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Verkehrswende auf dem Land
19.10.2023
Smarte Mobilitätsangebote, wie Rufbus, Sharing oder autonome Shuttles stehen in den ländlichen Regionen nur vereinzelt zur Verfügung. Wie müssen Mobilitätskonzepte neu gedacht werden, damit sie auch auf dem Land funktionieren? Darüber haben wir mit unserem Smart Mobility Experten, David Gordon, im nachfolgenden Interview gesprochen.

David, wie sind Deine persönlichen Erfahrungen mit der Mobilität auf dem Land?
David Gordon: Also, meine Erfahrungen im ländlichen Raum kommen vor allem aus meiner Kindheit. Ich bin am Chiemsee aufgewachsen, eine wunderschöne Region im Kernland von Oberbayern. Aber ich habe eben die Erfahrung gemacht, die viele kennen: Der Bus kommt drei bis vier mal am Tag und manchmal auch gar nicht, und man weiß nicht, warum. Demnach habe ich die Mobilität auf dem Land eigentlich mit dem Auto kennengelernt.
Mobilität hat sich gerade auch in der Pandemie verändert. Wie nimmst Du das wahr?
David Gordon: Also, die Covid-Pandemie hat natürlich eine zentrale Änderung hervorgebracht. Die Leute arbeiten jetzt mehr von zu Hause. Das bedeutet nicht automatisch, dass alle aufs Land ziehen. Aber es gibt mehr Möglichkeiten als früher, seine Arbeit anders einzuteilen - und das hat schon auch dazu geführt, dass dieser extreme Zuzug in die Städte ein bisschen zurückgegangen ist und sich mehr Möglichkeiten auf dem Land eröffnen. Das führt aber direkt zur nächsten Frage: Wie kommen diese Leute dahin, wo sie hin möchten? Also, zur Arbeit, in die Stadt, oder zum Einkaufen? Ja, und perspektivisch müssen wir uns wirklich darüber Gedanken machen, wie wir in einzelnen Regionen, wo es durchaus mal zu viel Verkehr kommt - auch saisonal - neue Konzepte entwickeln können. Also, da gibt es nicht zuletzt durch die Pandemie auch neue Ansätze.
Ändert sich nur das Nachfrageverhalten bzw. wie ist die Erwartungshaltung?
David Gordon: Natürlich geht man mit einer anderen Erwartungshaltung rein, wenn man z. B. in den letzten Jahren in einem Mobilitätssystem unterwegs war, wo ich davon ausgehen kann, dass alle fünf Minuten irgendein Verkehrsmittel kommt. Sei es Tram, Bus oder U-Bahn. Aber man darf es nicht so beschränken auf die Leute, die z. B. von der Stadt aufs Land ziehen, sondern auch auf dem Land ist das klassische Bedürfnis, ein eigenes Auto zu haben, gar nicht so gegeben. Also, ich glaube, wenn man über ländliche Mobilität spricht, sind einige Dinge ganz wichtig: Erstens, es wird nie darum gehen, das Auto zu ersetzen. Das Auto hat einfach auch viele, viele Vorteile, die im ländlichen Raum ganz wichtig sind, und da ist natürlich die sofortige Verfügbarkeit und damit auch der Komfort ausschlaggebend. So eine Mobilitätsoption zu haben, das werden wir nie ersetzen können. Aber im Umkehrschluss bedeutet das nicht, dass jeder immer mit dem Auto unterwegs sein will oder auch kann. Es gibt Menschen, die können nicht mehr Auto fahren, es gibt Menschen, die können es sich nicht leisten
Oder Menschen, die noch zu jung sind…
David Gordon: Genau, das ist auch ein wichtiger Punkt. Ganz klassisch so im Alter von 18 Jahren macht man den Führerschein. Da beginnt die große Freiheit – davor fahren entweder die Eltern oder man fährt mit dem Rad. Das macht mal mehr, mal weniger Spaß. Also, wir sehen, es gibt Gruppen, die einfach für Automobilität erstmal nicht in Frage oder nicht mehr in Frage kommen, aus den verschiedensten Gründen. Und selbst dann gibt es vielleicht Menschen, die sagen, ich will eigentlich nicht jede Strecke mit dem Auto zurücklegen. Und genau da wird es interessant, Angebote zu schaffen, die in eine andere Richtung führen.
