Der Sustainable Twin als Baustein für eine nachhaltige Industrie

Um als Industrieunternehmen Entscheidungen im Sinne einer ökologischen Nachhaltigkeit treffen zu können, ist eine gewisse Transparenz über den Status Quo unabdingbar. An dieser Stelle setzt das Konzept des Sustainable Twin an, welches eine Erweiterung der Idee des digitalen Zwillings um Aspekte der Nachhaltigkeit darstellt. So sammelt der Sustainable Twin als virtuelles Ebenbild über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg Informationen über ein reales Produkt, die dann wiederum in späteren „Lebensphasen“ genutzt werden können.

Titel Der Sustainable Twin als Baustein für eine nachhaltige Industrie

Künstliche Intelligenz für die Circular Economy (KICE)

Vor diesem Hintergrund fand im September 2022 das Webinar „der Sustainable Twin als Baustein für eine nachhaltige Industrie“ im Rahmen des Cross-Cluster Projekts KI für die Circular Economy (KICE) statt. Dieses wird von Frau Dr. Eva Schichl, Referentin Projekte, Trägerverein Umwelttechnologie-Cluster Bayern e.V. eingangs kurz vorgestellt. Ziel des vom Umweltcluster Bayern gestarteten Projektes ist es, die Methoden der Künstlichen Intelligenz mit den Potenzialen einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu kombinieren. Mit an Bord sind außerdem das Cluster Mechatronik und Automation, das KI-Produktionsnetzwerk sowie die Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ. Profitieren von der gemeinsamen Zusammenarbeit sollen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die bei der Transformation hin zu einer zirkulären Kreislaufwirtschaft durch den Einsatz digitaler Technologien unterstützt werden sollen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung eines digitalen Produktpasses, mit dem es unter anderem gelingen soll, die Wertstoffrückgewinnung zu optimieren.

Digitaler Produktpass (DPP) interoperabel – zentraler Katalysator für die digitale und grüne Transformation

Herr Johannes Benjamin Helfritz, Leiter des Themenbereichs Digitale Qualität, erläutert, welchen Beitrag das Deutsche Institut für Normung e.V., kurz DIN, für den digitalen Produktpass leistet. Normen und Standards sind die Grundlage für das Ausrollen der Idee des Produktpasses. Denn sie sorgen für Datenvergleichbarkeit, -qualität und -sicherheit sowie für die Interoperabilität der Produktpässe über alle Branchen und technischen Systeme hinweg. Im Sinne der Circular Economy ebnen Normen und Standards somit den Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Gerade für mittelständische Unternehmen sind sie besonders wichtig, denn sie geben Orientierung und eine Hilfestellung bei der Umsetzung.

Ursprünge des DPP und Zugang zum europäischen Markt

Die Ursprünge für die Entstehung digitaler Produktpässe – kurz DPP – sind vielfältig. Sie dienen dem Wunsch Zugang zu Produktinformationen digital zu ermöglichen. Wenn auch unter unterschiedlichen Namen, wie Digitaler Zwilling, Digitale Lebenslaufakte, Digitaler Kalibrierschein usw., sind DPP damit zunächst einmal eine logische Folge von Digitalisierungsbestrebungen - Digitalisierungsbestrebungen der produktbegleitenden Wirtschaftsabläufe sowie der Qualitätssicherung (Qualitätsinfrastruktur) etc. Aktuell werden DPP nun auch aus unterschiedlichen Richtungen als politisches Konzept gefordert. So zum Beispiel durch die Batterieverordnung und die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) im Hinblick auf die Themen Zirkularität, Klimathematik und Nachverfolgbarkeit. Aber auch im Sinne der Produktinformationen zu Safety und Security, der Konformitätserklärung einhergehend mit der CE-Kennzeichnung sind Produktpässe im Gespräch. Spätestens damit werden DPP Voraussetzung, um Produkte auf den europäischen Markt bringen zu können.

Die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Informationen

Wenn alle relevanten Informationen digital abgebildet sind, entstehen daraus wichtige Vorteile. So hätten Verbraucher, Recycler, Marktüberwacher, Intergratoren etc. alle für sie wichtigen Informationen auf einen Blick, ohne dass sie umfangreiche Bedienungsanleitungen ausdrucken oder lesen müssten. Am End-of-Life könnte das Produkt sinnvoll recycelt werden oder einer anderen Nutzungsart zugeführt werden. Die Möglichkeiten sind nahezu grenzenlos. In Zukunft wird es aber vor allem darum gehen, den Umgang mit diesen Daten zu regeln. Hier greift das Institut zum Teil auf bestehende Bausteine und Lösungen zu. So adressiert eine derzeit laufende Normungsrecherche bereits mehr als 100 Normen (ISO, IEC, ISO/IEC), insbesondere auch zu den von der EU bisher genannten Bereichen. Dazu gehören zum Beispiel die Datengenerierung, die Datensicherheit, die Zugriffsrechte, die Datenspeicherung, Datenstruktur und Schnittstellen und somit die Interoperabilität.

