Nutzerzentrierung in der Produktion

02.04.2024

Der Erfolg von Digitalisierungsprojekten in der Produktion hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehört die frühzeitige Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Industrial Usability-Ansatz konzentriert sich darauf, die Benutzerfreundlichkeit von Lösungen zur Digitalisierung der Produktion zu verbessern. Ziel ist eine übersichtliche und intuitive Nutzung, um Fehler zu vermeiden und die Motivation der Mitarbeitenden zu steigern. Diese Folge der Webinarreihe "Aus der Forschung in die Praxis" gibt Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und -ergebnisse zum Thema Industrial Usability sowie deren Anwendung in der Industrie.

Titel Nutzerzentrierung Produktion

Usability – mit Neugierde die Arbeitsqualität in der Produktion erhöhen

Wie kann eine benutzerfreundliche Bedienung von Maschinen und Werkzeugen heute und in fünf Jahren aussehen? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich das Team von Interaction und Design des Fraunhofer IAO, dem Herr David Blank angehört. In seinem Vortrag legt er den Schwerpunkt auf die Mensch-Technik-Interaktion als Teil des Forschungsbereichs. Ziel ist es, Technik für den Menschen zu innovieren und zu gestalten, damit sie so intuitiv und motivierend, effizient und bedeutungsvoll wie möglich ist. Ganz entscheidend für den Erfolg ist dabei die Neugierde bei der Herangehensweise an ein Projekt, da manches offensichtlich ist, vieles aber auch im Verborgenen liegt. In diesem Zusammenhang verweist Herr Blank auf die User Experience und Usability, wie in den entsprechenden Normen der ISO-Reihe 9241 beschrieben. Die Usability beschäftigt sich  demnach mit einer konkreten Nutzungssituation. Zum Beispiel, wie man eine Aufgabe mit möglichst wenigen Mausklicks durchführen kann. Es werden Methoden wie Eye Tracking oder die Messung von Klickzahlen eingesetzt, um zu Ergebnissen zu kommen. Die User Experience geht noch einen Schritt weiter. Sie ist laut ISO-Norm das bewertende Gefühl bei der Interaktion mit einem Produkt. Herr Blank nennt das Beispiel der Bedienung eines Bahnautomaten. Kommt jemand gestresst oder entspannt am Automaten an? Wie ändern die Emotionen das Nutzungsverhalten? Werden gute oder schlechte Erfahrungen gemacht? Die Erfassung der menschlichen Bedürfnisse steht hier also im Fokus.

Alles dreht sich um den Nutzer

Ein praxisnahes Beispiel für die Herausforderungen bei der Integration von Technologie und Nutzererfahrung liefert Herr Blank durch ein laufendes Forschungsprojekt mit einem intelligenten Akkuschrauber, der KI einsetzt und der dem Anwender zeigt, ob er zum Beispiel zwei Unterlegscheiben benutzt hat, ob die Schraube defekt ist, ob man den Schrauber schlecht gehalten hat, etc. Dabei unterstreicht er die Notwendigkeit, den Einfluss auf die Nutzer sorgfältig zu untersuchen. Dazu müssen Gespräche mit verschiedenen Interessengruppen, einschließlich des Managements, geführt werden. Denn die Erfahrung zeigt, dass unterschiedliche Meinungen bezüglich der Nutzeranforderungen und Implementierung existieren.

Mehrere Möglichkeiten in Betracht ziehen und testen

Herr Blank empfiehlt den Einsatz von Personas sowie die Einbeziehung der sogenannten 3-Varianten- Regel. Diese Regel zielt darauf ab, vor der Umsetzung verschiedene Lösungsansätze zu prüfen. Schließlich ermutigt er dazu, Ideen vor der Implementierung zu testen und Meinungen einzuholen, wobei er auf die Bedeutung von direktem Feedback hinweist. Durch diese Herangehensweise wird der gesamte Human-Centered-Design-Prozess durchdekliniert und alle Aspekte von Usability bis zur User Experience umfasst, um eine ganzheitliche Integration zu gewährleisten und die Arbeitsqualität in der Produktion zu erhöhen.

