Ökologische Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche

„Nachhaltigkeit sollte als Chance für bessere Produkte und einen Marktvorteil gesehen werden” – Stefanie Brauer

In dem Anfang 2022 veröffentlichten Bericht zur Klimakrise mit Fokus auf die Auswirkungen der Erderwärmung des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), also des Weltklimarats, wird ausdrücklich vor dem sich schließenden Zeitfenster gewarnt, innerhalb dessen die Menschen die schlimmsten Entwicklungen noch verhindern können. Auch die Gesundheitsbranche trägt zu einem großen Teil zur Erderwärmung unter anderem durch Emissionen bei. Im nachfolgenden Interview mit Stefanie Brauer vom Forum MedTech Pharma e.V. bei Bayern Innovativ, erfahren Sie, wie ökologische Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche gesteigert und Maßnahmen dazu umgesetzt werden könnten, um den drohenden Entwicklungen entgegenzuwirken.

Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche
Die Gesundheitsbranche muss den Weckruf hören und Nachhaltigkeit als Chance begreifen!

Weltweit ist die Gesundheitsbranche für ungefähr 4,4 % der gesamten CO² Emissionen verantwortlich. 70% der Emissionen entsteht dabei innerhalb der Lieferkette. Wie steht hier Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern da?

Stefanie Brauer: Eine Untersuchung der Organisation Health Care Without Harm aus dem Jahr 2019, stellt den Vergleich zwischen verschiedenen Ländern dar. Hier werden die Gesamt-Emissionen, die der Gesundheitssektor verursacht und die Pro-Kopf-Emissionen aufgeführt. Deutschland liegt bei den Gesamt-Emissionen nach den USA und China auf Platz 5 von 68 untersuchten Ländern. Bei den Pro-Kopf-Emissionen ist Deutschland mit dem 15. Platz ein bisschen besser, was aber immer noch einen Gesamt-Ausstoß von 57,5 Millionen Tonnen CO2 Äquivalente ausmacht.

Was wird aktuell in puncto Umweltschutz insbesondere zum Thema Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft im Gesundheitsbereich getan?

Stefanie Brauer: Die Branche ist erst am Anfang. Es gibt einige Ansätze und Initiativen, zum Beispiel im Bereich Nachhaltigkeit, bei denen auf Emissionen im Gebäudebereich und auf den Energieverbrauch im Gebäude geachtet wird. In Bayern sind das die Green Hospital bzw. Green Hospital plus Initiative des Gesundheitsministeriums. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist aber noch lang, denn das Thema Hygiene spielt hier eine große Rolle. Die Verwendung von Einwegprodukten wird durch die Gesetzgebung unterstützt. Die wenigen nachhaltigen Alternativen sind rar, meist schlecht erkennbar und häufig teurer. Kliniken und kommunale Einkaufsgemeinschaften sind aber an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden, was eine Rechtfertigung für den Einkauf solcher Produkte erschwert. Es haben sich aber verschiedene Organisationen der Änderung von Kriterien für den Produkteinkauf angenommen und sind um Vernetzung und Aufklärung in dem Bereich bemüht.

Das galt jetzt für Deutschland. Sind andere Länder vielleicht schon weiter?

Stefanie Brauer: Ein Beispiel für Länder, die schon deutlich weiter sind, ist Großbritannien. Dort funktioniert das Gesundheitssystem aber ganz anders, denn es ist steuerfinanziert. Hier trägt die staatliche Gesundheitsorganisation - der National Health Service (NHS) - die Kosten und macht auch, wie beispielsweise schon seit einigen Jahren zum Thema Nachhaltigkeit zentrale Vorgaben.

Nachhaltigkeit sollte als Chance für bessere Produkte und einen Marktvorteil gesehen werden.

Stefanie BrauerProjektmanagerin Medizintechnik, Forum MedTech Pharma e. V.

Gibt es noch andere Punkte, woran es liegt, dass das Thema ökologische Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche in Deutschland bisher eine eher untergeordnete Rolle spielt?

