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Intelligente und kollaborative Robotik in der Fabrik der Zukunft
04.12.2023
In der Vergangenheit war Automatisierung in der Industrie oft mit dem Bild von isolierten Robotern in abgeschirmten Bereichen verbunden. Diese Roboter führten monotone Aufgaben in hochstandardisierten Prozessen aus und waren teuer in der Anschaffung und im Betrieb. Doch die Zeiten haben sich geändert. Dank digitaler Technologien stehen heute intelligente, kollaborative Robotik-Lösungen zur Verfügung, die ihre Umgebung wahrnehmen, sich anpassen und mit dieser interagieren können.

Diese Entwicklung bietet Unternehmen die Möglichkeit, dem wachsenden Fachkräftemangel zu begegnen, indem sie Produktionsprozesse teilweise automatisieren. Auch die Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland wird durch intelligente Robotik attraktiver, da kürzere Lieferketten möglich werden.
Die Frage für Unternehmen lautet nun: Wo und wie kann intelligente und kollaborative Robotik am besten eingesetzt werden? Das Webinar der ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ im Oktober 2023 gab im Rahmen der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und -ergebnisse zu intelligenter und kollaborativer Robotik für industrielle Anwendungen.
Mensch-Roboter Kollaboration in der industriellen Montage und Demontage
Im ersten Vortrag stellt Prof. Dr. Tobias Kaupp, Leiter des Centers für Robotik (CERI) an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS), eingangs die Aktivitäten und Ziele des Zentrums vor. Dieses bietet als eines der ersten in Deutschland den Bachelorstudiengang Robotik an und zielt darauf ab, dem Fachkräftemangel in der regionalen Industrie entgegenzuwirken. Das Institut betreibt Forschung und Transfer in enger Zusammenarbeit mit der Industrie. Die Robotikforschung am CERI konzentriert sich auf zwei etablierte Arbeitsfelder: die robotergestützte Fertigung und Montage, die Thema des Vortrags sind, sowie die Intralogistik in der Smart Factory mit Schwerpunkt auf fahrerlosen Transportsystemen.
Vergleich zwischen der klassischen und kollaborativen/intelligenten Robotik
Zunächst vergleicht Prof. Dr. Kaupp klassische Industrierobotik und kollaborative/intelligente Robotik. Zu den wesentlichen Unterscheidungskriterien gehören Umgebungswahrnehmung/Intelligenz, Sicherheit und Programmierbarkeit. Klassische Industrieroboter agieren schon seit Jahrzehnten blind und identisch, sie führen vorprogrammierte Bewegungen sehr präzise und wiederholgenau aus. Diese Art von Robotern wird normalerweise einmalig durch Experten für die Massenproduktion programmiert und es gibt wenig Veränderungen. Kollaborative Roboter, die sogenannten Cobots, hingegen weisen die Fähigkeit zur Umgebungswahrnehmung und zur Zusammenarbeit mit Menschen auf. Sie machen Stand heute mit sieben Prozent einen noch eher geringen Marktanteil aus. Die drei Hauptgründe für die begrenzte enge Kollaboration sind der Konflikt zwischen Sicherheit und Produktivität, die eingeschränkte Intelligenz der Systeme sowie die manuelle Aufteilung der Montageschritte zwischen Mensch und Roboter.
KoPro Forschungsprojekt: Kollaborative Prozessketten
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, wird an der THWS unter anderem an dem Projekt Kollaborative Prozessketten (KoPro) gearbeitet, das von der bayerischen Forschungsstiftung gefördert wird. Ziel dieses Projekts ist die Verbesserung der Planungs- und Ausführungsphase in der Montage. Hierbei sollen Montageabläufe automatisch aus Produkt- und Prozessdaten extrahiert und an die aktuelle Situation während der Montage angepasst werden. Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt ein Anwendungsbeispiel. Hier wird die kollaborative Montage von Bauteilen vorgestellt, bei der ein hybrides Team aus Mensch, Roboter und Werkerassistenzsystem zusammenarbeitet. Ziel ist es, die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu ermöglichen und Montageprozesse dadurch teilweise zu automatisieren.
Demontage am Beispiel E-Waste Recycling
Ein weiteres Beispiel behandelt die Demontage im E-Waste-Recycling. Hier werden kollaborative Roboter eingesetzt, um komplexe Demontageaufgaben autonom auszuführen, wie das Erkennen von Komponenten oder das Austauschen von defekten Teilen. Dies zeigt das Potenzial von Cobots in verschiedenen Anwendungsgebieten, insbesondere in der Entsorgungs- und Recyclingindustrie.
