Digitale Anwendungen für eine klimaneutrale Industrie

11.07.2023

Deutschland soll bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden. Für die Erreichung dieses Ziels legen Wissenschaft, Industrie und Politik große Erwartungen in die Möglichkeiten der Digitalisierung. Wie genau der Weg zu einer klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung für das Gesamtsystem aus Energiewirtschaft und Industrie aussehen kann, ist jedoch offen. Die ZD.B Themenplattformen Digital Production & Engineering und Digitalisierung im Energiebereich haben gemeinsam mit dem Technologie- und Innovationsmanagement bei Bayern Innovativ im Rahmen mehrerer Workshops und Interviews mit Expertinnen und Experten die Strategieroadmap „Vision: 2045 – zur klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung“ erarbeitet. Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden mit Praxisbeispielen und entsprechender Literatur ergänzt. Die Studie zeigt in den drei Teilen „Treiber und Trends“, „Anwendungsfelder“ und „Rahmenbedingungen“, wie der Weg zu einer klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung im Jahr 2045 aussehen kann.

Header Digitale Anwendungen für eine klimaneutrale Industrie

Konkret veranschaulicht die Roadmap, welche Faktoren sich auf die Erreichung der Vision auswirken, welche digitalen Anwendungen eingesetzt werden können, um die Vision zu erreichen und welche Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten, um die Erreichung der Vision zu ermöglichen.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass viele digitale Anwendungen für eine klimaneutrale Produktion bereits heute vorhanden sind, und vereinzelt sogar bereits klimaneutrale Produktionen in Bayern betrieben werden. Unternehmen bietet die Studie eine Übersicht darüber, welche dieser Anwendungen vorhanden sind, und ermöglicht so eine Auswahl passender Lösungen auf Basis der spezifischen Anforderungen und der Ausgangssituation. Die Roadmap verdeutlicht außerdem, dass eine enge Vernetzung von Energieerzeugern, Energienetzbetreibern und Produktionsunternehmen in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird, um die Versorgungssicherheit zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu sichern. Wissenschaft, Industrie und Politik erhalten in der Studie eine Übersicht, in welchen Bereichen, wie beispielsweise der Weiterentwicklung digitaler Technologien und dem Aufbau von Infrastruktur, ein positiver Beitrag zur Erreichung einer klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung geleistet werden kann.

Einblicke in die Roadmap „Vision 2045: zur klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung“ gab die Vorstellung der Studie mit anschließender Podiumsdiskussion im Rahmen der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ im Mai 2023. Die zentralen Inhalte der Podiumsdiskussion werden im Folgenden schwerpunktmäßig zusammengefasst. An der Expertendiskussion nahmen teil: Markus Heigele des mittelständischen Unternehmens Alois Müller GmbH, Maximilian Irlbeck der ENIANO GmbH sowie Wei Min Wang vom VDI Zentrum Ressourceneffizienz (VDI ZRE).

Mit Digitalisierung klimaneutraler werden

Die Podiumsdiskussion startet mit der Bitte an die Experten um ein Eingangsstatement, wie Unternehmen konkret durch Digitalisierung klimaneutraler werden können. Dazu Markus Heigele: „Wer kein Ziel hat, kann keines erreichen.“ In seinem Unternehmen, das sich auf innovative Energiekonzepte im Bereich der kompletten technischen Gebäudeausrüstung (TGA) sowie deren Umsetzung für die Green Factory spezialisiert hat, werden die Ziele immer im Vorfeld mit den Kunden abgestimmt. Das Besondere an dem Angebot der Alois Müller Holding ist es, dass sie die klimaneutrale Produktion bereits vorlebt und industrielle Energiesysteme klimaneutral entwickelt und produziert.

Herr Irlbeck von der ENIANO GmbH sieht Transparenz als entscheidend auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Produktion. Sein Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, Transparenz für eine langfristige Energieplanung und flächendeckende Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Unter anderem wurden erst kürzlich sämtliche Photovoltaik-Freiflächenpotenziale und Windkraftpotenziale für Bayern auf Basis digital verfügbarer Geodaten ermittelt. In der Digitalisierung sieht er deshalb große Chancen, auch die Unternehmensprozesse transparenter zu machen. Es hat sich besonders während der Energiekrise gezeigt, dass viele Industriebetriebe gar nicht wissen, wo sie wieviel Energie verbrauchen und welche Einsparpotenziale sich nutzen lassen. Dies ist zum einen die Voraussetzung, um klimaneutraler zu werden und zum anderen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Auch die Sektorenkopplung ist für ihn ein wichtiges Thema, bei der die Digitalisierung das Bindeglied ist.

