Stromnetzausbau - Strategie, Technik und Versorgungssicherheit

Was wurde seit 2014 erreicht?

Der zügige Ausstieg aus der heimischen Atomenergie nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima war der Auslöser für eine beschleunigte Energiewende in Deutschland mit dem Ziel, den Ausfall von Kernkraftleistung durch Erneuerbare Energien wettzumachen. Der Ausbau der Hochspannungs-Transportnetze ist hierbei ein wichtiges Element. Dr. Klaus Hassmann, Sprecher des Cluster Energietechnik, erläutert in diesem Fachartikel die Strategie, die Technik und die Versorgungssicherheit beim Ausbau des Stromnetzes.

Hochspannungstransportnetze
Der Ausbau der Hochspannungs-Transportnetze ist beim Umbau der Stromerzeugung ein wichtiges Element. Die erforderliche, zügige Umsetzung wird jedoch deutlich verfehlt. (Bildnachweis: Fotolia@_dephoto)

Strategien für den Leitungsausbau

2014

Nach Bürgerprotesten beschließt die bayerische Staatsregierung ein Stromtrassen-Moratorium. Vor dem Leitungsbau müssen die Grundfragen der Versorgungsstruktur Bayerns geklärt werden. Darunter fällt auch ein Zeitplan für den Bau von Gas-Kraftwerken als Ersatz für die Kernenergie. Führende Energiewirtschaftler schlagen die Aufteilung des Strommarktes in 2 Preiszonen vor. Der Wert des Netzausbaus würde transparent, die Kraftwerke im Süden würden die Fessel der Reserveverordnung los. Die Stromlieferung in die im Süden angrenzenden Staaten mit den höheren Preisen wäre rentabler, der Wirtschaft im Süden würde ein höherer Strompreis jedoch schaden.

Bei Berechnungen des Netzentwicklungsplans nach Vorgaben der Bundesnetzagentur, in denen Verbrauchs- und Erzeugungsszenarien erstellt werden, erachten die Betreiber alle Gleichstromverbindungen als notwendig . Für TenneT am wichtigsten ist der Süd-Link für Transport von Windstrom nach Bayern. TenneT plant für 2014 500 Veranstaltungen mit Gemeinderäten, Bürgerinitiativen, Natur- und Umweltschützern, Bauernverbänden. Bayern ist an sonnigen, windstillen Tagen Stromexportland.

2015

Das Ergebnis des Energiedialogs in Bayern ist ernüchternd: nach Abschalten des letzten KKW im Jahr 2020 werden 5 GW bzw. 40 TWh Strom fehlen. Technisch sei es möglich, die Stromversorgung ohne die zwei Gleichstromtrassen Süd-Link und Südostpassage sicherzustellen. Jedoch lehnt der Bund eine Förderung des dann nötigen Baus neuer kombinierter Gaskraftwerke ab. Viel Potenzial hat auch die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Der bayerische Ministerpräsident spielt bezüglich Trassen oder KW-Zubau auf Zeit. Die Entscheidung soll Ende 2015 fallen.

Nach einer längeren Auseinandersetzung mit Bayern legt die Regierungskoalition die Eckpunkte für eine erfolgreiche Energiewende fest. Die geplanten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs (HGÜ)-Leitungen sollen zukünftig vorrangig mit Erdkabeln realisiert werden. Damit will man einen schnelleren, von der Bevölkerung akzeptierten Netzausbau erreichen. In der Nähe von Wohngebäuden sollen Freileitungen zukünftig verboten werden. Für alle HGÜ-Vorhaben wird eine Umweltverträglichkeits-Untersuchung eingeführt. Erdkabel für Drehstrom-Übertragungsnetze sollen die Ausnahme bleiben und in Pilotvorhaben getestet werden, da sie technisch schwieriger und teurer sind. 

2016

Der Begriff Monstertrassen stammt aus Bayern demonstriert klare Ablehnung. Als die Bundesregierung 2015 einen Vorrang für Erdkabel beim Netzausbau beschließt, lenkt die Bayerische Staatsregierung ein. Der Süd-Link von Schleswig-Holstein über Grafenrheinfeld nach Baden-Württemberg über 800 km Länge soll komplett unter der Erde verlaufen. So auch der Süd-Ost-Link nach Landshut auf einer Strecke von 600 km.

Beim Stromhandel mit Österreich soll ab dem Jahr 2018 ein Engpassmanagement eingeführt werden: es soll nur mehr so viel Strom gehandelt werden, wie transportiert werden kann. Der preisgünstige Strom aus Deutschland führt zu einem erhöhten Stromhandel mit Österreich. Um Netzengpässe zu vermeiden, müssen im Norden Deutschlands Kraftwerke herunter und in Österreich hochgefahren werden. Die deutschen Verbraucher müssen die „Zeche“ bezahlen.

2017

Eine Arbeitsgruppe, mit 50 Experten aus diversen Verbänden besetzt, erarbeitet unter der Leitung des Verbandes Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) intelligente Lösungen für ein gemeinsames Ziel: Wie sähe ein Netzausbau aus, der nicht über höhere Netzentgelte finanziert werden muss? Das Ergebnis: Nur in Sonderfällen werden vor- oder nachgelagerte Netzebenen benötigt. Das marktgesteuerte Lastmanagement kann durch ein netzdienliches ergänzt werden. Im Fall kritischer Netzsituationen können die Netzbetreiber regelnd auf die Erzeuger und Verbraucher einwirken.

