Public Understanding of Science – Warum die Wissenschaft aus dem Labor raus muss
Hightech, Deeptech, Innovation – viele begegnen diesen Begriffen im Alltag, ohne zu wissen, was wirklich dahintersteckt. Und warum auch? Wer nichts mit Wissenschaft zu tun hat, muss sie doch nicht verstehen – oder? Tatsächlich ist genau das entscheidend: Nur wenn wissenschaftliche Entwicklungen auch außerhalb von Laboren nachvollzogen werden, können Vertrauen und Akzeptanz entstehen. Public Understanding of Science schafft den Raum dafür – damit niemand abgehängt wird.
Der Fernseher surrt, das Bild ist körnig. Es ist ein Abend im Jahr 1989 bei Familie Miller, irgendwo in einer britischen Reihenhaussiedlung. Auf dem Bildschirm erklärt ein BBC-Reporter etwas über eine neue Technologie – ein weltweites Netz aus Computern, das bald die Kommunikation revolutionieren soll: das Internet.
„Also... ist das wie ein Fernsehsender, nur am Computer?“, fragt die Mutter und stellt die Teetasse ab.
Der Sohn zögert. „Ich glaub, eher wie eine Bibliothek ohne Bücher. Oder… vielleicht eher wie... eine Art Postsystem?“
Sie runzeln die Stirn. Die Begriffe fliegen durch den Raum: Datenpakete, Protokolle, Netzwerkknoten. Auf dem Sofa wird genickt, aber nicht verstanden. „Und was bringt uns das?“ – „Vielleicht kann man dann schneller Briefe schreiben?“
Die Sendung ist vorbei, der Bildschirm wird schwarz. Die Fragen bleiben.
Damals wie heute zeigt sich: Technologische Entwicklungen erreichen uns – aber verstehen wir auch, worum es geht? Warum ist es wichtig, sich mit Wissenschaft und Technik auseinanderzusetzen – auch wenn man nichts damit zu tun hat?
Wie alles begann
Die Frage, warum sich Menschen mit Wissenschaft und Technologie beschäftigen sollten, auch wenn sie selbst nicht in dem Feld tätig sind, ist keineswegs neu. Schon in den 1980er-Jahren wuchs in Großbritannien die Sorge, dass ein großer Teil der Bevölkerung den Anschluss an die immer schneller werdende wissenschaftlich-technologische Entwicklung verlieren könnte. Forschung wurde komplexer, technologische Innovationen folgten in immer kürzeren Abständen – doch die Öffentlichkeit blieb außen vor. Als Reaktion veröffentlichte die Royal Society 1985 ihren einflussreichen Report The Public Understanding of Science. Er definierte die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte als gesellschaftliche Aufgabe – nicht nur, um Wissen zu verbreiten, sondern um Verständnis zu schaffen. Großbritannien war damit ein Vorreiter: In einem Land, das für seine wissenschaftliche Exzellenz, eine starke Medienlandschaft und seine Technologieführerschaft bekannt war, wurde Wissenschaftskommunikation erstmals strategisch gedacht.
Eine erste größere Studie im Jahr 1989 bestätigte den Handlungsbedarf: Während das konkrete Wissen über wissenschaftliche Methoden und Zusammenhänge eher gering ausfiel, war das Interesse daran überraschend hoch. Viele Menschen gaben an, gerne mehr über Forschung zu erfahren – fühlten sich aber von der Art der Kommunikation nicht angesprochen. Die Erkenntnis war eindeutig: Wenn Menschen Wissenschaft nicht verstehen, liegt das nicht zwangsläufig an ihnen – sondern daran, wie über sie gesprochen wird. Die Idee, dass Wissenschaft nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch mit ihr gestaltet werden sollte, nahm hier ihren Anfang.
Sehen, Verstehen, Teilhaben
Es gibt verschiedene Ansätze, die die Beziehung zwischen der Gesellschaft und der Wissenschaft beschreiben. Neben dem Public Understanding of Science (PUS), also dem öffentlichen Verständnis von Wissenschaft, gibt es auch noch den Begriff der Public Awareness of Science (PAS), womit das öffentliche Bewusstsein der Wissenschaft gemeint ist. Diese beiden Begriffe scheinen im ersten Moment sehr ähnlich, beschreiben aber zwei unterschiedliche Phänomene – und geben unterschiedliche Antworten auf die Frage, warum es wichtig ist, sich mit Wissenschaft und Technologie auseinanderzusetzen, selbst wenn man nicht in dem Feld tätig ist. Ein dritter, neuerer Ansatz ist Public Engagement with Science and Technology (PEST), bei dem es nicht nur um Wissen oder Sichtbarkeit geht, sondern um die aktive Beteiligung der Gesellschaft an wissenschaftlichen Prozessen – etwa durch Dialogformate, Bürgerbeteiligung oder Co-Creation. Zusammenfassend kann man also sagen:
- PUS steht für das Verständnis wissenschaftlicher Inhalte: Es geht darum, dass Menschen Grundprinzipien, Methoden und Entwicklungen nachvollziehen können. Nicht im Detail – aber so, dass sie fundiert mitreden können.