Einheitliche Produktwelt – eine Case Study zur App-Welt von Trumpf

Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler, erklärt Franz Koller von der Firma UID GmbH, in seinem Vortrag. Gleiches gilt bei der Entwicklung von Produkten. UX, also User Experience, ist dabei eine sehr wichtige Grundlage bei der Gestaltung von erfolgreichen Produkten. Sein Unternehmen folgt der Mission, die Welt von Morgen einfacher und ästhetischer zu machen. Dazu wird der Human-Centered-Design-Ansatz verfolgt, wie auch schon von Herrn Blank angeführt, bei dem der Nutzer im Mittelpunkt steht. Wie dieser Prozess in der Praxis aussehen kann, beschreibt Herr Koller anhand einer Case-Study der Firma Trumpf. Das Unternehmen hat sich auf die Herstellung von Werkzeugmaschinen, Lasern und Elektronikgeräten spezialisiert. Eine wesentliche Schnittstelle für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine sind die Bedienoberflächen. Wie lassen Sie sich so gestalten, dass sie für den Nutzer bedienfreundlich sind und damit weniger fehleranfällig? Dies ist wichtig zum einen für die Motivation der Mitarbeitenden und zum anderen für die Produktivität.

Bedienfreundliche Oberflächen sind Trumpf bei Trumpf

Die Firma Trumpf beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Usability. Aktuelle Anforderung an die Firma UID war es, das Design der mobilen Web-Anwendungen zu vereinheitlichen, um eine hohe Wiedererkennbarkeit und ein einheitliches Ökosystem zu schaffen. Dazu wurden die Designphilosophie und die Werte der Marke Trumpf integriert. Bei der iterativen Vorgehensweise orientierte man sich am benutzerzentrierten Entwicklungsprozess. Es wurden Interaktionsprinzipien von verschiedenen mobilen Anwendungen und Maschinenbedienungen analysiert. Die Marke Trumpf wurde in ihrer Gesamtheit betrachtet, vom Maschinendesign über Gebäudearchitektur bis zu Printmaterialien und Messeständen. Ideen wurden  generiert, iteriert, Kundenfeedback eingeholt und auf Basis dieses Prozesses ein Designsystem entwickelt. Dieses Designsystem wurde dokumentiert und online verfügbar gemacht. Es wurden Softwarekomponenten für Entwickler erstellt und das Designsystem als Grundlage für Neuentwicklungen genutzt. So können auch in Zukunft unterschiedliche Produkte mit derselben Design-DNA entstehen.

Iterative Vorgehen auch für KMUs

Abschließend unterstreicht Herr Koller, dass benutzerzentriertes Gestalten nicht nur für Touchscreens, sondern auch für die Entwicklung in der mobilen Welt, Augmented Reality und Virtual Reality relevant ist. Seine klare Botschaft lautet, die vermeintliche Komplexität nicht zu scheuen, sondern mit einer iterativen Denkweise zu beginnen und die Nutzer als entscheidenden Maßstab zu betrachten. Das gilt besonders auch für KMUs. Denn der Prozess funktioniert auch bei kleinen mittelständischen Unternehmen, da der Prozess skalierbar ist.

UX in der Robotik

Ein Kuchen schmeckt nicht nur dann gut, wenn er auch hübsch aussieht. Übertragen auf ihre Arbeit als Head of Product UX, KUKA Deutschland GmbH nutzt Frau Jessica Rademacher diese Metapher, um die Benutzerfreundlichkeit von Softwarelösungen zu unterstreichen. KUKA entwickelt Produkte,  bei denen die Mensch-Maschine-Interaktion eine entscheidende Rolle spielt. Dies betrifft Produkte wie die Engineering-Suite, bei der offline Dinge vorkonfiguriert werden können sowie das Bediengerät, mit dem der Roboter in der Realität betrieben wird. Es gilt, die Bedienbarkeit der Produkte, insbesondere der Roboter-Bediengeräte, weiter zu verbessern. Dies ist insbesondere für die Automobilindustrie relevant. Hier liegt der Automatisierungsgrad im Karosseriebau mittlerweile bei über 90 %.