Synergien sinnvoll nutzen

Zudem gibt es diverse Aktivitäten, die unmittelbar in Verbindung zum DPP stehen. Herr Helfritz nennt hier beispielsweise den Gebäuderessourcenpass, das digitale Typenschild und Industrie 4.0 oder die bereits erwähnte Lebenslaufakte. Ziel von DIN ist es dabei, auf Bestehendem aufzubauen, Doppelnormungen zu verhindern und Interoperabilität herzustellen. Ob Metrologie und Messwesen, Normung, Konformitätsbewertung, Akkreditierung und Marktüberwachung – mit dem DPP geht es auch darum, die Qualitätsinfrastruktur zu digitalisieren. Denn sie wird am Ende zum Rückgrat eines DPP. Somit heißt es zum Beispiel auch digitale Zertifikate und maschinenlesbare und -ausführbare Normen zu entwickeln. Dazu wurde die Initiative QI digital ins Leben gerufen. Um den DPP nachhaltig, innovationsfähig und auch mit internationalem Impact ausrollen zu können, geht es in den nächsten zwei bis drei Jahren aber nun darum, die anwendungs-, system- und sektorübergreifende Umsetzung des DPP zu erreichen. Es braucht dabei nicht die eine Technik. Es gilt vielmehr eine Metastruktur zu definieren, die regelt, welche Punkte beim DPP interoperabel über die verschiedenen sektoralen Ausprägungen eines Produktes hinweg erfüllt sein müssen. Und ja, auch die Einführung des digitalen Batteriepasses, welcher im folgenden Vortrag beschrieben wird, sollte Teil dieses Vorgehens sein.

Der Batteriepass als ein Wegbereiter zirkulären Wirtschaftens

Mit der zunehmenden Zahl an Energiespeichern und an Elektrofahrzeugen auf Europas Straßen steigt auch die Anzahl der benötigten Batterien. Durch die Einführung eines digitalen Batteriepasses soll es gelingen, dass Batterien so nachhaltig wie möglich produziert, genutzt und recycelt werden. So beginnt der Vortrag von Dr. Johannes Simböck, wissenschaftlicher Referent und Teamleiter bei acatech, der deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Als ein Konsortialpartner des Projektes „Battery Pass“ stellt er die Ziele der Zusammenarbeit von verschiedenen Unternehmen aus Industrie sowie Forschung und Entwicklung vor.

In dem 2022 gestarteten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekt soll ein Leitfaden für Inhalte und ein technisches Modell für einen Batteriepass entworfen und in einem Pilotprojekt umgesetzt werden. Dabei ist man im engen Austausch mit weiteren Stakeholdern und Konsortien, unter anderem auch der Global Battery Alliance (GBA), um ein einheitliches Level zu gewährleisten und Synergien zu nutzen.

Großes Potenzial an Ressourceneinsparungen

Durch die Dokumentation aller relevanten Daten einer Batterie über den gesamten Lebenszyklus hinweg verspricht man sich, das nachhaltige und zirkuläre Management von Batterien zu unterstützen.  Dies beginnt bereits bei den eingesetzten Hochtechnologiemetallen und der Versorgungssicherheit. Ob Kobalt, Lithium oder Nickel – der Bedarf an den eingesetzten Rohstoffen wird in Zukunft massiv steigen. Durch die Circular Economy ließen sich Berechnungen zufolge jedoch bis zu 70 % an Ressourcen bis zum Jahr 2050 einsparen. Dies gelingt zum einen durch die Verlängerung und Intensivierung der Nutzungsdauer sowie durch eine erhöhte Recyclingrate. Dazu ist es wichtig zu wissen, welchen Anteil an Rohstoffen jede einzelne Batterie enthält, um sie entsprechend recyceln zu können.

Leitlinien der EU-Batterie-Regulierung

Frühestens 2026 soll die novellierte EU-Batterie-Regulierung in Kraft treten, deren vorliegende Entwürfe für alle neu angeschafften Batterien in Fahrzeugen, stationären Speichern und größeren Industriebatterien in Deutschland und Europa einen Batteriepass vorsehen. Sie enthält hierzu Leitlinien und definiert eine Vielzahl an Datenpunkten, wie zum Beispiel den Nachweis des CO2-Fußabdrucks oder Informationen zum Batteriezustand während der Nutzung, lässt aber oft noch erheblichen Interpretationsspielraum. Das Battery Pass Konsortium setzt in seinem aktuellen Schwerpunkt genau hier in seiner Arbeit an: Ausgehend von der Regulierung werden relevante Datenpunkte analysiert und, wo dies sinnvoll erscheint, ergänzt. Im Themenbereich Zirkularität betrifft dies beispielsweise das Produkt- und Prozessdesign, das Wartung, Reparatur oder Wiederverwendbarkeit erleichtern soll.  In Sachen Performance und Haltbarkeit wurden aus der Regulierung bereits mehr als 50 einzelne Parameter identifiziert.

