„Bilderbuch-Projekt für unsere Wärmeversorgung“
Gotha setzt mit einer iKWK-Anlage aus BHKW, Wärmepumpe und Power-to-Heat einen Meilenstein für die klimaneutrale Fernwärme bis 2045
18.11.2025
Quelle: E & M powernews
Wie die Gothaer Stadtwerke Energie die Wärmewende mit einer iKWK-Anlage voranbringen.
Mit dem Zusammenspiel dreier Technologien führen die Gothaer Stadtwerke Energie ihre Stadt in Richtung einer klimaneutralen Wärmeversorgung: durch die Verknüpfung von Blockheizkraftwerk (BHKW), Luft-Wärmepumpe und Power-to-Heat. „Mit der Inbetriebnahme unserer iKWK-Anlage liefern wir verlässlich Wärme aus erneuerbaren Energiequellen“, erklärt Sven Anders, Geschäftsführer der Gothaer Stadtwerke Energie. Die Funktionsweise des innovativen Systems, das die grüne Wende in Gotha voranbringen soll, bringt Ferdinand von Stryk, Bereichsleiter Erzeugung und Wärmenetz bei den Stadtwerken, auf folgende Formel: „Wärmepumpen als Grundlasteinheiten und Gasmotoren, deren Spitzenlast Gaskessel im Winter ablösen.“
Das ehrgeizige Ziel der thüringischen Kommune: Bis 2045 sollen 100 Prozent der Fernwärme in Gotha klimaneutral erzeugt werden. Die Kommune erhielt 2022 von der Bundesnetzagentur den Zuschlag für die Förderung eines innovativen Kraft-Wärme-Kopplungssystems. Das System ist seit Kurzem in Betrieb. „Die iKWK-Anlage ist ein Bilderbuch-Projekt für unsere Wärmeversorgung. Im Sommer läuft die Wärmepumpe, die in dieser Zeit sehr hohe Wirkungsgrade hat. Bei hohen Wärmelasten im Winter und bei einem hohen Strompreis sichert das BHKW die Wärmeversorgung“, sagt von Stryk.
Herzstück der lokalen Wärmewende
Die neue Anlage befindet sich im Ortsteil Siebleben, neben „Gotha-West“ und „Gotha-Mitte“ eines der drei Fernwärmeversorgungsgebiete der Stadtwerke. Das BHKW-Modul hat eine elektrische Leistung von 2 MW und eine thermische von 2,2 MW, es stammt von Innio Jenbacher. Die Luft-Wärmepumpe bringt 1,3 MW thermische Leistung, Hersteller ist Johnson Controls. Die Power-to-Heat-Anlage ist für 1,2 MW ausgelegt. Durch die Technik verringert sich der jährliche CO2-Ausstoß um etwa 230 Tonnen. Die Bauzeit für die Anlage betrug 16 Monate. Das Investitionsvolumen beziffern die Gothaer Stadtwerke Energie auf 5,2 Millionen Euro.
Die Luft-Wärmepumpe kann rechnerisch rund 400 Haushalte versorgen. „Wir betreiben sie ab einer Außentemperatur von 10 Grad Celsius“, sagt von Stryk. Der COP, Coefficient of Performance, der Wärmepumpe, die als Kältemittel Ammoniak nutzt, liegt dann bei 2,5. Wenn es draußen um die 30 Grad sind, geht er von einem Leistungsfaktor von 3 aus. „Das bestätigen unsere Messergebnisse“, berichtet von Stryk.
Dass die Wärmepumpe 1,3 MW Leistung hat, ergab sich aus dem Förderkriterium, wonach die grüne Wärme der iKWK-Anlage mehr als 35 Prozent der Referenzwärme ausmachen muss. Für die Förderung von BHKW gilt eine Obergrenze von 3.500 Volllaststunden pro Jahr − daraus ergibt sich die Referenzwärmemenge. Um auf die erforderliche Wärmepumpenleistung zu kommen, schauten die Planer auf die Zahl der Stunden pro Jahr, an denen die Temperatur die Zehn-Grad-Grenze erreicht.
