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Kohlestrom: Wie lange noch?
Auf Kohle werden wir noch einige Zeit angewiesen sein
Autor: Prof. Dr.-Ing. Klaus Görner Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Umweltverfahrenstechnik und Anlagentechnik und Rhein Ruhr Power e.V. (Stand: November 2016) Der drohende Klimawandel hat weltweit ein Umdenken bei der Energiebereitstellung und dem Energieverbrauch angestoßen. Die Pariser Klimaschutzbeschlüsse (COP 21) haben quasi erstmals weltweit verbindliche Minderungsziele vereinbart. In diesem Zusammenhang ist jedoch wichtig zu betonen, dass Länder wie USA, China und Indien schon heute für mehr als 50% des CO 2 -Ausstoßes verantwortlich sind – Tendenz steigend, sowohl absolut als auch anteilig. Dies heißt nicht, dass wir uns als Industrienation mit einem Anteil von unter 2 % zurücklehnen können und sollen. Ganz im Gegenteil. Aber wir müssen uns auch des beschränkten Wirkungspotentials unserer Anstrengungen bewusst sein.
In der Europäischen Union hat der Prozess des Energieumbaus bereits eine längere Historie: die EU-Regierungschefs haben sich auf dem EU-Gipfel im Oktober 2014 in Brüssel darauf verständigt, dass der Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgas CO2 bis 2030 um 40 % gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden soll. In Deutschland wurden die Klimaziele deutlich strikter und ambitionierter formuliert. Beginnend mit den Meseberger Beschlüssen (siehe auch [1]), EEG 2014 [2] und aktuell fortgeschrieben im Erneuerbaren-Energien-Gesetz EEG vom 13.10.2016 [3] wurde das Ziel formuliert, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % gegenüber dem Jahr 1990 zu reduzieren. Etwa 40 % dieser Emissionen sind energiebedingt, so dass hier ein wichtiger Ansatzpunkt zu sehen ist. Die COP 21-Beschlüsse stehen in Deutschland vor einer Umsetzung in nationale Pläne und Gesetze.
Energieversorgung in Deutschland
Bis vor ca. 6-7 Jahren war die Energiebereitstellung in Deutschland stark durch fossile und nukleare Primärenergien und zentral orientierte Kraftwerksanlagenstrukturen geprägt. Mit dem Atomausstiegsgesetz [4] vom 6. August 2011 wird in Deutschland die Atomenergieära bis 2022 beendet. Dies bringt bereits einen heftigen Einschnitt in unsere Energieversorgungsstruktur, vor allem für Strom, mit sich, da z.B. 2011 etwa 17,7 % des in Deutschland erzeugten Stroms aus Kernenergie stammten. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die regionale Komponente dieses Ausstiegs: Kernkraftwerke sind sehr stark in der Nähe von Verbrauchszentren im Süden der Republik angesiedelt. Werden diese stillgelegt, müssten hier andere Erzeugungsanlagen aufgebaut werden oder aus anderen Teilen des Landes – z.B. aus dem Norden – über Hochspannungstrassen Strom dorthin transportiert werden. Hierfür reichen aber derzeit die vorhandenen Übertragungsleitungen von ihrer Übertragungskapazität nicht aus. Für die Zeit nach Abschaltung des KKW Grafenrheinfeld 2022 müssen Hochspannungsübertragungskapazitäten für die Versorgung im Süden aufgebaut werden. Vor allem Bayern hat sich in diesem Zusammenhang mit einer Erdverkabelung durchgesetzt, wodurch aber volkswirtschaftlich erhebliche Mehrkosten verbunden sind. Auch eine Fertigstellung ist nicht vor 2025 zu erwarten.
Man könnte jetzt anführen, dass ja gerade in Süden der Ausbau der Erneuerbaren Energien stark vorangetrieben wurde – Windenergie in Baden-Württemberg und Photovoltaik-Stromerzeugung (PV) in Bayern – um regionalen Bedarf zu decken. Das ist vordergründig auch richtig. Da Wind und Sonne aber nicht immer zur Verfügung stehen, muss für diese Zeitperioden eine gesicherte Strombereitstellung vorgesehen werden. In Deutschland muss mit Zeiträumen von bis zu 10 Tagen ohne wesentliche Wind- und Sonnen-Stromeinspeisung gerechnet werden. In diesen Zeiträumen nutzt es auch nicht, die Erzeugungskapazitäten einfach nur zu erhöhen – bildlich neben ein Windrad ein weiteres zu setzen –, denn dann drehen sich eben beide Windkraftanlagen nicht und speisen keinen Strom ein.