Kollaborative Robotik für die Zukunft der Industrie
Zusammenfassend betont Prof. Dr. Kaupp die Bedeutung der Weiterentwicklung von kollaborativen Robotern, um die Zusammenarbeit mit Menschen zu verbessern und die Automatisierung in verschiedenen Industriebereichen voranzutreiben. Während enge Kollaborationen, bei denen Mensch und Roboter gleichzeitig an einem Werkstück arbeiten, heute noch eher die Ausnahme sind, bieten Cobots dennoch vielfältige Einsatzmöglichkeiten.
Die zukünftige Robotikentwicklung wird eine zunehmende Integration von Intelligenz und Anpassungsfähigkeit in kollaborative Systeme sein, um noch effizientere und sichere Zusammenarbeit zu ermöglichen.
Intuitive Konfiguration und flexible Ausführung auf variablen Roboterstationen
Zu Beginn seines Vortrags stellt Dr.-Ing. Korbinian Nottensteiner das Institut für Robotik und Mechatronik, das Teil des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) ist, vor. Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt mit über 30 Standorten und rund 10.000 Mitarbeitern. Obwohl das Institut hauptsächlich in der Raumfahrtforschung tätig ist, wird auch an Anwendungen für die Produktion der Zukunft geforscht. Diese erfordert mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um den sich ändernden Marktanforderungen gerecht zu werden. Dazu wurde das Projekt "Factory of the Future" vom Institut für Robotik und Mechatronik unter der Beteiligung weiterer DLR-Institute und externer Partner gestartet. Herr Dr. Nottensteiner zeigt, wie mit variablen Roboterarbeitsstationen eine breite Palette von Produktionsaufgaben bewältigt werden kann, angefangen bei der Montage bis hin zur Qualitätssicherung. Ziel ist es, eine vollständig digitale Prozesskette zu schaffen, die von der Produktspezifikation bis zur Ausführung reicht und eine effiziente Umsetzung neuer Aufgaben mit geringem Aufwand ermöglicht.
Der eigens entwickelte kollaborative Leichtbauroboter SARA
Dabei spielt der kollaborative Leichtbauroboter SARA des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik eine zentrale Rolle und ermöglicht zusammen mit dem Human Factory Interface (HFI) eine intuitive Konfiguration und flexible Ausführung. SARA zeichnet sich aus durch seinen großen Arbeitsraum, einen integrierten Werkzeugwechseladapter und spezieller Sensorik zur Erfassung externer Kräfte. Dies ermöglicht eine sichere Zusammenarbeit mit Menschen, die Aufzeichnung von Interaktions- und Prozesskräften während Demonstrationen und der Ausführung von kontaktintensiven Fertigungsprozessen. Neben dem eigentlichen Prozess kann der Leichtbauroboter mittels eines Planungssystems auch selbständig vorbereitende Schritte in einer variablen Arbeitsstation durchführen und somit den manuellen Aufwand reduzieren.
Praxisbeispiel: Bestückung einer Kettensäge
Ein praktisches Beispiel, das im Rahmen des Projekts umgesetzt wird, ist die Montage einer elektrischen Kettensäge. Hierbei wird eine variable Arbeitsstation verwendet, auf der verschiedene Werkzeuge wie Greifer und Schrauber zur Verfügung stehen. Der Roboter platziert Halterungen, auf denen Werkstücke positioniert werden können selbstständig. Diese Hardware wird mithilfe eines CAD-Exports in eine digitale Wissensdatenbank überführt. Durch die Nutzung wiederverwendbarer, objektzentrischer Roboterfertigkeiten und des HFI als Nutzerschnittstelle können die Aufgaben intuitiv parametrisiert und geplant werden.
Praxisbeispiel: Qualitätssicherung
Ein weiteres Beispiel betrifft die Qualitätssicherung, bei der ein spezielles Messgerät zur Vermessung von Lagerringen verwendet wird. Auch hier wird gezeigt, wie das System selbstständig Aufgaben konfigurieren und feinfühlig ausführen kann, wobei menschliche Demonstrationen genutzt werden, um fehlendes Wissen zu ergänzen und ein Bewegungsmodell für die Roboterfertigkeiten einzulernen.
Flexible und anpassungsfähige Produktion der Zukunft
Insgesamt strebt das Institut an, mehr Autonomie in die gesamte Prozesskette zu integrieren, um den Menschen zu entlasten. Dabei ermöglicht es jederzeit die Interaktion mit dem Menschen, um eine flexible und anpassungsfähige Produktion der Zukunft zu realisieren. Die intelligente kollaborative Robotik des Instituts ermöglicht eine intuitive Bedienung und eine schnelle Rekonfiguration von Arbeitsstationen.
