auf dem Weg in die Bioökonomie?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Bayern ist allein schon durch seine regionale Vielfalt gut für die Bioökonomie aufgestellt – man denke nur an die Bandbreite der verfügbaren nachwachsenden Rohstoffe. Das reicht von Stroh aus Niederbayern über die Waldwirtschaft in Oberbayern und der Oberpfalz bis hin zu den Nebenprodukten aus der Bier- und Weinproduktion in der Hallertau beziehungsweise im fränkischen Raum. In technologischer Hinsicht hat Bayern das Zeug dazu, über die Grenzen Deutschlands hinaus eine führende Rolle zu spielen.

Wir erleben hier eine schnell wachsende Community mit Spezialisten aus Industrie, Forschung, Entwicklung und Wissenschaft, die mit ihrem Know-how die unterschiedlichsten Fachbereiche bündeln – von der industriellen Biotechnologie und der synthetischen Biologie über die Bioverfahrenstechnik bis hin zur Fertigung biobasierter Werkstoffe. An zahlreichen bayerischen Hochschulen wird zum Thema Bioökonomie geforscht. Das Wissen ist also vorhanden, jetzt brauchen wir noch den Mut, die Transformation flächendeckend in die Praxis umzusetzen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Bayern hat kürzlich eine eigene Strategie verabschiedet. Was steht drin?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Die bayerische Bioökonomiestrategie „Zukunft.Bioökonomie.Bayern“ beschreibt den Weg zu einer nachhaltigen und ökologisch verantwortungsvollen sowie sozial gerechten und damit zukunftsfähigen Lebens- und Wirtschaftsweise. Sie leitet aus acht Hauptzielen 50 konkrete Maßnahmen ab, die regionalen Standortfaktoren Rechnung tragen. Zu den Hauptzielen gehört zum Beispiel die Reduzierung des Verbrauchs fossiler Rohstoffe durch die Umsetzung einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Wirtschaftsweise und die Entwicklung nachhaltiger, biobasierter Technologien, Prozesse und Produkte.

Ein weiteres Ziel ist die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und die Erschließung neuer Märkte durch die Verwendung nachwachsender Rohstoffe sowie Rest- und Abfallstoffe möglichst nach dem Prinzip der Koppel- und Kaskadennutzung. Die Strategie zielt auf die Entwicklung neuer Technologien, Materialien und Werkstoffe sowie der nötigen Verfahren für innovative Produkte, um letztendlich neue Arbeitsplätze im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems. Bayern soll ein führender Standort für nachhaltige Produkte und Produktionsweisen und damit Vorbild für andere Regionen sein.

Bayern Innovativ war maßgeblich an der Ausarbeitung der Strategie beteiligt. Wie kam es zustande?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Ende 2019 hat uns das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie den Auftrag zur inhaltlichen und organisatorischen Begleitung eines partizipativen Prozesses zur Erstellung der Bioökonomiestrategie Bayern erteilt. Daraufhin haben wir einen entsprechenden Prozess entwickelt und alle relevanten Akteure und Stakeholder in Bayern angesprochen, damit sie sich mit ihren Ideen einbringen können. Die Befragungen führten wir dann corona-bedingt größtenteils online in Form von Workshops und Interviews durch. Während der gesamten Phase haben wir uns eng in einem Kernteam aus Vertretern des Wirtschaftsministeriums, des Landwirtschaftsministeriums, der Geschäftsstelle des Sachverständigenrats und der Bayern Innovativ abgestimmt. Veröffentlicht wurde die Strategie Zukunft.Bioökonomie.Bayern schließlich im November 2020.

Damit der Wandel zu einer nachhaltigen Form der Bioökonomie gelingt, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit über alle Fachrichtungen und Branchen hinweg erforderlich. Diese übergreifende Zusammenarbeit zu fördern, ist eine ureigene Aufgabe der Bayern Innovativ GmbH.

Dr. Tobias SchwarzmüllerGruppenleiter Technologie I Bioökonomie I Cluster Neue Werkstoffehttps://www.bayern-innovativ.de/kontakt/tobias-schwarzmueller


Welche Rolle spielt die Bayern Innovativ GmbH im bayerischen Bioökonomie-Transformationsprozess konkret?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Damit der Wandel zu einer nachhaltigen Form der Bioökonomie gelingt, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit über alle Fachrichtungen und Branchen hinweg erforderlich, und zwar auf technologischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene. Ebenso muss ein ressortübergreifender Austausch auf politischer Ebene erfolgen, um Erkenntnisse aus der Forschung in wettbewerbsfähige industrielle Anwendungen und Produkte zu übersetzen. Diese übergreifende Zusammenarbeit zu fördern, ist eine ureigene Aufgabe der Bayern Innovativ GmbH. Wir vernetzen ja schon immer innovationsfreudige Unternehmen, Start-ups und Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Politik miteinander, um Innovationsprozesse voranzutreiben.

