Solarthermie im Gebäudebestand

Schlüssel zur Energiewende

Autor: DrRoger Corradini / Forschungsstelle für Energiewirtschaft e.V. ; www.ffe.de; Stand: April 2017 Die Energiewende in Deutschland fokussiert weitgehend auf den Stromsektor. Dabei wird der Energieverbrauch nur zu 25 Prozent durch Stromanwendungen verursacht. Über 50 Prozent gehen auf Wärmeanwendungen zurück. Neben notwendigen Erfolgen im Verkehrssektor müssen auch im dominierenden Wärmesektor erheblich höhere Anteile regenerativer Erzeugung erreicht werden.

Die Energiewende in Deutschland beschränkt sich derzeit ausschließlich auf eine Stromwende, obwohl der Endenergieverbrauch in Deutschland nur zu einem Viertel durch Stromanwendungen verursacht wird.  Hinzu kommen in ähnlicher Größenordnung der Verkehrssektor und mit knapp über 50 Prozent der deutlich dominierende Wärmesektor. Die jährlich steigenden regenerativen Anteile in der Stromerzeugung auf über 25 Prozent in 2013 bescheinigen der Stromwende sichtbare Erfolge. Dagegen stagnieren die regenerativen Anteile für den Verkehr (6 %) und die Wärme (9 %) seit Jahren auf deutlich geringerem Niveau. Neben notwendigen Erfolgen im Verkehrssektor müssen vor allem im dominierenden Wärmesektor erheblich höhere Anteile regenerativer Erzeugung erreicht werden. Nur wenn dieses Ziel erfüllt ist, wird das Projekt der Energiewende letztlich ganzheitlich zum Erfolg geführt.

Solarthermie: ein Schlüssel zur Wende?

Kann die Solarthermie signifikante Beiträge zur dringend notwendigen Wärmewende leisten? Diese Frage wurde in einer mehrjährigen Forschungsarbeit [1] beantwortet, in der die solarthermischen Potenziale für Bestandsgebäude mit einer Wohneinheit ermittelt wurden. Bei Neubau- und Modernisierungsquoten von deutlich unter 1 Prozent pro Jahr ist es unabdingbar, im Gebäudebestand deutlich beschleunigt fossilen Energieträgereinsatz zu substituieren. Die Ergebnisse der Arbeiten zeigen für ein Szenario mit 20 m² Kollektorfläche je Anlage bereits ohne jegliche Modernisierungsmaßnahmen am Gebäude selbst ein solarthermisches Substitutionspotenzial von 78 TWh. Dies entspricht rund 25 Prozent des Wärmeverbrauchs dieser Gebäudeklassse, bzw. einer Vermeidung von bis zu 20 Mio. Tonnen CO2. Bei gleichzeitiger Dämmung bzw. einem Fenstertausch – Fälle, die nicht explizit in der Arbeit mit untersucht wurden – wären die erreichbaren Einsparungen noch steigerbar. Thermische Langzeitspeicher oder Anlagen mit mehr als 20 m² Kollektorfläche könnten diese Werte ebenso noch erhöhen.

Solarthermie
Abb1: Endenergie-Substitutionspotenzial für ST-Anlagen mit 20 m2 Kollektor (Bild: [1])

Die Ergebnisse der Arbeit liegen neben der aggregierten Form auch als Einzelergebnissen für jede einzelne Gemeinde in Deutschland vor (siehe auch www.solarthermiepotenziale.de). Ein Auszug aus den Ergebnissen ist für das Szenario „Optimal“ mit 20 m² Kollektorfläche in Abb. 1 in Form eines Kartogramms dargestellt. Multipliziert man diese Werte mit der Wohnfläche der Gebäude in der jeweiligen Gemeinde, erhält man das gemeindespezifische solarthermische Substitutionspotenzial.

Solarthermie
Abb2: Durchdringungsgrade von solarthermischen Anlagen und Photovoltaik-Anlagen sowie durchschnittliche Kollektorfeld- bzw. Modulfeldgröße je Anlage im Jahr 2012 (Bild: [1])

Wärmewende beschleunigen

Auf Gebäuden mit einer Wohneinheit befindet sich die Solarthermie in direkter Konkurrenz zur Photovoltaik. Der mittlere Flächenbedarf einer PV-Anlage im Vergleich zu einer Solarthermie-Anlage (vgl. Abb. 2) lässt in aller Regel keinen Platz mehr für eine Solarthermie-Anlage. Im Kontext des über dop- pelten so großen Energiebedarfs für Wärme wie für elektrische Anwendungen ist es nicht nachvoll- ziehbar, dass seit Jahren eine deutliche förderpolitische Bevorzugung der solaren Stromerzeugung vor der solaren Wärmeerzeugung stattfand, die bis heute besteht. Trotz der erheblichen Reduktion der Einspeisevergütung über die letzten Jahre auf aktuell ca. 12,5 ct/kWhel (Jan 2015) beträgt die Förderung im thermischen Bereich lediglich 2 ct/kWhth und damit weniger als 1/6. Da dieses Verhältnis in der Vergangenheit noch deutlich größer war, ist es verständlich, dass die jährlichen Zubauzahlen der Solarthermie deutlich hinter denen der PV zurückliegen, obwohl die Wärmewende als essenzieller Bestandteil der Energiewende dringend das Umsetzen dieser Potenziale erfordern würde.

