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Standardisierte und interoperable Lösungen für den digitalen Zwilling
12.02.2024
Ob Zustandsüberwachung und vorausschauende Wartung von Maschinen oder datenbasierte Optimierung von Fertigungsprozessen – das Konzept des digitalen Zwillings ist entscheidend für digitale Industrieanwendungen. Die Umsetzung für einen heterogenen Maschinenpark oder breites Produktportfolio ist jedoch technisch anspruchsvoll.

Deshalb wurden branchen- und herstellerneutrale Lösungen entwickelt, um standardisierte und interoperable Schnittstellen zu ermöglichen, was wiederum wichtige Instrumente für die Umsetzung digitaler Zwillinge sind, und Skalierbarkeit zu fördern. Dazu gehören unter anderem die Verwaltungsschale (englisch Asset Administration Shell, AAS), die Open Platform Communications Unified Architecture (OPC UA) und die Automation Markup Language (AutomationML).
Die Frage für Unternehmen lautet nun: Wo und wie können diese Lösungen bestmöglich eingesetzt werden und welche Rolle spielen die einzelnen Lösungsbausteine im Gesamtbild eines digitalen Zwillings? Einen Einblick in aktuelle Forschungsaktivitäten und -ergebnisse zu standardisierten und interoperablen Lösungen für den digitalen Zwilling sowie in die industrielle Anwendung gab es im Dezember 2023 in der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ.
OPC UA, AAS und AML – eine Übersicht über ihre gemeinsamen Potenziale
Ob OPC UA, AAS oder AML – sie alle drei sind Schlüsseltechnologien für Industrie 4.0. Das stellt Maximilian Wagner, Mitarbeiter des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) e.V. und Projektleiter zum Thema European Data Spaces, in seinem Vortrag klar voran. Industrie 4.0 basiert auf der Idee einer Vernetzung von Produkten, Prozessen, Fabriken, Anlagen und Plattformen. Die Plattform Industrie 4.0 spezifiziert diese Vision genauer in den Bereichen Autonomie, Nachhaltigkeit und vor allem Interoperabilität. Interoperabilität bedeutet die Fähigkeit von Systemen, geräte- oder anwendungsübergreifend zu kommunizieren, einschließlich operativer Technologie (OT) und Informationstechnologie (IT), mit standardisierten Datenmodellen und Schnittstellen. Deshalb sind diese Technologien so wichtig. Ebenso wichtig ist es auch zu betonen, dass sie sich gegenseitig, besonders im Hinblick auf Interoperabilität, ergänzen. Doch was genau sind die Technologien und wie grenzen sie sich ab? Dazu gibt Herr Wagner einen kurzen Überblick, beginnend mit AutomationML (AML).
AutomationML: Tool2Tool Austausch – spezialisiert für die Engineering-Phase
AutomationML ist ein neutrales, XML-basiertes Datenformat für die Speicherung und den Austausch von Engineering-Daten, das eine umfassende XML-basierte objektorientierte Datenmodellierungssprache verwendet. Sie ermöglicht den wiederholten Datenaustausch im Bereich des Engineerings, insbesondere bzgl. Geometrie, Kinematik, Logik (SPS) usw. AutomationML sorgt somit für einen durchgängigen, digitalen und verlustfreien Datenaustausch in Engineering-Werkzeugketten.
OPC UA als etablierte interoperable Lösung für Maschinen vom Feld bis in die Cloud
OPC UA ist ein plattform-, hersteller- und branchenunabhängiges Framework. Es ermöglicht einen sicheren und zuverlässigen horizontalen sowie vertikalen Informationsaustausch zwischen Komponenten, Maschinen bzw. Anlagen, Leitsystemen, auch über Unternehmensgrenzen hinweg. OPC UA unterstützt verschiedene Kommunikationsmuster (Client/Server und Pub/Sub) und Transportprotokolle (wie z.B. TCP, UDP und MQTT) und skaliert von kleinen Einheiten wie Sensoren bis hin zur Cloud. Durch Security by Design wird Sicherheit bei der Datenübertagung, Sichtbarkeit und Zugriffsmöglichkeit auf Informationen gewährleistet. Es hat eine hohe internationale Akzeptanz und ist als Standard in vielen Ländern etabliert. In derzeit über 60 branchenspezifischen Companion Specifications sind bereits domänenspezifische Informationsmodelle standardisiert. Die domänenübergreifende Spezifikation OPC UA for Machinery dient als Basisspezifikation für den Maschinen- und Anlagenbau.