Das Eingangsstatement von Herrn Wang vom VDI Zentrum Ressourceneffizienz, das im Auftrag des Bundesumweltministeriums arbeitet, betrifft ebenfalls die Chancen, die sich durch Digitalisierung ergeben. Sie ist in seinen Augen eine wesentliche Grundlage für unternehmensübergreifende Effizienzgewinne, die im Rahmen der kreislaufwirtschaftlichen Ambitionen der Bundesregierung zunehmend an Bedeutung gewinnen. Diese wiederum können zu einer klimaneutralen Produktion führen. Dazu müssen die Wertschöpfungsprozesse effizienter gestaltet werden. Das VDI Zentrum Ressourceneffizienz unterstützt KMUs dabei durch die systematische Bereitstellung von Wissens-, Fortbildungs- und Netzwerkangeboten.

Ist Klimaneutralität für produzierende Unternehmen ein realistisches Ziel?

Zu der Frage, ob Klimaneutralität für produzierende Unternehmen ein realistisches Ziel ist, vertritt Herr Heigele die Meinung, dass sich jedes Unternehmen die Frage stellen muss, wie Klimaneutralität erreicht werden kann. Das Hundertprozentziel innerhalb der nächsten 10 Jahre zu erreichen, schätzt er als schwierig ein und vertritt deshalb den 80/20-Ansatz, also erstmal mit einer 80%-Zielmarke zu starten, anstatt gar nichts zu tun. Herr Irlbeck stimmt dieser Aussage zu und ergänzt, dass es besonders schwierig sein wird, je mehr internationale Akteure an der Wertschöpfungskette beteiligt sind. Hier gewinnt insbesondere die Kreislaufwirtschaft an Bedeutung. Herr Wang sieht es als wesentlich an, das Gesamtsystem beherrschbar zu machen. Es müssen nicht nur die Emissionen einzelner Unternehmen betrachtet werden, sondern die gesamten Wertschöpfungsketten.

Wo liegen die Hemmnisse für den Mittelstand?

Auf die Frage, welche Hemmnisse es für die Unternehmen gibt, denen auch im Rahmen der Studie nachgegangen wurde, antwortet Herr Heigele als Vertreter des Mittelstands, dass die Unternehmen noch nicht genügend mitgenommen werden. Ihnen muss klar gemacht werden, dass sie ihre Energieversorgung flexibler und damit auch resilienter aufbauen müssen, um marktgerecht produzieren zu können. Hier sei unter anderem auch die Politik gefragt, um die Unternehmen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion zu unterstützen. Politische Rahmenbedingungen müssen Verlässlichkeit und Vertrauen widerspiegeln. Das Ziel von Unternehmen sei es schließlich, in erster Linie Geld zu verdienen. Wenn sich durch Klimaschutzmaßnahmen also Geld verdienen bzw. überhaupt die Wettbewerbsfähigkeit sichern ließe, sei dies für Unternehmen ein starker Antrieb, entsprechende Investitionen zu tätigen. Dazu brauchen sie aber auch Vertrauen in die Politik für diese langfristigen und hohen Investitionen.

Auch Herr Irlbeck vertritt die Meinung, dass viele kleinere und mittelständische Unternehmen sich scheuen, den ersten Schritt zu tun, um ihre Energieversorgung umzustellen. Ihnen rät er, sich erstmal Transparenz zu verschaffen und dann die bereits vorhandenen Technologien zu nutzen. Langfristig sieht er großes Potenzial darin, dass einzelne Unternehmen im Verbund zusammenarbeiten und sich dann die gesamten Lieferketten auch global optimieren lassen.

Herr Wang fügt hinzu, dass viele KMUs in einer Zulieferbeziehung zu größeren OEMs stehen und sich schwer tun, digitale Anwendungen zu finden, um die vielfältigen kundenspezifischen Anforderungen zu erfüllen. Besonders Ihnen muss der Zugang zu geeigneten IT-Partnern erleichtert werden.

