Webasto und die Corona-Krise

03.04.2020

Der Automobilzulieferer Webasto war als erstes deutsches Unternehmen vom Coronavirus betroffen. Mit einem schnellen und konsequenten Vorgehen, der engen Zusammenarbeit mit den Behörden und einer transparenten Kommunikation ist das Unternehmen der Ausbreitung des Virus begegnet. In einem für Bayern Innovativ aufgezeichneten Statement spricht Dr. Holger Engelmann, Vorstandsvorsitzender der Webasto Group, über seine Erfahrungen mit der Corona-Krise und die Innovationsstrategie des Unternehmens.

Hören Sie sich das Videostatement an:



Hier können Sie das Interview in voller Länge nachlesen:

Webasto war als erstes deutsches Unternehmen von einer Infektion mit dem Coronavirus betroffen. Wie sind Sie dieser Herausforderung begegnet?

Dr. Holger Engelmann: Durch schnelles und entschiedenes Handeln – das Erstellen von Kontaktlisten, eine zweiwöchige Schließung des Headquarters, Anpassung der Regelungen für Geschäftsreisen und Verschärfung der Hygienestandards – ist es uns gelungen, die weitere Verbreitung des Virus im Unternehmen einzudämmen. Dieses Vorgehen war nur möglich, weil wir sofort alle wichtigen Funktionen bei uns an einen Tisch geholt und dem Wohl unserer Mitarbeiter von Anfang an bei allen Überlegungen oberste Priorität eingeräumt haben. Unser Know-how und die Erfahrung im Projektmanagement waren dafür sehr wertvoll. Ich durfte in diesen Wochen wieder einmal erfahren, wie großartig das Engagement und der Zusammenhalt bei Webasto ist.

Eine offene, transparente und schnelle Kommunikation ist in einer solchen Situation von zentraler Bedeutung. Der enge Kontakt mit den zuständigen Behörden war für uns sehr wichtig, um die Sachlage verstehen und einschätzen zu können. Unsere Mitarbeiter haben wir über alle Entscheidungen und Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten, Fakten fürs Intranet aufbereitet und ihnen die Möglichkeit gegeben, Antworten auf zusätzliche Fragen per Telefon und Mail zu erhalten. Auch gegenüber den Medien haben wir von Anfang an offen und transparent kommuniziert.

Wie geht Webasto mit der aktuellen Lage um?

Dr. Holger Engelmann: Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auf global agierende Unternehmen sind groß. Die Entwicklung trifft uns hart und wir müssen die Lage immer wieder neu bewerten und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Als Zulieferer nahezu aller Automobilhersteller weltweit passen wir unsere Kapazitäten an die Nachfrage unserer Kunden an – das ist grundsätzlich so und in diesem speziellen Fall natürlich auch.

Bedingt durch Produktionsunterbrechungen unserer Kunden haben wir unsere Produktion an den meisten Standorten in Europa und in den USA bereits heruntergefahren. Einige unserer Werke mussten oder müssen wir vorübergehend schließen. In China wird in allen unseren Werken inzwischen wieder produziert, aber die Lage ist nach wie vor nicht stabil. Wir konzentrieren uns aktuell auf die Sicherung unserer Kundenprojekte und Lieferketten. Dazu stehen wir in engem Kontakt mit unseren Kunden und Lieferanten und besprechen mit ihnen individuell die weitere Vorgehensweise.

Wir halten unsere Mitarbeiter weltweit natürlich weiterhin über aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Infektion auf dem Laufenden. So werden beispielsweise neue Informationen der Behörden zu Risikogebieten und Handlungsempfehlungen für Reisetätigkeiten über E-Mail und Intranet sowie Displays und Aushänge an den Standorten weitergegeben. An allen Webasto Standorten gelten außerdem nach wie vor erhöhte Hygienestandards.

Webasto konnte in den vergangenen Jahren eindrucksvolle Steigerungen bei Umsatz- und Mitarbeiterzahlen aufzeigen. Aktuell stellt sich das Unternehmen neu auf. Provokante Frage: Brauchen Elektroautos keine Schiebedächer und Standheizungen mehr?

