Blockchain für Mobilität

Es gibt kaum einen Tag ohne Pressemeldungen über die Blockchain-Technologie. Mal ist es ein schadenfreudiger Bericht über den Absturz einer Kryptowährung, mal wird Blockchain als Rettung der Privatsphäre im Internet hoch gelobt. Irgendwo zwischen „wir haben immer gewusst, dass das nichts wird“ bis „Blockchain wird uns das Internet retten“ liegt die tatsächliche Wahrheit: Blockchain ist eine interessante Technologie, die spannende Einsatzbereiche öffnet, aber weder  Hype noch Verteufelung verdient hat.

Weder Fluch noch Segen! Wer Blockchain-Anwendungen nutzen möchte, muss einige Punkte beachten. (Bildnachweis: iStock@NicoElNino)

Was ist Blockchain?

Was ist überhaupt Blockchain ? Und wieso ist sie im Bereich Automotive und Mobilität interessant?

Blockchain ist eine Form von Datenspeicherung und somit grundsätzlich eine Datenbank. Die Daten, die darin gespeichert sind, werden in Blöcke unterteilt, die wiederum in einer Reihe (die „Kette“) aneinandergehängt werden. Hier liegt der Ursprung des Namens „Blockchain“: eine Kette von Blöcken.

Schematisches Beispiel für ein kryptographisches Verfahren (Bildnachweis: Bayern Innovativ) Kryptographische Verfahren aus der IT-Sicherheit sorgen dafür, dass einmal geschriebene Blöcke nicht mehr geändert werden können. Die Daten in einem Block werden durch eine sogenannte „Hash Funktion“ zusammengefasst. Dabei wird die Zusammenfassung eines Blocks an den Anfang des Folgeblocks kopiert, wodurch sie zum Dateninhalt des Folgeblocks gehört. Wenn der Folgeblock anschließend zusammengefasst wird, wird auch der erste Block in das Ergebnis miteinbezogen usw.

Sollte jemand versuchen, die Daten in einem Block nachträglich zu ändern bzw. zu verfälschen, wird die Zusammenfassung der Hash-Funktion des Blocks einen anderen Wert erhalten als die, die in dem Folgeblock schon geschrieben ist. Daher müsste man den Folgeblock auch ändern, um seine „falsche“ Zusammenfassung hineinzukopieren und dann eine neue Zusammenfassung des Folgeblocks zu erstellen. Man müsste quasi alle Blocks der gesamten Kette anpassen und umschreiben. Hier kommt die Verteilung, ein zweiter wichtiger Aspekt von Blockchain, hinzu.

Die meisten Datenbanken und Anwendungen werden heute „zentral“ verwaltet. Blockchain-Anwendungen dagegen sind verteilt: Die Daten und Anwendungen werden dezentral über mehrere Rechner verteilt, die die alleinige Hoheit über die Daten besitzen. Sobald Daten über mehrere Rechner oder Organisationen verteilt sind, besteht die Gefahr, dass die unterschiedlichen Kopien der Daten unterschiedliche Versionen oder Datenstände haben. Um dies zu vermeiden, läuft ein „Konsens“-Verfahren zwischen allen Teilnehmern im System, in dem entschieden wird, welcher von mehreren Datenständen der „Richtige“ ist. Sehr vereinfacht kann man sich das Verfahren wie eine Wahl vorstellen, da jeder Teilnehmer für einen Datenstand abstimmt. Der Datenstand, der die meisten Stimmen gewinnt wird als die Wahrheit (™) von allen angenommen.

Sollte jemand versuchen, Daten zu fälschen, muss er nicht nur seine Version der Kette komplett neu ausrechnen, sondern auch das Konsensverfahren manipulieren, um die Mehrheit der Stimmen für seinen neuen Datenstand zu gewinnen.

Welche Blockchain-Anwendungen sind sinnvoll?