Die Verwaltungsschale als zentraler Informationshub für den gesamten Lebenszyklus
Die Verwaltungsschale, oder im englischen Asset Administration Shell (AAS), ist die digitale Repräsentation eines Assets über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Sie dient als zentraler Informationshub für Typen und Instanzen und bietet danke standardisierter Softwarestruktur, Schnittstellen und Semantiken unter Verwendung aktueller Sicherheitsmechanismen den schnellen und einfachen Zugriff auf Daten über ein Asset über den gesamten Lebenszyklus. Die Verwaltungsschale ermöglicht die Kommunikation zwischen verschiedenen Verwaltungsschalen über Applikationen und strukturiert Daten über standardisierte Teilmodelle.
Diskussionspapier – Interoperabilität mit der Verwaltungsschale, OPC UA und AutomationML
Wie können diese drei Technologien wirkungsvoll zusammenarbeiten? In diesem Zusammenhang verweist Herr Wagner auf ein Diskussionspapier, das getragen von AutomationML e.V., IDTA, OPC Foundation, VDMA, sowie Experten aus den Unternehmen Microsoft, KUKA, Siemens ist. Es kann unter www.vdma.org/viewer/-/v2article/render/78243357 frei heruntergeladen werden. Dieses beschreibt ein Zielbild bzw. ein „Big Picture Interoperabilität“, das zeigt, wie die drei genannten Technologien zusammenpassen, sich gegenseitig ergänzen und wie Interoperabilität über Domänen hinweg durch kombinierte Anwendung in der Industrieautomation erreicht wird. Der Schwerpunkt von AutomationML liegt im Austausch von Engineering-Daten während der Entwicklung (Engineering) von Assets sowie von industriellen Systemen, vor dem Betrieb einer Anlage. Dabei adressiert es die Interoperabilität zwischen proprietären Engineering-Werkzeugen und vereinfacht dabei die Schaffung von Konsistenz zwischen Werkzeugen der Anlagenplanung. Der Schwerpunkt von OPC UA und seine Companion Specifications liegt im standardisierten Berteistellen und Zugriff auf Daten im laufenden Betrieb einer Anlage oder eines Assets. Die Companion Specifications bieten semantische Beschreibungen der Daten und Funktionen. Der Schwerpunkt der Verwaltungsschale mit ihren Teilmodellen liegt auf der digitalen Repräsentanz des Assets und im standardisierten Bereitstellen und Zugriff von Merkmalen und Informationen über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Als Fazit hält Herr Wagner fest, dass bei entsprechender Anwendung Doppelarbeit und Modellüberschneidungen vermieden werden und der Entwicklungsaufwand reduziert wird. Interoperabilität wird dabei durch eine geschickte Kombination verschiedener Standards erreicht. Wer mehr über dieses Thema wissen möchte, ist herzlich eingeladen, sich für den Interoperability Summit 2024 des VDMA anzumelden.
Industrie 4.0 einfach machen – Eclipse BaSyx als Enabler
Ziel der digitalen Zwillinge in der Industrie 4.0 ist es, eine gemeinsame Sprache zu etablieren, in der alle Systeme kommunizieren und Informationen austauschen können. Dies soll die Interoperabilität zwischen verschiedenen Maschinenkomponenten ermöglichen. Wie sich das umsetzen lässt, erklärt Rene-Pascal Fischer vom Fraunhofer Institute for Experimental Software Engineering IESE in seinem Vortrag.
