Ist Nachhaltigkeit messbar?

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ zählt zu den Buzzwords des 21. Jahrhunderts und hält in mehr und mehr Bereiche und Branchen Einzug - so auch im Verkehrssektor: Nachhaltige Mobilität wird immer populärer. Doch wie kann man beurteilen, ob ein geplantes Mobilitätsprojekt wirklich nachhaltig ist? Und lassen sich überhaupt verschiedene Projektalternativen miteinander vergleichen? Diesen Fragen widmete sich Andre Noack in seiner Bachelorarbeit in Zusammenarbeit mit dem Spezialisierungsfeld Mobilität und dem Cluster Automotive bei Bayern Innovativ. In einem Interview haben wir mit ihm über seine Projektarbeit und analytischen Ansätze gesprochen.

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Wie kann man beurteilen, ob ein Mobilitätsprojekt nachhaltig ist? Unser Bachelorand Andre Noack bringt Licht ins Dunkle.

Herr Noack, woran kann ich die Nachhaltigkeit eines Verkehrsprojektes erkennen?

Andre Noack: Den Grad zu messen, wie nachhaltig ein Verkehrsprojekt ist, stellt sich als schwierig dar. Denn zunächst muss definiert werden, welche Ziele nachhaltige Mobilität überhaupt hat. Dies kann durch eine Metaanalyse vorliegender Literatur oder durch eine Befragung der Stakeholder des Projektes geschehen. Hierbei sind die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit - Ökonomie, Ökologie und Soziales – zu beachten. Anschließend muss ermittelt werden, ob die Projekte die Ziele aus den verschiedenen Dimensionen erreichen. Zwischen den Zielen können die Ergebnisse jedoch nicht vollständig miteinander verglichen werden, da sie nicht die gleiche Einheit teilen. Die ökonomischen Aspekte werden beispielsweise in einer Währung wie Dollar oder Euro angegeben. Es existiert jedoch keine universale Einheit für soziale und ökologische Aspekte. Somit bedarf es einem Tool, das den Vergleich von Zielen mit verschiedenen Einheiten aller drei Dimensionen ermöglicht.

Sie haben sich für die Nutzwertanalyse entschieden, weil Sie die drei Dimensionen - Ökonomie, Ökologie und Soziales - vergleichbar macht?

Andre Noack: Bei der Nutzwertanalyse wird eine Punkteskala mit einem hochaggregierten Kennwert für jedes zu überprüfende Ziel gebildet. Dies bedeutet, dass für jede Projektalternative untersucht wird, wie erfolgreich sie die vorher bestimmten Ziele nachhaltiger Mobilität erreicht. Am Ende werden Punkte für jedes Ziel vergeben, sodass man auf einen Blick feststellen kann, welches Projekt die meisten Punkte erreicht und damit am effektivsten ist. Durch die Punktevergabe wird das Problem der ungleichen Einheiten umgangen.

Gibt es weitere Stärken der Nutzwertanalyse?

Andre Noack: Gegenüber anderen Bewertungsverfahren hat die Nutzwertanalyse noch weitere Vorteile: Sie ist nicht subjektiv, da sie nicht auf Meinungen einzelner Personen beruht. Weiterhin stellt sie im Nachhaltigkeitscontrolling und im Verkehrssektor ein bewährtes Bewertungsverfahren dar. Sie misst die Effektivität von Projekten und ermöglicht es, qualitative und nicht-monetarisierbare Ziele zu analysieren und in einem multidimensionalen Zielsystem durch Aggregation zu vergleichen. Last but not least, liefert die Nutzwertanalyse am Ende eine konkrete Zahl, die mit den Ergebnissen anderer Projekte verglichen werden kann und rationale Entscheidungen ermöglicht.

Die Nutzwertanalyse zeigt, wie effektiv Projektalternativen die Ziele nachhaltiger Mobilität erreichen und zählt zu den bewährten Analysewerkzeugen im Nachhaltigkeitscontrolling und im Verkehrssektor.

Andre Noack Bachelorand bei Bayern Innovativ


Gibt es auch Schwächen?

Andre Noack: Wie fast überall gibt es auch bei diesem Tool Stärken und Schwächen. Ein großer Nachteil ist, dass die Bewertung von qualitativen Zielen, wie beispielsweise der Verkehrssicherheit, abstrakt und aufwändig ist. Daneben ist die Nutzwertanalyse auf eine breite und genaue Datenbasis angewiesen, damit eine faire Punktevergabe bei der Bewertung der Ziele möglich ist. Außerdem misst sie nur die Effektivität von Projekten, nicht aber deren Effizienz.

Ein großes Problem bei der Akzeptanz von Verkehrsprojekten ist oft die Relation zwischen eingesetzten Steuermitteln und erreichtem Mehrwert für die Allgemeinheit. Bietet die Nutzwertanalyse hier eine Lösung?

Andre Noack: Für eine Messung der Effizienz müsste eine Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt werden, die allerdings die Monetarisierung von qualitativen Zielen wie der Verkehrssicherheit erfordert. Nachhaltigkeitsziele sind oft qualitative Ziele und können teilweise nur sehr schwer bzw. unzureichend monetarisiert werden, da für sie oft kein Marktpreis existiert. Im Verkehrsbereich ist hier beispielsweise der Lärm zu nennen. Es gibt keine allgemein anerkannte Skala, die zum Beispiel ein Lärmaufkommen von 50 Dezibel oder 70 Dezibel monetarisieren kann. Die Umsetzung der Kosten-Nutzen-Analyse stößt hier an ihre Grenzen.

Infografik nachhaltige Mobilität
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Würden Sie die Nutzwertanalyse wieder zur Evaluierung von nachhaltigen Verkehrsprojekten verwenden?

Andre Noack: Schlussendlich stellt die Nutzwertanalyse ein geeignetes Tool dar, um zu analysieren, wie effektiv Projektalternativen die Ziele nachhaltiger Mobilität erreichen. Sie ist zwar kein perfektes Tool, sie zählt jedoch, auch aufgrund mangelnder Alternativen, zu den bewährten Analysewerkzeugen im Nachhaltigkeitscontrolling und im Verkehrssektor.

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