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Künstliche Intelligenz in der Additiven Fertigung
Künstliche Intelligenz, abgekürzt KI, ist in aller Munde und wird bereits heute in zahlreichen Anwendungen eingesetzt. Bekannte Beispiele hierfür sind Sprachassistenzsysteme wie Siri, Alexa und Google Assistant. Auch die Additive Fertigung kann von KI-Technologien profitieren, beispielsweise, wenn es um die Entwicklung neuer Materialien oder die Überwachung von Prozessen geht. Doch wie viel Arbeit kann uns KI abnehmen und bis zu welchem Grad können wir den Entscheidungen von KI-Systemen vertrauen? Darüber haben wir mit Professor Dr.-Ing. Johannes Schilp von der Universität Augsburg gesprochen. Er ist Leiter des Lehrstuhls für Produktionsinformatik mit Schwerpunkt Digitalisierung und Vernetzung in der Produktion, Hauptabteilungsleiter am Fraunhofer IGCV und Mitglied des Expertengremiums der Koordinierungsstelle Additive Fertigung von Bayern Innovativ.

Herr Professor Schilp, die Additive Fertigung ist bereits eine digitale Technologie. Mal provokant gefragt: Was muss daran noch digitalisiert werden?
Prof. Schilp: Lassen Sie mich hierzu eine Gegenfrage formulieren. Aus aktuellem Anlass: Was würde passieren, wenn ein produzierendes Unternehmen wirklich alle Beschäftigten außer den Produktionsmitarbeitern im Shop-Floor ins Homeoffice schickt? Wahrscheinlich würde schnell deutlich werden, dass es in der Prozesskette des Auftragsdurchlaufs durchaus Digitalisierungspotenzial gibt. Und das, obwohl sich einige Unternehmen sicher einen hohen Digitalisierungsgrad zusprechen.
Gerade Unternehmen, die digitale Produktionstechnologien wie die Additive Fertigung erfolgreich nutzen wollen, müssen sich folgende Fragen stellen: Wie gut funktioniert meine Datenintegration, sprich die vertikale aber eben vor allem die horizontale Vernetzung innerhalb der Prozesskette? Gibt es die notwendigen durchgängigen Datenschnittstellen zwischen den einzelnen Prozessschritten beziehungsweise Maschinen unterschiedlicher Anbieter? Die einzelnen flexiblen Produktionsmodule, wie ich sie nenne, müssen in der automatisierten Prozesskette durchgängig miteinander vernetzt sein, damit die Nutzung relevanter Daten erfolgreich umgesetzt werden kann und auf deren Basis sinnvolle Entscheidungen getroffen werden können. Dies soll in Zukunft durch KI unterstützt werden.
Was ist notwendig, um die Additive Fertigung in Produktionsabläufe zu integrieren? Und woran hakt es noch?
Prof. Schilp: Die Produktionsabläufe müssen nicht nur datentechnisch sowohl horizontal als auch vertikal noch besser in die vorhandenen Produktionssysteme integriert werden. Betrachten wir zuerst die horizontale Vernetzung: Hier gibt es nach wie vor Unterbrechungen in der Datenweitergabe, da die gesamte Prozesskette in der Regel digital nicht durchgängig abgebildet wird. Die fehlende Transparenz über die Prozesskette sorgt für eine größere Fehleranfälligkeit, auch bei der Einbindung in relevante, schon vorhandene Produktionssteuerungen.
Auch in der vertikalen Vernetzung in der Auftragsabwicklung müssen die Besonderheiten der Additiven Fertigung berücksichtigt werden. Zudem wird die Additive Fertigung derzeit vor allem bei Kleinserien und mittelgroßen Serien eingesetzt. Als Batch-Produktion gibt es gewisse Intervalle, sogenannte diskrete Produktionsintervalle, die in einen kontinuierlichen Fluss in der Serienproduktion überführt werden müssen. Dies stellt sowohl bezüglich der Produktionszeiten als auch im technischen Sinne bezüglich der Automatisierung eine Herausforderung dar.
Bei welchen additiven Veränderungsprozessen kommt KI bereits zum Einsatz und wie unterstützt KI konkret dabei, diese Prozesse zu optimieren?
Prof. Schilp: Lernende Algorithmen kennen wir aus produktionstechnologischer Sicht bereits von lernenden Prozessen, beispielsweise von Anwendungen wie der intelligenten Bildverarbeitung. Hier unterstützt der Methodenbaukasten der Künstlichen Intelligenz bei der Auswertung der gemessenen Daten und führt entweder zu autonomen Entscheidungen oder unterstützt einen Produktionsmitarbeiter, die richtigen Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel bezüglich der Prozesse oder der Produktionsqualität.
In Zukunft wird KI sicherlich einen weitaus breiteren Einsatz finden – nicht nur in Prozessketten, sondern in gesamten Wertschöpfungsnetzen. Es gibt bei lernenden Prozessen schon erste Anwendungsbeispiele, auch in der Additiven Fertigung . So werden Prozessdaten intelligent verarbeitet, beispielsweise in der Selbstorganisation, autonomen Prozesssteuerung sowie der Produktionsplanung, die durch KI-Methoden unterstützt werden. KI-Methoden sollen den Weg in das Produktions-Portfolio finden, um so die richtigen Planungsschritte vornehmen zu können, beziehungsweise dann zu einer effizienten und letztendlich robusten und natürlich auch effektiven Produktion zu kommen.