Einfache Integration durch offene Konzepte
Er legt den Fokus auf die Open-Source-Middleware Eclipse BaSyx (https://eclipse.dev/basyx/ & github.com/eclipse-basyx) und ihre Rolle bei der Erstellung digitaler Zwillinge auf der Grundlage des Verwaltungsschalen-Standards. Eclipse BaSyx bietet nicht nur ein Software-Development-Kit in verschiedenen Programmiersprachen, sondern auch „Off-the-Shelf“-Komponenten. Diese ermöglichen sowohl eine einfache Möglichkeit die Konzepte der Verwaltungsschale ohne große Einstiegshürden auszuprobieren als auch eine leichte Integration dieser in bereits bestehende Systeme. Der Schwerpunkt liegt auf offenen Konzepten, die die Anbindung von Daten aus verschiedenen Quellen erleichtern, einschließlich Sensoren, dem Industrial Internet of Things (I)IoT- und anderen Geräten, um eine umfassende digitale Repräsentation relevanter Assets zu schaffen.
Die Bedeutung einer gemeinsamen Sprache
Herr Fischer erläutert die Bedeutung einer gemeinsamen Sprache in der Industrie 4.0, vergleichbar mit der Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren. Der digitale Zwilling repräsentiert die reale Welt und den virtuellen Bereich. Es handelt sich um eine digitale Darstellung eines physischen Objekts oder auch Konzeptes, wie etwa ein Herstellungsprozess, mit den relevanten Attributen. Um dies in die digitale Welt zu übertragen, können verschiedene Technologien verwendet werden. Der digitale Zwilling wird aber erst vollständig, wenn die Daten bidirektional zwischen Asset und digitaler Repräsentanz ausgetauscht werden. So können auch Möglichkeiten zur Steuerung der Assets geschaffen werden.
Digitale Repräsentanz durch die Verwaltungsschale
In Bezug auf die Verwaltungsschale betont Herr Fischer, dass sie eine digitale Repräsentanz von verschiedenen Bestandteilen bietet, herstellerunabhängig ist und im Open-Source-Bereich sowie in der internationalen Standardisierung Anwendung findet. Das Ziel ist es, etwas Interoperables zu schaffen, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Herr Fischer geht auf verschiedene Anwendungsbereiche von digitalen Zwillingen ein – von Maschinen und Produkten bis hin zu Prozessen und Arbeitskräften. Qualitätssicherung und Erklärbarkeit sind dabei zentrale Aspekte, insbesondere im Kontext von Branchen wie der Medizintechnik.
Wie tracke ich den CO2-Fußabdruck meiner Produkte? Die Verwaltungsschale zur Abbildung des gesamten Produktionsprozesses
Immer mehr produzierende Unternehmen stehen vor der Herausforderung, den CO2-Abdruck ihrer Produkte ermitteln zu müssen. In diesem Zusammenhang konzentriert sich Christof Baumgartner von der Firma XITASO GmbH IT & Software Solutions in seinem Vortrag auf die Verwaltungsschale, auch Asset Administration Shell (AAS) genannt. Mit ihr ist es möglich, den gesamten Produktionsprozess abzubilden. Sie liefert die technologische Voraussetzung, um verknüpfte Daten strukturiert abzulegen. Nicht nur Komponenten und Produkte können digital abgebildet werden, sondern beispielsweise auch Informationen zu Lieferketten.
Potenziale über den gesamten Lebenszyklus nutzen
Die drei großen Potenziale der Verwaltungsschale liegen im digitalen Produktpass, in Production-as-a-Service und den After-Sales-Services. Die Idee des digitalen Produktpass ist es, alle relevanten Daten von der Bestellung über die Produktion bis hin zur Nutzung zu erfassen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem CO2-Fußabdruck der Produkte. Durch die Verwaltungsschale wird bezüglich Production-as-a-Service die Konfiguration und Steuerung von Produktionsschritten und -maschinen sowie die Erfassung produktionsspezifischer Daten ermöglicht. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Betrachtung des Lebenszyklus eines Produkts nach der Verwendung, insbesondere im Hinblick auf Wartung und Support.
