Herausforderungen der Urbanisierung
Was sind aus Ihrer Sicht die größten „Pain Points“ in Bezug auf den städtischen Individualverkehr?
Sophie Stigliano: Die klassische und durchaus naheliegende richtige Antwort wären Begriffe wie Stau, Emissionen oder Platzmangel. Weltweit gehen Städte massiv und oft auch radikal gegen den Individualverkehr vor und setzen so neue Rahmenbedingungen, die sich an den ökologischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen, aber auch an den Bedürfnissen der Bürger orientieren. Diese wiederum sind aber gerne mobil. Insofern sind für mich „Pain Points“ eben auch das Verhandeln eines Gesamtsystems, das Individualverkehr neu denkt, das Zukunftstechnologien mit einplant und sich deren Vorteile zu Nutzen macht.
Was sind die wichtigsten Handlungsfelder, wenn es um die Zukunft unserer urbanen Mobilität geht?
Sophie Stigliano: Wir koordinieren mit GESI die Plattform Urbane Mobilität, die gemeinsam von deutschen Städten und Vertretern der Automobilindustrie ins Leben gerufen wurde. Ziel dieser Partnerschaft ist es, im Schulterschluss Lösungen für die urbane Mobilität zu diskutieren und gleichzeitig auf die Bedürfnisse der Stadtbewohner einzugehen. Geeignet hat man sich auf fünf entscheidende Handlungsfelder:
- Multimodalität / Intermodalität: Um attraktive Angebote machen zu können, müssen wir unterschiedliche Verkehrsträger effizient und nachhaltig miteinander verknüpfen.
- Verkehrsmanagement und Flächennutzung: Der „Urban Footprint“, der momentan vom Verkehr eingenommen wird, muss reduziert werden, um Flächen für eine andere Nutzung frei zu machen. Dazu gehört sowohl das Managen von Parkraum als auch die Steuerung des Verkehrsflusses.
- Digitale Plattformen und Schnittstellen. Damit Mobilität und Logistik ganzheitlich gedacht und weiterentwickeln werden kann, brauchen wir gemeinsame digitale Plattformen, die zwischen städtischen Zielen und privaten Angeboten koordinieren und vermitteln.
- Rahmenbedingungen: Es ist extrem wichtig, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die zum einen die Umsetzung von Mobilitätslösungen ermöglichen und zum anderen ein Umfeld für Investitionen von Dritten schaffen.
- Zukunftsdialog: Für mich ein zentraler Punkt, denn hier geht es darum, dass sich neue Mobilitätskonzepte ganz konkret positiv auf unsere Lebensqualität auswirken. Die Mobilitätswende und der erforderliche Verhaltenswandel werden nur möglich sein, wenn Bürger transparent informiert und Zukunftslösungen erlebbar gemacht werden.
Mobilität der Zukunft
Wo liegen aus Ihrer Sicht noch große Hürden und wie könnte man diese beseitigen?
Sophie Stigliano: Eine der größten Herausforderungen liegt in der kooperativen Arbeitsweise. Sektorübergreifende Projekte zwischen Industrien, Forschung und Kommunen sind Voraussetzung für eine vernetzte Mobilität. Oft gilt es hier schon im ersten Schritt, Hürden innerhalb von Unternehmenshierarchien und Fachabteilungen zu überwinden. Das Gleiche gilt in der Regel auch für Kommunen, wo zum Beispiel oft eine Querschnittsfunktion zwischen Verwaltungsreferaten fehlt.
Wie wollen Menschen in Städten in Zukunft mobil sein? Welche Bedeutung hat der Besitz eines eigenen Fahrzeugs?
Sophie Stigliano: Die Standardantwort ist, dass sich für die nächste Generation das Verhältnis zum Besitz geändert haben wird. Das ist durchaus richtig und bestimmt derzeit die Debatte bezüglich der Mobilitätsservices, die in Zukunft angeboten werden müssen. Themen wie Carsharing und Ride-Hailing sind dabei wichtig. Ich denke, dass wir in den urbanen Zentren langfristig unsere Mobilität und die darin liegenden Angebote teilen werden. Die Frage ist nur, wie die Ausgestaltung sein wird. Es wird eine Vielfalt an Angeboten je nach Bedarf geben müssen, die sich nach unterschiedlichen Kriterien und Erwartungen aufteilen. Menschen wollen unabhängig sein, wenn es darum geht, sich fortzubewegen. Deshalb war das eigene Auto eine so große Revolution. Es steht immer zur Verfügung, wenn ich Distanzen schnell überbrücken möchte. Wenn das ein Serviceangebot leisten kann, dann wird der Wunsch nach Besitz eines eigenen Fahrzeugs sicherlich schnell noch weiter abnehmen. Ein Schritt in die richtige Richtung sind meiner Meinung nach On-Demand-Systeme, also Mobilität auf Abruf, die sich allerdings nicht wie Uber disruptiv auf eine Stadt aufpflanzen und das Gesamtsystem eigentlich verstärkt belasten, sondern als kooperative Lösung zwischen Stadt und Anbieter auf die städtischen Ziele einzahlt.
Welche Rolle wird aus Ihrer Sicht die Automobilindustrie für die Mobilität der Zukunft spielen?
Sophie Stigliano: Ein wichtiges Learning für die Automobilindustrie wird sein, sich von der Dominanz eines PS-getriebenen Verkaufsmodells zu lösen. Es geht nicht mehr darum, ein Auto zu besitzen oder nicht, sondern darum wie man sich seine Mobilität über digitalisierte Services auf die Sekunde passgenau zusammenstellen kann. Und in diesen „Blumenstrauß“ muss entweder mein Produkt passen oder ich biete einen Service an, der ihn zusammenbindet – ein Umdenken hin zum Serviceprovider. Die Automobilindustrie bekommt gerade eine einmalige Chance, sich neu zu positionieren, indem sie ihre Entwicklungen – wie beispielsweise pilotiertes Parken oder automatisiertes Fahren – nicht mit Fokus auf den individuellen Nutzer, sondern auf ein Kollektiv lenkt und damit einen positiven Beitrag zur Nutzung von urbanem Raum oder Emissionsreduktion leisten kann.