Stefanie Brauer: Es gibt kaum gesetzliche Vorgaben oder einheitliche Standards, die ein ökologischeres Handeln einfordern. Zudem haben wir schon immer eine sehr hohe Forderung nach Qualität und viel Regulatorik in der Medizintechnikbranche, die für die Patientensicherheit notwendig ist. Der Gesundheitsmarkt ist außerdem durch den gemeinsamen Bundesausschuss und den Krankenkassen ein geschlossener Markt, denn es wird über den Leistungsanspruch und die Vergütung von Behandlungen und Prozeduren entschieden und diese dann erstattet. Man könnte sich also fragen, ob an dieser Vergütung sich was ändern muss und die Behandlung mit nachhaltigeren Medizinprodukten mit einem finanziellen Anreiz versehen werden sollte.

Was kann noch getan werden, damit herstellende Unternehmen und Anwendende wie Kliniken sich dem Thema Umweltschutz mehr annähern?

Stefanie Brauer: Durch ein Umdenken sollte Nachhaltigkeit als Chance für bessere Produkte und für einen Vorteil im Markt gesehen werden. Kooperation zwischen den Anwendenden und den herstellenden Firmen müssen gestärkt werden, um gemeinsam die Herausforderungen lösen zu können. Zudem muss das Angebot an nachhaltigen Alternativen steigen und eine klare Kennzeichnung ist notwendig, wie der Blaue Engel oder verschiedene Biosiegel, die man aus dem Konsumgütermarkt kennt. Weiteren Bedarf gibt es für Innovationen, beispielsweise für nachhaltigere Materialien, an die hohe Anforderungen bezüglich der Funktion und Hygiene gestellt werden, die aber auch die Regulatorik beachten. Darüber hinaus muss der Preis wettbewerbsfähig sein und kein Ausschlussgrund darstellen, um mehr Nachhaltigkeit in der Gesundheitsbranche zu verankern.

Gibt es dazu Beispiele?

Stefanie Brauer: Verschiedene Kliniken schneiden beispielsweise innerhalb des Wirtschaftlichkeitsgebotes die Ausschreibung so spezifisch zu, dass sie ein nachhaltiges Produkt kaufen können. Es gibt aber auch Unternehmen, die sich auf die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten oder auf die Gestaltung des Designs zur Unterscheidung von Mehr- und Einweg zur Wiederaufbereitung spezialisiert haben. Der Vorteil einer externen Wiederaufbereitung liegt hierbei für die Kliniken in der Lösung der Haftungsfrage.

Wie können die Zusammenarbeit und Vernetzung von Anbietenden und Anwendenden durch Bayern Innovativ gestärkt werden?

Stefanie Brauer: Die Nachhaltigkeit muss auf verschiedene Themenfelder und Beteiligte runtergebrochen werden, um in die Umsetzung zu kommen. Hierbei, aber auch bei der Umsetzung können wir unterstützen. Das Forum MedTech Pharma fungiert als Kontakt für das Thema Nachhaltigkeit, fördert den Austausch zwischen Akteursgruppen im Gesundheitsbereich und bietet Weiterbildung und Beratung an. Wir bringen die Bedarfe der Branche zusammen und führen Interessierte an politische Entscheidende heran. Auf der Plattform Medtec Online können beispielsweise alle Interessierten der Branche in der Gruppe Nachhaltigkeit diskutieren, um die Transformation weiter voranzubringen. Außerdem können unsere Spezialisierungsfelder Material und Digitalisierung auch als Enabler bei dem Thema Nachhaltigkeit unterstützen und das Enterprise Europe Network bietet für kleine und mittlere Unternehmen ein kostenfreies Nachhaltigkeitsassessment an, anhand dessen Unternehmen Handlungsbedarfe erkennen können.

Das Interview führte Dr. Petra Blumenroth, Projektmanagerin Technologie I Frugale Innovation bei der Bayern Innovativ GmbH.

Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:

Verschläft die Gesundheitsbranche die ökologische Kehrtwende?

Eine Antwort auf diese Frage gibt Ihnen Stefanie Brauer im Interview mit Dr. Petra Blumenroth. Sie möchten tiefer in das Thema Nachhaltigkeit & Energiewende einsteigen? Dann hören Sie sich auch Folge 21, Folge 28 und Folge 30 an.

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Stefanie Brauer
+49 911 20671-337
Gesundheit, Projektmanagerin, Bayern Innovativ GmbH, Nürnberg