- PAS meint die Sichtbarkeit von Wissenschaft: Forschung soll in der Öffentlichkeit präsent sein, nicht versteckt in Fachzeitschriften. Sichtbarkeit schafft Vertrauen, macht Forschung greifbar.
- PEST geht noch einen Schritt weiter: Hier geht es um Mitgestaltung. Die Gesellschaft soll nicht nur zuschauen, sondern mitreden dürfen – zum Beispiel in Form von Bürgerdialogen, Co-Creation oder Citizen Science.
Alle drei Konzepte zeigen: Wissenschaft ist keine Black Box. Sie betrifft uns alle – und sollte deshalb auch für alle verständlich und zugänglich sein
Wozu brauchen wir ein öffentliches Verständnis von Wissenschaft?
Ob wir es merken oder nicht: Wissenschaft und Technologie sind längst Teil unseres Alltags. Und genau deshalb geht sie uns alle etwas an – auch fernab von Laboren und Forschungseinrichtungen.
Wissenschaft im Alltag
Ein kurzer Blick aufs Smartphone genügt – und schon ist die Wissenschaft da. Wenn wir bei Google Maps nach dem schnellsten Weg suchen, arbeiten im Hintergrund Satelliten, komplexe Datenmodelle und Algorithmen zusammen. All das, ohne dass wir es merken. Es ist Hightech, verpackt in Alltag.
Oder beim nächsten Arztbesuch: Eine routinemäßige Blutuntersuchung liefert heute nicht nur Werte, sondern wird von automatisierten Laborsystemen analysiert, oft unterstützt durch KI-basierte Auswertung. Selbst das Blutzuckermessen bei Diabetespatientinnen funktioniert inzwischen per Sensor – mit direkter App-Anbindung. Hinter diesen alltäglichen Anwendungen steckt hochspezialisierte Forschung aus Medizin, Biochemie, Sensorik und Softwareentwicklung. Vieles davon zählt längst zum Feld des Deeptech – also Technologien, die tief in wissenschaftlichen Erkenntnissen verankert sind und unsere Welt fundamental verändern.
Wir müssen diese Technologien nicht vollständig durchdringen – aber wir sollten wissen, dass sie existieren, wie sie funktionieren und welche Entscheidungen sie beeinflussen. Denn wer das Grundprinzip versteht, kann informierter handeln, kritischer hinterfragen – und verantwortungsvoller mit neuen Entwicklungen umgehen. Genau darum geht es beim Public Understanding of Science.
Desinformation & Vertrauen
Wissenschaft macht die Welt erklärbar – aber was passiert, wenn niemand mehr erklären kann, was wahr ist? Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie schnell Unsicherheit entstehen kann, wenn komplexe Zusammenhänge nicht mehr verstanden – oder gezielt verdreht werden. Desinformation trifft auf fruchtbaren Boden, wenn das Vertrauen in Wissenschaft fehlt. Wenn Studien plötzlich als Meinung abgetan werden, Fachleute als „Eliten“ gelten und Wissenschaft nicht sichtbar und greifbar genug ist. Public Awareness of Science setzt genau hier an: Wissenschaft soll nicht nur im Elfenbeinturm stattfinden, sondern im öffentlichen Raum. Sichtbar wird das auch bei Hightech-Themen wie Künstlicher Intelligenz oder Impfstoffentwicklung – dort, wo Entscheidungen plötzlich im Alltag ankommen.
Ob bei Impfungen, Kernfusion, Klimapolitik oder Deeptech wie Quantencomputing – Vertrauen entsteht, wenn sichtbar wird, was geforscht wird, wer forscht und warum. Nur so lassen sich Unsicherheiten abbauen – und der Raum, den Verschwörungserzählungen gerne füllen, wird kleiner. Sichtbarkeit schützt nicht nur die Wissenschaft – sie schützt auch die Gesellschaft.
Demokratie & Teilhabe
Wissenschaftliche Erkenntnisse gehen uns alle etwas an – sie beeinflussen politische Entscheidungen, wirtschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche Debatten. Wer also glaubt, dass Forschung nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat, unterschätzt ihre politische Relevanz. Ob Energiewende, Kernfusion oder Digitalpolitik – überall treffen Forschung und Gesellschaft aufeinander. Oft geht es um hochkomplexe Entwicklungen, etwa Deeptech-Lösungen für die Energieinfrastruktur oder Hightech-Systeme zur Automatisierung politischer Prozesse.
