Neue Werkstoffe sind der Treiber für technische Innovationen. Man denke an hochfeste Stähle mit guter Formbarkeit für leichtere Bauteile im Mobilitätsbereich oder die Verwendung von Carbonbeton für die Sanierung von Kanalrohren und im Brückenbau. Doch die Entwicklung neuer Materialien stellt die Werkstoffwissenschaften vor große Herausforderungen: Die Methoden und Experimente sind aufwendig und es dauert häufig Jahre, bis ein neuer Werkstoff einsatzbereit ist. Um hier strukturierter forschen und entwickeln zu können, setzt man verstärkt auf den Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI).
Neue Werkstoffe sind der Treiber für technische Innovationen.
Künstliche Intelligenz hält Einzug in die Industrie
Künstliche Intelligenz unterstützt dabei, die Unmengen in der Industrie anfallenden Daten zu sammeln und zu analysieren, Muster zu erkennen sowie Erkenntnisse abzuleiten, die die Maschinen und damit zusammenhängende Prozesse in die Lage versetzen, sich an neue Bedingungen anzupassen. Ob im Automobil- oder Flugzeugbau, im Bauwesen oder im Bereich der Medizintechnik – in vielen Branchen ist die Entwicklung von Werkstoffen mit neuen Funktionalitäten und verbesserter Leistung essenziell, um wettbewerbsfähige und umweltfreundliche Produkte mit geringem Ressourcenverbrauch hervorzubringen. Denn die neu entwickelten Materialien können eine Grundlage für innovative Produkte bieten.
Innovationen durch neue Werkstoffe: Wie Branchen durch KI Wettbewerbsvorteile erzielen können
Im Flugzeugbau setzen die Hersteller zunehmend auf kohlefaserverstärkte Verbundstoffe. Sie wiegen rund ein Fünftel weniger als Stahl und weisen dabei eine höhere Festigkeit auf. Zugleich wird an neuen nachhaltigen Bio-Materialien geforscht, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren und nach Ende des Lebenszyklus biologisch abbaubar sind. In Architektur und Bau verwendet man zunehmend Leichtbauwerkstoffe, in der Gesundheitsbranche geht ein Trend hin zur personalisierten Medizin, um nur einige Beispiele zu nennen.
Materialzulieferer und -hersteller sind zunehmend gefragt, vielen Aspekten gleichzeitig gerecht zu werden. Neue Materialien sollen dazu beitragen, umweltschonender und energiesparender zu produzieren, sie sollen neue Funktionen hervorbringen oder multifunktional im Einsatz sein und je nach Anwendung bestimmte Eigenschaften aufweisen. Doch bis ein neues Material zur Marktreife gebracht werden kann, vergehen oft Jahre. Diesen Prozess gilt es zu beschleunigen. Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz verspricht man sich Entwicklungszeiten zu verkürzen und die Kosten bis zum Einsatz neuer Werkstoffe zu verringern. Ob Materialdatenbanken oder Machine Learning – auf dem Weg zu schnelleren Ergebnissen tragen verschiedene Verfahren der KI bei.
Materialdatenbanken als Basis für strukturiertes Arbeiten
Ständige Probenentnahmen und aufwendige Prüfungen sichern die Qualität im Produktionsprozess . Herausforderung dabei sind die oft sehr heterogenen Daten, die sich während des Produktlebenszyklus ständig ändern. Zugleich sind die mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen durch deren Mikrostruktur und damit indirekt durch die vorangegangenen Prozess- bzw. Verarbeitungsschritte bestimmt. Abhilfe kann hier eine digitale Wissensbasis schaffen. Durch den Einsatz von Materialdatenbanken lässt sich eine strukturierte und stringente Materialentwicklung realisieren.
Materialdaten in den Datenbanken sind nur aussagekräftig, wenn sie gemeinsam mit sämtlichen Prozessparametern aufgezeichnet werden, die während der Fertigung auf den Werkstoff eingewirkt haben. Schließlich tragen diese Rahmenbedingungen zur Struktur und somit zu den eigentlichen Eigenschaften des Bauteils bei.
