30 Jahre Gesundheit – Innovationen, die Leben verändern
Von der Kapsel bis zur KI: 30 Jahre Gesundheit im Wandel
01.10.2025
Von 3D-gedruckten Prothesen über Operationsroboter bis hin zu digitalen Monitoring-Systemen: Kaum eine Branche hat in den vergangenen drei Jahrzehnten so viele Umbrüche erlebt wie das Gesundheitswesen. Fortschritte in Forschung und Technik haben unseren Blick auf Versorgung, Prävention und Pflege grundlegend verändert – und gleichzeitig neue Fragen aufgeworfen: Wie gehen wir mit der Flut an Studien um? Wie lässt sich der Fachkräftemangel abfedern? Und welche Rolle spielen Gesundheitsdaten künftig für jede einzelne Patientin und jeden Patienten?
Über diese Fragen, die größten Innovationen der vergangenen 30 Jahre und die Zukunft des Gesundheitssystems spricht Sebastian Hilke, Leitung des Innovationsnetzwerks Gesundheit bei Bayern Innovativ, im nachfolgenden Interview.
Was hat Sie dazu motiviert, im Gesundheitsbereich zu arbeiten?
Sebastian Hilke: Ursprünglich war es mal mein Plan, Wirtschaftsingenieurswesen zu studieren, weil das für mich eine spannende Verbindung zwischen Technik und Wirtschaft war. Das mit der Technik war aber doch nicht so mein Ding.
Dann habe ich festgestellt, dass es das Gesundheitsmanagement gibt. Das fand ich spannend, weil der soziale Aspekt, also etwas mit Menschen zu machen, sehr gut abgebildet wurde.
Und so habe ich im Rahmen meines Studiums in einem Seminar zum Thema E-Health festgestellt, dass die Gesundheit doch mit Technik zusammenhängt. Das fand ich sehr spannend, weshalb ich mich dann in meiner Diplomarbeit mit dem Thema Telemedizin und dem Status quo der Telemedizin in Deutschland beschäftigt habe.
Nach dem Studium hatte ich das Glück, auch im Bereich der Telemedizin weiterarbeiten zu können und live mitzuerleben, welchen Mehrwert solche Technologien für die einzelnen Patientinnen und Patienten haben können. Das ist auch das, was mich an der Arbeit reizt: etwas tun, bei dem man die Vorteile für die Versorgung von uns allen deutlich sieht und spürt.
Was waren die einflussreichsten Innovationen der letzten 30 Jahre im Gesundheitswesen?
Sebastian Hilke: Grundsätzlich hat sich in vielen Bereichen viel getan. Es gibt neue Werkstoffe, mit denen man Prothesen bauen kann. Es gibt Biomaterialien, die dem Körper gleichen. Wir können diese neuen Werkstoffe durch den 3D-Druck individuell anpassen an die einzelnen Patientinnen und Patienten. Es gibt Roboter, die in der Chirurgie mit unterstützen und Operationen sicherer machen.
Auch die zunehmende Miniaturisierung spielt eine große Rolle: Mittlerweile gibt es Kapseln, die geschluckt werden können und Fotos vom gesamten Magen-Darm-Trakt machen. Wir haben auch große Fortschritte in der Genomik gemacht. Wir können DNA-Analysen auswerten und daraus Rückschlüsse auf die zukünftige Gesundheit eines Menschen schließen und damit wiederum personalisierte therapeutische Angebote schaffen.
Auch die Digitalisierung hatte einen wahnsinnig großen Impact auf viele Bereiche der Gesundheit. Also es hat sich wirklich sehr viel getan in den vergangenen Jahren.
Welche Innovation hatte Ihrer Meinung nach den größten Einfluss auf die Gesundheitsbranche?
Sebastian Hilke: Die Digitalisierung. Nicht nur, weil es eines meiner Steckenpferde ist. Hier hat sich schon sehr früh, in den 1990ern gezeigt, wie die Digitalisierung und die Computer in der Forschung und Entwicklung von Wirkstoffen und Medizinprodukten unterstützen können.
Später kam dann das Thema Digitale Versorgungslösungen, also Telemedizin, aber auch digitale Gesundheitsanwendungen oder die elektronische Patientenakte. Das sind alles Dinge, die in den letzten Jahren immer mehr Raum eingenommen haben und in den letzten fünf bis sieben Jahren Fahrt aufgenommen und einen großen Mehrwert in der Versorgung gebracht haben.
Die Digitalisierung hat aber auch nicht nur Vorteile. Die Nachteile sehe ich darin, dass die Forschung immer schwieriger zu überblicken wird. Früher gab es vielleicht 400 neue Studien pro Jahr, sodass man sich als Behandelnder gut mit ein paar Studien pro Tag fortbilden konnte.
Heute werden Studien im sechsstelligen Bereich veröffentlicht, was es schwierig macht, in allen Facetten informiert zu bleiben. Hier kann wiederum die Digitalisierung unterstützen, richtige Entscheidungen zu treffen und die richtigen Therapien auszuwählen.