Aber wie verhält es sich die Verkehrswende im ländlichen Raum?
David Gordon: Wenn es um Verkehrswende geht, dann wird in der Regel erst mal an die Stadt gedacht. Warum? Weil da der Druck natürlich erst mal größer ist, Alternativen zum Auto zu schaffen, weil die Städte in der Regel unter der Woche voll mit Pendlern sind, die im Stau stehen.
Auf dem Land ist das nicht so offensichtlich, aber auch da ist es so, wenn ich mir eine Region anschaue, die viele Urlauber oder Wochenendtouristen anzieht, z. B. das bayerische Oberland, dann sieht das auch so aus, dass ich in einzelnen Peaks sehr, sehr viel Verkehr habe, und dann bin ich relativ schnell bei einer ähnlichen Problemlage. Das bedeutet: Ja, der Fokus ist ganz stark auf die Stadt gerichtet, auf dem Land gibt es aber viele Gründe, warum ich auch anders darüber nachdenken muss. Jetzt habe ich nur ein Problem: Die Situation ist doch letztlich eine andere, weil wir nicht so viele Menschen haben, die auf engem Raum wohnen, und für viele Smart Mobility Angebote, wie z. B. Carsharing oder die viel diskutierten Scooter, brauchen die Anbieter viele Menschen auf kleinem Raum, damit sie möglichst viele Menschen mit ihrem Angebot erreichen.
Kann man die Elektromobilität mit der Verkehrswende gleichsetzen?
David Gordon: Meiner Meinung nach nicht…. die E-Antriebswende ist ganz wichtig. Wir haben ja vorhin schon gesagt, das Auto wird immer einen wichtigen Part auf dem Land spielen. Es ist natürlich wichtig, dass ich in Zukunft eine andere Antriebsform habe als ein Verbrennungsmotor bzw. einfach eine klimaneutrale. Da ich aber nicht davon ausgehen kann, dass jeder Mensch immer und überall mit dem Auto unterwegs sein kann und will und wir natürlich auch in bestimmten Regionen vielleicht mal an Grenzen kommen, was die Ladeinfrastruktur angeht. Grundsätzlich kann natürlich überall eine Ladesäule aufgebaut werden, aber in einzelnen Regionen ist dann auch die Netzauslastung ein Thema. Das heißt, wir müssen uns wirklich ganz genau darüber Gedanken machen, wie in Zukunft auch auf dem Land der “modal split”, also der Anteil der einzelnen Verkehrsträger insgesamt an den Strecken, die die Leute zurücklegen, aussehen soll?
Also, ist ein moderner Bus mit einem Verbrenner die bessere Wahl als 40 oder 50 E-Fahrzeuge?
David Gordon: Das ist eben der Punkt: Was bringt mir Vorteile? Ist es der öffentliche Nahverkehr? Ist es die individuelle Mobilität mit dem eigenen Auto? Und ja, auch da kann es unter Umständen mal mehr Sinn machen, wenn die Busse immer voll ausgelastet sind. Aber da kommt es dann ganz spezifisch auf Einzelfälle an, wie es in der jeweiligen Region aussieht. Da haben ganz viele Leute schon verschiedenste Rechnungen angestellt, und das ist wirklich eine Einzelfallentscheidung dann.
Welche Chancen und welche Herausforderungen liegen in der Mobilitätswende?
