Kernenergie wird Deutschland trotz Ausstiegbeschluss noch länger beschäftigen

Eine Bilanz der Kernenergie in Deutschland

Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik (Stand: Februar 2018)

Problemstellung: Die Kernenergie ist in Deutschland ein Auslaufmodell. Schrittweise werden die noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke (KKW) – das letzte 2022 – vom Netz genommen. Auch ohne im Betrieb befindliche Kraftwerke wird die Kernkraft die Eigentümer der KKW, den Bund, die betroffenen Bundesländer, die zuständigen Behörden, die Zulieferer aus Wirtschaft und Forschung und auch die interessierten Bürgerinnen und Bürger weiter beschäftigen; dabei wird es zunächst um den sicheren Einschluss der Radioaktivität gehen sowie um deren Beseitigung bzw Verringerung durch aktive und passive Maßnahmen bis letztendlich zum Rückbau des Standortes in den Ausgangszustand „grüne Wiese“. Die mit den aktiven Maßnahmen beschäftigten Menschen dürfen nicht zu Schaden kommen. Der Transport, die Zwischen- und Endlagerung von radioaktiven Material aus dieser Technik sind ebenfalls Themen, von denen sich viele Menschen bedroht fühlen. Inhalt: Schwerpunkt des vorliegenden Artikels ist eine kurze Bilanz der Kernenergie in Deutschland. Für den einen oder anderen Leser unseres Portals mag die Entwicklung der Kernenergie in Europa und auch in anderen Kontinenten von Interesse sein; auch darauf wird eingegangen. Die Kernenergie in Deutschland heute: Wie allgemein bekannt, beschloss die Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima in Deutschland aus der Kernenergie auszusteigen. Der Verfasser des vorliegenden Artikels hat versucht – Anlass war die aus seiner Sicht emotionale Berichterstattung über die Ereignisse in Fukushima – das Kernschmelzen technisch-wissenschaftlich zu beschreiben; der interessierte Leser sei gewarnt – es handelt sich dabei um ca. 40 Seiten, hier zu finden. Von der Bundesregierung wurde 2011 eine Atomgesetznovelle inkraft gesetzt; mit sofortiger Wirkung wurden 8 KKW mit 8821 MW Leistung stillgelegt. Die Versorgungssicherheit war nicht gefährdet. Von dieser Stillegung profitiert haben vor allem die Kohlekraftwerke mit einer deutlich höheren Auslastung allerdings zu Lasten der Umweltverträglichkeit. Es wird vermutlich noch Jahre dauern bis über den Zubau an Erneuerbaren dieser CO2 Schub kompensiert werden kann.

Tabelle 1: Kernkraftwerke in Betrieb (2017)

Quelle: Kernenergie in Zahlen 2017 DAtF (Deutsches Atomforum) 

in Betrieb 2016 Typ*)  NennleistungStromerzeugungLändervergleich MW
GKN II NeckarwestheimDWR   1400 MWe11.392 TWh

KBR BrokdorfDWR  148011.503 Bayern
KKE EmslandDWR140011.1144173
KKI 2 IsarDWR148511.991Baden Württemberg
KKP 2 PhilippsburgDWR146810.3192868
KRB B GundremmingenSWR134410.015Niedersachsen
KRB C GundremmingenSWR13449.3972830
KWG GrohndeDWR14308.904Schleswig Hollstein
Gesamt 11351 brutto84.635 brutto1480

*) DWR: Druckwasser-, SWR: Siedewasserreaktor

Tabelle 1 zeigt, dass in Bayern nach dem Abschalten von Grafenrheinfeld 2015 noch 3 KKW mit einer Brutto-Gesamtleistung von 4173 MW in Betrieb sind; das sind 37% der KKW-Leistung in Deutschland (11351 MW). Bayern ist demnach von allen Bundesländern das Land, das bezüglich der Eigenversorgung mit Strom, die größte Lücke aufweisen wird, sobald die 3 restlichen KKW 2017, 2021 und 2022 vom Netz gehen. Ein Indiz dafür ist auch, dass die KKW nach 2011 nicht nur in Bayern sondern generell im Mittel über 7500 Vollaststunden am Netz waren; nur ist der Druck nach Ersatzleistung in Bayern ausgeprägter, da dort nicht nur mehr KKW-Leistung ins Netz einspeist, sondern nach Grafenrheinfeld in 2015 noch Gundremmingen B 2017 abgeschaltet wird; in den anderen Bundesländern gehen die Anlagen relativ spät, nämlich erst zwischen 2019 und 2022 vom Netz. Nur zu verständlich, dass die kontroverse Diskussion um Netzausbau und/oder Eigenversorgung durch neue Kraftwerke vor allem im Süden der Republik geführt wird. Noch ein Aspekt: Die mittlere leistungsbezogene Laufzeit der noch in Betrieb befindlichen Anlagen liegt mit 34 Jahren deutlich unter der prognostizierten Lebensdauer für KKW. Tab 2 zeigt, dass der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung in Deutschland von 2012 bis 2014 im Bereich 15 und 16% pendelte, während er 2015 auf ca 14% und 2016 aufgrund des Abschaltens von Grafenrheinfeld auf nur 13% abfiel. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen.

