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Rückbau von Kernkraftwerken ist fachlich anspruchsvoll
Neue Arbeitsplätze werden geschaffen
Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik
Der Rückbau ist ein Baustein der Energiewende
Bei der deutschen Energiewende geht es in erster Linie um den Aufbau einer umweltverträglichen, versorgungssicheren und bezahlbaren Erzeugungsstruktur. Es wird häufig nicht bedacht oder auch unterschätzt, dass ein bedeutender Baustein des Energieumstiegs die Stilllegung von Kraftwerken welcher Art auch immer ist, wobei dem langwierigen und teuren Rückbau der Kernreaktoren eine besondere Bedeutung zukommt. Im vorliegenden Artikel wird ein Ausblick auf die technischen und wirtschaftlichen Charakteristika des Rückbaus versucht.
Die Geschichte der Kernenergienutzung in Deutschland
Für eine bessere Einordnung, um welche Größenordnung es beim Rückbau geht, werden über den gesamten Zeitraum, in dem es In D Kernkraftwerke (KKW) gibt, Anlagenzahlen, Leistungen, Betriebsdauern genannt und einige Vergleiche gezogen.
Tab 1: Leistung KKW in MW/Anzahl Anlagen (Stand 4/2017; Datenquelle Deutsches Atomforum (DAtF))
In Betrieb | Rückbau (Rb) nach 2011 | Rb vor 2011 | Rb abgeschl | Sicherer | Summe |
11357/8 | 4963/4 | 11085/20 | 147/3 | 308/1 | 27860/36 |
Die Geschichte der Kernenergie in Deutschland weist auch eine „Nullnummer“ auf, die in der DAtF-Statistik fehlt. Dabei handelt es sich um die erste kommerzielle Anlage des „Schnellen Natriumgekühlten Brutreaktors (SNR)“ mit 327 MW Leistung, der in der Zeit von 1973 bis 1985 in Kalkar am Niederrhein in NRW gebaut wurde, der aus Sicherheits- und Strategiegründen (Verzicht auf eine schnelle Brutreaktor-Generation) aber nie in Betrieb ging; die Anlage wurde zwischen 1991 und 1995 rückgebaut, ohne eine kWh Strom erzeugt zu haben; gekostet hat der „Ausflug“ 3,5 Mrd. € (Quelle Wikipedia) – und so sieht es am Standort heute aus.
Seit dem Beginn der „nuklearen Zeitrechnung“ wurden 36 KKW mit einer Leistung von ca 27860 MW gebaut und betrieben. Verglichen mit den im Jahr 2017 in Betrieb befindlichen Kohle- und Erdgas-befeuerten Anlagen von in Summe ca 70.000 MW (Steinkohle 26780, Erdgas 22097, Braunkohle 20840) erscheint auf den ersten Blick die energiewirtschaftliche Bedeutung der Kernenergie relativ gering. Die Leistungsreaktoren werden in der Grundlast betrieben, also jährlich mehr Stunden als alle anderen Typen im Kraftwerkspark; das relativiert die obige Aussage. Leistungsgewichtet liegt die mittlere Betriebsdauer der stillgelegten Anlagen bei 25 Jahren; 7 KKW wurden zwischen 31 und 37 Jahre, 6 weniger als 10 Jahre lang betrieben. Glaubt man den Herstellern, wären mehr Betriebsjahre möglich gewesen.
Von zwei Varianten ist der unmittelbare Rückbau die häufigste Form
Beim unmittelbaren Rückbau erfolgt der Abbau der Anlagen direkt nach Erhalt der Stilllegungsgenehmigung. Ziel ist die Wiederherstellung der „grünen Wiese“ in möglichst kurzer Zeit ohne dass sichtbare und messbare Spuren der Anlage zurückbleiben. Die Machbarkeit des Rückbaus generell ist in Deutschland durch drei abgeschlossene Rückbaumaßnahmen nachgewiesen. Allein die Abkühlung des Brennstoffs vor Ort und dessen Verbringung in die Transportbehälter kann 5 bis 7 Jahre dauern. Der Rückbau der Anlage in 10 bis 15 Jahren und die Beseitigung der restlichen Gebäude sowie die Rekultivierung des Geländes sind die nächsten Schritte.
Die zweite, nach der Statistik nur einmal umgesetzte Variante ist der „sichere Einschluss“. Ziel ist, die Radioaktivität vor Ort sicher einzuschließen und abklingen zu lassen. Dieser Prozess dauert Jahrzehnte, bevor die Anlage mit deutlich geringerem Aufwand rückgebaut werden kann. Im Vergleich zum unmittelbaren Rückbaus dauert diese Variante mit 40 bis 45 Jahren deutlich länger.
Die in Deutschland rückzubauenden Volumina sind groß
Mehr als 99% des radiaktiven Inventars befinden sich in den Brennelementen. Diese werden im ersten Schritt entladen und in eines der Zwischenläger gebracht. Danach beträgt das radioaktive Inventar der Anlage nur mehr um ein Zehntausendstel des ursprünglichen Wertes; diese Restradioaktivität liegt zum größten Teil im Reaktordruckbehälter und seinen Einbauten gebunden vor.
Je nach Reaktortyp und Leistung fallen 160.000 bis 250.000 Tonnen Material an; ca. 97% davon werden in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt; Bauschutt wird konventionell deponiert. Zum Beispiel liegt der radioaktive Materialanteil eines 1200 MW Druckwasserreaktors bei ca. 4000 Tonnen; nach Abtransport der Brennelemente handelt es sich dabei um schwach- bis mittelradioaktives Material. Die Kosten für den Rückbau tragen die Betreiber; sie variieren zwischen 500 und 1000 Mio. €, wobei die Kraftwerksgröße, das Alter und die Betriebsstunden die dominierenden Kostenfaktoren sind.