Eine Investitionsförderung wie das Markt-Anreiz-Programm für die Solarthermie, die sich ausschließlich an der Kollektorgröße orientiert, wird der angestrebten Wärmewende nicht wirklich gerecht (vgl. [2]). Ziel ist es, möglichst große Mengen des fossilen Energieeinsatzes durch Effizienzmaßnahmen oder entsprechende regenerative Technologien wie die Solarthermie zu vermeiden. Hier wäre es naheliegend, diese vermiedene Energiemenge direkt mit einer Vergütung zu versehen. Für die Solarthermie könnte dies bedeuten, dass der nutzbare solare Ertrag der Anlage vergütet würde und somit indirekt der vermiedene Gas- oder Ölverbrauch.

Als positiven Nebeneffekt würden gut geplante und gewartete oder mit innovativen Regelungen versehene – also allgemein effizient funktionierende Anlagen – eine höhere Vergütung erhielten als solche, die zwar große Kollektorflächen haben, aber zum Beispiel durch eine schlechte hydraulische Einbindung oder Regelung nur wenig Ertrag liefern. Es wäre also ein deutlich höherer Anreiz für einen qualitätsgesicherten Anlagenbetrieb gegeben. Die Höhe der solarthermischen Förderung mit derzeit umgerechnet 2 ct/kWhth nutzbarer Wärme gilt es ebenso im Kontext einer zu beschleunigenden Wärmewende zu überdenken.

Solarthermie: wichtiger und notwendiger Schlüssel zur Wende!

Die Energiewende in Deutschland unterliegt derzeit einer starken politischen wie auch medialen Fokussierung auf den Stromsektor. Bei oberflächlicher Betrachtungsweise reduziert sie sich sogar vollends auf den Strombereich. Der Energieverbrauch in Deutschland wird allerdings nur  zu 25 Prozent durch Stromanwendungen verursacht. Über 50 Prozent gehen auf Wärmeanwendungen zurück.

Sowohl gesellschaftlich als auch politisch gilt es, diesen Sachverhalt zu kommunizieren und durch entsprechende wissenschaftliche Arbeiten belastbare Lösungen aufzuzeigen – und auch gewählte Irrwege anzusprechen. So ist beispielsweise der zunehmende Einsatz von Wärmepumpen zur Beheizung von Gebäuden nur auf den ersten Blick ein Königsweg. Zu Zeiten, in den die Wärmepumpen den größten Strombedarf haben – Januar und Februar –, ist die Netzlast mit am höchsten und regenerative Kraftwerke liefern sicher nicht ihre größten Anteile am Strommix. Bei einem sehr starken Zubau von elektrischen Wärmeerzeugern käme es zukünftig zu überhöhten Leistungsspitzen in den kalten Monaten des Jahres. Hierfür ist es erforderlich, gesicherte Leistungen für die nicht immer verfügbaren regenerativen Erzeuger wie Wind und Photovoltaik bereitzustellen. Dies kann z. B. über großtechnische Stromspeicher oder durch Reservekraftwerke geschehen. Die Kosten für diese zusätzliche Energieinfrastruktur wird jedoch – ähnlich wie beim EEG – jeder Stromkunde tragen müssen.

Die Solarthermie dagegen hat keinen Einfluss auf den Öl- oder Gaspreis, den der Nachbar zu bezahlen hat. Somit kann der Solarthermie nicht nur bescheinigt werden, ein wichtiger Baustein der Wärmewende zu sein, sondern darüber hinaus ist sie ein notwendiger Schlüssel, um die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Energiewende zu begrenzen.

Literaturverzeichnis

1  Corradini, Roger: Regional differenzierte Solarthermie-Potenziale für Gebäude mit einer Wohneinheit – Dissertation an der Fakultät für Maschinenbau der Ruhr-Universität Bochum. ISBN 978-3-941802-26-1; ISBN-A 10.978.3941802/261. Kostenlos beziehbar unter dx.doi.org/10.978.3941802/261

2 Corradini, Roger; Musso, Christian: Motor und Bremse für den Kollektorausbau in: BWK, Bd. 63 (2011), Nr. 6, S. 21-26. Düsseldorf: Springer VDI Verlag, 2011 – ISSN 1618-193X