Warum Stadtwerke PPA entdecken und die Industrie sie braucht

27.04.2023

Quelle: Energie & Management Powernews

Lange Zeit machten grüne Projektentwickler und Großkonzerne das PPA-Geschäft unter sich aus. Doch einige Kommunalunternehmen sind ebenfalls rührig. Aus verschiedenen Gründen.

Klimaneutralität gilt in Deutschland bis 2045 auch für Industrie und Gewerbe. Doch sie kann schon eher notwendig werden, wenn etwa Zulieferer an Abnehmer gebunden sind, die ehrgeizigere Pläne verfolgen. Dann müssen auch sie ihre Produktion entsprechend schnell umstellen. Beim Bezug grünen Stroms sind direkte Lieferverträge (PPA, Power Purchase Agreements) wegen ihres Bezugs zu konkreten Erzeugungsparks und der Mitlieferung von Herkunftsnachweisen besonders gut zu kommunizieren. Zudem geben ihre langen Laufzeiten im Vergleich zur EEG-Direktvermarktung den Unternehmen Preissicherheit.

Gerade Zulieferer in der Industrie sind von den Net-Zero-Strategien ihrer Hauptkunden abhängig. Beispiel Schneider Electric: Der französische Weltkonzern und Marktführer bei Mittelspannungsanlagen will bis 2030 klimaneutral produzieren. Die eigenen Werke werden derzeit schon auf erneuerbare Energien umgestellt, etwa mit riesigen PV-Anlagen auf den Dächern der Produktionshallen (Scope 1). Doch auch die Komponenten, die in diesen Hallen verbaut werden, müssen klimaneutral produziert sein − das wird also für Zulieferer zur Pflicht (Scope 2). Schneider Electric erwartet von jedem von ihnen die Einhaltung aller 49 ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung).

Nicht jeder wird jedoch die finanziellen Möglichkeiten und schon gar nicht den Platz haben, grüne Energie selbst zu produzieren. Hier helfen nur PPA und andere Lieferverträge für grünen Strom (und natürlich für grüne Prozesswärme), die auf Energiequellen von außerhalb zurückgreifen. Inzwischen ist die Verfügbarkeit grüner Energie der Ansiedlungsgrund Nummer eins für Unternehmen. Auf der Verkäuferseite waren und sind PPA die Domäne von reinen Erneuerbaren-Unternehmen und von großen Energiekonzernen.

Teil einer PPA-Kaskade wird der koreanische Solarmodulhersteller Hanwha Qcells: Projektentwickler Juwi wird einen 8,4-MW-Solarpark im Donnersbergkreis (Rheinland-Pfalz) nach Abschluss der Bauarbeiten an Hanwha Qcells verkaufen, behält aber die technische und kaufmännische Betriebsführung. Vom Spätsommer an gibt Hanwha Qcells den erzeugten Strom an seine Kunden weiter − nicht nur per PPA, sondern auch im Power Contracting sowie in Anlagenpacht- und -kaufmodellen mit Ratenzahlungsoption. Das PV-Projekt wird nicht EEG-gefördert. Die etwa 17.000 Module stammen aus Qcells eigener Produktion. „Durch den Kauf des Solarparks und das geschlossene PPA können wir den generierten sauberen Strom für unseren eigenen Bilanzkreis nutzen und ihn langfristig und kostengünstig unseren privaten wie gewerblichen Endkunden zur Verfügung stellen“, mit diesen Worten erklärt Ivan Nicolas Garcia Hergueta, Head of B2B DES Distributed Energy Solutions bei Qcells, die Beweggründe.

RWE wiederum nahm im September 2022 auf dem Oosterpolder-Deich im niederländischen Eemshaven an der Emsmündung drei Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 7,5 MW in Betrieb. Verkauft wird der Strom per PPA direkt an ASML, den weltweit größten Anbieter von Lithografie-Systemen für die Halbleiterindustrie.

Die RWE-Offshore-Windparks „Nordsee Ost“ und „Amrumbank West“ liefern außerdem − nach Auslaufen der EEG-Förderung − von 2025 beziehungsweise 2026 an per PPA Strom an elf deutsche Industriekunden und ein großes Stadtwerk, darunter die Badischen Stahlwerke, Bosch, die Freudenberg-Gruppe, Infraserv Höchst, Mainova Frankfurt am Main, Messer, Schott, Vodafone, Telefonica, Verallia, Wacker und ZF.