Das KKW Stade (672 MW, Betrieb 1972-2003) wurde in 4 Phase rückgebaut: 1. Abbau nicht mehr benötigter Systeme im nuklearen Kontrollbereich; 2. Abbau Primärkühlmittelleitungen, Pumpen, Dampferzeuger; 3. Abbau Reaktordruckbehälter mit Kerneinbauten und Betonabschirmung; 4. Abbau der im Kontrollbereich verbliebenen Systeme und Komponenten. Der Rückbau ist noch nicht abgeschlossen.
In Deutschland sind Fachleute (noch) in ausreichender Anzahl verfügbar
Ein hoher Grad an Fachwissen über den Rückbau von KKW ist insbesondere in Deutschland vorhanden – wie bereits erwähnt, haben 3 Anlagen bereits den Status grüne Wiese erreicht; bei einigen KKW ist der Rückbau weit fortgeschritten. Diese Fachleute arbeiten in der Regel bei den Eigentümern der rückzubauenden KKW, bei den Kraftwerksherstellern sowie bei Unterlieferanten; ergänzend sei die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) erwähnt, die für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle zuständig ist.
Zu Personalaufwand, Dauer und Kosten – ein Beispiel
Das KKW Obrigheim, ein Druckwasserreaktor mit einer elektrischen Leistung von 357 MW, wurde im Jahr 2005 nach 37 Betriebsjahren stillgelegt. Der Rückbau begann 2008 und soll 2018/2020 abgeschlossen sein; die Kosten werden auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag geschätzt. Einige Jahre vor dem Abschluss der Arbeiten waren rund 180 Mitarbeiter des früheren Betreibers Energie Baden Württemberg (EnBW) und weitere 145 Mitarbeiter aus Fremdfirmen vor Ort.
Rückbau des nuklearen Bereichs – ein Leitfaden zur Umsetzung
Für einen erfolgreichen Rückbau des nuklearen Bereichs (Kontrollbereich) der Anlage genauso wie für den konventionellen Teil sind vor allem folgende Kenntnisse unverzichtbar:
- Die Statik der Struktur – dabei helfen vor allem die während des Baus erstellten Konstruktions- und Auslegungsunterlagen
- die während der Lebensdauer vorgenommenen Änderungen
- die Festigkeitswerte der verwendeten Baustoffe
- die für den Rückbau zusätzlich vorgesehenen, auf der alten Struktur zu errichtenden Lasten wie Gerüste, Arbeitsflächen, Trennwände (zur Luftzirkulation) und Hebezeuge
- die zusätzlichen Lasten neuer Bauwerke, z. B. für die Lagerung radioaktiver Stoffe und deren Tragfähigkeit
- Maßnahmen gegen die Ausbreitung radioaktiver Kontamination sowie dessen Messung/Beseitigung bzw. Reduzierung.
- in der Regel wird die Struktur stückweise abgetragen und aus der Anlage abtransportiert. Auch dabei ändert sich die Tragfähigkeit der Reststruktur, weshalb ein besonderes Augenmerk der Statiker auf diese transiente Phase zu richten ist.
Unter Berücksichtigung obiger Erkenntnisse ist die Schrittfolge der einzelnen aufeinanderfolgenden Tätigkeiten (Aktionsplan) zu erarbeiten; die Genehmigungsbehörde ist einzuschalten. Nach Typ (Druck- oder Siedewasserreaktor) unterscheiden sich die Abläufe aufgrund der Bauweise stark, aber auch innerhalb der beiden Typen gibt es Abweichungen von Anlage zu Anlage.
Rückbau von Kernkraftwerken - Ein Ausblick
Der Rückbau von Kernkraftwerken hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und weltweit das Potential, sich zu einem beachtenswerten Geschäftsfeld zu entwickeln. Den Personalbedarf bis 2025 schätzt man europaweit auf zweitausend Fachleute – nicht viel, aber in den Jahrzehnten danach aufgrund der zunehmenden Anzahl von Rückbauprojekten mit steigender Tendenz. Dazu kommt noch pro Projekt eine Restmannschaft von beträchtlicher Größe. Auch muss man berücksichtigen, dass dieses Personal auch für den Abriss anderer Kraftwerkstypen bestens qualifiziert ist. Wer zuerst am Heimatmarkt ist, hat auch international gute Karten.
Das in den nächsten Jahrzehnten für den kerntechnischen Rückbauanteil benötigte Fachwissen muss in Theorie und Praxis vermittelt werden; in der Regel wird dabei auf kerntechnische Studiengänge aufgebaut. In Deutschland hat das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ein Kompetenzzentrum „Rückbau von KKW“ gegründet; zu den in Aufbau befindlichen zentralen Themen an einigen Instituten bzw. Lehrstühlen zählen theoretisches als auch praktisches Wissen zum Beispiel über neue Abriss-Techniken, radiologische Bestimmung/Beseitigung von Kontamination an Bauteilen sowie Strahlenschutz-Maßnahmen; dieses Vorgehen hat schon und wird noch auf andere Lehrangebote ausstrahlen. Auch in Europa wird eine European Decommissioning Academy (EDA) mit einem Studienabschluss an technischen Universitäten mit theoretischer und praktischer Ausbildung eingerichtet.