Die Transformation unseres Wirtschaftssystems zu einer nachhaltigen zirkulären Bioökonomie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dazu können wir mit unserem Netzwerk gute Dienste leisten. Um bei Akteuren aus allen Bereichen in kürzester Zeit zum Thema Bioökonomie die Bedarfe und Visionen abzufragen, waren wir für die bayerische Staatsregierung bei der Erarbeitung der Bioökonomie-Strategie ein wichtiger Partner. Durch die Expertise bei uns im Haus sind wir in der Lage, sehr gezielt zu recherchieren, die gewonnenen Informationen im Anschluss zu strukturieren und in klare Handlungsempfehlungen umzusetzen.

Und wie treibt Bayern Innovativ das Thema Bioökonomie weiter voran?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Wie schon bei der Erstellung kommt uns jetzt bei der Umsetzung der bayerischen Bioökonomie-Strategie unsere starke Einbindung in die Cluster-Offensive Bayern und unsere langjährigen Netzwerkaktivitäten im Bereich der industriellen Biotechnologien und biobasierter Werkstoffe zugute. Wie bei all unseren Aufgaben sind wir auch in diesem Thema maßgeblich als Vernetzer, Innovationsunterstützer, Förderlotse und als Thinknet aktiv. Wir dienen allen Stakeholdern quasi als „Kommunikator zwischen den Welten“. Das heißt, wir stoßen Zukunftsthemen an und bringen interdisziplinär und über Branchengrenzen hinweg Akteure zusammen, damit diese gemeinsam Innovationen realisieren. Dies geschieht beispielsweise auf unseren Cluster-Veranstaltungen, wie etwa dem Kooperationsforum Biopolymere, das sich in Bayern als Branchentreffpunkt etabliert hat. Im Rahmen unseres Forums im September 2019 zum Thema „Biologisierung - Building Blocks für die Bioökonomie“ haben wir die nachhaltige Nutzung biobasierter Rohstoffe in Verbindung mit Bionik, Additiver Fertigung, Industrieller Biotechnologie und Synthetischer Biologie thematisiert.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist das Cross-Clustering, also die Zusammenarbeit mehrerer Netzwerke. Schon vor einigen Jahren haben wir in einem Cross-Cluster-Projekt mit als Cluster Neue Werkstoffe mit dem Cluster Forst und Holz in Bayern Technologien und Anwendungen für neue Werkstoffe auf Basis von Holz und Kunststoff erarbeitet und die Potenziale in einem Technologie-Radar veröffentlicht. Aktuell arbeiten wir mit dem Chemie-Cluster Bayern in einem Cross-Cluster-Projekt zusammen, das sich mit dem Thema „Aufbau neuer Wertschöpfungsketten in der Bioökonomie in Bayern für alternative Technologien, biobasierte Chemikalien und Werkstoffe“ auseinandersetzt. Hier eruieren wir innovative Nutzungsformen für nachwachsende Roh- und Reststoffe und neue Technologien für die Produktion biobasierter Produkte und stoßen auf dieser Basis gemeinsam mit bayerischen Unternehmen neue, nachhaltige Formen der Wertschöpfung an.

Das klingt spannend! Letzte Frage: Was rätst Du Unternehmen oder Start-ups mit interessanten Bioökonomie-Konzepten?

Dr. Tobias Schwarzmüller: Ganz klar – sie sollen uns ansprechen und ihr Projekt vorstellen! Unsere Leistungen reichen von der Beratung, Innovations-Workshops und Benchmarking-Assessments über die Vermittlung von hilfreichen Kontakten bis hin zu Tipps für die Beantragung von Fördermitteln für Wirtschaft und Unternehmen. Außerdem: Unsere Veranstaltungen dienen ja neben der Wissensvermittlung und Diskussion auch dem Networking zwischen den Beteiligten. Auch uns ist daran gelegen, unser Netzwerk an Akteuren aus der Bioökonomie laufend zu erweitern, um unsere Services auch künftig möglichst genau auf die Bedarfe unserer Kunden ausrichten zu können.

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Sie möchten Teil der bayerischen Bioökonomie-Community werden? Sie möchten uns ein Projekt vorstellen, das die Ziele der bayerischen Bioökonomie-Strategie unterstützt? Sie suchen nach geeigneten Partnern aus Bayern für Ihr Bioökonomie-Projekt? Dann freuen wir uns darauf, von Ihnen zu hören - kontaktieren Sie gleich unseren Experten Dr. Tobias Schwarzmüller!