Tabelle 2: Vergleich Stromerzeugung Deutschland/KKW

Quelle: AG Energiebilanzen vom 7. 2. 2017  

20122013201420152016
Stromerzeugung D TWh628,6637,7626,7646,9648,7
Stromerzeugung KKW TWh99,597,397,191,884,6
Stromerzeugung KKW %  15,815,215,414,113,0

Die Historie der Stillegungen von KKW in Deutschland: Das erste KKW wurde vor nicht ganz 40 Jahren vom Netz genommen; insgesamt wurden vor dem Ausstiegsbeschluss bereits 19 Kraftwerke mit einer Leistung von um die 6300 MW stillgelegt, darunter 5 Forschungsreaktoren. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung wurden 5 bei Greifswald in der ehemaligen DDR betriebene KKW mit einer Gesamtleistung von in Summe 2200 MW abgeschaltet; die jüngste war nur 1 Jahr in Betrieb. Von den 19 KKW haben 3 den Zustand „grüne Wiese“ erreicht, darunter 2 Anlagen nach nur 3 Jahren Betrieb in den frühen 70ern sowie ein Versuchskraftwerk, das 1985 abgeschaltet wurde. 15 Anlagen firmieren unter „Rückbau“, einer ist unter „sicherer Einschluss“ geführt. Wann in Deutschland generell der Zustand „grüne Wiese“ nach der Kernenergienutzung erreicht sein wird, ist aus dieser Statistik des Deutschen Atomforums kaum ableitbar. Ein Fazit ist daraus zu ziehen: Es gibt viel Wissen auf dem Gebiet des Rückbaus, das sich weiter vertiefen wird; nur: Es wird nicht einfach sein, dieses Wissen in Summe über Generationen zu bewahren.         

Kernenergie weltweit

Tabelle 3: Kernkraftwerke weltweit 2016 in Betrieb (Quelle DAtF)

Gesamtleistung >
2000 MW
USA
110541
Frankreich
65880
Japan
42248
China
34437
Russland
27988
Korea Republik
24103
Kanada
14385
Ukraine
13818
Deutschland
11357
Großbritannien
10366
Schweden
9859
Spanien
7398
Indien
6780
Belgien
6220
Taiwan
5213
Tschechische Republik
4133
Schweiz
3485
Finnland
2860
Summe
401071

Leistung <
2000 MW
Ungarn
2000
Bulgarien
2000
Slowakische Republik
1950
Südafrika
1940
Mexiko
1640
Rumänien
1412
Pakistan
1127
Iran
1000
Slowenien
727
Niederlande
515
Armenien
408
Summe
18459

Total Welt in Betrieb: 450 Anlagen mit 419530 MW Bruttoleistung und 249 TWh netto Gesamt-Stromerzeugung

Tabelle 4: Kernkraftwerke weltweit 2016 in Bau (Quelle DAtF)

China
22411
Russland
5891
Vereinigte Arabische Emirate
5600
USA
5000
Korea Republik
4200
Indien
3300
Japan
2760
Taiwan
2712
Pakistan
2540
Belarus
2388
Finnland
1600
Frankreich
1600
Brasilien
1300
Slowakische Republik
942
Argentinien
29
Summe
62273

Total Welt in Bau: 58 Anlagen mit 62273 MW Bruttoleistung

In den beiden Jahren von 2014 bis 2016 hat sich die installierte Leistung um etwas mehr als 20000 MW, also nur moderat erhöht; zusätzlich sind in den Jahren von 2014 bis 2016 netto ca 10 Anlagen in Betrieb gegangen. Die Anzahl der in Bau befindlichen Kraftwerke nahm von 67 auf 58 ab. Ausblick: Die Problemstellung in einem kernenergiefreien Deutschland wurde schon einleitend beschrieben. Dazu kommt noch die Tatsache, dass Deutschland von Ländern „umzingelt“ ist, die weiterhin auf die Kernenergie setzen; wie Tabelle 3 zeigt, handelt es sich um 77 in Betrieb befindliche Anlagen mit einer Leistung von insgesamt ca 80000 MW in den unmittelbar an Deutschland angrenzenden Ländern; Frankreich baut die Kernenergienutzung sogar noch aus. Dazu ist anzumerken, dass Frankreich erklärt hat, langfristig aus der Kernkraft aussteigen zu wollen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Reaktorkatastrophen mit Kernschmelzen, wie in Fukushima passiert, ist nicht null. Es kann Jahrzehnte (hoffentlich noch länger) dauern, bis ein solcher Fall wieder eintritt; aber es kann auch viel früher dazu kommen. Deutschland muss mit dem Risiko leben, dass nach einem schweren Unfall nicht nur in den Nachbarländern Radioaktivität über Luft und/oder Wasser nach Deutschland gelangt.