Die erste Generation der Blockchain-Anwendungen sind „Kryptowährungen“, mit Bitcoin als prominentestes Beispiel. In einer Blockchain werden finanzielle Transaktionen, wie Überweisungen, protokolliert. Neben finanziellen Transaktionen kann man eigentlich alle Güter, die irgendwie digitalisierbar sind, in einer Blockchain speichern. Beispiele hierfür sind Grundbucheinträge, die in einer Blockchain den Eigentumsübergang als Transaktionen speichern oder die lückenlose Protokollierung der Lieferkette vom Bauernhof bis in den Einkaufswagen.

Sechs Blockchain-Anwendungen in der Mobilität

1. Zahlsysteme für autonome Autos

Wie auch in anderen Branchen liegt in der Automotive-Branche der Fokus auf finanziellen Anwendungen. Wenn digitale Überweisungen automatisiert werden, können Autos zukünftig selbst Dienste wie Parking oder Aufladen bezahlen.

2. Parking

Als Pilotprojekt entwickelt trive.me, eine Tochtermarke der Firma EDAG Engineering GmbH, ein Maschine-zu-Maschine-Bezahlsystem für Parkplätze, das anfallende Parkgebühren automatisch berechnet und bezahlt. Auf der Bayern Innovativ-Veranstaltung „IOTA für Automotive“ im Oktober 2018 hat das trive.me-Team ihr Konzept vorgestellt und im Rahmen dieser Veranstaltung weitere Partner für eine gemeinsame Erweiterung gefunden.

3. Platooning

Platooning erlaubt mehreren Fahrzeugen, in erster Linie Lastwagen, als semi-autonome Gruppe zu fahren. Der erste Lastwagen fährt und alle weiteren folgen automatisch in engem Abstand. Mit einem auf Blockchain basiertem Bezahlsystem könnten die Folgelastwagen automatisch dem führenden Lastwagen einen Teil ihrer Kraftstoffersparnisse als Beitrag zum Windschattenfahren überweisen. Das automatische Bezahlen für weitere Dienste, wie z. B. das Aufladen von Elektrofahrzeugen, Zollgebühren oder Versicherungen, befinden sich in Test- oder Pilotphasen.

4. Plattformen

Da der Mehrwert solcher Bezahlsysteme für den Fahrer steigt, je mehr unterschiedliche Dienste damit bezahlbar sind, werden sich Plattformen mit mehreren Dienstanbietern entwickeln und als Vermittler zwischen Anbietern und Kunden fungieren. Ein sehr gutes Beispiel für so eine Plattform ist die Firma ZF Car eWallet GmbH, eine Ausgründung der ZF Friedrichshafen AG. Die ZF Car eWallet entwickelt ein Blockchain-basiertes Transaktions-Netzwerk, das Mobilitätsdienste, Fahrzeuge und Infrastruktur auf einer gemeinsamen Plattform integriert. Das ZF Car eWallet wird im Juni 2019 auf dem Bayern Innovativ Forum EcoSystem HochAutomatisiertes Fahren (EcoSysHAF) vorgestellt.

5. Digitale Zwillinge

Ein „digitaler Zwilling“ ist eine digitale Repräsentation eines echten Objekts, z. B. eines Autos. Der Zwilling beschreibt Eigenschaften und Verhalten des realen Objekts. Simulationen oder Analysen mit dem Zwilling sind in der Produktion (Stichwort: Industrie 4.0) sehr beliebt. Zusätzlich könnte man einen digitalen Zwilling nutzen, um Eigentümerschaft, Reparaturgeschichte und Tachostand eines echten Autos zu protokollieren.

6. Over The Air-Updates

Gerade die Unveränderbarkeit der Blockchain ist für OTA (Over The Air) Softwareupdates interessant. Sie gibt OEMs die Möglichkeit, Softwarepakete direkt vor der Installation auf ihre Originalität hin zu prüfen. Zusätzlich kann eine Protokollierung aller Softwareupdates beweisen, welche Softwareversion zu welchem Zeitpunkt installiert war.