David Gordon: Also, da gibt es verschiedene Ebenen, wenn man diese Frage beantwortet. Die eine kommt von den Bürgerinnen und Bürgern selber, und da gibt es wirklich mittlerweile eine Reihe an Studien und Umfragen, bei denen ganz klar rauskommt: Die Menschen am Land möchten auch diese alternativen Formen der Mobilität. Aber allein das ist schon ein Punkt, auf dem man sich gar nicht unbedingt einigen kann. Also, ich kenne z. B. eine Kommune im Süden von München, sehr schön an einem See gelegen, die gerade über die letzten Jahre ein On-demand Rufbussystem ausprobiert haben; die Bürger konnten über eine App oder auch per Anruf eine Fahrt bestellen, von der eigenen Haustür bis zum Supermarkt und zurück. Die Bürger finden das ganz toll, der Gemeinderat fand das eher nicht so toll und wollte eher wieder das normale Linienbussystem. Ein Bürgerentscheid hat dann aber ergeben, mit dem Rufbus weiterzumachen. Wir sehen an diesem Beispiel aber, dass es durchaus noch eine große Diskussion darüber gibt, ob es tatsächlich notwendig ist, eine gute Alternative zum Auto zu haben.
Ein weiterer Punkt ist, gibt es denn Gelder, die den Kommunen dabei helfen, diese Lösungen an den Start zu bringen? Denn es braucht in der Regel immer ein Investment von Seiten der Kommunen, zumindest, wenn es auch um technisch kompliziertere Lösungen geht. Dabei haben wir noch nicht über regulatorische Rahmenbedingungen gesprochen. Es gibt ja in Bayern viele Projekte mit autonomen Shuttles, also selbstfahrende Kleinbusse für bis zu sieben Personen, um eine andere Form der Mobilität hinzubekommen. Das sind aber Pilotprojekte.
Und auch da kann die Regulatorik einen Strich durch die Rechnung machen, richtig?
David Gordon: Richtig. Da kommen wir dann gleich zum nächsten Punkt, denn wer fährt denn die ganzen Busse, egal ob Linienbus oder Rufbus, auf dem Land? Das Problem Fachkräftemangel ist hier auch ganz, ganz groß. Was man hier einfach auch wieder sieht, ist, dass Mobilität complex ist, sie betrifft jede Person, nahezu jeden Tag, und dementsprechend ist es auch immer was, wo neben der Regulatorik, neben den finanziellen Möglichkeiten und den technischen Möglichkeiten einfach noch eine gesamtgesellschaftliche Komponente mit reinspielt, wo Leute sich einfach einig werden müssen, was sie gerne machen möchten.
Gibt es schon Best Practices von denen wir lernen können?
David Gordon: Ja, wir arbeiten ja z. B. in einem EU Projekt, wo es um Mobilitätsstationen geht und wo man Shared Mobility-Angebote bündelt. Beteiligt sind größere Städte, wie Amsterdam, aber auch kleine Kommunen. In Frankreich ist z. B. in der Nähe von Paris eine Stadt mit ca. 12 000 Einwohnern dabei, die das Problem hat, keinen Anbieter für Carsharing oder Leihräder zu finden, weil sie einfach nicht genug potenzielle Kundinnen und Kunden haben. Das heißt, diese Problemstellung ist - zumindest, wenn man sich Europa anschaut - relativ ähnlich. Selbiges gilt auch für autonome oder automatisierte Fahrfunktionen. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass das oft ausgehend von der EU Gesetzgebung dann in einzelnen Ländern umgesetzt wird, aber auch da kommt man im Moment über diesen Pilotprojekt-Status noch nicht hinaus. Ich glaube, das wird für die nächsten zwei bis drei Jahre auch erst mal dabei bleiben. Es kann sein, dass größere Städte anfangen, das auszuprobieren, und wir wissen auch aus der Vergangenheit, dass dann ein Lerneffekt entsteht. Also, wenn eine genügend große Anzahl an Kommunen sowas mal ausprobiert hat, dann lernen die Kommunen, aber auch die Anbieter, und man kommt langsam in die Richtung, dass auch außerhalb des Pilotprojekts neue Konzepte anwenden können.
Wie ist Eure Erfahrung aus den Pilotprojekten? Ziehen die Leute sofort mit?