Wie haben die vielen Innovationen und damit auch das schnelle Wachstum des Gesundheitsfelds Ihre Arbeit im Team bei Bayern Innovativ verändert?
Sebastian Hilke: Grundsätzlich lag unser Fokus, auch in unserem Forum MedTech Pharma, auf der Medizintechnik und Medizinprodukten. Dabei waren unsere Themen die Zulassung von Medizinprodukten und die Frage, wie die Innovation aus der Wissenschaft in den Markt kommt.
Heute sind wir breiter aufgestellt und müssen auch deutlich breiter aufgestellt sein. Wir schauen uns eben auch an, wie digitale Versorgunglösungen entwickelt und zugelassen werden und wie dort der Markteintritt gelingen kann.
Das sind ähnliche Prozesse, aber doch mit unterschiedlichen Details. In dem Bereich haben wir mittlerweile ein starkes Team. Wir kümmern uns auch um das Thema Pflege, und da nicht nur um digitale Lösungen, sondern auch wie die Pflege unterstützt werden kann. Denn das ist ein Bereich, der aus meiner Sicht in den letzten Jahren stark in Bezug auf Unterstützung von Innovationen vernachlässigt wurde. Dort wollen wir die Innovationen mit voranbringen.
Gibt es ein konkretes Projekt, das Sie besonders geprägt hat?
Sebastian Hilke: Ehrlich gesagt nein. Nicht, weil die Projekte nicht erfolgreich waren, sondern weil wir in den letzten Jahren so viele spannende Themen und Projekte umgesetzt haben, dass ich schwer nur ein Projekt herausstellen kann. Unser Veranstaltungsaushängeschild ist der Medtech SUMMIT. Wir veranstalten aber auch Hackathons, bei denen wir stark in die Ideation reingehen, um die Ideen für Lösungen gemeinsam mit Partnern zu generieren.
Es gibt bei uns auch noch viele andere Projekte, wie beispielsweise den European Digital Innovation Hub DigiCare, bei dem es um die Digitalisierung für die Produkte direkt in der Industrie, aber auch um die Entwicklungsprozesse geht.
Wir haben ein spannendes INKJET-Projekt, bei dem wir uns damit beschäftigen, wie Wirkstoffe durch Tintenstrahldruck so appliziert werden, dass sie direkt über die Haut wirken, also ein ganz anderes Thema.
Auch die Telematik-Infrastruktur-Modellregion, in der wir uns in den letzten Monaten die elektronische Patientenakte angeschaut haben, wird wieder durch Healthcare BY Your Side, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention, wo wir auch mit vielen Leistungserbringenden sprechen und versuchen, Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zu leisten.
Es ist ein breites Feld von den Medizinprodukten und -technik, bis hin zur Aufklärungsarbeit und der Frage, wie die Bevölkerung als Akteur mit den neuen Lösungen zurechtkommt.
Innovation und Fortschritt im Gesundheitswesen entstehen nur, wenn Wirtschaft, Wissenschaft und Start-ups an einem Strang ziehen. Durch dieses Zusammenspiel kann die Gesundheitsversorgung nicht nur verbessert, sondern zum Wohle der Menschen transformiert werden.
Sebastian Hilke
Leitung Gesundheit, Bayern Innovativ
Was sind Ihrer Meinung nach die Erfolgsfaktoren dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Start-ups gelingt?
Sebastian Hilke: Grundsätzlich können Innovation und Fortschritt im Gesundheitswesen nur durch dieses Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Start-ups funktionieren und somit die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern.
Die Unternehmen bringen oft die finanziellen Mittel und die Markterfahrung mit, weil sie schon länger auf dem Markt unterwegs sind.
Die wissenschaftlichen Innovationen bringen das tiefgehende Know-how, die Grundlagenforschung und auch die Kapazitäten, Forschung in dieser Breite und Tiefe überhaupt umsetzen zu können.
Die Start-ups sind dann der agile Part, die können auch mal schnell etwas umsetzen und Innovation auch mal ausprobieren.
Diese verschiedenen Zusammenspiele machen es aus und machen auch die Arbeit so spannend, weil man eben sieht, wie die Innovationen entstehen. Unsere Aufgabe als Innovationsnetzwerk ist es, diese verschiedenen Akteure zu kennen, sie zusammenzubringen, sie anzutreiben und zu schauen, wo man vielleicht auch etwas kombinieren kann, was vielleicht noch nicht so offensichtlich zusammenpasst.
Am Ende des Tages haben wir immer das große Ziel, einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für das Gesundheitswesen in den nächsten Jahren?