Blockchain-Projekte im Realitätscheck

Obwohl es mehrere interessante Szenarien gibt, ist Blockchain nicht unbedingt die optimale Lösung aller Probleme. Trotz des Hypes um Blockchain als „eierlegende Wollmilchsau“ werden viele Anwendungen besser mit bestehenden IT-Lösungen, wie SQL-Datenbanken und Web-Benutzeroberflächen, bedient.

Es gibt inzwischen sehr viele gescheiterte Blockchain-Pilotprojekte, die den Ruf der Technologie schädigen. Eine Studie von Boston Consulting Group und Cisco ( Referenz ) hat gezeigt, dass weniger als 25 % der Blockchain-Projekte es schaffen, die Proof-of-Concept-Phase abzuschließen. Die Gartner 2019 CIO-Umfrage fand heraus, dass nur 5 % der CIOs Blockchain als bahnbrechend für ihre Geschäft sehen ( Referenz ). Es sollte daher gut überlegt werden, ob Blockchain wirklich eine passende Lösung ist.

Blockchain passt am besten, wenn:

  • man nur testen und Erfahrungen sammeln möchte, ohne ein konkretes Problem optimal lösen zu müssen.
  • die Datenbank von vielen weiteren Akteuren geteilt  wird und mehrere Akteure direkt in die Datenbank schreiben müssen.
  • es kein oder wenig gegenseitiges Vertrauen zwischen den Akteuren gibt.
  • es keinen vertrauten Zwischenhändler/Vermittler gibt.
  • eine unabhängige Plattform ohne Zwischenhändler erwünscht ist.
  • eine komplett dezentralisierte Lösung angestrebt wird.

Es sind nicht ausschließlich technische Anforderungen. Möglich wäre auch, dass sich mehrere Unternehmen eine gemeinsame Datenbank wünschen, aber keines die alleinige Verantwortung für Betrieb und Pflege dieser Datenbank übernehmen will. Hier könnte eine gemeinsame Blockchain-Datenbank aufgebaut werden, die sie gemeinsam pflegen.

Wie sicher ist die Blockchain?

Die Sicherheit der Blockchain basiert auf zwei fundamentalen Aspekten, die nur zusammen für ihre Sicherheit sorgen:

  • Kryptographische Verfahren sind heute als „sicher“ einzustufen. Jedoch wird die Zukunft neue Rechenleistungen bringen, mit denen die Kryptographie nicht Stand halten werden wird. Insbesondere Quantencomputer stellen eine große Gefahr dar.
  • Erfolgreiche kriminelle Angriffe gegen den Konsensprozess beweisen, dass es doch möglich ist, eine Blockchain zu manipulieren ( Referenz ).

Blockchain: Vorteile vs. Nachteile

Wie jede Technologie hat die Blockchain Vor- und Nachteile, die man abwägen muss. Es lohnt sich definitiv einfache Projekte zu starten, um Erfahrungen zu sammeln und betriebsinternes Wissen aufzubauen. Zuvor sollte man überlegen:  Wie viel Vertrauen haben Sie in Ihren Geschäftspartner? Gibt es eine zentrale Stelle, die als vertrauter Mittelsmann agieren kann?

  • Gibt es eine existierende Technologie, die die Anforderungen besser erfüllt?
  • Wer sind die Kunden: Menschen? Maschinen? Autos?
  • Wer hat die Kontrolle über die Dienste für diesen „Kunden“?
  • Finden Sie einen Business Case oder neues Business Model, das die Vorteile von Blockchain optimal ausnutzen kann?
  • Hat Ihre Firmenkultur die nötige Geduld, sehr lange auf ROI zu warten?

Wenn Sie einen Business Case finden, zu dem Blockchain gut passt, dann sollten Sie starten! Wenn nicht, behalten Sie das Thema für die Zukunft im Auge.

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Kimberley Parsons Trommler

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