Dr. Holger Engelmann: Auch Elektrofahrzeuge brauchen Dächer! Tatsächlich spielt die Elektromobilität für die Entwicklung unseres Dachgeschäfts aber eher eine untergeordnete Rolle. Da geht es beispielsweise um die notwendige Anpassung des Designs aufgrund des Volumens bzw. der Höhe der Batterie im Fahrzeug. Unsere Entwickler beschäftigen sich hier vor allem mit dem Thema Bauraumoptimierung.

Interessanter ist mit Blick auf unsere Dächer der Trend des autonomen Fahrens . Die ideale Positionierung der Sensorik zur Erfassung der Umgebung ist für das sichere autonome Fahren ausschlaggebend. Außerdem muss die Funktionsfähigkeit der Sensoren bei jeder Witterung garantiert sein. Das Autodach als höchster Punkt des Fahrzeugs bietet hier die optimalen Voraussetzungen.

Für unser Roof Sensor Module verwenden wir 3D-formbare Materialen, wie Polycarbonat. Das ermöglicht die nahtlose Integration der Komponenten ins Dachsystem und wirkt sich positiv auf die Aerodynamik und die Fahrzeugarchitektur aus. Um die Funktionsfähigkeit der Sensorik bei jedem Wetter zu gewährleisten, bieten wir das Dachsystem zusätzlich mit einem intelligenten Thermomanagement und verschiedenen Reinigungssystemen an.
Auch für Heizsysteme sehen wir gute Entwicklungschancen. Die klassische fossile Standheizung ist ein „nice to have“ – mit der Elektromobilität wird die Autoheizung zum „must have“. Der Markt für fossile Standheizungen wird mit zunehmender E-Mobilität mittelfristig zurückgehen. Seit 2015 bieten wir mit dem Hochvolt-Heizer ein elektrisches Heizsystem an, das im Markt gut angenommen wird. Zudem spielt die Thermomanagement-Kompetenz, die wir uns mit Heiz- und Kühlsystemen über Jahrzehnte erworben haben, für unser Batteriegeschäft eine große Rolle.

Seit ein paar Jahren verfolgt Webasto eine Doppelstrategie aus „Strengthening“ und „Participating“. Darunter verstehen wir zum einen die konsequente Stärkung unserer bestehenden Kerngeschäftsfelder mit Dächern und Heizsystemen und zum anderen die Erschließung neuer Geschäftsfelder, die zu unserem Kompetenz-Profil passen.

Dr. Holger Engelmann, Webasto Group Vorstandsvorsitzender

Wie begegnet ein großer Tier 1-Zulieferer wie Webasto dem Wandel der Automobilindustrie?

Dr. Holger Engelmann: Seit ein paar Jahren verfolgt Webasto eine Doppelstrategie aus „Strengthening“ und „Participating“. Darunter verstehen wir zum einen die konsequente Stärkung unserer bestehenden Kerngeschäftsfelder mit Dächern und Heizsystemen und zum anderen die Erschließung neuer Geschäftsfelder, die zu unserem Kompetenz-Profil passen. Dabei liegt unser Fokus auf Produkten und Lösungen für die Elektromobilität, konkret auf Batteriesystemen und Ladelösungen.

Wir wollen die Mobilität der Zukunft mit innovativen Technologien mitgestalten und investieren – auch unter den aktuell erschwerten Bedingungen – in unsere strategische Weiterentwicklung. Ergänzend zu unseren Kernkompetenzen wie Thermomanagement, Elektronik-Know-how und Industrialisierungserfahrung haben wir zum Ausbau unserer neuen Geschäftsfelder in den letzten Jahren zahlreiche Experten für Batterieentwicklung und Ladestationen ins Unternehmen geholt.