Sebastian Hilke: Ich sehe zwei große Herausforderungen. Die eine ist das Thema Kostensteigerung. Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem in Deutschland, es ist aber auch sehr teuer. Es gibt vermeidbare Doppeluntersuchungen, wir haben langwierige diagnostische Prozesse, bei denen teilweise jahrelang versucht wird, herauszufinden was los ist. Manchmal haben wir auch eine kritische Studienlage, da gibt es zum Beispiel das Problem der Gender-Health-Gap-Studien, viel Forschung ist auf Männer ausgerichtet, was bedingt, dass Frauen teilweise in der Diagnostik und der Therapie nicht richtig abgebildet sind, wodurch Dinge viel zu spät erkannt werden. Da muss man viel mehr auch individuell reingehen und personalisierter diese Themen erforschen und untersuchen.
Wir müssen auch viel mehr präventiv arbeiten. Aktuell wird bei uns eher die Reparatur-Medizin praktiziert, wir reagieren zu viel und agieren zu wenig. Ich glaube, mit mehr Prävention kann man viel handeln, wobei eben auch die Digitalisierung ein spannendes Tool ist. Mit digitalen Monitoring-Systemen oder Devices kann man vieles früher erkennen und so im besten Fall sogar schwerwiegende Krankheiten vermeiden.
Der zweite Punkt ist der Personalmangel. Durch den demographischen Wandel gibt es zu wenig Personal in der Pflege, in der medizinischen Versorgung und das verschärft sich mit der Zeit noch. Hier kann die Technologie eine Schlüsselrolle spielen, sie kann das Problem zwar nicht auflösen, aber sie kann entsprechend unterstützen und Routine- oder Dokumentationstätigkeiten abfangen, um mehr Kapazität für die eigentliche Pflege und die medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen.
Welche Technologien und Innovationen sehen Sie als Gamechanger für die Branche?
Sebastian Hilke: Alles, was sich um das Thema Gesundheitsdaten dreht. Wir werden in vier Jahren den European Health Data Space haben, den wir aus meiner Sicht schon viel früher hätten haben müssen.
Das ist ein wichtiger Punkt: Gesundheitsdaten in der Breite zur Verfügung zu haben, nicht nur für die Forschung, sondern auch für die tagtägliche Diagnostik und Therapie. Das ist dieser Primärnutzen, also nicht nur im Forschungsrahmen nach den Daten zu schauen, sondern auch die täglich anfallenden Daten, sei es in der Arztpraxis, im Pflegeheim, in der Apotheke oder im Krankenhaus.
Überall wo Daten fallen, sollten diese auch gesammelt und ausgewertet werden. Dabei kann auch die künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle einnehmen, denn für uns ist es schwer, aus diesem Datenwust ein sinnvolles Bild zu schaffen und vielleicht auch Zusammenhänge in einer Gesellschaft zu erkennen und hier kann dann die KI unterstützen.
Also durch dieses Thema Gesundheitsdaten können wir einen großen Schritt in eine aktiviere und zeitnahe Medizin machen, die auch näher am Point of Care ist.
Wie sieht es mit der Anonymisierung der Gesundheitsdaten aus?
Sebastian Hilke: Es müssen nicht immer nur anonymisierte Daten sein. Wenn die Daten anonymisiert sind, können wir keinen Rückschluss auf die einzelnen Personen ziehen. Das heißt, wenn wir Daten in einem großen Kontext untersuchen, zum Beispiel aus einem Kollektiv aus Männern zwischen 40 und 50 Jahren, und dann feststellen, dass es einzelne Personen mit bestimmten Bedingungen gibt, dann können wir denen keine Rückmeldung geben.
Deshalb brauchen wir schon eine Pseudonymisierung, damit wir mit den Ergebnissen den Leuten auch helfen können. Anonymisierung ist nicht immer der beste Weg. Hier ist es eher wichtig, selbstbestimmt und souverän mit den Daten umzugehen und die Entscheidung offen zu stellen, ob man seine Daten der Forschung zur Verfügung stellen möchte, oder eben nicht. Wenn nicht, hat man eben diese Vorteile auch nicht, oder nur über Umwege. Das sollte eben individuell entscheidbar sein.
Wenn Sie 30 Jahre in die Zukunft reisen könnten, was wäre Ihre Frage an das Gesundheitswesen von morgen?
Sebastian Hilke: Das, was mich am meisten interessieren würde ist, wie sich die Technologie weiterentwickelt und welche Devices wir haben werden, wie die Diagnostik und Therapien aussehen werden, wie wir behandeln werden. Das finde ich sehr spannend. Auch zu sehen, welche Durchbrüche es gegeben haben wird und welche Innovationen dabei unterstützt haben.
Das Interview führte Christoph Raithel, Referent der Geschäftsleitung, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg.
Länge der Audiodatei: 00:18:14 (hh:mm:ss)
30 Jahre Gesundheitswesen: Wie Innovationen das Gesundheitssystem transformieren (01.10.2025)
Welche Innovationen haben das Gesundheitswesen in den vergangenen 30 Jahren revolutioniert? Und welche Innovationen werden das Gesundheitssystem künftig revolutionieren? Antworten auf diese und weitere spannende Fragen liefert Ihnen Sebastian Hilke, Leitung des Innovationsnetzwerks Gesundheit.
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