Materialdatenraum: Basis für Werkstoffprüfung und Materialanalyse
In einem angelegten Materialdatenraum lassen sich auf Basis einer gemeinsamen Sprachregelung alle Daten eindeutig einordnen. Mittels Wissensgraphen gelingt es, die Daten logisch miteinander zu verbinden. Fachleuchte können somit alle anfallenden Daten der Produkte, Prozesse, Maschinen und Sensoren entlang der wertstoffintensiven Wertschöpfungskette miteinander vernetzen. „Solche Materialdatenbanken haben einen großen Nutzen und ein enormes Potenzial, um in Zukunft bisher unerkannte Wirkzusammenhänge zwischen Material- und Produkteigenschaften zu identifizieren,“ bestätigt Prof. Dr.-Ing. habil. Marion Merklein, FAU Erlangen-Nürnberg, Sprecherin Cluster Neue Werkstoffe .
Machine Learning in der Materialanalyse und -entwicklung
Auch in der modernen Materialmikroskopie ist die Verarbeitung und Analyse von Daten, die in der Materialforschung anfallen, eine der größten Herausforderungen. Dabei handelt es sich um Datenmengen in Form von Bildern, Proben und Bauteilen, die vom Menschen alleine nicht mehr erfasst werden können. Abhilfe verspricht der Einsatz von Machine Learning (ML). Diese Methode unterstützt dabei, Muster in Daten zu erkennen und selbstständig Zusammenhänge abzuleiten. So können Auswertungen, die zeitaufwendig sind oder sich wiederholen, automatisiert ablaufen. Teilweise werden Analysen durch Machine Learning sogar erst ermöglicht.
Solche Materialdatenbanken haben einen großen Nutzen und ein enormes Potenzial, um in Zukunft bisher unerkannte Wirkzusammenhänge zwischen Material- und Produkteigenschaften zu identifizieren.
Supraleiter: Energiegewinn durch verlustfreies Stromleiten
Wie erfolgreich KI in der Materialforschung eingesetzt werden kann, zeigt das Beispiel supraleitender Materialien. Dank dieser Eigenschaft können diese Materialien Strom verlustfrei leiten. Allerdings sind dafür extrem niedrige Temperaturen im Bereich des absoluten Nullpunkts bei minus 273 Grad Celsius erforderlich. Mehr oder weniger durch Zufall entdeckten Wissenschaftler vor einigen Jahren einen Hochtemperaturleiter aus Kupferoxid-Sandwichen, der schon bei Temperaturen von minus 196 Grad Celsius supraleitend wird. Weitere Supraleiter wurden identifiziert, die sogar bei minus 13 und minus 23 Grad supraleitend wurden. Nur erklären konnte man sich bislang nicht, was physikalisch geschieht, dass Stoffe ab einer gewissen Temperatur diese besondere Eigenschaft Supraleitung aufweisen. Aufklärung verspricht man sich vom Einsatz der KI . Wenn es gelingt, Stoffe zu entwickeln, die schon bei Raumtemperatur supraleitend werden, könnten riesige Mengen an Strom für die Kühlung eingespart werden, da die Sprungtemperatur schon bei Raumtemperatur unterschritten ist und der Supraleiter nicht mehr gekühlt werden muss. Das wäre eine bahnbrechende Entwicklung für die Zukunft.
