Umfassende Verhaltensänderungen der Menschen sind für die Mobilität von Morgen notwendig (Bildnachweis: iStock©Wenjie_Dong).
Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Sharing Economy
Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Sharing Economy – in letzter Zeit wird viel von einem rapiden Wandel im Mobilitätsverhalten der Menschen gesprochen. Wie passt das mit dem weiterhin stetigen weltweiten Wachstum des motorisierten Individualverkehrs zusammen?
Prof. Dr. Andreas Knie: Auf den ersten Blick stimmt es natürlich, dass der motorisierte Individualverkehr stetig zunimmt. Wir haben es hier allerdings mit einem sich „widersprechenden Phänomen“ zu tun. Denn auf der einen Seite wird alles dafür getan, immer mehr Autos in den Markt zu bringen – Gründe dafür sind der weltweit günstige Kraftstoff, Steuervorteile für Dieselfahrzeuge und so weiter. Auf der anderen Seite werden die Funktionseinbußen von Autos immer deutlicher, insbesondere in den urbanen Räumen. Der kurze Weg von A nach B ist mit dem Auto mitunter ziemlich beschwerlich geworden. Außerdem funktionieren Autos immer weniger als Differenzierungsmerkmal.
Elektrifizierung: Die Lösung für Verkehrsprobleme?
Die Elektrifizierung wird als mögliche Lösung unserer Verkehrsprobleme propagiert. Schaffen wir mit Elektroautos und -zweirädern wirklich weniger Verkehr – oder werden sie einfach zusätzlich zum bestehenden Fuhrpark gekauft?
Prof. Dr. Andreas Knie: Menschen, die ein elektrisches Fahrzeug haben, fahren damit weniger und nutzen dafür mehr andere Verkehrsträger. Daher führen elektrische Fahrzeuge definitiv zu weniger Personenkilometern. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass diese unterschiedlichen Gerätschaften nicht durchgängig intermodal verknüpft sind. Aktuell befinden sich in Deutschland 45 Millionen Autos im Markt. Perspektivisch würden bei Nutzung eines Mix aus wasserstoff-elektrischen Autos für die Langstrecke und batteriebetriebenen Car-Sharing-Fahrzeugen für kürzere Strecken ungefähr 25 Millionen Elektroautos ausreichen, um das Verkehrsaufkommen in Deutschland abzudecken.
Wie erreichen wir eine Mobilitätswende?
Sie sind Soziologe. Welche Verhaltensänderungen müssen bei den Menschen stattfinden, um eine echte Mobilitätswende zu erreichen?
Prof. Dr. Andreas Knie: Um unsere Klimaziele zu erreichen, muss der Verkehr massiv reduziert werden. Dem Team von Agora Verkehrswende zufolge müssen 40 Prozent der Einsparungen durch die Veränderung des menschlichen Verhaltens erzielt werden. Eine Herausforderung dabei ist, dass uns das Auto als Teil des privaten Glücks anerzogen wurde. In Deutschland ist pro fahrberechtigtem Bewohner mehr als ein Auto zugelassen. Benötigen wir das wirklich für unsere Mobilität? Außerdem stößt das Auto als Funktionselement zunehmend an seine Grenzen. Das neue Element zur funktionalen Differenzierung ist längst das Smartphone. Es verknüpft intermodale Verkehrsketten intelligent und fasst sie zu einem kundenfreundlichen Mobilitätsnutzen zusammen. „Lead-User-Tun“ wird auch über seinen Innovationsgrad zu einer Verhaltensänderung der Menschen führen.
Experimentierräume für die Mobilität von Morgen
Die Allianz „Mobilitätswende“ fordert unter anderem groß angelegte Experimentierräume für die Mobilität von Morgen – wie könnte so ein Experimentierraum ihrer Meinung nach aussehen?
Prof. Dr. Andreas Knie: Wir in Deutschland neigen ja zu einer starken Regulierung unseres Verkehrs, unserer Gesellschaft, ja unseres Lebens. Grundsätzlich sollten wir uns erlauben, mehr auszuprobieren – zum Beispiel die Möglichkeiten des mobilen Internets im Hinblick auf die Arbeitnehmerflexibilität. Übertragen auf Experimentierräume für die Mobilität bedeutet das, mindestens eine der geltenden Regelungen außer Kraft zu setzen. Kostenfreies Parken für elektrische Car-Sharer, die 100 Prozent Grün-Strom beziehen, wäre eine mögliche Maßnahme. Das Ganze gilt es dann natürlich wissenschaftlich zu begleiten. Ein Ziel könnte sein, dass man damit eine soziale Praxis schafft, die über die Testphase hinaus Bestand hat und in der Folge auch Gesetze ändert. Den idealen Experimentierraum gibt aber meiner Meinung nach nicht.