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Braunkohlekraftwerke in Deutschland in der Kritik
Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik (Stand: August 2016) Braunkohle ist ein heimischer Primärenergieträger und auch der billigste Brennstoff für den Kraftwerksbetrieb; Braunkohle wird im Tagebau gewonnen und speist die in unmittelbarer Nähe errichteten Anlagen. Braunkohle ist demnach ein heimischer Wirtschaftsfaktor; der Beschäftigungseffekt ist zu berücksichtigen.
Unter den Strom-Erzeugungstechnologien sind Braunkohlekraftwerke Ziel von Emotionen. Man bedient sich dieser Technik, um die von den Netzbetreibern geplanten Stromnetze in den Süden abzuwehren; die Braunkohlereviere liegen im Westen und im Osten der Republik. Die geplanten, in erster Linie dem Transport von Windstrom gewidmeten Stromtrassen von Nord nach Süd, verlaufen nicht zu weit entfernt. Der schmutzige, heißt mit großen CO2-Mengen belastete Strom, könnte mit den Leitungen in den Süden der Republik gelangen; andere Schadstoffe wie Staub und NOx sind Emissionsgrenzwerten unterworfen, die von allen Kraftwerken einzuhalten sind. Das Argument „Braunkohle ist schlecht für die Umwelt“, versteht der Bürger; damit kann eine Verhinderungsfront gegen die Strom-Autobahnen aufgebaut werden. Die Schadstoff-Emissionen aus der Stromerzeugung werden in der Regel der Bilanz vor Ort zugerechnet; es gibt jedoch Interessensvertreter, die die CO2 Emissionen nach dem Verbraucherprinzip zuordnen, wenn Strom über Stromleitungen verteilt wird.
Stromerzeugung aus Braunkohle seit dem Start der Energiewende 2011
Ausgewertet wurden die Kraftwerkslisten der Bundesnetzagentur vom 16. 7. 2014 sowie die vom 10. 5. 2016. Daten wurden auch den Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e V und diversen dem Verfasser vorliegenden Unterlagen entnommen.
Tabelle 1: Entwicklung der Braunkohlekraftwerke ab 2011
Jahr | in Betrieb | NRW *) | Brbg **) | Sa ***) | Sa A ****) | stillgelegt |
MW | %/Alter,a | %/Alter,a | %/Alter,a | %/Alter,a | ab 2011, MW | |
2014 | 20946 | 50/30 | 20/25 | 20/17 | 6/22 | 1764 |
ältestes/jüngstes KW, a | 52/2 | 33/15 | 35/2 | 78/18 | ||
2016 | 20841 | nur marginale Abweichungen zu 2014 | 1875 | |||
ältestes/jüngstes KW, a | 54/4 | 35/17 | 37/4 | 80/20 | ||
*) Nordrhein Westfalen **) Brandenburg ***) Sachsen ****) Sachsen Anhalt |
Tabelle 1 zeigt wichtige Daten zur Entwicklung der Braunkohle-Kraftwerksflotte; sie soll in dieser Form im Portal über die Jahre fortgeschrieben werden. Wie mehrfach angekündigt, will die Bundesregierung gegen den Widerstand der betroffenen Bundesländer verstärkt Braunkohlekraftwerke stilllegen lassen. Von 2011 bis 2014 sind insgesamt 1764 MW Kraftwerksleistung vom Netz genommen worden; bezogen auf den Wert der in Betrieb befindlichen Kraftwerke sind das ca. 8%; interessant ist auch, dass fast alle Abschaltungen in NRW vorgenommen wurden. Der Versuch einer Erklärung dafür siehe unten. Ein guter Anfang, keine Frage; das „aber...“ bezieht sich auf die Jahre 2015 und 2016, in denen nur 111 MW Kraftwerksleistung zusätzlich abgeschaltet wurden. Die Tabelle 1 zeigt auch, dass in NRW mit Abstand die meisten Braunkohlekraftwerke in Betrieb sind; in der Rangfolge dahinter sind Brandenburg und Sachsen mit jeweils der halben Leistung gleichauf.
Die Wirkungsgrade der Anlagen werden von den für die Energiewende zuständigen Stellen leider nicht veröffentlicht; sie werden auch nicht in den oben zitierten Kraftwerkslisten geführt. Generell gilt: Je älter die Anlagen sind, umso geringer ist der Wirkungsgrad, umso mehr CO2 wird freigesetzt. In der Kraftwerkstechnik wurden mit der Zeit neue, den Wirkungsgrad steigernde Entwicklungen eingesetzt; dazu zählen zum Beispiel eine verbesserte Auslegung des Gesamtkraftwerks sowie der Komponenten durch neue Werkstoffe und eine darauf abgestimmte optimierte Betriebsweise. Das Alter bzw die Betriebsdauer ist demnach ein aufschlussreicher Indikator für den Wirkungsgrad. Das mittlere leistungsbezogene Alter der Kraftwerke liegt in NRW bei 33, in Brandenburg bei 28, in Sachsen Anhalt bei 22 und in Sachsen bei 17 Jahren.
Interessant ist die Auswertung nach der Fähigkeit der Kraftwerke Wärme auszukoppeln, was bei allen Anlagen stark effizienzerhöhend wirkt. So werden in NRW nur ca 35%, in den neuen Bundesländern jedoch fast 100% der Kraftwerksleistung mit Wärmeauskopplung betrieben. Daraus lässt sich ableiten, dass beide Parameter, das höhere Betriebsalter (im Mittel 54 Jahre) sowie die unzureichende Wärmeauskopplung Grund dafür waren, dass seit 2011 fast ausschließlich NRW von der Stilllegung der Braunkohlekraftwerke betroffen war; das wird vermutlich in den nächsten Jahren so bleiben. Als Ergänzung sei erwähnt, dass in der deutschen Braunkohle-Kraftwerksflotte 260 MW unter vorläufig stillgelegt geführt werden.