Was kann der produzierende Mittelstand jetzt also konkret tun?

Welche Empfehlungen oder Angebote gibt es für den produzierenden Mittelstand hin zu einer klimaneutralen Produktion, die Ressourcen und Energie einspart? Die Runde ist sich einig, dass durchschnittliche mittelständische Unternehmen sicherlich nicht in der Lage sind, die notwendigen digitalen Lösungen selbst zu entwickeln und zu implementieren. Hier muss Unterstützung gegeben werden.

Herr Heigele empfiehlt den Unternehmen, die Energieversorgung, Energieverteilung und den Produktionsprozess gemeinsam zu betrachten, um die Ergebnisse in eine Gesamtbetrachtung führen zu können. Sein Unternehmen unterstützt energieseitig. Dazu wird eine kostenfreie Erstberatung angeboten, um dann eine Einschätzung der Aufgabenstellung und der Ausgangslage zu bekommen. Erst dann wird ein Angebot erstellt und dient als Grundlage für das jeweilige durchzuführende Projekt.

Er verweist in diesem Zusammenhang auf interessante Förderprogramme der Länder, wie z.B. zur Abwärmenutzung. Sie fördern die Konzeptberatung und übernehmen bis zu 75% der Kosten. Das VDI ZRE wiederum bietet ein breites Spektrum an kostenlosen Werkzeugen und Informationsangeboten, das Unternehmen nutzen können, um eigenständig Verbesserungspotenziale zu identifizieren und Maßnahmen zu planen.

Besonders die energetische Planung von Gebäuden und Produktionsanlagen müsse digitaler werden, ergänzt Herr Irlbeck abschließend. Dazu müssen Genehmigungsverfahren z. B. für Netzanschlusspunkte erneuerbarer Energien deutlich vereinfacht werden. Auch plädiert er für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und verschiedenen Branchen.

Die Unterstützungsangebote von Bayern Innovativ

Das ist die perfekte Überleitung für das Schlusswort der Podiumsdiskussion durch Herrn Dr. Bock. Er verweist nochmals auf die zahlreichen Unterstützungsangebot von Bayern Innovativ. Dazu gehören die Förderlotsen, die beim Thema finanzielle Förderung unterstützen und es gibt die so genannten Sustainability Assessments. Dabei wird der aktuelle Stand zum Thema Nachhaltigkeit ermittelt und entsprechende Handlungsoptionen abgeleitet.

Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“

In dem Veranstaltungsformat der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.

ZD.B-Themenplattform Digital Production & Engineering

Die Themenplattform Digital Production & Engineering fördert den Austausch zwischen Anbietern, Anwendern und Forschungseinrichtungen, ermöglicht Best-Practice-Sharing innerhalb der Industrie, informiert zu Themen, Trends und Technologien und beschleunigt den Technologie- und Wissenstransfer, zum Beispiel durch die Initiierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten.

ZD.B-Themenplattform Digitalisierung im Energiebereich

Die Aktivitäten der Themenplattform Digitalisierung im Energiebereich sind die Vermittlung von Kompetenz in digitalen Schlüsseltechnologien (u. a. Blockchain, Smart Data, Vernetzte Quartiere), die Gestaltung der regionalen Energiezukunft, die Stärkung von digitalen Innovationen im Energiebereich und die Schaffung von zukunftsfähigen Rahmenbedingungen und vernetzten Ökosystemen über Branchen und Sektoren hinweg, so dass die digitale Energiewende zu einem Erfolg für Bayern gemacht werden kann.

Die Roadmap zum Download

Mehr Informationen sowie die Möglichkeit zum kostenlosen Download der Roadmap „Vision: 2045 – zur klimaneutralen Produktion mit Digitalisierung“ finden Sie hier.

Kontaktdaten der Referierenden

Wei Min Wang
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Digitalisierung und Industrie 4.0, VDI Zentrum Ressourceneffizienz (VDI ZRE)
Per E-Mail kontaktieren: Per Mail kontaktieren

Maximilian Irlbeck
Head of Strategy and Business Development, ENIANO GmbH
Per E-Mail kontaktieren: Per Mail kontaktieren

Markus Heigele
Vertriebsingenieur, Alois Müller Holding GmbH & Co. KG
Per E-Mail kontaktieren: Per Mail kontaktieren