Steinkohlekraftwerke zwischen Hoffnung und Bangen

Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik (Stand: September 2016) Die Förderung von Steinkohle in Deutschland ist deutlich zurückgegangen: Von 2089 Petajoule (PJ) in 1990 auf 361 PJ in 2011 (dem Jahr des Starts der Energiewende) auf 188 PJ in 2015; bezogen auf das Jahr 1990 sind das gerade noch etwa 9%; die Steinkohlesubvention durch den Bund läuft 2018 aus. Steinkohle ist demnach kein wesentlicher heimischer Wirtschaftsfaktor mehr; der Beschäftigungseffekt im Vergleich zur Braunkohle ist gering.

Steinkohle-Kraftwerke spielen in der Diskussion um die Energiewende im Vergleich zur Braunkohle eine eher untergeordnete Rolle. Im vorliegenden Artikel wird der Frage nachgegangen, welchen Beitrag Steinkohle an installierter Kraftwerksleistung in Deutschland hat und wie sie regional verteilt ist. Im 2. Teil des Artikels werden der Primärenergieverbrauch und die Stromerzeugung diskutiert. Dazu wurden die Kraftwerkslisten der Bundesnetzagentur vom 16. 7. 2014 und vom 10. 5. 2016 blockspezifisch ausgewertet. Die Zuordnung auf die Steinkohle weicht von den Ergebnissen der Liste selbst in Einzelaspekten, jedoch unwesentlich ab.  

Entwicklung des mit Steinkohle gefeuerten Kraftwerkparks in Deutschland seit dem Start der Energiewende 2011

Tabelle 1: Kraftwerksleistung, Verteilung auf die Bundesländer und Alter  

Jahrin BetriebNRW *)BW **)SL ***)NS ****)Rest
 MW%/Alter,a%/Alter,a%/Alter,a%/Alter,a7 Länder
20142700050/2817/258/358/3317/30
ältestes/jüngstes KW, a 57/049/051/2538/14 53/0
andere Funktionen, MW  1) 389   2) 1721   3) 446  4) 50   5) 92
20162650039/2719/198/3711/2623/27
ältestes/jüngstes KW, a 59/238/253/2740/1 55/1
andere Funktionen MW  1) 185   2) 4553   3) 494  4) 50   5) 211,5
*) Nordrhein Westfalen  **) Baden-Württemberg***) Saarland ****) Niedersachsen

1) vorläufig stillgelegt, 2) endgültig stillgelegt, 3) an Stillegung gesetzlich gehindert/Reservekraftwerke, 4) saisonale Konservierung, 5) Sonderfälle/ohne Zuordnung

Tab 1 zeigt wichtige Daten zur Entwicklung der Steinkohle-Kraftwerksflotte seit dem Start der Energiewende im Jahr 2011; sie soll in dieser Form im Internetportal von Bayern Innovativ über die Jahre fortgeschrieben werden. Aufgeführt sind u. a. die 4 Bundesländer mit den höchsten Anteilen an installierter, in Betrieb befindlicher, elektrischer Kraftwerksleistung aus Steinkohle. Im Vergleich zur Braunkohle (siehe Artikel ebenfalls in diesem Portal) ist in Deutschland eine um ca 6000 MW höhere mit Steinkohle befeuerte Kraftwerksleistung in Betrieb.

Ein nicht allzu großer Teil der Steinkohlekraftwerke wird nicht ausschließlich mit Steinkohle betrieben. Auch andere Brennstoffe wie Heizöl, Erdgas und Abfall werden zugefeuert. Diese Kategorie wird in der Kraftwerksliste unter der Bezeichnung „mehrere Brennstoffe“ geführt. Diese Kraftwerke sind in Tab 1 nicht nur in der Gesamtleistung der in Betrieb befindlichen Kraftwerke enthalten; sie finden sich auch in den anderen Merkmalen des vorliegenden Artikels.

Es fällt auf, dass sich bei der Steinkohle in den Jahren seit Beginn der Energiewende viel bewegt hat, vor allem was die Stilllegungen betrifft; von 2011 bis 2014 sind insgesamt ca. 1700 MW, in den 2 Jahren danach bis 2016 zusätzlich ca. 2800 MW Kraftwerksleistung vom Netz genommen worden; bezogen auf die in Betrieb befindlichen Kraftwerke sind das ca. 17%; 80% der stillgelegten Steinkohlekraftwerke stehen in Nordrhein Westfalen (NRW); sie waren im Mittel etwa 40 Jahre in Betrieb. Kraftwerken mit in Summe nicht ganz 500 MW wurde die Stilllegung gesetzlich verweigert. Alle diese Anlagen liegen in Baden Württemberg und weisen auch unter Berücksichtigung ihres Alters von 50 Jahren hin auf eine „Verwundbarkeit“ der Versorgungssicherheit der Südländer mit noch hohem Kernenergie-Anteil.

62% der in Betrieb befindlichen Steinkohlekraftwerke werden mit Wärmeauskopplung betrieben. Bei der Stilllegungsentscheidung spielt diese Fahrweise so gut wie keine Rolle; beide Kategorien – mit und ohne Wärmeauskopplung – sind betroffen. 

Ermittelt man für die Bundesländer aus den Zahlen Leistungsprozent und mittleres Alter (jeweils Zeile 2 in Tab 1) den globalen Mittelwert so ergibt sich für 2014 ein Alter von 29 Jahren. In 2016 ist der Wert um 3 Jahre gefallen; eine Zahl, die sich sehen lassen kann, umso mehr wenn man berücksichtigt, dass die Flotte generell um 2 Jahre älter geworden ist. Dafür sind 2 Gründe verantwortlich: 1. die hohe Zahl stilllgelegter Kraftwerke und 2. aufgrund der in den letzten Jahren in Betrieb gegangenen neuen hocheffizienten Kraftwerke. Nach 2011 sind bis 2016 insgesamt neun große (zwischen 700 und 850 MW Leistung) Blöcke in Betrieb genommen worden, darunter 4 mit in Summe 3000 MW in NRW, 2 mit 1700 MW in Baden Württemberg, ebenfalls 2 mit 1500 MW in Hamburg  und ein Block  mit 730 MW in Niedersachsen. Betreiber sind in der Regel die großen Stromversorger.