An Land sind bei ausgeförderten Windenergieanlagen ein- bis zweijährige PPA üblich gewesen, bis die Stromerlösabschöpfung den Kurzfristmarkt auflöste. Für neue PV-Freiflächenanlagen sind acht bis zehn Jahre üblich, für neue Offshore-Windparks zehn bis 15 Jahre. Die Kunden erhalten je nach Wunsch eine direkte Abnahme („as produced“), eine Fahrplanlieferung mit Windparkprofil („as nominated“) oder die Strukturierung zu einer konstanten Stromliefermenge (Bandlieferung).

RWE war bei PPA aus alten Windparks Vorreiter: Seit 2019 wurden Strommengen aus den beiden Offshore-Anlagen per PPA an die Deutsche Bahn verkauft. Beide Windparks sorgen seit 2015 rund 60 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste für grünen Strom. Die insgesamt 128 Windturbinen haben eine Leistung von knapp 600 MW.

„Das große Interesse unserer Kunden an diesen Stromlieferverträgen unterstreicht die Bedeutung von CO2-freiem Strom für die deutsche Industrie. Wir bereiten die Vermarktung weiterer Offshore-Strommengen aus in Entwicklung befindlichen Parks vor“, erklärt Ulf Kerstin, CCO der RWE Supply & Trading.

Stadtwerke kommen auf den Geschmack

Die ersten kommunalen Energieversorger dringen in die PPA-Domäne ein: So gehört mittlerweile die Mannheimer MVV Trading, deren Mutter MVV AG einst die Projektentwickler Juwi und Windwärts aufgekauft und zusammengelegt hatte, in der aktuellen E&M-Direktvermarktungsumfrage fürs Gesamtjahr 2022 zu den sechs Direktvermarktern mit mehr als 1000 MW in der sonstigen (förderfreien) Direktvermarktung inklusive PPA. In der Klasse 200 bis 500 MW finden sich die Stadtwerke München, die Nürnberger N-Ergie und die kommunalwirtschaftliche Kooperation Trianel neben Grünunternehmen wie Naturstrom.

Die Gründe dafür sind neben der Kundennachfrage vielfältig: Die eigene Kommune verlangt von ihren Versorgern den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Klimaneutralität weit vor dem gesetzlichen nationalen Datum 2045 oder dem EU-Netto-Null-Ziel für 2050. Zudem hatten kommunale Versorger immer schon einen unterschiedlich ausgeprägten Wirtschaftsförderungsauftrag inne. Und für Industriekunden ist die Verfügbarkeit von nachhaltig erzeugter Energie inzwischen das Hauptansiedlungskriterium. Die IHK Nord, beheimatet in der windreichsten Gegend Deutschlands, rief eine Ansiedlungskampagne ins Leben: „Come to where the power is!“

Für das kommunalwirtschaftliche PPA-Engagement finden sich einige Beispiele: Im Verdion Expo Park, einem 46.700 Quadratmeter großen Logistikzentrum auf dem ehemaligen Expo-Gelände, baute die Hannoveraner Enercity im Herbst 2022 die mit knapp 4,7 MW und 11.400 Modulen derzeit größte Dachphotovoltaikanlage in der Region. Die Sparkasse Hannover sichert sich die Hälfte der erwarteten Jahresstromproduktion von 4 Millionen kWh seit 1. Januar 2023. Die Investitionen beliefen sich auf 3,5 Millionen Euro (siehe auch Kurzinterview mit Enercity-Chefin Susanna Zapreva).

N-Ergie, der Versorger für Nürnberg, hat 2022 im Landkreis Kitzingen zwei Solaranlagen mit 64.000 Modulen und insgesamt 29 MW in Betrieb genommen. 22 MW davon werden nicht gemäß EEG vergütet, sondern per PPA im Rahmen der „sonstigen Direktvermarktung“ mit Herkunftsnachweis vertrieben.

Regionales PPA-Bündnis

N-Ergie schloss sich im Oktober 2021 mit den Erlanger Stadtwerken (ESTW), Infra Fürth, den Stadtwerken Schwabach und Stein sowie den Gemeindewerken Wendelstein (Kreis Roth) zu „Ökostrom Franken“ zusammen. Ziel ist der weitere Ausbau der Photovoltaik in der Region.

Eine erste Anlage ging mit 6,2 MW in Röthlein (Kreis Schweinfurt) ans Netz. Abnehmer sind die vereinten Stadtwerke selbst. Sie machen also ihre eigenen PPA als Erzeuger von und Abnehmer für Grünstrom. Eines der erklärten Ziele: Die Stadtwerke sichern sich den Zugriff auf immer stärker nachgefragte regionale und zertifizierte CO2-freie Strommengen.

Autor: Frank Urbansky