Künstliche Intelligenz in der Additiven Fertigung: Erweiterung des Materialspektrums
In der Additiven Fertigung werden Werkstücke auf Basis von digitalen 3D-Konstruktionsdaten schichtweise aufgebaut. So ist es möglich, höchst komplexe Strukturen herzustellen, die gleichzeitig extrem leicht und stabil sind. Doch die Entwicklung von Werkstoffen, die speziell für die Additive Fertigung optimiert sind, erfordern einen sehr großen Arbeitsaufwand. Bei vielen additiven Verfahren, wie beim Pulver-Bett-Schmelzen oder Pulverauftragsschweißen, kommen Materialien in Pulverform zum Einsatz. Es muss gewährleistet sein, dass die Pulvereigenschaften gleichbleibend sind und somit die Bauteileigenschaften reproduzierbar. Handling und Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Material und Prozess benötigen weitere Entwicklungsarbeit, um Schwankungen im Prozess und den Bauteileigenschaften verstehen und verringern zu können. Deshalb setzt man zunehmend auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Kombiniert man Künstliche Intelligenz und 3D-Druck , kann es gelingen, die Bandbreite der kompatiblen Materialien zu der kompatiblen Materialien zu erweitern und beispielsweise den Prozess anhand der Materialreaktion zu steuern. Somit lassen sich die Anforderungen von Industriezweigen wie der Luft- und Raumfahrt erfüllen, die sichere und zuverlässige Materialien mit besten Eigenschaften benötigen.
Erfahren Sie mehr zu Materialien für Innovationen von morgen:
Künstliche Intelligenz in der Praxis: Die Möglichkeiten neuer Werkstoffe und Verfahren
Ob Entwicklung von sehr hitzebeständigen Materialien, Kokillenguss von Aluminiumteilen oder Umsetzung von Bionik – die folgenden drei Anwendungsfälle zeigen, wie KI ganz praktisch bei der Materialentwicklung unterstützt.
1. Maschinelles Lernen in der Additiven Fertigung
Mit futureAM – Next Generation Additive Manufacturing – hat das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) ein Projekt ins Leben gerufen, um sehr stabile und hitzebeständige Materialien zu entwickeln. Ziel ist es, sehr teure Materialien durch weniger kostenintensive zu ersetzen. Mit dem Einsatz des maschinellen Lernens ist es möglich, die optimalen Prozessparameter, z. B. für das Verfahren des Laser-Pulver-Auftragsschweißens, zu ermitteln.
Beim Kokillenguss von Aluminiumteilen kommt es entscheidend auf präzise Bauteileigenschaften an. Dafür sind zumeist aufwendige Simulationen nach dem Trial-and-Error-Prinzip notwendig. Forscher haben im vom Fraunhofer IWM koordinierten Anwendungsfall gezeigt, dass diese Schleifen mit Hilfe eines digitalen Zwillings – ein digitales Datenmodell realer Material- und Prozessdaten – vermieden werden können. Dazu wurde eine Datenraum-Architektur genutzt, die sich problemlos auf andere Materialprozesse übertragen lässt. Das Ergebnis zeigt, dass sich Werkstoffe in digitale Wertschöpfungsketten im Sinne von Industrie 4.0 integrieren lassen.
3. Maschinelles Lernen bekommt Flügel
Optische Gläser und die Displays von Industrierechnern müssen auch in feuchter Umgebung einwandfrei funktionieren. Erfolgsversprechend ist hier ein nanostrukturiertes Glas nach dem Vorbild der Natur : des selbstreinigenden und völlig durchsichtigen Flügels des Glasflügelfalters. Um die einzelnen Produktionsschritte zu optimieren, kam das Maschinenlernen mit Hilfe eines Computeralgorithmus zum Einsatz.
Zahlreiche Institute und Unternehmen in Bayern profitieren bereits von einer aktiven Mitarbeit im Cluster Neue Werkstoffe . Als bayernweite Informations-, Kommunikations- und Technologieplattform auf dem Gebiet der Neuen Materialien können gemeinsam mit Akteuren, Partnern und dem Clusterbeirat der werkstoff- und branchenübergreifende Technologietransfer sowie die proaktive Netzwerktätigkeit vorangetrieben werden und aktuelle Forschungsergebnisse in die industrielle Anwendung fließen. Auf Initiative des Clusters finden zudem technologieorientierte Verbundprojekte und regionale Veranstaltungen statt. Mit dem Partnerpaket bietet der Cluster Neue Werkstoffe Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen ein maßgeschneidertes Dienstleistungsangebot rund um Innovationen im Bereich Material.