Hinter den in Tab 1 erwähnten „Rest“ mit 7 Bundesländern stecken, sortiert nach der installierten Leistung der in Betrieb befindlichen Kraftwerke in der Liste 2016, Hamburg mit 1734 MW, Bayern mit 847 MW, Berlin mit 777 MW, Hessen mit 753 MW, Schleswig Holstein mit 672 MW und Mecklenburg Vorpommern mit 514 MW. Hamburg hat durch die Inbetriebnahme von 2 neuen Blöcken einen großen Sprung im Ranking nach vorne gemacht. In den anderen Ländern des „Rests“ hat sich im Vergleich zu 2012 nichts bzw nicht viel verändert. In Bayern laufen alle Kraftwerke unter der Kategorie „mehrere Energieträger“.

Stromerzeugung und Primärenergieverbrauch

Den Auswertungstabellen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen wurden die in Tab 2 aufgelisteten Kennwerte entnommen.

Tabelle 2: Stromerzeugung und Primärenergieverbrauch

 2012 2013 2014 2015
Bruttostromerzeugung in Deutschland in Mrd kWh
 630 639 628 647
Kraftwerkseigenverbrauch in Deutschland in %/Mrd kWh
 5,9/37 5,8/37 5,7/36 5,6/36
Bruttostromerzeugung Steinkohle in Mrd kWh
116127119118
Nettostromerzeugung Steinkohle in Mrd kWh
 110 121 113 112
Primärenergieverbrauch Steinkohle in Mrd kWh
 280 310 289 273
Mittlerer Wirkungsgrad in %
 39 39 39 41
    
    

Die Wirkungsgrade, vor allem der alten Kraftwerke, werden von den Betreibern in der Regel nicht veröffentlicht; warum wohl? Der mittlere elektrische Wirkungsgrad der Kraftwerksflotte kann jedoch aus den zur Verfügung stehenden Daten abgeschätzt werden; der Leser kann daraus seine Schlüsse ziehen. Der mittlere Nettowirkungsgrad lässt sich aus den letzten beiden Zeilen in Tab 2 Nettostromerzeugung Steinkohle dividiert durch den Primärenergieverbrauch Steinkohle ermitteln. Er beträgt von 2012 bis 2014 konstant 39% und steigt in 2015 auf 41%. Letzteres dürfte darauf zurückzuführen sein, dass nach 2014, wie bereits erwähnt, einige neue Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad um 50% in Betrieb gegangen sind und zahlreiche alte Anlagen stillgelegt wurden. Trotzdem – in 2 Jahren eine Erhöhung des mittleren Wirkungsgrads um 2 Prozentpunkte bei einer installierten Leistung von über 25000 MW ist ein überraschend hoher Wert. 

Die verfügbaren Daten erlauben auch eine Abschätzung der mittleren Volllast-Stundenzahl pro Jahr; dazu wurde der Primärenergieverbrauch in Tab 2  um den Anteil der zusätzlich zur Steinkohle verfeuerten sonstigen Energieträger erhöht; Angaben zu deren Einsatz sind in keinem der Energiewendeportale zu finden. 2014 werden bei ca 4460 MW oder 17% der unter Steinkohle geführten Kraftwerke, 2016 bei nur mehr 3674 MW (10%) andere Energieträger zugefeuert. Erhöht man den in Tab 2 der Steinkohle zugeordneten Bruttostromerzeugung in 2014 um z. B. 5% auf 125 TWh ergäben sich ca. 4600 Volllaststunden für das Jahr 2014. Diese Zahl scheint realistisch und bedeutet, dass vor allem abgeschriebene Steinkohlekraftwerke an der Strombörse im Geld sein sollten. Bei neuen Anlagen, wie in den letzten beiden Jahren in Betrieb gegangen, ist die wirtschaftliche Situation vermutlich grenzwertig. 

Fazit

Eine Frage ist ganz entscheidend: Wie lange will es sich das Hochtechnologieland Deutschland noch leisten, eine betagte, manche würden sagen, vergreiste mit fossilen Brennstoffen, vor allem mit Kohle befeuerte Kraftwerksflotte in Betrieb zu halten. Bei der Steinkohle hat sich, wie oben ausgeführt in den letzten 2 Jahren einiges bewegt. In dieser kurzen Zeitspanne sind im Vergleich zur Braunkohle deutlich mehr alte Anlagen stillgelegt und einige neue Kraftwerke in Betrieb genommen worden. Der mittlere Wirkungsgrad hat sich spürbar erhöht, mit in dieser Kraftwerkssparte entsprechend positiven Auswirkungen auf die CO2 Freisetzung und den Primärenergieverbrauch. Diese Entwicklung ist ein Hoffnungsschimmer.

Man wird jedoch nicht darum herumkommen, der Umwelt zuliebe weitere Anreize zu schaffen, damit in absehbarer Zeit in neue, hocheffiziente, fossil befeuerte Kraftwerke, welcher Art auch immer, investiert wird. Die erreichbaren hohen elektrischen Wirkungsgrade, wenn möglich gepaart mit der Wärmeauskopplung, zentral und dezentral, sind im Mix mit den Erneuerbaren nicht wegzudenken.