Benutzerfreundlichkeit steht im Menü ganz oben

Am Beispiel des User-Menüs für die Referenzpositionierung von Roboterachsen zeigt sie auf, wie sich die Bedienbarkeit verbessern lässt. Seit dem Jahr 1996 hat sich das Bildschirm-Design kaum verändert. Durch tiefgehende Analysen und Diskussionen im Team konnte unnötiger Ballast eliminiert und das Menü benutzerfreundlicher gestaltet werden. Die Herangehensweise besteht darin, nicht nur das visuelle Design zu optimieren, sondern die gesamte Benutzererfahrung zu verbessern. Dazu arbeiten sie und ihr Team eng mit Entwicklern zusammen, um die  technische Komplexität zu verstehen und benutzerfreundliche Workflows zu entwickeln. Dazu nutzen sie das Modell des „User Experience Iceberg´s“, das neben des sichtbaren visuellen Designs, auch Faktoren untersucht, die unter der Oberfläche liegen.

Komplexes einfach machen

Die Botschaft lautet: Es geht nicht nur um ästhetische Verbesserungen, sondern darum, dass das Produkt zugänglich, nützlich, begehrenswert und glaubwürdig ist. Die Orientierung an Normen dient dazu, Stabilität und Gleichwertigkeit sicherzustellen. Im Team bevorzugt Jessica Rademacher UX-Entwickler, die nicht nur das Design verschönern, sondern auch die technische Komplexität verstehen. Diese Gleichwertigkeit führt dazu, dass gemeinsam Produkte geschaffen werden, die nicht nur gut aussehen, sondern auch wirklich benutzerfreundlich sind.

Diskussionsrunde: Was die Teilnehmenden beschäftigt

In der abschließenden Diskussionsrunde mit allen Teilnehmenden wurde unter anderem nach einer Einschätzung gefragt, wann der optimale Zeitpunkt für UX in der Produktentwicklung sei. Hier betonte Herr Koller, dass UX-Fragestellungen, wie Ziele und Bedürfnisse der Nutzer, möglichst frühzeitig einbezogen werden sollten. Die Empfehlungen der Referierenden für den Einstieg in UX umfassten einen frühen Start, das Überwinden von Perfektionsängsten und die Bereitschaft, kleine Schritte zu unternehmen. Schulungen und Training wurden als hilfreich für den Einstieg genannt. Bei der Frage nach den Kosten-Nutzen-Kalkulation für UX-Entwicklungen war man sich einig, dass die Einschätzung herausfordernd sei, denn der wirtschaftliche Nutzen zeige sich oft erst im Nachhinein. Im Medizinumfeld ist Usability beispielsweise zulassungsrelevant und erfordert langfristige Investitionen. Außerdem wurde nach datengesteuerten Möglichkeiten in der UX gefragt. Hier wurde geantwortet, dass Daten eine wichtige Ergänzung sein können, indem sie Einblicke in die Nutzung bieten. Dennoch wurde betont, dass die direkte Nutzerintegration durch Beobachtung nicht vollständig durch datengesteuerte Ansätze ersetzt werden sollte. Zusammenfassend zeigte die Diskussion die Bedeutung einer frühen Integration von UX-Fragestellungen, den Mut zu kleinen Schritten im Einstieg, die Herausforderungen der Kostenbewertung und die sinnvolle Ergänzung von Daten in der UX-Entwicklung.

Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“

Für die Vernetzung von technologischem und organisatorischem Know-how wurden die „ZD.B Themenplattform Digital Production & Engineering“ und „Cluster Mechatronik & Automation“ bei Bayern Innovativ zusammengeführt. Die Themen und Aktivitäten im Bereich Digitalisierung in Produktion und Engineering sowie Industrie 4.0 werden seit dem 01.01.2024 im Cluster Mechatronik & Automation weitergeführt. Dazu gehört auch die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“. Hier geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.

Sie erreichen das Team persönlich oder auch über die Mail-Adresse Per Mail kontaktieren .

Kontaktdaten der Referierenden:

David Blank , wissenschaftlicher Mitarbeiter Team Interaction Design and Technologies, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
Per Mail kontaktieren

Franz Koller, Director Sales & Business Development, UID GmbH
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Jessica Rademacher , Head Of Product UX, KUKA Deutschland GmbH
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Rückblick auf die Veranstaltungen und weiterführende Informationen

>> Fachartikel: Wie Mensch und Maschine besser zusammenarbeiten können