Die Erdverkabelung hat die Gemüter vor Ort erheblich beruhigt. Noch gibt es genug Kritiker, die den Bau der Monstertrassen aus Naturschutzgründen und aus energiewirtschaftlicher Sicht ablehnen. Ihr Argument: Mit zunehmend dezentraler Erzeugung auf Verteilnetzebene wären die Trassen im geplanten Umfang nicht notwendig.

2018

Der Stromhandel zwischen Deutschland und Österreich ist seit dem 1.10.2018 auf 4,9 GW beschränkt,  was die deutschen Verbraucher jährlich um mehrere 100 Mio. € entlastet. Mit Netzzubau wird diese Vereinbarung in den 2020er Jahren vermutlich überflüssig sein.

Techniken für den Ausbau des Stromnetzes

2013

Für Stromnetze gilt generell: Auf den Dächern von Ein und Zweifamilienhäusern installierte PV-Anlagen sollen mit einem Batteriespeicher ergänzt werden. So könnte die Einspeisespitze um 40% reduziert bzw. 66% mehr PV installiert werden.

2015

Die Netzbetreiber wollen Wechselstromnetztrassen für die Transportnetze verwenden. So weit ist die Technik für die  Erdverkabelung von Gleich- und Drehstrom: Erdkabel in Gleichstrom (HGÜ) eignen sich für längere Strecken, sie sind mit Spannungen bis 320 kV im Einsatz. Die Längen der Erdkabel in 380 kV Drehstromtechnik (AC) sind begrenzt, es ist Begleitforschung nötig. Zahlreiche 380-kV-Projekte befinden sich schon im fortgeschrittenen Genehmigungsverfahren. 

Für die geplanten Korridore müssen 500-kV-Kabel (masseimprägniert oder kunststoffisoliert) noch getestet werden. Erdkabel müssen nach einer Lauflänge von ca. einem Kilometer mittels Muffen verbunden werden. Bei zwei GW-HGÜ-Trassen mit zwei Einzeladern können mit zwei Kabelpaaren 4 GW erreicht werden. Die Trassen sind 15 bis 20 Meter breit, in der Bauphase sogar 40 Meter. Bei der Drehstromtechnik sind es 15 bis 25 Meter, in der Bauphase 50 Meter.

2016

Das neue Freileitungsdesign "compact line" des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz findet eine deutlich bessere Akzeptanz bei der Bevölkerung. Der neue Mast soll die Stahlgitterkonstruktion ersetzen. Er führt die Seile straff auf einer geringeren Höhe (30 bis 36 Meter statt bisher 50 bis 60 Meter) bei einer Trassenbreite von 50 bis 60 Meter statt 72 beim Stahlgitter. 2017 könnte das neue Design zum Testbetrieb ans Netz gehen.

2018

50Hertz nimmt eine neuartige Stromleitung mit einer Länge von 2 Kilometern in Betrieb. Sie ist nur 32 Meter hoch (52 in üblicherweise eingesetzter Baureihe) bei einer Trassenbreite von 55 Meter (72 Meter). Mit diesen Abmessungen passt eine 380 kV in eine 220-kV-Trasse hinein und kann so auf die höhere Spannung aufgerüstet werden. Die Gesamtlänge der Leitungen aler ÜÜbertragungsnetzbetreiber in Deutschland beträgt jetzt 35210 Kilometer.

Wie steht es um die Versorgungssicherheit?

2014

TenneT sieht nach der Stilllegung des KKW Grafenrheinfeld zwei Problemszenarien für die Stromversorgung in Süddeutschland. Bei Dunkelflaute, also einer Kältephase ohne Wind und Sonne und mit hohen Srompreisen wäre der Bedarf an Reserve-KW 14/15 4000, 15/16 6000 und 17/18 7000 MW. In Szenario 2 wird Starkwind bei Höchstlast in Europa unterstellt. Die Leitungen im Süden würden überlastet, was Eingriffe wie Glättung von Stromspitzen oder Drosselung des Stromexports erfordert. Beide Fälle wären mit Fertigstellung der Thüringer Strombrücke ohne zusätzliche Maßnahmen beherrschbar. Eine Baugenehmigung der Brücke ist Mitte 2014, die Inbetriebnahme 2015 zu erwarten.

2016

Das Zwei-Grad-Ziel wird in der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen. Es erfordert den zukünftigen Rückbau fossil befeuerter Kraftwerke. Dabei wird sich das Fehlen von Synchrongeneratoren in ausreichender Zahl negativ auf die Stabilität elektrischer Netze auswirken. Die fluktuierende Einspeisung von Photovoltaik und Wind muss zur Spannungshaltung im Netz durch ausreichende Regelleistung ergänzt werden – die Kurzschlussleistung würde sonst deutlich sinken. Die Technologie, das zu verhindern ist im Energiesystem der Zukunft unverzichtbar.

Autor: Dr. Klaus Hassmann, Sprecher Cluster Energietechnik

Referenzen des Autors

Die Informationen stammen aus dem Fachmagazin Energie & Management (e&m).