„Dann rechnet man mit einem Sicherheitspuffer, zum Beispiel 70 Prozent dieser Stunden, und multipliziert sie mit der Leistung, um auf die gewünschte thermische Energie zu kommen“, erklärt von Stryk. „Mit 1,3 MW können wir sicherstellen, dass wir in den Zeiten von über 10 Grad Celsius Außentemperatur mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit den 35-Prozent-Anteil erzeugen können.“
Wann welche Technologie zum Einsatz kommt, steuert das kommunale Versorgungsunternehmen mit Unterstützung des Münchner Dienstleisters VK Energie. „Dieser bildet unser Wärmesystem technisch und energiewirtschaftlich in einem mathematischen Modell ab“, erklärt von Stryk. Mithilfe einer KI werde täglich auf Basis von Wetterdaten eine Fernwärmeprognose erstellt. Daraus errechne sich der Fahrplan für den Folgetag. Die iKWK-Anlage läuft automatisiert. Die Mitarbeiter im Kraftwerk überwachen den Betrieb und greifen bei Bedarf ein.
Durchdachte Planung
Anfangspunkt für das Gothaer iKWK-Projekt war die Entscheidung der Gothaer Stadtwerke Energie, zwei Wärmenetze zusammenzulegen. Mit einer Leitung zwischen Innenstadtnetz und dem Netz in Siebleben erschlossen sie weitere Gebiete für die Fernwärmeversorgung und ein Grundstück, das sich für erneuerbare Energien nutzen ließ. „Von Anfang an war es der Anspruch der Stadtwerke, den Weg hin zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung aktiv mitzugestalten und so Verantwortung für die Region zu übernehmen“, unterstreicht Geschäftsführer Sven Anders.
Wofür das „i“ bei der iKWK-Anlage stehen soll, war anfangs offen. Verschiedene Varianten wurden geprüft. Geothermie schied aus Kostengründen aus, Solarthermie wurde wegen höherer Kosten und niedrigerem Wirkungsgrad nicht umgesetzt. Die Luft-Wärmepumpe überzeugte mit Effizienz und Investitionskosten.
Realisiert haben die Gothaer Stadtwerke Energie die Anlage in Eigenregie. Die Fäden liefen bei einem Projektleiter im Haus zusammen. „Für uns war wichtig, dass es einen zentralen Ansprechpartner für die ausführenden Firmen und die Planer gibt, der alles koordiniert“, sagt von Stryk. Das Unternehmen Jander Energietechnik in Tautenhain half bei der Planung und begleitete die Stadtwerke bei der Ausschreibung. „Wir haben die Anlage zusammen mit dem Ingenieurbüro geplant und die Ausführung dann in einzelnen Losen vergeben.“
Das BHKW wird im On-Off-Modus betrieben, immer mindestens zwei Stunden, nachdem es angeschaltet worden ist. Mit den anderen BHKW der Stadtwerke − insgesamt sind es zehn − ist das Aggregat kaskadiert. Brennstoff ist Erdgas. Wasserstoff ist derzeit noch nicht wirtschaftlich und infrastrukturell etabliert. Das Wasserstoffkernnetz soll zwar 2028 an der Autobahn A4 nördlich von Gotha verlaufen. Doch dann braucht es noch die Verbindung in die Stadt. „Perspektivisch sieht unser Transformationsplan für unser Wärmenetz einen schrittweisen Umstieg auf Wasserstoff vor“, schildert von Stryk. Geplant sei, im Jahr 2040 zunächst teilweise − „bis zu 18 Prozent“ − auf Wasserstoff umzurüsten.
Gothaer Wärmetransformation schreitet voran
An anderer Stelle ist die Transformation weiter im Gange. Rund 5 Millionen Euro hat das Unternehmen in die Remotorisierung des Heizkraftwerks West investiert. Zwei neue Motoren mit 10 Prozent mehr Leistung wurden beschafft. Ein dritter Motor soll 2027 folgen. Darüber hinaus starten die Stadtwerke an diesem Standort im kommenden Jahr mit dem Bau eines Wärmespeichers. Damit sollen im Sommer „mehrere Tage“ überbrückt werden können. In der Übergangszeit im Frühling und im Herbst soll er bereits ausreichen, um den Wärmebedarf in Gotha von Freitagabend bis Montagmorgen zu decken.
58 Kilometer misst das Fernwärmenetz der Gothaer Stadtwerke Energie. Bis 2045 soll die Versorgung komplett auf grüne Wärme umgestellt sein. Die iKWK-Anlage kommt nicht nur dem Klimaschutz zugute, sondern sorgt auch für Preisstabilität: Der flexible Einsatz der unterschiedlichen Energieträger ermöglicht es laut der Stadtwerke, erneuerbare Energien besser zu nutzen, den Gasverbrauch zu reduzieren und Preisschwankungen an den Energiemärkten abzupuffern.
Autor: Manfred Fischer