Unsere 2019 neu eingeführte Matrixorganisationsstruktur fördert die Zusammenarbeit zwischen „old business“ und „new business“. Dadurch entstehen viele neue Ideen und auch wertvolle Synergien. Um unsere technologisch führende Position in unserer dynamischen Branche weiter ausbauen zu können, brauchen wir auch den Austausch mit anderen. In der Zusammenarbeit mit strategischen Partnern, Lieferanten und Start-ups, unter anderem über die Plattform Startup Autobahn, erhalten wir interessante Impulse für neue Produkte, Prozessoptimierungen oder auch neue Serviceleistungen.

Welche Rolle spielt die Elektromobilität im Gesamtkontext dieses Umbruchs?

Dr. Holger Engelmann: Die Elektromobilität wird in der Mobilität der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. Die Entwicklung von Megacities und der Bewusstseinswandel mit Blick auf den Klimawandel treiben das Thema rasch voran.

Wir sehen diesen Umbruch ganz klar als Chance und haben unser Angebotsspektrum frühzeitig entsprechend erweitert. Inzwischen ist Webasto der Markteintritt sowohl mit Batterien als auch mit Ladelösungen gelungen. Dies bedeutet, dass Kunden bereits heute bei uns Produkte aus diesen beiden Bereichen kaufen können – von einem langjährig im Automotive-Bereich tätigen Unternehmen, das für Qualität und Verlässlichkeit steht. Und wir investieren – trotz der enormen Herausforderungen – weiter in neue Technologien.

Stichwort „digitale Plattformen“ und „neue Geschäftsmodelle“ - gibt es Services- und Dienstleistungen, die sie auf ihr vorhandenes Produktportfolio aufsetzen können?

Dr. Holger Engelmann: Wir bauen unsere Produktpalette und unsere Kapazitäten für Dach- und Heizsysteme kontinuierlich weiter aus und entwickeln mit Ambientebeleuchtung, dem elektrischen Hochvoltheizer oder dem Roof Sensor Module auch immer wieder intelligente neue Systeme. Allerdings sind wir in unseren Kerngeschäftsfeldern Weltmarktführer, das heißt, der Wachstumsspielraum ist begrenzt. Deshalb haben wir vor einigen Jahren entschieden, zusätzlich in neue Geschäftsfelder rund um die Elektromobilität einzusteigen und unsere Position als systemrelevanter Lieferant so weiter auszubauen.
Hier entwickelt sich ein spannender neuer Markt, in dem wir viele unserer Stärken ausspielen können: Wir sind zum Beispiel gut darin, ein System wie das Schiebe- oder Panoramadach in ein größeres System, das Auto, einzubauen. Wir wissen, wie die Funktionalität eines Dachs auch bei schlechten Straßenverhältnissen oder bei großen Temperaturunterschieden erhalten bleibt. Um die Fähigkeit der Systemintegration geht es auch bei der Batterie. Und wir kennen die Anforderungen der Hersteller, können weltweit Projekte umsetzen und Lieferanten steuern.

Im Bereich Ladelösungen bieten wir viele zusätzliche Funktionalitäten und Services an, wie zum Beispiel den Installationsservice inklusive Pre-Check sowie ein umfassendes Connectivity-Angebot.

Thema Umfeld: Welche Rahmenbedingungen müssten optimiert werden, damit sich Neue Mobilität richtig durchstartet?

Dr. Holger Engelmann: Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb werden künftig unser Straßenbild prägen. Damit Elektromobilität richtig durchstarten kann, müssen wir diesen Wandel aktiv durch die Entwicklung effizienter und bedarfsgerechter Technologien mitgestalten. In dieser Transformationsphase müssen Unternehmen auch sehr viel stärker miteinander kooperieren, um die Elektromobilität erfolgreich voranzutreiben.

Die flächendeckende Versorgung von Elektro- und Hybridfahrzeugen mit Strom ist eine Grundvoraussetzung für die Elektromobilität. Dafür stellt Webasto ein umfangreiches Portfolio an Ladestationen zur Verfügung, das auf die unterschiedlichen technischen und infrastrukturellen Anforderungen der weltweiten Märkte zugeschnitten ist und Lösungen für Privatkunden sowie Geschäftskunden bietet. Hierbei spielt natürlich auch ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis der Produkte eine entscheidende Rolle.

