Transformation als Chance verstehen

Mit 208.000 direkt Beschäftigten bildet Bayerns Automobil-, Nutzfahrzeug- und Zuliefererindustrie die Kernstruktur der bayerischen Wirtschaft und schreibt seit Jahrzehnten Erfolgsgeschichte. Trotzdem steht sie derzeit vor einem großen Wandel. Denn die Mobilitätswelt soll künftig multimodal, umweltfreundlich und hoch-digitalisiert sein. Welche Kompetenzen, Ressourcen und Unterstützungsangebote werden in Zukunft benötigt, um diesen herausfordernden Transformationsprozess erfolgreich zu meistern? Darüber spricht im nachfolgenden Interview unser Kollege Dirk Maaß in seiner Funktion als Transformationslotse bei Bayern Innovativ.

Transformation als Chance - Gespräch mit Dirk Maaß
Transformation als Chance verstehen - ein Gespräch mit dem Transformationslotsen Automotive Bayern, Dirk Maaß.


Dirk, ist die Transformation in den Unternehmen bereits angekommen und was verstehen sie darunter?

Dirk Maaß: Grundsätzlich muss man sagen, dass der Begriff Transformation nicht definiert ist. Jedes Unternehmen versteht darunter etwas anderes. Die einen sehen darin den Wandel von der Verbrennungstechnologie hin zur Elektromobilität , die anderen verstehen darunter eher die Digitalisierung der Produktion ; ein verändertes Nutzungsverhalten spielt hier sicherlich auch eine Rolle, z. B. hinsichtlich autonomen Fahren. Das Thema Nachhaltigkeit ist ein ganz großes Thema, das mehr und mehr an Bedeutung gewinnt oder auch Carsharing-Modelle. Das alles spielt in das Thema Transformation hinein.
Das heißt also, eine klassische Wikipedia Definition für Transformation werden wir so nicht bekommen. Große Unternehmen haben dieses Verständnis, kleinere Unternehmen jenes und haben da auch ganz andere Herausforderungen, vor denen sie momentan stehen. Es gibt Firmen, die haben sich schon seit Jahren mit der Transformation beschäftigt, sei es im technologischen Bereich oder hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung. Daneben gibt es Firmen, die noch nicht so weit sind. Für diese Firmen heißt das, sie müssen aufpassen, dass sie nicht überholt werden oder in Turbulenzen geraten. Gerade bei den großen Unternehmen sieht man, dass sie sich da schon sehr viel mit dem Thema beschäftigt haben, viel Geld in neue Produktionsanlagen investiert haben oder neue Geschäftsmodelle, Partnerschaften und Netzwerke angestoßen haben. Eben all das, was man braucht, um sich in der Transformation richtig gut aufzustellen und auch in Zukunft erfolgreich seinen Markt gestalten zu können.

Gibt es Beispiele von Unternehmen, die nicht vom Wettbewerbsdruck getrieben, sondern aus eigenem Antrieb proaktiv die Transformation angehen?

Dirk Maaß: Ja, die gibt es. Hier unterteile ich die Firmen oder Unternehmen gerne in drei Sparten: die Transformationstreiber, die Transformationsgetriebenen und die Transformationswilligen. Transformationstreiber sind diejenigen, die nach vorne gehen. Das können große Unternehmen sein, die komplett neue Sparten aufmachen, das können aber auch Start-ups sein, die mit komplett neuen Ideen auf den Markt kommen und auch den Markt mit beeinflussen. Und dann haben wir die Transformationswilligen , also diejenigen, die sich auch gerne verändern möchten und den Change Prozess mitgestalten möchten, aber nicht genau wissen, wie sie das tun sollen. Hier sind wir als Bayern Innovativ dann unter anderem auch ein guter Ansprechpartner, um entsprechende Impulse zu geben. Der Begriff „Transformationsgetriebene“ sagt es eigentlich schon aus: Ich bewege mich nicht freiwillig von A nach B, sondern werde wie ein Spielball teilweise weggetreten oder weggeschoben. Da muss ich schauen, was kann ich machen, wie kann ich mein Produktportfolio anpassen? Wie kann ich selber auch an neue Geschäftsmodelle kommen? Ich brauche neue Partnerschaften, neue Netzwerke, wahrscheinlich auch neue Lieferketten. Das sind alles Riesenaufgaben, gerade für KMU oder kleinen Unternehmen.

