Wie begegnet ein großer Tier 1-Zulieferer wie Webasto dem Wandel der Automobilindustrie?
Dr. Holger Engelmann: Seit ein paar Jahren verfolgt Webasto eine Doppelstrategie aus „Strengthening“ und „Participating“. Darunter verstehen wir zum einen die konsequente Stärkung unserer bestehenden Kerngeschäftsfelder mit Dächern und Heizsystemen und zum anderen die Erschließung neuer Geschäftsfelder, die zu unserem Kompetenz-Profil passen. Dabei liegt unser Fokus auf Produkten und Lösungen für die Elektromobilität, konkret auf Batteriesystemen und Ladelösungen.
Wir wollen die Mobilität der Zukunft mit innovativen Technologien mitgestalten und investieren – auch unter den aktuell erschwerten Bedingungen – in unsere strategische Weiterentwicklung. Ergänzend zu unseren Kernkompetenzen wie Thermomanagement, Elektronik-Know-how und Industrialisierungserfahrung haben wir zum Ausbau unserer neuen Geschäftsfelder in den letzten Jahren zahlreiche Experten für Batterieentwicklung und Ladestationen ins Unternehmen geholt.
Unsere 2019 neu eingeführte Matrixorganisationsstruktur fördert die Zusammenarbeit zwischen „old business“ und „new business“. Dadurch entstehen viele neue Ideen und auch wertvolle Synergien. Um unsere technologisch führende Position in unserer dynamischen Branche weiter ausbauen zu können, brauchen wir auch den Austausch mit anderen. In der Zusammenarbeit mit strategischen Partnern, Lieferanten und Start-ups, unter anderem über die Plattform Startup Autobahn, erhalten wir interessante Impulse für neue Produkte, Prozessoptimierungen oder auch neue Serviceleistungen.
Welche Rolle spielt die Elektromobilität im Gesamtkontext dieses Umbruchs?
Dr. Holger Engelmann: Die Elektromobilität wird in der Mobilität der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Die Entwicklung von Megacities und der Bewusstseinswandel mit Blick auf den Klimawandel treiben das Thema rasch voran.
Wir sehen diesen Umbruch ganz klar als Chance und haben unser Angebotsspektrum frühzeitig entsprechend erweitert. Inzwischen ist Webasto der Markteintritt sowohl mit Batterien als auch mit Ladelösungen gelungen. Dies bedeutet, dass Kunden bereits heute bei uns Produkte aus diesen beiden Bereichen kaufen können – von einem langjährig im Automotive-Bereich tätigen Unternehmen, das für Qualität und Verlässlichkeit steht. Und wir investieren – trotz der enormen Herausforderungen – weiter in neue Technologien.
Stichwort „digitale Plattformen“ und „neue Geschäftsmodelle“ - gibt es Services- und Dienstleistungen, die sie auf ihr vorhandenes Produktportfolio aufsetzen können?
Dr. Holger Engelmann: Wir bauen unsere Produktpalette und unsere Kapazitäten für Dach- und Heizsysteme kontinuierlich weiter aus und entwickeln mit Ambientebeleuchtung, dem elektrischen Hochvoltheizer oder dem Roof Sensor Module auch immer wieder intelligente neue Systeme. Allerdings sind wir in unseren Kerngeschäftsfeldern Weltmarktführer, das heißt, der Wachstumsspielraum ist begrenzt. Deshalb haben wir vor einigen Jahren entschieden, zusätzlich in neue Geschäftsfelder rund um die Elektromobilität einzusteigen und unsere Position als systemrelevanter Lieferant so weiter auszubauen.
Hier entwickelt sich ein spannender neuer Markt, in dem wir viele unserer Stärken ausspielen können: Wir sind zum Beispiel gut darin, ein System wie das Schiebe- oder Panoramadach in ein größeres System, das Auto, einzubauen. Wir wissen, wie die Funktionalität eines Dachs auch bei schlechten Straßenverhältnissen oder bei großen Temperaturunterschieden erhalten bleibt. Um die Fähigkeit der Systemintegration geht es auch bei der Batterie. Und wir kennen die Anforderungen der Hersteller, können weltweit Projekte umsetzen und Lieferanten steuern.
Im Bereich Ladelösungen bieten wir viele zusätzliche Funktionalitäten und Services an, wie zum Beispiel den Installationsservice inklusive Pre-Check sowie ein umfassendes Connectivity-Angebot.
Thema Umfeld: Welche Rahmenbedingungen müssten optimiert werden, damit sich Neue Mobilität richtig durchstartet?