Aber natürlich ist hier auch die Politik gefragt. Sie muss den Wunsch der Verbraucher nach einer umweltfreundlichen, nachhaltigen Mobilität unterstützen und die Rahmenbedingungen in Hinblick auf die Infrastruktur in Ballungsräumen und ländlichen Gebieten entsprechend anpassen bzw. fördern. Aber weder das Thema Mobilität noch klimafreundliche Technologien lassen sich rein regional oder national denken. Intelligent wäre eine europäische Industrie- und Umweltpolitik, die den Ausbau der Elektromobilität stützt.

Sind die kleinen Automobilzulieferer ausreichend vorbereitet auf die Transformation der Mobilität?

Dr. Holger Engelmann: Bisher gaben die Fahrzeughersteller in der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Lieferantenbasis deutlich den Takt vor. Von Zulieferern wurde erwartet, dass sie den vorgegebenen Weg mitgehen. Das heißt, sie mussten schon immer flexibel sein. Nur wer sich den Anforderungen des Marktes anpasste, überlebte.

Ob die kleinen Automobilzulieferer auf den Strukturwandel ausreichend vorbereitet sind, kann ich nicht grundsätzlich beantworten. Aber viele sind sehr findig und wendig, ihre Produkte und Services auf die Mobilität von morgen auszurichten.

Können Sie kleineren Unternehmen aus der Automobilbranche, die bislang klassische Komponenten wie Kolben, Ventile oder Abgasreinigungsanlagen produzieren und vor ähnlichen Herausforderungen stehen, mit Ihrer Erfahrung Starthilfe geben?

Dr. Holger Engelmann: Webasto befindet sich in einer vergleichsweise komfortablen Lage, da wir nicht für den klassischen Antriebsstrang produzieren. Zudem befindet sich das Unternehmen in Familienbesitz, wir sind also auch finanziell unabhängiger als viele andere. Das heißt, unsere Situation ist nicht eins zu eins auf andere Firmen übertragbar. Außerdem arbeiten wir sehr eng mit fast allen Automobilherstellern weltweit zusammen, tauschen uns aus, wissen, womit sie sich beschäftigen und können uns darauf einstellen.

Eine grundsätzliche Rat kann ich aber doch geben: Wenn sich Unternehmen auf das konzentrieren, was sie richtig gut können – unabhängig vom Produkt – können sie sich mit ihren Kernkompetenzen zukunftsträchtige neue Geschäftsfelder erschließen.

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit in Netzwerken in Ihrer Strategie?

Dr. Holger Engelmann: Da sich die Mobilitätsbranche rasant verändert, ist die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen heute wichtiger denn je. Sie hilft uns, unsere führende Position als globaler innovativer Systempartner der Automobilindustrie weiter auszubauen.

Webasto ist beispielsweise seit Herbst 2017 Partner der Innovationsplattform Startup Autobahn, dem deutschen Ableger des US-amerikanischen Plug and Play Tech Center. Aus der Kooperation mit Start-ups aus dem Netzwerk erhalten wir Anregungen zu Weiterentwicklungen im Produktbereich und für die Optimierung von Produktionsprozessen. Auch der Austausch in Verbänden wie dem VDA oder Netzwerken wie Bayern Innovativ erhält Webasto wertvolle Kontakte und Impulse.

Wie schätzen Sie als Autozulieferer das von der Bayerischen Staatsregierung initiierte „Zukunftsforum Automobil“ ein? Hilft es der Branche?

Dr. Holger Engelmann: Wir bewerten die Initiative der Staatsregierung grundsätzlich positiv, allerdings ist dies kein rein „bayerisches Thema“. Wir brauchen eine starke Industriepolitik in Deutschland und Europa. Wir erhoffen uns einen Schub für die Entwicklung von Mobilitätskonzepten für die Zukunft.

Vielen Dank für das Interview!

Ihr Kontakt

Dr. Rainer Seßner
Christoph Kirsch