Noch eine Kennzahl zum Abschluss der Statistik: Die Energiebilanz für das Jahr 2013 weist für die Stromerzeugung durch Braunkohle einen Wert für die Primärenergie von 1474 Peta Joule (1 PJ sind 10 15 J) aus. Bezogen auf die gesamte Stromerzeugung liegt der Primärenergieverbrauch durch Braunkohle bei hohen 30%. Dazu zwei Annahmen:
- Die 1474 PJ Primärenergie werden in den Braunkohle-Kraftwerken der Kraftwerksliste verbrannt.
- In Deutschland liegt der elektrische Wirkungsgrad der noch in Betrieb befindlichen Steinkohlekraftwerke bei ca. 38%. Das Alter der Steinkohlekraftwerksflotte entspricht etwa dem der Braunkohlekraftwerke. Bei ungefähr gleichem Entwicklungsstand liegt der Wirkungsgrad von Braunkohlekraftwerken um einige Prozentpunkte unter dem für Steinkohle. Wird für die Braunkohleflotte ein mittlerer Wirkungsgrad von 35% angenommen, liefen die Braunkohle-Kraftwerke Im Jahr 2013 ca. 7000 Vollaststunden! Das ist ein überraschend hoher Wert. Daran dürfte sich in den letzten Jahren bis 2016 nicht viel geändert haben.
Fazit
Die Lücke, die entsteht, wenn die Sonne nicht scheint und/oder der Wind nicht oder nur schwach weht, wird durch elektrischen Strom aufgefüllt, der aus konventionellen Kraftwerken erzeugt wird. Die Energiewende hat den Stromhandel über die Börse ganz entscheidend verändert; die Börsenpreise sind auf ein fast historisch zu nennendes, niedriges Niveau für die kWh gesunken. Nur der Stromverbraucher spürt davon nicht viel; die ausufernden Kosten für den Ausbau der erneuerbaren Energien, die für den Netzausbau auf unterschiedlichen Spannungsebenen sowie diverse andere Gebühren führen in regelmäßigen Abständen zu einer Erhöhung der kWh-Preise für den Verbraucher. Es ist schon eine Sisyphus-Aufgabe, die einzelnen Beiträge zum Kunden-Endpreis immer wieder so zu justieren, dass dessen Hauptverursacher – dazu zählen das Erneuerbaren Energie Gesetz (EEG), alles was über die Netzgebühr verrechnet wird und der Börsenpreis – möglichst ausgewogen gestaltet wird; der Erfolg der Energiewende darf nicht infrage gestellt werden. Das scheint der Bundesregierung mit diversen Anpassungen zu gelingen.
Anreize für den Bau neuer Kraftwerke, welcher Art auch immer, fehlen; unter den heute gültigen Regeln an der Strombörse ist Strom aus nicht abgeschriebenen fossilen Kraftwerken nicht im Geld. Abgeschriebene, heißt alte, Kraftwerke sind heute am Zug.
Die Transportnetze von Nord nach Süd werden sich verzögern. Neue planbare Stromerzeugungsleistung (heißt fossil befeuerte Kraftwerke) werden mit dem Abschalten der in versorgungskritischen Regionen befindlichen Kernkraftwerke vor allem im Süden benötigt. Ausschreibungen werden vorbereitet. Billige und flexible Anlagen werden als „Überbrückungs-Stromerzeuger“ das Rennen machen. Kohlekraftwerke werden nicht darunter sein.
Zurück zur Braunkohle: Das Alter der in Betrieb befindlichen Kraftwerksflotte, vor allem der Anlagen ohne Wärmeauskopplung, ist relativ hoch. Die Frage stellt sich: Sind diese betagten Kraftwerke den Anforderungen der Energiewende gewachsen bzw. können sie dieses komplexe System bei einem noch deutlich zunehmenden Ausbau der fluktuierend einspeisenden Erneuerbaren technisch sinnvoll ergänzen? Große Zweifel sind angebracht; die Effizienz ist bescheiden, ihr CO2 Ausstoß hoch. Wie man hört und liest sind weitere wichtige Merkmale, wie Regelbarkeit mit den notwendigen steilen Gradienten in die Teillast (das ist in der Regel mit weiteren Wirkungsgradeinbußen verbunden) oder kurze Anfahrzeiten aus dem kalten Zustand des Kraftwerks unbefriedigend bis unmöglich. Das gilt auch für Anlagen mit Wärmeauskopplung.
Die Balance von Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit kommt zulasten letzterer wegen des CO2 aus dem Gleichgewicht. Die Anlagen sollten Schritt für Schritt vom Netz genommen werden. Dazu ein Gedanke: Eine Art Technischer Überwachungsverein (TÜV) für Kraftwerke würde installiert, der die Anforderungen der Energiewende spezifiziert und den Kraftwerken, die sich für die den Betrieb (noch) eignen nach Prüfung eine Lizenz ausstellt; diese Lizenz würde den Betreibern das Recht einräumen, an der Strombörse mitzubieten. Die „Betriebsreife“ müsste alle paar Jahre überprüft werden. Dann würde, wie beim Auto, für eine gewisse Zeit eine neue „Plakette“ ausgestellt.