Wie macht man denn Unternehmen fit für die Zukunft und wo liegen potenzielle Stolperfallen?

Dirk Maaß: Häufig ist es das fehlende Mindset. Eine Transformation bedeutet schließlich auch Veränderungen. Veränderungen bewirken wiederum bei vielen Mitarbeitenden Angst. Was kommt da in der Zukunft auf mich zu? Vielleicht bedeutet das sogar eine Gefahr für mich. Wenn ich 20, 30 Jahre in einer Lieferkette als Tier 1 oder Tier 2 gearbeitet habe, habe ich entsprechende Kompetenzen und meine Netzwerke und Lieferketten aufgebaut. Ich kenne mich mit den Material- und Produktionsprozessen aus. Wenn ich dann in eine komplett andere Schiene gehe und ein anderes Geschäftsmodell einschlage, zum Beispiel nicht nur die Produktherstellung verantworte, sondern zusätzlich noch digitale Dienstleistungen mit anbiete, dann ist das für mich Neuland. Das bedeutet aber vor allem auch, dass ich zusätzliche Kompetenzen brauche.

Also die eigene Komfortzone verlassen – Ist das Transformation?

Dirk Maaß: Ja, dem würde ich zustimmen. Das ist mit Sicherheit ein Bestandteil der Transformation .

Firmen, die sich bisher nicht mit der Transformation innerhalb ihrer Branche beschäftigt haben, müssen aufpassen, dass sie nicht überholt werden oder in Turbulenzen geraten.

Dirk Maaß Transformationslotse bei Bayern Innovativ


Die Geschäftsführung und die Managementebene mag über das gewisse Mindset verfügen, aber reicht das aus? Ist nicht vielmehr das ganze Unternehmen von Veränderungen betroffen?

Dirk Maaß: Ja, das ist richtig. Die Veränderungen betreffen die ganze Organisation. Veränderung im Mindset heißt auch Veränderung in der Verantwortung. Neue Wege gehen, wirklich auch mal alte Zöpfe abzuschneiden – das bedeutet Veränderung. Nun fragt man sich vielleicht, wie man die vielen Aufgaben, die auf einen zukommen, umsetzen soll. Hilfreich ist es, in Transformationsprojekte zu unterteilen. Also Projekte, die das Unternehmen betreffen und in die Unternehmensstrategie eingreifen oder Transformationsprojekte, die nur einzelne Abteilungen oder Business Units angehen. Fakt ist aber, man muss alles hinterfragen: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Was kann ich selber machen? Wo brauche ich eventuell Wissen, Kompetenzen oder auch Ressourcen von extern, um diese Projekte überhaupt anzugehen?

Dabei spielt wahrscheinlich das Thema Schulung bzw. Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden eine große Rolle?

Dirk Maaß: Ja, definitiv. Das betrifft das Thema Kompetenzen, das ich bereits angesprochen hatte. Wenn man sich anschaut, wie viele Kompetenzen nötig sind bzw. was eine Fachkraft an einer Maschine heute alles können muss, ist es nicht mehr zu vergleichen mit dem, was zum Beispiel ein Dreher oder ein Fräser vor 20, 30 oder 40 Jahren können musste. Vielmehr ist eine ganz andere Ausbildung nötig. Manche Kompetenzen kann ich mir selber aneignen, andere nur bedingt. Dann können andere Partner in der Schulung und Weiterbildung unterstützen, um meine Fachkräfte entsprechend in der Transformation zu begleiten und auch darauf vorzubereiten.

Ein Netzwerk ist also unbedingt nötig, wo ich genau diese Kompetenzen finde und wo ich mich vielleicht auch selber einbringen kann?

Dirk Maaß: Ja, da gibt es verschiedene Ansätze. Natürlich, gibt es große Unternehmen, die da sehr gut z. B. in Form von Inhouse Akademien aufgestellt sind, oder Kompetenzen aus verschiedenen Bereichen zusammenführen können. Hier geht es also um interne Wissensvermittlung. Bei KMU sieht das ein bisschen anders aus, da sie sehr stark auf externen Input angewiesen sind. Und da sind wir dann beim Fachkräftemangel, der ja oft angesprochen wird. Dieser findet aber nicht nur auf akademischer Ebene statt, sondern betrifft vor allem auch die Produktion: Maschinen müssen bedient werden, die heute teilweise deutlich komplexer sind als in der Vergangenheit, aber auch mehr Möglichkeiten bieten.

Gemeinsam meistern wir Ihre Transformation


Ist die Transformation letztendlich keine rein technologische Fragestellung, sondern sind nicht auch ganz viele soziale Komponenten und Qualifikationen mit betroffen?

Dirk Maaß: Tatsächlich spielt die Technologie eine wesentliche Rolle und ist ein wichtiger Bestandteil, da Innovationen oder auch Transformation nur durch neue Technologien überhaupt möglich sind. Aber wichtig ist es, den Mensch in dem Prozess nicht zu vergessen. Denn im Endeffekt ist er der Treiber und derjenige, der die Transformation im Unternehmen und auch im Sinne der Kunden umsetzen muss

Stimmt es, dass besonders KMU von der Transformation stärker betroffen sind als andere?

Dirk Maaß: Also von der Transformation ist eine ganze Branche betroffen, sowohl die großen als auch die kleineren Unternehmen. Den großen Unternehmen fallen allerdings einige Projekte leichter, da sie über mehr Manpower und größere finanzielle Mittel verfügen und vielleicht auch einen besseren Zugang zu Fördermitteln oder zu Förderprogrammen haben. Immerhin leisten sich großen Unternehmen teilweise sogar Abteilungen, die sich rein um das Thema Förderprogramme, Fördermittel sowie Förderung von Projekten, Investitionen usw. kümmern können. Das läuft bei vielen KMU nebenbei und deswegen tun sich da einige KMU wohl auch ein bisschen schwerer als große Unternehmen. Die Herausforderung ist ja für beide gleich, aber die Auswirkungen sind für kleinere und mittelständische Unternehmen meiner Meinung nach herausfordernder.

Also fehlt es gerade bei KMU an allen Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell, um den Prozess proaktiv anzugehen?

Dirk Maaß: Ja, es fehlt an Ressourcen aber auch an Wissen. Ich möchte nochmal das Thema Fördermittel aufgreifen: An wen kann ich mich wenden? Welche Förderprogramme gibt es überhaupt? Welche sind für mich geeignet? Auf welche Themen kann und darf ich überhaupt zugreifen? Das ist ein einerseits natürlich ein Ressourcenproblem, weil es häufig keine dezidierte Stelle in dem kleinen oder mittelständischen Unternehmen gibt. Andererseits sind es aber auch finanzielle Mittel, weil jede Veränderung - vor allem, wenn ich von neuen Technologien spreche – auch Investition bedeutet. Und das betrifft nicht nur die Investition in neue Kompetenzen und Fachkräfte, sondern auch in den Maschinenpark, in die Digitalisierung und in die Produktion. Alles Geld, das kleine und mittelständische Unternehmen vielleicht nicht unbedingt parat haben.



Wie kann ich mir das Unterstützungsangebot unseres Transformationslotsen-Teams konkret vorstellen?

Dirk Maaß: Wir führen bilaterale Gespräche mit den Unternehmen, häufig auf Geschäftsführungs- und Leitungsebene. Dadurch versuchen wir herauszufinden, wo das Unternehmen jetzt in der Transformation steht und ob es schon begonnen hat. Wenn ja, wie weit ist es schon fortgeschritten? Wo will es überhaupt hin? Wir nutzen dafür auch einen so genannten Transformations-Check , um wirklich auf Unternehmensebene, also auf Managementebene, aber auch auf Projekt Ebene, schauen zu können. Wo steht das Unternehmen gerade und wo gibt es Ansatzpunkte? Wo können wir als Bayern Innovativ im Rahmen unseres Bayern Innovativ-Ökosystems Impulse setzen? Hier unterstützen wir beispielsweise mit Förderungs- und Vernetzungsmöglichkeiten, z. B. über unsere Cluster oder auch durch eine direkte Vermittlung von Unternehmen, die unserer Meinung nach sehr gut zusammenpassen könnten. Daneben spielt der Zugang zu Gründerzentren oder zu Start-ups eine wesentliche Rolle, gerade hinsichtlich neuer Geschäftsmodelle. Das sind die Themen, die wir im Rahmen von einem Orientierungsgespräch führen. Dies kann dann im nächsten Schritt zu einer Fördermittelberatung oder aber auch zu einer Partnerschaft in unseren Clustern führen. Und da werden die Unternehmen dann auch von Bayern Innovativ weiter begleitet und unterstützt. Viele Unternehmen nutzen auch die Teilnahme an einem Messe-Gemeinschaftsstand , um über diesen Weg auch auf großen und internationalen Messen ihre Kompetenzen und Fähigkeiten zu präsentieren.

Helft Ihr nur dem Automotive Bereich oder auch Unternehmen aus anderen Branchen?

Dirk Maaß: Selbstverständlich können wird das auch für andere Branchen machen. Da kommt uns auch unser Bayern Innovativ-Ökosystem entgegen mit seinen verschiedenen Themengebieten, wie Gesundheit , n eue Materialien , Mobilität , Digitalisierung , Energie etc. Gerade hier können potenzielle neue Anwendungsgebiete für Produkte und Dienstleistungen entstehen, wenn der Umsatz nicht mehr ausschließlich im Automotive Sektor erzielt werden kann. Und das ist dann quasi die Transformation, die wir unterstützen und begleiten, auch in andere Branchen hinein. Der Zugang zur Medizintechnik könnte dann über unser Forum MedTech Pharma erfolgen. Auch der Bereich Leichtbau muss nicht immer unbedingt im Automotive Bereich angesiedelt sein, sondern kann auch im Baubereich Anwendung finden. Wie am Anfang gesagt, der Begriff Transformation ist sehr vielseitig und nicht unbedingt definiert. Und genauso haben wir jetzt nicht nur eine Schablone, die wir am Ende des Gespräches überstülpen, sondern vielmehr ein wirklich flexibles und individuelles Angebot.

Transformation ist auch ein wichtiger Beitrag zum Thema Resilienz eines Unternehmens, oder?

Dirk Maaß: Das ist eine Diversifikation, die die meisten Firmen jetzt auch verfolgen. Wie gesagt, viele haben in der Vergangenheit 70, 80 oder gar 90 Prozent ihres Umsatzes im Automotive Sektor gemacht, gehen jetzt aber auch in andere Branchen, wie in den Maschinenbau, die Medizintechnik, in den Bereich Aerospace, wo sie dann wiederum auch mit neuen Zielgruppen sprechen. Sie brauchen auch eine neue Argumentation für ihre Produkte und Dienstleistungen. Auch da haben wir eine ganz andere Lieferketten – das heißt, ich habe neue Kunden und muss vielleicht selber neue Produktionsverfahren installieren bzw. die Produktion und die Lieferketten anpassen. Das alles ist Transformation. Sicherlich ein Riesenprojekt für viele Firmen, aber unabdingbar. Und was man nicht vergessen darf: Es ist auch eine Riesenchance, woanders Fuß zu fassen und das Unternehmen gesund in die Zukunft zu führen.