Für das Trainieren der KI braucht man eine große Menge qualitativ hochwertiger Daten. Wie kommt man an diese Daten ran?
Prof. Schilp: Voraussetzung für die Erhebung qualitativ hochwertiger Daten ist ein intelligentes Sensornetzwerk im Produktionssystem. Unsere Projekterfahrung zeigt aber, dass nicht nur die Erhebung der Daten das Problem ist, sondern auch, sie in eine verwertbare Form zu bringen. Aus wissenschaftlicher Sicht nähern wir uns diesem Thema, indem wir einen Digitalen Zwilling definieren. Der Digitale Zwilling ist ein Prozessmodell, das durch reale Produktionsdaten angereichert wird, um damit Simulationen durchzuführen. Dies erleichtert es Unternehmen beispielsweise, valide Vorhersagen für zukünftige Produktionsaufträge zu treffen.
In Bayern sind wir sowohl im Bereich Künstliche Intelligenz als auch bei der Additiven Fertigung gut aufgestellt. Das liegt sicher auch daran, dass beide Forschungsfelder durch verschiedene Förderprogramme und Initiativen unterstützt werden.
Inwieweit können wir den Entscheidungen von KI-Systemen vertrauen?
Prof. Schilp: Um den Daten vertrauen zu können, ist eine valide Datenbasis und auch ein realitätsnahes Modell wichtig. Das muss nicht zwingend ein rein physikalisches Modell sein. Auch datenbasierte Modelle spielen eine immer größere Rolle. Für das Vertrauen muss auch ein Grundverständnis vorhanden sein, wie das KI-System arbeitet.
Und wer trägt für diese Entscheidungen die Verantwortung: Mensch oder Maschine?
Prof. Schilp: Künstliche Intelligenz kann uns keine Entscheidungen abnehmen – aber sie kann uns bei der Entscheidungsfindung unterstützen. KI-Systeme können beispielsweise einem Produktionsmitarbeiter verschiedene Handlungsoptionen aufzeigen, eine finale Entscheidung muss er aber selbst treffen. Durch den Einsatz von KI fallen außerdem aufwendige Vorarbeiten weg. Dies hat den Vorteil, dass Beschäftigte sich stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Die Verantwortung liegt momentan noch klar beim Menschen, aber diese Thematik muss zukünftig juristisch geklärt werden.
Wie gut ist der Standort Bayern aufgestellt, wenn es darum geht, KI für additive Fertigungsprozesse einzusetzen?
Prof. Schilp: In Bayern sind wir sowohl im Bereich Künstliche Intelligenz als auch bei der Additiven Fertigung gut aufgestellt. Das liegt sicher auch daran, dass beide Forschungsfelder durch verschiedene Förderprogramme und Initiativen unterstützt werden. Positiv ist vor allem, dass KI und Additive Fertigung bei aktuellen Ausschreibungen nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern dass der Schwerpunkt auf dem Zusammenspiel beider Themenfelder liegt.
Welche Rolle spielen bayerische Forschungseinrichtungen und Förderungen für die Zukunft der KI in additiven Fertigungsprozessen?
Prof. Schilp: Auch hier sind wir sehr gut aufgestellt und fördern das weitere Vorankommen in diesem innovativen Themenfeld. Positiv ist, dass die Initiativen nicht regional konzentriert, sondern an verschiedenen Wissenschafts- und Hochschulstandorten in ganz Bayern verankert sind. Eine Vielzahl von Projekten, die beispielsweise im Rahmen der Bayerischen Forschungsstiftung gefördert wurden, wurden bereits abgeschlossen und die Ergebnisse sind durchaus vielversprechend. Ich bin guter Dinge, dass wir diese Erfolgsgeschichte fortschreiben können und langfristig Innovationen entstehen werden, welche von Unternehmen erfolgreich umgesetzt werden.
Arbeiten Sie auch mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zusammen? Falls ja: Welchen Themen widmen Sie sich in diesen Projekten?
Prof. Schilp: Ja, wir arbeiten häufig mit KMU zusammen. Die Unternehmen, die an unseren Projekten beteiligt sind, kommen aus ganz unterschiedlichen Branchen, beispielsweise aus dem Konsumgüterbereich, dem Baugewerbe und dem Anlagen- und Maschinenbau. Ziel der entsprechenden Projekte ist es häufig, Grundlagen zu schaffen, um Künstliche Intelligenz bei den teilnehmenden Unternehmen einzusetzen. Das bedeutet nicht, dass alle Unternehmen in Sachen Digitalisierung nicht fit genug sind. Aber ein gewisses Grundverständnis für die Thematik, gepaart mit der passenden Infrastruktur, sind Grundvoraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz von KI und die Umsetzung weiterer Digitalisierungsaspekte.
Um sich für den Einsatz von KI und weiteren Digitalisierungsaspekten fit zu machen, wenden sich Unternehmen häufig auch für Schulungen an den Lehrstuhl für Produktionsinformatik bzw. an das Fraunhofer IGCV. Hier kann man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Lernfabriken, sprich beispielhaften Produktionsumgebungen, mit digitalisierten Prozessen vertraut machen und somit auch ein neues Rollenverständnis innerhalb der Wertschöpfungskette vermitteln.
Vielen Dank für das spannende Gespräch zu einem sehr zukunftsträchtigen Thema!