AI for industrial robots: With robobrain® to maximum flexibility in your company
In seinem Vortrag betont Herr Roland Singer von der Firma robominds die Vorteile intelligenter Robotik und präsentiert dabei innovative Technologien, die die Branche vorantreiben. Eine dieser Technologien ist das firmeneigene Produkt robobrain® – eine intelligente, prozessorientierte Steuerungsplattform für Roboter, basierend auf künstlicher Intelligenz (KI). Diese fortschrittliche Technologie verleiht Industrierobotern Intelligenz, ohne dass aufwendiges Einlernen erforderlich ist, und ermöglicht somit die schnelle Umsetzung von Automatisierungsprozessen unabhängig vom Roboterhersteller und ohne Expertenwissen.
Dabei funktioniert die Steuerungsplattform autark und erfordert keine Cloud-Anbindung oder Internetverbindung. Daten werden auf dem System gespeichert und nicht nach außen übertragen, es sei denn, der Betreiber gewährt Remotezugriff für Support oder Updates.
Die Kombination der Steuerungsplattform, einem Roboterbetriebssystem und speziell entwickelter KI-Fähigkeiten ermöglicht die Steuerung verschiedener Roboterkomponenten wie Roboterarme, Greifer und Visionssysteme. Dies führt zu individuellen Lösungen für Lager- und Laborautomatisierung, je nach den erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Hand-Auge-Koordination, eine komplexe Herausforderung in der Robotik, wird durch das System erleichtert.
Schluss mit aufwändigem Programmieren
Die herkömmliche, zeitaufwendige und komplexe Programmierung von Robotern wird durch intelligente Robotik revolutioniert. Anstelle von Hunderttausenden manuell eingegebener Befehle liefert nun Künstliche Intelligenz die benötigte Prozessintelligenz. Diese benutzerfreundliche und flexible Herangehensweise an die Roboterprogrammierung wird durch Kamerasysteme zur Objekterkennung und neuronale Systeme zur Umsetzung dieser Informationen in Bewegungen unterstützt. Dadurch kann das System Objekte identifizieren und handhaben, ohne dass spezielles Training erforderlich ist.
Entwicklung von Skills für verschiedene Aufgaben in der Intralogistik
Verschiedene KI-Fähigkeiten wurden für verschiedene Anwendungen entwickelt, darunter die Erkennung von Produkten in Kisten, das Greifen von Weißwürsten und Brezeln sowie das Bestücken von Kisten mit Kleinladungsträgern (KLT). Diese Fähigkeiten erlauben es dem System, verschiedene Aufgaben autonom auszuführen. Im Projekt SINA (Smart Kitting Solution for Intralogistics Automation), wurde ein automatisiertes Lager entwickelt, um Produkte basierend auf Bestellungen zu kommissionieren.
Der Vortrag von Herrn Singer unterstreicht die vielfältigen Anwendungen und die Benutzerfreundlichkeit der intelligenten Robotik in der Produktion. Dies dient als Beispiel für erfolgreiche Produktentwicklungen in der Industrie, die eine zukunftsweisende Produktion ermöglichen, in der Mensch und Maschine sich perfekt ergänzen können.
Abschließende Podiumsdiskussion
Ob es um die Unterscheidung zwischen Cobots und Leichtbaurobotern, Kriterien für die Aufgabenzuordnung zwischen Menschen und Robotern oder um Sicherheitsmerkmale und Normen ging – in der abschließenden Runde wurden die zahlreichen Fragen der Teilnehmenden besprochen. Die Diskussion ergab unter anderem, dass Cobots zwar heute schon in der Lage sind, komplexe Aufgaben auszuführen, aber es noch viele Herausforderungen und Entwicklungsbedarf gibt, insbesondere im Bereich der Sensorik und der Interaktion mit Menschen. Es wurde auch betont, dass Sicherheitsaspekte weiterhin von großer Bedeutung sind.
Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“
In dem Veranstaltungsformat des Bereichs Material & Produktion von Bayern Innovativ geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.
Bei diesem Webinar war der Cluster Mechatronik & Automation involviert – die Plattform für den branchenübergreifenden Austausch von Kompetenzen in Digitalisierung & Industrie 4.0. Zu den strategischen Innovationsthemen gehören unter anderem Production Security, Additive Fertigung, mechatronische Antriebstechnik, künstliche Intelligenz und eben die Robotik für eine Produktion der Zukunft.
Kontaktdaten der Referierenden
Prof. Dr. Tobias Kaupp, Professor für Digitale Produktion & Robotik und Leiter des Center für Robotik (CERI), Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS)
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Dr.-Ing. Korbinian Nottensteiner, Projektleiter und Sprecher für die Domäne Produktion der Zukunft des Instituts für Robotik und Mechatronik, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Oberpfaffenhofen
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Roland Singer, Partner Manager, robominds GmbH
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