Ein gesichertes Stromangebot kann auch nur bedingt durch einen Netzausbau hergestellt werden, da es – bezogen auf Europa – zwar regionale Unterschiede in der Wind- und Sonnendarbietung gibt, diese aber nicht auszureichend sind, um unsere Defizite zu decken. Im Übrigen sollte eine europaweite Energiewende unter der Prämisse vollzogen werden, dass nicht einzelne Länder ihren Ökostromanteil durch Importe aus anderen zu decken versuchen. Dies wäre ein unzulässiger Taschenspielertrick.
Eine weitere Möglichkeit besteht im Ausbau von Stromspeichern. Hiermit könnte der zu Zeiten hohen Wind- und/oder Sonnenenergieangebotes im Überschuss erzeugte Strom ein- und zum „richtigen“ Zeitpunkt wieder ausgespeichert werden. Nach Abschätzungen einiger Forschungseinrichtungen, die ihre Ergebnisse in Studien zusammengefasst haben und die repräsentativ in einem VCI-Papier veröffentlicht wurden [5], wird eine Stromspeicherkapazität von 10-20 TWh (10.000 bis 20.000 GWh) für Deutschland benötigt, um das Netz zu stabilisieren. Im Vergleich dazu beträgt die derzeitige Pumpspeicherkapazität 20-40 GWh, also etwa ein Faktor 500 weniger als erforderlich. Allein daraus wird ersichtlich, dass konventionelle Speicher alleine diese Herausforderung nicht erfüllen können. Lediglich durch chemische Speicher, bei denen Strom durch Elektrolyse in Wasserstoff oder – mit einem weiteren Schritt - zu Methan umgewandelt, gespeichert und später wieder rückverstromt wird, könnte eine solche Kapazität bereitgestellt werden. Dieser Technologiepfad ist unter dem Begriff „Power-to-Gas“ bekannt, aber von einem großtechnischen Einsatz noch ein bis zwei Dekaden entfernt [6].
CO2-Einsparziele
Neben der Energiewirtschaft müssen zur Erreichung der CO2-Einsparziele auch Sektoren wie Wärme und Verkehr in deutlich stärkerem Maße beitragen. Setzt man hierbei auf eine starke Elektrifizierung, dann erfordert dies einen noch sehr viel stärkeren Ausbau der EE-Erzeugungskapazitäten und dies in den nächsten 5 bis 10 Jahren. Ein solch forcierter Ausbau erhöht aber nochmals die Anforderungen an eine disponible Strombereitstellung zur Sicherstellung der Residuallast.
Letztendlich kann der bestehende Kraftwerkspark, in dem im Wesentlichen fossile Energieträger wie Erdgas, Stein- und Braunkohle verstromt werden, eingesetzt werden. Dabei hat Erdgas die geringsten spezifischen CO2-Emissionswerte – diese sind etwa um den Faktor 2 niedriger als bei Braunkohle. Steinkohle liegt mit einem Wert von ca. 840 (735 bis 939) kg CO2/MWhel dazwischen. Danach schneiden vor allem erdgasbefeuerte Kraftwerke, z.B. GuD-Anlagen mit einem Stromerzeugungs-wirkungsgrad von über 60 % technisch am besten ab. Diese Anlagen kommen aber im derzeitigen „Energy-only“-Markt, bedingt durch das „Merit-Order“-Prinzip, faktisch nur zu ganz wenigen Jahresstunden zum Einsatz. Dies lässt sich dadurch erklären, dass der Erdgaspreis in etwa den Erzeugungskosten von Kohlestrom entspricht. Berücksichtigt man einen mittleren Wirkungsgrad bei der Gasverstromung von 50 %, so wird Strom aus Erdgas etwa doppelt so teuer wie bei der Erzeugung aus Kohle.
Technisch und wirtschaftlich sind dadurch kohlebefeuerte Kraftwerke derzeit die einzigen Anlagen, mit denen eine gesicherte und disponible Stromerzeugung realisiert werden kann. Die Steinkohleförderung wird in Deutschland bis zum Jahr 2018 aufgegeben, aber eine weltweite Provenienz (Herkunft bzw. Verfügbarkeit) von Kohlen und ein stabiler Weltmarkt sorgen langfristig für stabile Preise und eine geostrategische Versorgungsunabhängigkeit. Die Steinkohlepreise sind in den letzten beiden Jahren unter dem Einfluss der Gewinnung von kostengünstigem unkonventionellen Gas in USA noch weiter gesunken. Braunkohle ist in diesem Kontext der einzige heimische Energieträger.
Der Kraftwerkspark wurde in seiner Kapazität von etwa 120.000 MW installierter Leistung auf unter 90.000 MW reduziert, wobei im Wesentlichen ältere Anlagen stillgelegt wurden und damit ein nicht unerheblicher Beitrag zum Umweltschutz und auch zur CO2-Reduzierung geleistet wurde. Diese Anlagen sind sehr lastflexibel oder könnten mit überschaubarem Aufwand hierzu ertüchtigt werden. Flexibilität bedeutet in diesem Zusammenhang, die Kraftwerke sehr schnell hoch oder herunter fahren zu können, um damit die Residuallast, d.h. die Differenz zwischen der geforderten Netzlast und der Erzeugung durch Erneuerbare Energien, abdecken zu können. Nur unter den gegebenen Marktbedingungen besteht nahezu keine Investitionsbereitschaft zur Ertüchtigung dieser Anlagen, obwohl dies dringend notwendig wäre.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass wir in Deutschland ein sehr stabiles Stromverbundsystem haben, das auch ein wesentlicher Bestandteil eines europäischen Verbundes ist. Erneuerbare Energien haben in Deutschland bereits einen nicht unerheblichen Anteil an der Stromerzeugung (2016: über 34 %; erstmals haben EE den größten Anteil an Bruttostromerzeugung in D) und dieser wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch deutlich weiter steigen. Eine solche Entwicklung ist aus Klimaschutzgründen auch sehr wünschenswert. Alleine die Geschwindigkeit des Übergangs von einer fossilen zu einer erneuerbaren Stromerzeugung ist durch rein politisch motivierte Vorgaben zu ambitioniert veranschlagt und es gibt keinen Masterplan, mit denen die Anteile der verschiedenen Energieträger für die Stromerzeugung auf dem Weg dahin vorgegeben werden. Zu groß sind hierbei die Unwägbarkeiten und Unsicherheiten auf technischer wie auf wirtschaftlicher Ebene. Es wäre daher unverantwortlich, zusätzlich zum Ausstieg aus der Kernenergie, auch noch aus der Kohle auszusteigen. Ein solch doppelter Paradigmenwechsel würde uns technisch und wirtschaftlich überfordern. Wir werden daher in Deutschland noch einige Zeit auf Kohle zur Stromerzeugung angewiesen sein. Weltweit bauen wir und bieten wir die effizientesten Kohlekraftwerke an. Weltweit wird stark auf Kohle gesetzt und auch aus diesem Gesichtspunkt wäre es fahrlässig, unsere hoch entwickelte Kraftwerkstechnologie nicht in Ländern wie China und Indien zu exportieren, sondern dort Anlagen mit deutlich niedrigeren Umweltstandards zu errichten.
Literaturverzeichnis:
[1] Meseberger Beschlüsse: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), 24. August 2007, abgerufen am 16. März 2014. [2] Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbares-Energien-Gesetz 2014), in Kraft getreten am 01.08.2014 [3] Gesetz zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien (Erneuerbares-Energien-Gesetz EEG 2016), in Kraft getreten am 13.10.2016 [4] 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes (Atomausstiegsgesetz), in Kraft getreten am 6.8.2011 [5] Zukunft der Energiespeicher – ein Zwischenbericht des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI). VCI, 8.10.2013 [6] Virtuelles Institut: Strom zu Gas und Wärme – Flexibilitätsoptionen im integrierten Strom- Gas-, Wärmesystem. Broschüre des Clusters Energieforschung NRW (CEF.NRW), 2014