Von der Dampfmaschine zum Produktionsroboter: Produktion im Wandel

30 Jahre Produktion: Industrie, Wandel, Visionen

22.12.2025

In einer bayerischen Produktionshalle fährt ein Werkstück selbstständig zur nächsten Station, Sensoren messen in Echtzeit jede Abweichung und eine KI schlägt bereits die optimale Einstellung vor. Das sind Technologien, die vor 30 Jahren noch Zukunftsmusik waren und heute Realität sind. Seit drei Jahrzehnten begleitet das Innovationsnetzwerk Produktion von Bayern Innovativ diesen Wandel: von ersten digitalen Ansätzen bis hin zu vernetzten Maschinen, Datenökosystemen und KI-gestützten Prozessen. Wie sich die Produktionslandschaft verändert hat und welche Chancen sich daraus für Unternehmen ergeben, darüber spricht Dr. Maximilian Bock, Leiter des Innovationsnetzwerks Produktion im nachfolgenden Interview.

Was fasziniert Sie am Thema Produktion?

Dr. Maximilian Bock: Ich darf mich schon seit meinem Studium, mittlerweile seit über 10 Jahren, mit Produktionstechnologien beschäftigen. Was mich schon immer fasziniert hat ist, dass die Produktion ein ziemlich komplexes Gebiet ist. Wir denken heute viel in Digitalthemen, aber sehr viele Dinge, die uns umgeben, müssen trotzdem immer noch hergestellt werden. 
Das Smartphone beispielsweise mag ein digitales Werkzeug sein, aber es in großer Stückzahl und gleichbleibender Qualität herzustellen, ist am Ende gar nicht so einfach. Denn die Produktionsmethoden, die dahinterstehen, die unterschiedlichen Materialien zu verarbeiten und das Ganze zu einem funktionierenden Produkt zusammenzufügen, das wir erschwinglich kaufen können, das ist wirklich kompliziert. Und das fasziniert mich.
Wir in Bayern sind ein Industriestandort. Wir haben viele Firmen, die sich mit Produktion beschäftigen, wie auch viele Hochschulen und spannende Start-ups in dem Umfeld. Das ist im Kontext der Produktion ein sehr spannendes Ökosystem.

Welche Innovationen im gesamten Produktionsumfeld waren der größte Wendepunkt?

Dr. Maximilian Bock: Wir sprechen im Kontext Veränderungen im Bereich Produktion häufig über die vier großen industriellen Revolutionen.
Die erste wurde ausgelöst durch die Dampfmaschine, die ein großes Effizienzpotenzial mit sich gebracht hat.
Die zweite durch das Fließband und die Elektrifizierung.
Die dritte Revolution durch die Automatisierung und damit die Möglichkeit, Maschinen elektronisch zu steuern.
Die vierte Revolution hat aus meiner Sicht die zentrale Veränderung in den letzten 30 Jahren ausgelöst. Die Möglichkeit, auf Basis des Internets Maschinen zu vernetzen, hat zu sehr großen Veränderungen geführt. Wir sprechen heute auch in der Produktion darüber, dass wir Künstliche Intelligenz einsetzen und auf Basis von Daten Prozesse optimieren. Das war sicherlich vor 20 Jahren noch undenkbar. Es mag auch heute noch nicht in allen Produktionsbetrieben in der Breite eingesetzt werden, aber es ist trotzdem heute schon an einigen Stellen Realität.

Warum war die Industrie 4.0 eines der zentralen Erfolgsthemen der letzten Jahre?

Dr. Maximilian Bock: Ich durfte mich schon zu den Anfängen der Industrie 4.0 mit dem Thema beschäftigen. Ich habe 2014 meine Masterarbeit in dem Themenfeld geschrieben. Es gab damals noch nicht viel Handfestes zu dem Thema, außer ein Umsetzungspapier, das einige schlaue Köpfe geschrieben hatten. Seitdem ist doch sehr viel passiert, auch wenn manche vielleicht sagen, dass die Entwicklung hätte schneller voranschreiten sollen.
Damals gab es viele konzeptionelle Überlegungen. Was ich spannend finde, ist, dass zu Beginn viele Firmen sich zunächst für sich selbst mit dem Thema beschäftigt haben und überlegt haben, was die vernetzten Maschinen und Daten für sie tun können. Beispiele hierfür waren interne Optimierungen der Produktionsprozesse.
Dabei hat man aber schnell festgestellt, dass die Firmen allein für sich auf Basis der Konzepte gar nicht so viel Wertschöpfungspotenzial realisieren können, weil man in einem komplexen Wertschöpfungsnetzwerk agiert. Die Datennutzung entfaltet beispielsweise erst ein großes Wertschöpfungspotenzial, wenn man auch Informationen von anderen nutzt.
Ich kann meinen eigenen Produktionsprozess betrachten. Zum Beispiel bei der Spritzgussmaschine, mit der man Kunststoffteile fertigt, kann man versuchen auf Basis von Parametern, die ich in der Maschine erfasse, den Prozess zu optimieren. Wenn ich in dem Kontext aber keine Informationen über das Eingangsmaterial habe, ist es deutlich schwieriger, den Produktionsprozess dann wirklich zu optimieren, weil es dort auch Unterschiede geben kann.
So ist es auch, wenn sich das Material innerhalb einer bestimmten Toleranz bewegt. So hängen dann eben doch viele Produktions- und Fertigungsprozesse, die in unterschiedlichen Organisationen stattfinden, bei denen am Ende dann ein Produkt rauskommt, sehr stark zusammen. All das im gesamten zu optimieren, funktioniert nur unternehmensübergreifend und das finde ich sehr spannend. Da hier eben auch mit der Zeit eine Veränderung in der Wahrnehmung stattfand.