Das Konsortium erstellt zudem bis Ende des Projektes 2025 einen nicht-proprietären Prototypen, der die Datenpunkte entsprechend der Vorgaben der Batterieregulierung verarbeiten soll. Der Batteriepass wird über eine voraussichtlich dezentrale, digitale Infrastruktur verfügen, die den rollenbasierten Zugriff auf die dokumentierten Daten und den Austausch wichtiger Informationen ermöglichen soll. Die beteiligten Akteure können dann auf die für sie relevanten Daten im digitalen Produktpass einer für die Elektromobilität oder industriell genutzten Batterie zugreifen. Dadurch wird beispielsweise Unternehmen wie auch Endverbrauchern in Zukunft die Entscheidung über eine Anwendung im zweiten Leben einer Batterie deutlich erleichtert. Und das ist ein wesentlicher Faktor für eine zirkuläre und damit nachhaltige Wirtschaft.

DIBICHAIN: Digitales Abbild von Kreislaufsystemen mittels Blockchain-Technologie

Wie der Vortag von Dr. Simböck gezeigt hat, geht es bei dem Batteriepass vor allem um die Sammlung von relevanten Daten. Wie diese gewonnen und ausgewertet werden können, schildert Frau Frauke Hänel, Projektmanagerin Forschungs- und Innovations-Projekte der iPoint systems GmbH anhand von geeigneten Softwarelösungen für den gesamten Produktlebenszyklus. Diese hängen über die iPoint-Suite direkt mit dem digitalen Produktpass zusammen.

Softwarelösungen in der iPoint-Suite

Die Suite bündelt Software-Lösungen für Compliance, Nachhaltigkeit, Lieferkettentransparenz und Digital Circular Economy und folgt dem so genannten CARE-Prinzip. Das bedeutet Collect, Analyze, Report, Evolved. Die Daten werden also gesammelt, analysiert, berichtet und dann für die Unternehmensentwicklung genutzt. Durch die Anwendung dieses Prinzips können Unternehmen zum Beispiel bedenkliche Stoffe identifizieren, Lieferanten qualifizieren und zulassen sowie die Kontrolle über ihre ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen übernehmen.

Die Bedeutung der Blockchain-Technologie

Konkretisiert wird der Ablauf anhand des Projektes DIBICHAIN. Es steht für Digitales Abbild von Kreislaufsystemen mittels Blockchain-Technologie. Ziel des im Jahr 2019 gestarteten und mittlerweile abgeschlossenen Projektes im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Innovative Produktkreisläufe“ war die Entwicklung eines branchenübergreifenden Konzepts, das einen Produktzyklus mithilfe einer Blockchain abbildet. Damit soll die Kreislaufwirtschaft gefördert werden, die Rezyklierbarkeit von Produkten erhöht sowie Optimierungsmöglichkeiten für den ökologischen Fußabdruck in der Produktion geschaffen werden.

Die Erprobung am Modell

Umgesetzt wurde das Projekt mit verschiedenen Partnern und dem Anwendungsfall „Bionic Partition“. Dabei handelt es sich um eine Flugzeugtrennwand des Projektpartners Airbus, die in einem speziellen 3-D-Druck-Verfahren hergestellt wird. Diese diente als Modell, um das Produkt über den Lebenszyklus zu verfolgen und zu ermitteln, welche Daten überhaupt anfallen, wie diese in einer Blockchain abgebildet werden können und in welchen Formaten die Daten vorliegen. Hier war und ist die Standardisierung ein wichtiges Thema, damit die Daten in ein gemeinsames System fließen können. Gleichzeitig stellte sich die Frage, wie man Transparenz bei gleichzeitiger Wahrung vertraulicher Informationen schafft. Hier kommt die Blockchain ins Spiel. Sie verkettet Daten durch kryptographische Prozesse. So können Akteure innerhalb der Lieferkette ihre Wettbewerbsvorteile sichern, indem die Blockchain als eine Art verteiltes Produktregister fungiert. Auf der Blockchain werden Verweise auf ein Produkt oder dessen Informationen gespeichert, ohne dabei aber wirklich Produkt- oder Herstellerinformationen zu exponieren. Akteure können anonymisiert Produktinformationen in der Blockchain suchen und Teilnehmende in der Lieferkette finden und auch weitere Informationen anfragen. Das können Montageanleitungen, Recycling-Informationen oder Carbon-Footprint-Berichte sein. Anfragen können dann angenommen oder abgelehnt werden. Somit behält jeder Akteur die Datenhoheit über seinen Beitrag zum Produkt. Um diesen Austausch zu ermöglichen, wurde ein Demonstrator entwickelt, der Transparenz, Integrität und Datenschutz beim Austausch von Produktdaten ermöglichen kann und auch ganzheitlich einsetzbar ist. Weitere Schritte, so Frau Hänel, werden nun die Identifikation von Unternehmen zur Implementierung, ein Ausbau von Funktionalitäten und die Integration in bestehende Unternehmens IT-Umgebungen sein sowie eine Skalierung der Umgebung, um auch komplexere Lieferketten abbilden zu können.

Kontaktdaten der Referierenden

Dr. Eva Schichl , Umweltcluster Bayern

Johannes Benjamin Helfritz , DIN Deutsches Institut für Normung

Dr. Johannes Simböck , acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften

Frauke Hänel ,  iPoint systems GmbH

Weiterführende Informationen

>> Das Project KICE