Dr. Holger Engelmann: Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb werden künftig unser Straßenbild prägen. Damit Elektromobilität richtig durchstarten kann, müssen wir diesen Wandel aktiv durch die Entwicklung effizienter und bedarfsgerechter Technologien mitgestalten. In dieser Transformationsphase müssen Unternehmen auch sehr viel stärker miteinander kooperieren, um die Elektromobilität erfolgreich voranzutreiben.
Die flächendeckende Versorgung von Elektro- und Hybridfahrzeugen mit Strom ist eine Grundvoraussetzung für die Elektromobilität. Dafür stellt Webasto ein umfangreiches Portfolio an Ladestationen zur Verfügung, das auf die unterschiedlichen technischen und infrastrukturellen Anforderungen der weltweiten Märkte zugeschnitten ist und Lösungen für Privatkunden sowie Geschäftskunden bietet. Hierbei spielt natürlich auch ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis der Produkte eine entscheidende Rolle.
Aber natürlich ist hier auch die Politik gefragt. Sie muss den Wunsch der Verbraucher nach einer umweltfreundlichen, nachhaltigen Mobilität unterstützen und die Rahmenbedingungen in Hinblick auf die Infrastruktur in Ballungsräumen und ländlichen Gebieten entsprechend anpassen bzw. fördern. Aber weder das Thema Mobilität noch klimafreundliche Technologien lassen sich rein regional oder national denken. Intelligent wäre eine europäische Industrie- und Umweltpolitik, die den Ausbau der Elektromobilität stützt.
Sind die kleinen Automobilzulieferer ausreichend vorbereitet auf die Transformation der Mobilität?
Dr. Holger Engelmann: Bisher gaben die Fahrzeughersteller in der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Lieferantenbasis deutlich den Takt vor. Von Zulieferern wurde erwartet, dass sie den vorgegebenen Weg mitgehen. Das heißt, sie mussten schon immer flexibel sein. Nur wer sich den Anforderungen des Marktes anpasste, überlebte.
Ob die kleinen Automobilzulieferer auf den Strukturwandel ausreichend vorbereitet sind, kann ich nicht grundsätzlich beantworten. Aber viele sind sehr findig und wendig, ihre Produkte und Services auf die Mobilität von morgen auszurichten.
Können Sie kleineren Unternehmen aus der Automobilbranche, die bislang klassische Komponenten wie Kolben, Ventile oder Abgasreinigungsanlagen produzieren und vor ähnlichen Herausforderungen stehen, mit Ihrer Erfahrung Starthilfe geben?
Dr. Holger Engelmann: Webasto befindet sich in einer vergleichsweise komfortablen Lage, da wir nicht für den klassischen Antriebsstrang produzieren. Zudem befindet sich das Unternehmen in Familienbesitz, wir sind also auch finanziell unabhängiger als viele andere. Das heißt, unsere Situation ist nicht eins zu eins auf andere Firmen übertragbar. Außerdem arbeiten wir sehr eng mit fast allen Automobilherstellern weltweit zusammen, tauschen uns aus, wissen, womit sie sich beschäftigen und können uns darauf einstellen.
Eine grundsätzliche Rat kann ich aber doch geben: Wenn sich Unternehmen auf das konzentrieren, was sie richtig gut können – unabhängig vom Produkt – können sie sich mit ihren Kernkompetenzen zukunftsträchtige neue Geschäftsfelder erschließen.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit in Netzwerken in Ihrer Strategie?
Dr. Holger Engelmann: Da sich die Mobilitätsbranche rasant verändert, ist die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen heute wichtiger denn je. Sie hilft uns, unsere führende Position als globaler innovativer Systempartner der Automobilindustrie weiter auszubauen.
Webasto ist beispielsweise seit Herbst 2017 Partner der Innovationsplattform Startup Autobahn, dem deutschen Ableger des US-amerikanischen Plug and Play Tech Center. Aus der Kooperation mit Start-ups aus dem Netzwerk erhalten wir Anregungen zu Weiterentwicklungen im Produktbereich und für die Optimierung von Produktionsprozessen. Auch der Austausch in Verbänden wie dem VDA oder Netzwerken wie Bayern Innovativ erhält Webasto wertvolle Kontakte und Impulse.
Wie schätzen Sie als Autozulieferer das von der Bayerischen Staatsregierung initiierte „Zukunftsforum Automobil“ ein? Hilft es der Branche?
Dr. Holger Engelmann: Wir bewerten die Initiative der Staatsregierung grundsätzlich positiv, allerdings ist dies kein rein „bayerisches Thema“. Wir brauchen eine starke Industriepolitik in Deutschland und Europa. Wir erhoffen uns einen Schub für die Entwicklung von Mobilitätskonzepten für die Zukunft.
Vielen Dank für das Interview!