Unternehmen wurden offener, ihre eigenen Daten aus der Produktion mit anderen zu teilen. Gab es hierbei Hindernisse?

Dr. Maximilian Bock: Es gibt schon viele Vorbehalte, die in Teilen sicherlich auch begründet sind. Ich glaube, das Wichtige ist, dass wir in unserer Rolle als Bayern Innovativ immer dafür sensibilisieren, was zum Beispiel ein realistisches Wertschöpfungspotential ist, wo die Hürden in der Umsetzung sind und wo tatsächlich Risiken liegen.

"Mit Initiativen wie Manufacturing-X zeigt sich ein echter Paradigmenwechsel: Weg von isolierten Plattformen hin zu gemeinsamer Technologie und Zusammenarbeit in der Industrie."

Dr. Maximilian Bock
Leitung Produktion, Bayern Innovativ

Also haben sich die Veränderungen in der Produktionslandschaft auch sehr stark auf die Arbeit in dem Innovationsnetzwerk Produktion ausgewirkt?

Dr. Maximilian Bock: Ja genau. Auch wenn es um digitale Produkte geht, nehme ich einen gewissen Paradigmenwechsel wahr. Es gab eine Zeit, da haben viele große Industrieunternehmen versucht, digitale Plattformen aufzubauen und darüber ihre eigenen digitalen Services zu vertreiben. Das hat zu einer Landschaft mit sehr vielen Angeboten geführt, was es auch für die Kunden schwierig gemacht hat. Denn nur wenige der Lösungen waren in der Lage auch interoperabel zusammenzuarbeiten..
Und heute hat man mit Initiativen wie beispielsweise Manufacturing-X oder auch anderen Initiativen im Industrieumfeld eine Bewegung, in der man die Probleme gemeinsam auf einer einheitlichen technologischen Basis angehen möchte. 

Haben sich die Kundenanfragen an das Innovationsnetzwerk verändert?

Dr. Maximilian Bock: Wir bekommen heute mehr Anfragen, bei denen es um eine erste Orientierung geht. Wir sehen, dass die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung extrem zugenommen hat und das nicht nur bei uns, sondern auch in vielen anderen Technologiefeldern. Das wird durch die extreme Geschwindigkeit in der Entwicklung der digitalen Technologien angetrieben. Und das macht es heute für viele produzierende Unternehmen extrem schwierig, den Überblick zu behalten. Vor allem für mittelständische Betriebe, die vielleicht keine große Scouting- oder Innovationsabteilung haben.
Wir bieten eine neutrale Orientierung: Welche Technologiefelder gibt es konkret? Wie ist tatsächlich der Status quo? Diese Orientierung bieten wir durch die Expertinnen und Experten in unserem Team und das wird auch nachgefragt.
Auch durch die technologischen Entwicklungen sind immer weniger Firmen in der Lage, die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, alleine zu bewältigen. Und auch das sehen wir an den Anfragen. Es gibt immer mehr Anfragen zu Kontakten in den Themenfeldern, die den Firmen weiterhelfen können, die auch in Richtung eines Erfahrungsaustauschs gehen, weil eben doch die Herausforderungen immer komplexer werden. Besonders wenn es um die Optimierung der eigenen Produktion geht. In der Produktentwicklung wird ebenfalls häufig noch Know-how aus anderen Bereichen benötigt.

Welche Technologien sehen Sie als Schlüssel, um das Themenfeld Produktion weiter voranzutreiben?

Dr. Maximilian Bock: Ich sehe zwei größere Themenfelder, die heute schon wichtig sind, aber sicherlich auch noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.
Das eine ist das Thema Datennutzung im Kontext der Produktion. Ich hatte das Thema Manufacturing-X bereits angesprochen. Es gibt dort unterschiedliche technologische Ansätze, wie Daten ausgetauscht werden können. Aber wir sehen heute, dass schon die Datensammlung, also überhaupt an den Punkt zu kommen, an dem man etwas mit den Daten machen kann, wahnsinnig aufwendig ist. Es gibt viele Firmen, die manuell Daten labeln, also mit Informationen anreichern. Da sitzen Mitarbeitende an einem Schreibtisch, schauen sich Videomaterial an und drücken auf einen Knopf, wenn etwas passiert. Da muss sicherlich noch mehr passieren, dass das auch in der Produktion noch mehr Wert erzeugen kann.
Die andere Seite ist die eher physische Welt in der Automatisierung und auch in der Robotik. Dort sehe ich auch noch ein großes Potenzial, dass in einem größeren Umfang auch Automatisierungs- und Robotik-Technologie in den produzierenden Betrieben eingesetzt wird. Dort entsteht aktuell auch ein großer Markt, um diese Technologien auch jenseits der Produktion einsetzen zu können.