David Gordon: Tatsächlich ist das gar nicht so leicht abzubilden. Wir haben zum Beispiel gesehen, wenn ich Shared Mobility Angebote irgendwo einbringe, dann ist das erstmal noch nichts, wo die Leute sagen, jetzt gebe ich sofort meinen Zweitwagen beispielsweise ab - und darum geht es ja oft, dass man überhaupt mal das zweite Fahrzeug vielleicht ersetzen kann. Man muss vielmehr einen bestimmten Zeitpunkt erwischen, also zum Beispiel, wenn bei einem Auto das Leasing ausläuft oder wenn einfach eine Altersgrenze erreicht ist. Dann ist so ein Moment, wo ich mit einem guten Angebot, das die Leute kennen und ganz schnell verstehen und anwenden können, eine Änderung herbeiführen kann.
Schauen wir auf autonome Shuttles, haben sich Berührungsängste nicht bewahrheitet. Es gibt z. B. ein Projekt in Bad Birnbach in Niederbayern, das jetzt in der dritten Projektphase ist. Es läuft seit mehreren Jahren und wird von Kindern bis hin zu Personen von 80 Jahren und älter genutzt.
Die Frage ist eher, wie kriegen wir Finanzierungsmodelle hin? Wann ist die Technik so weit, dass wir wirklich auch ohne Sicherheitsperson fahren können, und kommt da die Regulatorik dann an der richtigen Stelle, am richtigen Zeitpunkt mit.
Aber es zahlt sich sicher aus, einfach mal den Versuch zu starten.
David Gordon: Absolut, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es hängt wirklich von den Leuten vor Ort ab. Wenn ich in der Kommune oder im Landkreis jemanden habe, der sagt, ich finde das total wichtig, und wir wollen das für unsere Bürgerinnen und Bürger machen, dann ist da auch was möglich, weil man sich dann durch Förderrichtlinien und andere Möglichkeiten durcharbeiten muss. Aber es funktioniert.
Wie kannst Du als Smart Mobility Experte helfen?
David Gordon: Wir haben ein großes Netzwerk an wichtigen Stakeholdern Wirtschaft, Wissenschaft und der öffentlichen Hand und können so die richtigen Kontakte vermitteln. Wenn zum Beispiel eine Kommune sagt, wir finden das spannend, und wir wollen jetzt ein Projekt an den Start bringen, dann können wir einige Firmen vermitteln, die da vielleicht mit ihren Lösungen helfen können oder Kontakt zu anderen Kommunen herstellen, die sowas vielleicht mal ausprobiert haben. Die Wissenschaft spielt hier einfach eine wichtige Rolle, weil wir im Moment noch in der Erprobung sind, damit man dann das Ganze auch auf solide Füße stellt. Das ist, glaube ich, in dem Bereich wirklich das zentrale Angebot, und ansonsten versuchen wir natürlich auch immer, Neuerungen, technische Innovationen an unsere Netzwerk weiter zu geben.
Wie schaut Mobilität im ländlichen Raum im Jahr 2045 aus?
David Gordon: Wir haben gelernt, dass es gerade bei der Mobilität immer anders kommt, als man denkt, wenn wir über Zukunft sprechen. Aber ich glaube schon, dass wir diese Lösungen, über die wir heute gesprochen haben, flächendeckend in der Anwendung sehen werden. Wir sind im Moment in der ganz spannenden Phase, wo viel ausprobiert wird. Und ich denke, wir werden es im ländlichen Raum in 20 Jahren vielleicht so sehen, dass das Auto immer noch eine große Rolle spielt, aber dass ich, gerade was On-demand angeht, tolle Angebote haben werde, und ich habe die große Hoffnung, dass auch die Tarife so einfach wie möglich sein werden.
Vielen Dank für Deine interessanten Einblicke, David.
Mobilität auf dem Land: Wie von A nach B kommen?
Smarte Mobilitätsangebote wie Rufbusse, Carsharing oder autonome Shuttles stehen in ländlichen Regionen nur vereinzelt zur Verfügung. Wie müssen Mobilitätskonzepte neu gedacht werden, damit sie auch auf dem Land funktionieren? Darüber spricht Christoph Raithel mit dem Smart Mobility Experten David Gordon.
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