Demonstrator des Labs Network Industrie-4.0
Nun stellt Herr Baumgartner den Demonstrator vor, der im Rahmen des Labs Network Industrie-4.0 (LNI4.0) entwickelt wurde. Im Rahmen dieser Umsetzung fiel die Entscheidung auf einen einfachen Demonstrator: einen individualisierbaren Kugelschreiber aus Aluminium. Auch ein solch vergleichsweise einfaches Produkt durchläuft einen komplexen Produktionsprozess. Das Rohmaterial stammt in diesem Fall aus Abu Dhabi und der Produktionsprozess umfasst verschiedene Schritte wie Transport, Verarbeitung, Individualisierung durch Lasergravur, erneuten Transport und Lieferung zum Endkunden. Herr Baumgartner beschreibt, wie sich der Prozess auf die Verwaltungsschale übertragen lässt.
Individuelle Nutzbarkeit der Verwaltungsschale
Grundsätzlich wird die Verwaltungsschale auf Typebene während der Produktentwicklung genutzt. Dazu wird ein Typ für die Verwaltungsschale definiert, der die Stammdaten und allgemeinen Informationen eines Kugelschreibers festlegt. Wenn eine Bestellung eingeht, wird aus dieser Typenbeschreibung eine individuelle Instanz eines konkreten Kugelschreibers erstellt und die Stammdaten werden abgeleitet. Diese Instanz durchläuft dann den Lebenszyklus des Produkts, wobei nach und nach Daten hinzugefügt werden. Die Verwaltungsschale kann auch an einen Kunden übergeben werden, der die Instanz in seiner eigenen Infrastruktur nutzen kann. Durch standardisierte Datenformate können Informationen einfach ausgetauscht werden, was besonders wichtig ist, wenn es um Recycling geht.
Durch Verknüpfung Daten bestmöglich nutzen
In der Praxis zeigt sich der Mehrwert der Verwaltungsschale anhand verschiedener Submodelle, die zu verschiedenen Zeitpunkten befüllt werden. Diese Modelle umfassen den Produktgruppen-Fußabdruck, die Stückliste, den Produktionsprozess, technische Daten und mehr. Die Verknüpfung von Verwaltungsschalen ermöglicht ein umfassendes Ökosystem, in dem Daten nahtlos genutzt werden können. In einem Viewer kann man einen Überblick über die verschiedenen Produktionsschritte und den CO2-Ausstoß erhalten. Zusätzlich können Daten mit anderen Verwaltungsschalen verknüpft werden, z. B. mit Maschinen, um den Energieverbrauch zu überwachen. Diese Verknüpfungen ermöglichen ein effizientes Arbeiten und die Integration mit anderen Anwendungen, wie ERP-Systemen oder Produktkonfiguratoren.
Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“
In dem Veranstaltungsformat der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.
Das neue Jahr startet mit Neuigkeiten
Um das Netzwerk-Know-how bei Bayern Innovativ weiter zu bündeln, werden ab dem 01.01.2024 die Themen und Aktivitäten im Bereich Digitalisierung in Produktion und Engineering sowie Industrie 4.0 im Cluster Mechatronik und Automation weitergeführt. Die erfolgreiche Webinarreihe „Eine Brücke zwischen Wissenschaft und Industrie – Aus der Forschung in die Praxis“ wird wie gewohnt fortgesetzt.
Kontaktdaten der Referierenden:
Maximilian Wagner, VDMA e. V, Project Manager, Department Machine Information Interoperability
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Rene-Pascal Fischer, Scientist, Department Virtual Engineering, Fraunhofer Institute for Experimental Software Engineering IESE
Per Mail kontaktieren
Christof Baumgartner, Senior Consultant, XITASO GmbH IT & Software Solutions
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Rückblick auf die Veranstaltungen und weiterführende Informationen
Fachartikel: Wie Mensch und Maschine besser zusammenarbeiten können
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Bayerischer Manufacturing-X Kongress: Datenbasierte Wertschöpfung erleben
6. Februar 2024, 10:00 – 16:30 Uhr
Congress Centrum Würzburg
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Die letzte Online-Veranstaltung aus der Webinarreihe „Eine Brücke zwischen Wissenschaft und Industrie – Aus der Forschung in die Praxis“ fand am 01.02.2024 statt zum Thema „Nutzerzentrierung in der Produktion: mit Industrial Usability die Effizienz steigern.“
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