Steht das Label Made in Germany nach wie vor für Qualität?

Dr. Maximilian Bock: Ja. Wir schaffen es heute noch nicht überall das in Produkte zu überführen, aber wir sind immer noch in vielen Bereichen vorne dabei. Beispielsweise beim Thema Robotik, speziell beim Thema Humanoide Robotik. Das beschäftigt gerade viele Leute, weil hier zum Beispiel auch in den sozialen Medien Videos von Robotern kursieren, die in Häusern agieren. Da gibt es heute Technologieanbieter aus den USA und auch aus Asien, die vielleicht einen Schritt weiter sind als wir. Aber die Forschungsinstitute und die Start-up-Welt ist da auch in Deutschland und Bayern an einem sehr guten Punkt. Noch besteht die Chance, dass wir hier auch technologisch in eine Situation kommen, in der wir auf Basis des Wissens, das wir in den Forschungseinrichtungen haben, auch produktseitig noch besser dastehen und diesen Technologievorsprung, den wir vielleicht forschungsseitig in manchen Bereichen noch haben, auch wirklich in diese Produkte Made in Germany überführen können.

Eine abschließende Frage: wenn Sie James Watt, einen der Erfinder der modernen Dampfmaschine, treffen könnten, welche Zukunftsfrage würden Sie ihm stellen wollen?

Dr. Maximilian Bock: Das ist auch etwas, was uns heute beschäftigt. Ich möchte wissen, wie er es geschafft hat, eine breite Akzeptanz für seine Technologie zu schaffen. Die Dampfmaschine war ja, auch wenn sie heute in den Produktionshallen vermutlich keine bedeutende Rolle mehr spielt, irgendwann mal ein zentraler Bestandteil jeder Produktionslinie.
Ich frage mich, wie er das geschafft hat, dass Produktionsprozesse, die vorher manuell durchgeführt wurden oder an anderen Stellen Tätigkeiten auf Dampfkraft umgestellt wurden, eine breite Akzeptanz zu schaffen.
Heute leben wir aus meiner Sicht bei manchen Themen mit zwei Welten. Wir haben diese schöne Zukunftswelt, die in der Wissenschaft vielleicht in Teilen auch schon stattfindet und vielleicht auch teilweise in Fabriken von großen Konzernen. Da fahren fahrerlose Transportsysteme herum und Werkstücke finden selbstgesteuert den Weg und man hat keinen Ausschuss mehr.
In Asien gibt es auch heute schon Fabriken, die defacto dunkel sind, also in denen kein Mensch mehr arbeitet, weil sie zu 100% automatisiert sind. Auf der anderen Seite ist die Realität in vielen mittelständischen produzierenden Betrieben aber schon noch eine andere. Da ist man weit davon entfernt, diese Technologien, die heute schon einen großen Reifegrad erreicht haben, einzusetzen. Das mag daran liegen, dass vielleicht an manchen Stellen Investitionsgelder fehlen oder dass die Implementierung komplex ist. Aber ich glaube auch, dass daran in Teilen vielleicht auch eine gewisse Haltung gegenüber neuen Technologiethemen verantwortlich ist.

Hier versuchen wir als Bayern Innovativ zu helfen, indem wir aufzeigen, was die Technologien tatsächlich können. Wir schaffen eine Übersicht. Wir agieren so, dass wir hoffentlich auch am Produktionsstandort Bayern in eine Situation kommen, in der viele Leute begeistert von den technologischen Möglichkeiten sind und den Mut fassen, auch ihre Produktionsanlagen in eine Richtung zu entwickeln, um auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig hier zu produzieren.

Das Interview führte Dr. Tanja Jovanovic, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Länge der Audiodatei: 00:16:09 (hh:mm:ss)

30 Jahre Produktion: Industrie, Wandel, Visionen (12.11.2025)

Welche bahnbrechenden Innovationen haben die Produktion in den vergangenen drei Jahrzehnten geprägt? Und welche werden sie in Zukunft revolutionieren? Diese und weitere faszinierende Einblicke teilt Dr. Maximilian Bock, Leiter des Innovationsnetzwerks Produktion.
Anlässlich des 30. Firmenjubiläums der Bayern Innovativ GmbH spricht Dr. Tanja Jovanovic mit Maximilian Bock darüber, welche Durchbrüche es gab – und warum die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Start-ups dabei so entscheidend ist.

Ihr Kontakt

Dr. Tanja Jovanovic
+49 911 20671-312
Leitung Marketing & Innovation, Mitglied der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg
Dr. Maximilian Bock
+49 911 20671-179
Leitung Innovationsnetzwerk Produktion, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg