Die neue Welt der Datenräume

Vom Nutzen digitaler Ökosysteme profitieren

In jedem Industrieunternehmen fallen täglich riesige Datenmengen an. Doch erst, wenn sie zusammengeführt, analysiert oder mit anderen Akteuren geteilt werden, lässt sich ein Mehrwert aus ihnen generieren. Der Datenaustausch wird also immer wichtiger. Beschleunigt dadurch, dass die bayerischen Unternehmen, wie alle anderen auch, vor einem gewaltigen Umbruch stehen. Bislang agierten sie zumeist in ihrem stabilen Branchenumfeld aus Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern. Getrieben durch die Digitalisierung weichen diese Grenzen zunehmend auf. Besonders große Unternehmen haben diesen Trend erkannt und erschließen sich neue Geschäftsmodelle durch das Knüpfen von Kontakten zu anderen Marktteilnehmern. Hier muss der Mittelstand Anschluss halten. Mit dem Ziel auf einer branchenübergreifenden Basis Mehrwerte für die Kunden und sich selbst zu schaffen, ist es für die Unternehmen wichtig, Ökosysteme aufzubauen und digitale Plattformen zu nutzen. [1]

Digitaler Datenraum zum sicheren Austausch von Daten
Digitale Datenräume eröffnen dem Mittelstand neue Chancen.

Sie heißen Crowdsourcing, Plattform-Ökonomie oder Fernwartung durch Condition Monitoring – neue Geschäftsmodelle erschließen neue Möglichkeiten für Unternehmen und haben eines gemeinsam: Sie basieren auf dem Austausch von Daten. Dieser findet zunehmend in digitalen Ökosystemen statt. Dabei handelt es sich um Netzwerke, in denen verschiedene Partner Daten untereinander teilen, gemeinsame Schnittstellen errichten, miteinander arbeiten und dadurch einflussreiche Fusionen schaffen. [2] Das Fraunhofer Institut IESE definiert ein digitales Ökosystem als „sozio-technisches System, in dem Unternehmen und Menschen miteinander kooperieren“. [3] Dabei verfolgen sie ein gemeinsames Ziel: das Teilen von Daten sowie die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen auf Basis einer digitalen Plattform, auch Datenraum genannt. Dieser kann als ein Ort beschrieben werden, in dem ein vertrauenswürdiger Austausch von Daten stattfindet.

Communities, die Mehrwert schaffen

Um Standardisierung und Technologieentwicklung voranzutreiben, schließen sich die Unternehmen also in Communities zusammen und folgen dem Ziel unternehmensübergreifend Werte zu schaffen. So sollen digitale Services, Prozesstransparenz und Optimierung des Angebots ermöglicht werden. Darüber hinaus bilden sie auch die Voraussetzung für transparente Lieferketten und nachhaltige Produktionsverfahren. [4] Denn, ob es um die Nachverfolgung globaler Lieferketten geht oder den Nachweis eines CO2-Fußabdrucks – der Datenaustausch zwischen Unternehmen ist dafür wesentlich. Kunden wollen wissen, wo ihre Produkte hergestellt werden oder wie nachhaltig. Beim Emissionshandel benötigen Unternehmen Plattformen, um ihre CO2-Zertifikate untereinander zu kaufen und zu verkaufen. Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen: es braucht einen Ort, in dem Daten rechts- und cybersicher ausgetauscht werden können.

Digitale Datenräume eröffnen dem Mittelstand neue Chancen

Um Daten wertschöpfend zu teilen, werden heute häufig Cloud-Lösungen genutzt. Hier beschränken sich die Akteure jedoch zumeist auf einen begrenzten Teilnehmerkreis, auch um Daten vor unberechtigtem Zugriff zu schützen. Dadurch können aber viele Möglichkeiten der Digitalisierung nicht ausgeschöpft werden – von der Produktentstehung bis hin zur Vermarktung und zu Serviceleistungen. [5] Unterschiedliche Datenformate sowie unzureichende Speicher- und Rechenleistung stellen weitere Herausforderungen dar. Hier eröffnen digitale Datenräume ganz neue Chancen, indem sie viele Cloud-Services miteinander verbinden und zugleich für Datentransparenz sorgen. Insbesondere mittelständische Unternehmen profitieren von Markttransparenz, breitem Zugang zu alternativen Angeboten und den daraus resultierenden Handlungsoptionen. Dazu gehören die Möglichkeiten, gemeinsam mit Zulieferern und Kunden Produkte zu entwickeln, Lieferketten flexibel zu steuern oder modular zu produzieren.

Digitales Datenökosystem
Communities schaffen Mehrwert.

Digitale Ökosysteme sind längst Standard

Tatsächlich gibt es bereits eine Vielzahl etablierter Datenräume, die in der Öffentlichkeit aber gar nicht als solche wahrgenommen werden. Dabei handelt es sich zumeist um Plattformen aus dem B2C-Bereich. Vorreiter sind hier US-amerikanische Firmen wie Amazon Marketplace oder Airbnb. Aber auch in Deutschland finden sich digitale Ökosysteme, wie ImmoScout 24 oder Flixbus.