Und genau deshalb ist es so wichtig, dass Bürgerinnen und Bürger verstehen, worum es geht – und mitgestalten können. Public Engagement, also die aktive Einbindung der Gesellschaft in Wissenschaft und Technologie, bietet dafür Möglichkeiten: Bürgerdialoge, partizipative Forschungsprojekte oder Diskussionsformate auf Augenhöhe.
So entsteht nicht nur Verständnis, sondern auch Verantwortung. Denn wer mitreden kann, kann auch mitentscheiden. Und genau das macht den Unterschied – in einer Demokratie, die auf informierter Teilhabe basiert. Wissenschaft braucht Mitsprache, gerade wenn es um die großen Zukunftsfragen geht.
Wissenschaft für alle – und wie?
Es war ein verregneter Dienstagabend, als Familie Miller in die alte Turnhalle der Gemeinde kam. Auf langen Holzbänken saßen Nachbarinnen, Vereinsaktive, ein paar Studierende. Vorne auf der Bühne: ein Forschungsinstitut, ein Energie-Start-up und die Frage, ob Kernfusion wirklich einmal Teil lokaler Energieversorgung sein könnte – oder reine Zukunftsmusik bleibt. Was wie Science-Fiction klang, wurde in einfachen Worten erklärt, mit greifbaren Beispielen, Skizzen und Modellen zum Anfassen. Für die Millers war es das erste Mal, dass sie Deeptech nicht als abstraktes Konzept erlebten, sondern als reale Möglichkeit.
Verstehen, mitreden, mitgestalten – das klingt gut. Aber wie wird das alles eigentlich umgesetzt? Wie erreicht man Menschen, die mit Forschung im Alltag wenig Berührung haben, und macht ihnen trotzdem Lust auf wissenschaftliche Themen?
Genau hier setzen Programme und Initiativen an, die den Transfer von Wissen in die Gesellschaft vorantreiben. Sie übersetzen, vernetzen, bringen Menschen zusammen – aus Hochschule, Wirtschaft und Alltag. Einer dieser Ansätze stammt direkt von uns: Transfer Leben.
TRANSFERleben – wenn Wissenschaft in die Lebenswelt kommt
Das Programm „TRANSFERleben“ der Bayern Innovativ GmbH zeigt beispielhaft, wie Wissenschaft ganz konkret in die Lebensrealität der Menschen gebracht werden kann. Es bringt Forschende, Unternehmen, Kommunen und weitere gesellschaftliche Akteure an einen Tisch, um gemeinsam an praxisnahen Fragestellungen zu arbeiten – etwa zu nachhaltigen Materialien, digitalen Lösungen oder sozialen Innovationen im ländlichen Raum.
Im Mittelpunkt steht dabei nicht nur die Anwendung von Forschungsergebnissen, sondern vor allem ihr verständlicher Transfer: Forschung soll nicht nur verwertet, sondern auch wirklich verstanden werden. In Workshops, Veranstaltungen und Dialogformaten entsteht so ein gemeinsames Verständnis – für Ideen, Probleme und Lösungen. Genau an dieser Schnittstelle treffen sich Public Understanding, Awareness und Engagement in der Praxis.
Und heute?
Ein paar Jahre später, wieder bei den Millers zu Hause. Die Wohnzimmermöbel sind die gleichen, aber der Fernseher ist inzwischen einem grauen Heimcomputer gewichen. Der Sohn, inzwischen Vater, zeigt seiner eigenen Tochter, wie man eine Website aufruft. „Damals“, sagt er lächelnd, „wussten wir nicht mal, was das Internet ist. Jetzt brauchst du es für die Schule.“ Die Tochter tippt flink. Für sie ist das Netz selbstverständlich. Was damals Hightech war und für viele kaum zu begreifen – das Internet –, ist heute Teil des Alltags. Und was heute ähnlich fern klingt, etwa der Quantencomputer, könnte bald genauso selbstverständlich werden. Die Technik verändert sich – das Verständnis muss mitwachsen.
Doch diese Entwicklung ist kein Selbstläufer. Gerade in Zeiten, in denen Desinformation, Krisen und technologische Umbrüche unseren Alltag prägen, ist es wichtiger denn je, dass die Gesellschaft nicht nur von Wissenschaft hört – sondern sie auch versteht.
Nur wenn Menschen Wissenschaft verstehen, können sie sie mittragen – und mitgestalten.
Und nur dann kann Forschung ihr volles Potenzial entfalten: als Grundlage für aufgeklärte Entscheidungen, für gesellschaftlichen Fortschritt – und für eine Zukunft, an der alle mitbauen können. Denn die nächste große Entwicklung kommt bestimmt. Und dieses Mal sollte niemand mehr auf dem Sofa sitzen und sich fragen, worum es eigentlich geht.