Europa treibt GAIA-X voran

Die Umsetzung und Verbreitung von Cloud-Lösungen und Datenanwendungen auf breiter Basis in Deutschland und der EU soll das europäische Cloud-Projekt GAIA-X maßgeblich vorantreiben. Ein Projekt, das auch von Vertretern der deutschen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft aktiv unterstützt wird. Angestrebt wird eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa. [6] Zu den gesetzten Zielen gehören unter anderem die technische und wirtschaftliche Konkretisierung dieser Infrastruktur. Damit soll der Zugang zu Daten, deren Speicherung, Austausch und Nutzung nach vordefinierten Regeln ermöglicht werden – und das alles unter dem Aspekt der Datensouveränität für die Nutzer.

Europäisches Dateninfrastrukturprojekt  GAIA-X

Mit Catena-X geht die Automobilindustrie voran

Mit dem offenen Catena-X Automotive Network beweist die Automobilindustrie einmal mehr ihre Rolle als Innovationstreiber. Es soll Automobilhersteller und-zulieferer, Händlerverbände und Ausrüster auf einer gemeinsamen Plattform miteinander vernetzen. Ziel der 2021 ins Leben gerufenen Initiative ist es, ein offenes, skalierbares Netzwerk für den unternehmensübergreifenden und sicheren Informations- und Datenaustausch in der Fahrzeugindustrie zu schaffen. Unter anderem verspricht man sich davon, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, Rückrufe rascher abzuwickeln und die Einhaltung von Klimaschutz-Regeln zu überwachen. Schon bald werden Hersteller also auf Knopfdruck nicht nur die Kosten einer Schraube oder eines Bauteils ermitteln können, sondern auch den CO2- Ausstoß, der für die Herstellung eben dieses Teils nötig war. [7] Außerdem bietet das Netzwerk große Chancen, um die Digitalisierung in der Produktion und Entwicklung des autonomen Fahrens voranzutreiben. [8]

Es sind bereits zahlreiche Global-Player, wie BMW AG, Mercedes-Benz AG, Robert Bosch GmbH, SAP SE, Siemens AG und ZF Friedrichshafen AG an Catena-X angeschlossen. [9] Gewünscht und gewollt ist es, in Zukunft den Mittelstand stärker miteinzubinden. Denn hier liegt erhebliches Innovationspotenzial. Ob Echtzeitsteuerung, Rückverfolgbarkeit oder Nachweis des CO2-Abdrucks – Catena-X ist mit 10 Anwendungsfällen gestartet mit Fokus darauf, die Einstiegsbarrieren besonders für KMUs zu senken. [10]

Um eine höchstmögliche Sicherheit für die Daten zu gewährleisten, haben sich die Akteure von Catena-X auf klare Regeln für den Zugriff auf Datenräume geeignet. Dass dies wichtig ist, zeigt die Erhebung des Allianz Risiko Barometers [11] 2021: 46 Prozent aller Betriebsunterbrechungen wurden im letzten Jahr durch Cyberattacken verursacht. Besonders schwerwiegend sind die Angriffe auf die Lieferketten, die in der Automobilindustrie traditionell eine große Rolle spielen. Als Standard für Datensouveränität hat man sich bei Catena-X deshalb auf den International Data Spaces (IDS) verständigt. Er ist auch Bestandteil der europäischen Cloud-Dateninfrastruktur GAIA-X. Zugang zu den Datenräumen bekommt nur, wer einen sogenannten IDS-Konnektor benutzt. Über ihn läuft der gesamte Datenaustausch mit anderen Unternehmen. Dabei werden die Unternehmensdaten nicht in einer Cloud gespeichert, sondern es erfolgt lediglich ein Zugriff auf die im Unternehmen verbleibenden Datensätze. Über die Konnektor-Software kann jedes Unternehmen festlegen, für wen, welche Daten zum Abruf bereitstehen. Voraussetzung dafür: die genutzte Software muss zertifiziert sein. [12]

IDS-Zertifizierung – Qualitätsstandard für eine Beteiligung an Datenökosystemen

Eine IDS (International Data Space)-Zertifizierung stellt sicher, dass sowohl Unternehmen als auch die verwendeten technische Komponenten, die vorher definierten Anforderungen erfüllen. Dabei geht es zum einen um die Managementprozesse und Organisation im Unternehmen. Zum anderen um die technischen Implementierungen, Interoperabilität und Sicherheit. Um verschiedene Anwendungsfälle und Bedürfnisse abzudecken, gibt es verschiedene Sicherheitslevel und Prüftiefen. Die Zertifizierung sowie die Prüfung durch eine unabhängige dritte Partei erfüllen die Voraussetzungen für eine sichere Kommunikation. [13]

Partner auf dem Weg zum Datenökosystem

Auch das Bayerische Wirtschaftsministerium hat sich zum Ziel gesetzt, die digitale Produktion in der Industrie zu stärken und auszubauen. In Kooperation mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen soll mit dem International Data Space und GAIA-X eine technische Infrastruktur für Datenökosysteme auf breiter Basis zur Verfügung gestellt werden. Auf dem Weg dahin gilt es noch einige Herausforderungen zu meistern. So müssen die technischen Herausforderungen gelöst und die juristischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. [14] Das ist auch eine dringende Bitte der in der Plattform Industrie 4.0 vertretenen Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften und Wissenschaftsorganisationen an die neue Bundesregierung in ihrem 5-Punkte Plan. Konkret geht es darum, in europäischen Datenräumen die Regeln der Datenökonomie auf den Grundlagen von GAIA-X mitzugestalten. [15]

Die Nutzung von Datenräumen

Wenn die Rahmenbedingungen geklärt sind, geht es um die Frage: Sind Industrie und Wirtschaft überhaupt bereit, das Potenzial dieser Datenräume in der Praxis zu nutzen? Wissen sie um die Vorteile, die sich für sie ergeben? Und wie werden solche Konzepte von Instituten und politischen Einrichtungen gefördert? Ein interessantes Bild zeigt hier eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) im Auftrag des BDI (Bundesverband der deutschen Industrie). „Die Ergebnisse der Befragung verdeutlichen, dass GAIA-X vor allem bei Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten bis dato wenig bekannt ist. Nur vier Prozent geben an, das Vorhaben zu kennen. Bei größeren Unternehmen liegt der Bekanntheitsgrad bei 54 Prozent.“ Hier ist also noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, auch was die Themen Datenhoheit, Datenschutz und Konnektivität angeht.

Ein Rezept für die Zukunft?

Wie Datenräume auch in anderen Branchen einen Mehrwert liefern können, zeigt beispielsweise das Gesundheitswesen. Hier werden Datenökosysteme als Voraussetzung gesehen, um die künstliche Intelligenz zur besseren Diagnose und Behandlung von Krankheiten nutzen zu können. Klinische Studien als wichtige Etappe bei der Validierung und Zulassung von Medikamenten und Behandlungsmethoden stehen dabei im Mittelpunkt. So können zum einen Anforderungen von Medizinprodukteherstellern und Kliniken zur effektiven Nutzung klinischer Daten erarbeitet werden. Zum anderen lässt sich auf Grundlage der Anforderungen ein digitales Ökosystem entwickeln, das durch modernste Architektur und Sicherheitstechnologien die Einhaltung rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen gewährleistet. [16] Durch Datenökosysteme können diese Daten gemeinsam genutzt werden – nach genau definierten Regeln, wer die Daten speichert, wer sie weiterverarbeitet und wer sie analysiert.

Die Rolle von Bayern Innovativ

Die Themenplattform Digital Production & Engineering von Bayern Innovativ unterstützt vor allem mittelständische Unternehmen dabei, digitale Technologien in Produktion und Entwicklung nutzbar zu machen. Unser Ziel ist, Akteure der Plattform zu vernetzen, zu informieren und deren Zusammenarbeit zu fördern.

Gerne engagieren wir uns auch für Sie beim Thema Datenökosysteme als Bestandteil unserer Themenplattform Digital Production & Engineering und sind als Ihr Ansprechpartner für alle Ihre Fragen da.

Quellenverzeichnis:

[1] https://www2.deloitte.com/de/de/pages/mittelstand/contents/digitale-strategien-mittelstand-oekosysteme-plattformen.html [2] https://www.iais.fraunhofer.de/content/dam/iais/all/doc/Positionspapier_Ökosysteme_für_Daten_und_Künstliche_Intelligenz.pdf [3] https://www.iese.fraunhofer.de/de/leistungen/digitale-oekosysteme.html [4] https://www.plattform-i40.de/IP/Redaktion/DE/Downloads/Publikation/Digitale_Oekosysteme.pdf?__blob=publicationFile&v=6 [5] https://www.fraunhofer-innovisions.de/industrie-4-0/der-industrial-data-space-wird-unternehmensalltag/ [6] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Digitale-Welt/das-projekt-gaia-x.pdf?__blob=publicationFile&v=16 [7] Tagesschau, 12.11.2021: https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-45747.html [8] https://www.zeit.de/news/2021-03/02/autobranche-baut-digitales-informations-netzwerk-aus?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F [9] https://www.iese.fraunhofer.de/de/leistungen/digitale-oekosysteme.html [10] https://catena-x.net/fileadmin/user_upload/intro_praesenationen/catena-x_im_ueberblick_de_v2.2.pdf [11] https://www.allianz.com/de/economic_research.html [12] https://www.silicon.de/41684020/datenraeume-fuer-sichere-supply-chains [13] https://www.iuk.fraunhofer.de/de/themen/datenoekosysteme.html [14] https://blog.iao.fraunhofer.de/was-bringen-datenoekosysteme-wie-gaia-x-fuer-den-mittelstand/ [15] https://www.plattform-i40.de/IP/Redaktion/DE/Downloads/Publikation/5-Punkte-Plan.html [16] https://transfermagazin.steinbeis.de/?p=8460