Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“
Intelligentes Supply Chain Risikomanagement
Wie lässt sich das Potenzial von Daten effektiv nutzen?
In der heutigen globalisierten Wirtschaft sind Lieferketten komplexer und anfälliger für Störungen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen dabei vor besonderen Herausforderungen, da sie oft weniger Ressourcen und eine geringere Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten haben. Ein gut durchdachtes Risiko-Management kann hier Abhilfe schaffen, indem es potenzielle Risiken frühzeitig erkennt und bewertet. Im Webinar "Intelligentes Supply Chain Risikomanagement – iSCRM: Das Potenzial von Daten nutzen" wird in zwei Beiträgen aufgezeigt, wie entscheidend ein effektives Risiko-Management für den Erfolg von Unternehmen sein kann.
Speziell für KMUs: Intelligentes Supply Chain Risikomanagement
Prof. Dr. Michael Krupp leitet an der Technischen Hochschule Augsburg eine Forschungsgruppe, die sich unter anderem mit dem Thema Supply Chain Risikomanagement mit dem Fokus auf den Mittelstand befasst. In seinem Vortrag weist er darauf hin, dass in den letzten Monaten das Interesse an Risikomanagement, auch in mittelständischen Betrieben, stark zugenommen hat. Obwohl sich das Forschungsprojekt iSCRM derzeit in einer laufenden Phase befindet, konnten bereits erste relevante Ergebnisse gewonnen werden.
Was der Supply Chain Pressure Index bedeutet
Wie haben sich verschiedene Indikatoren wie Lieferzeiten, Frachtkosten und Lagerbestände in den letzten Jahren entwickelt? Das erläutert Prof. Krupp anhand einer Grafik des Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank. Sie zeigt unter anderem, dass die Globalisierung seit den 1990er Jahren zu einem signifikanten Anstieg globaler Risiken in der Lieferkette geführt hat. Ein anschauliches Beispiel ist die Blockade des Suezkanals. Es verdeutlicht, wie stark sich solche Ereignisse auswirken. Aber auch strukturelle Veränderungen beeinflussen die Lieferketten, was sich im Index klar widerspiegelt.
VUCA-Welt und Risikoidentifikation
Die heutige Welt wird oft als „VUCA-Welt“ beschrieben – eine volatile, unsichere, komplexe und ambigue Umgebung. In diesem Umfeld wird es zunehmend schwierig, Risiken eindeutig zu identifizieren. Oft ist es unklar, wo genau ein Risiko liegt – sei es im Hafen, bei den Lieferanten oder an anderer Stelle in der Lieferkette. Diese Unsicherheit erschwert es Unternehmen, adäquat auf Risiken zu reagieren. Selbst mit Präventivmaßnahmen bleibt die Möglichkeit bestehen, dass Probleme in der Lieferkette dennoch Auswirkungen haben. Ziel des Risikomanagements ist es, Risiken zu erkennen, zu benennen und agil darauf reagieren zu können. Hierfür braucht es präzise Analysen und eine konsequente Umsetzung.
Eine Möglichkeit ist der iterative Zyklus des Risikomanagements. Er beginnt mit der Risikoidentifikation, gefolgt von der Risikoanalyse und -bewertung, um schließlich Maßnahmen zur Risikoreduktion oder -kontrolle zu ergreifen. Dieser Zyklus muss kontinuierlich durchlaufen werden, um stetige Verbesserungen zu gewährleisten. So stellt etwa das Lieferkettengesetz neue Anforderungen an Unternehmen und bringt zusätzliche Risiken mit sich, wenn es nicht eingehalten wird.
Herausforderungen für KMUs: Sammlung und Nutzung von Daten
Eine zentrale Herausforderung für den Mittelstand sieht Prof. Krupp in der geringen Verbreitung digitaler Tools im Risikomanagement. Eine Studie zeigt, dass lediglich vier von zehn Unternehmen digitale Technologien für das Risikomanagement nutzen – und Excel ist dabei das am häufigsten verwendete Tool. Besonders kleinere Unternehmen schöpfen oft nicht das volle Potenzial ihrer vorhandenen Daten aus, obwohl diese zur Risikoanalyse genutzt werden könnten. Ziel des Forschungsprojekts ist es, diese Daten effizient zu nutzen und ein System zu entwickeln, das die Entscheidungsfindung unterstützt. Hierfür sollen relevante Daten gesammelt, aufbereitet und in nützliche Informationen umgewandelt werden. Dazu wurde im Rahmen des Projekts eine umfangreiche Literaturrecherche durchgeführt, um die in der Fachliteratur beschriebenen Risiken zu erfassen. Diese Risikolandkarte dient Unternehmen als Orientierungshilfe zur Identifikation relevanter Risiken. Konkret geht es darum zu ermitteln, welche Risiken von Bedeutung sind, wie schwer sie ausfallen können, wie hoch ihre Entdeckungs- und letztendlich ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist. Auf der anderen Seite steht die Frage, welche Daten zur Verfügung stehen, um diese Risiken effektiv zu überwachen. Als zentrale Herausforderungen für KMUs im Supply Chain Risikomanagement haben sich besonders drei Punkte herauskristallisiert: das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Investitionen, die Komplexität der Lieferkette sowie eine mangelnde Flexibilität, z.B. durch den Fokus auf nur einen Lieferanten.
Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI)
Ein weiteres Untersuchungsfeld des Projekts ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Risikomanagement. Prof. Krupp betont, dass KI eine zunehmend bedeutende Rolle spielen wird. Die Forschungsgruppe hat sich dabei die Frage gestellt, welche konkreten Funktionalitäten von KI im Risikomanagement eingesetzt werden können. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Vorhersage von Risiken und der Auswertung großer Datenmengen (Big Data). In Zukunft werden KI-gestützte Tools insbesondere in den Bereichen Risikoidentifikation und -analyse an Bedeutung gewinnen. Durch die Nutzung der richtigen Daten können Risiken nicht nur besser erkannt, sondern auch effizienter gemanagt werden. Entscheidend hierfür ist die Integration der Daten in sinnvolle Entscheidungsunterstützungssysteme.
Datenanalyse und Datenvisualisierung im SCRM via Dashboards
In seinem Vortrag geht Kai Uwe Stahl auf die Bedeutung der Datenanalyse und
-visualisierung ein, um datengetriebene Entscheidungen zu unterstützen. Er betont, dass Optimierungspotenziale in Unternehmen stark mit Daten verknüpft sind und gut gestaltete Dashboards entscheidend sind, um diese Potenziale zu nutzen. Gleichzeitig plädiert er jedoch dafür, dass Unternehmen sich von Daten „inspirieren“ lassen sollten, anstatt sich ausschließlich von ihnen „treiben“ zu lassen. Daten liefern wertvolle Erkenntnisse und ermöglichen es, fundierte Entscheidungen zu treffen, aber sie sollten nicht der alleinige Entscheidungsfaktor sein. Der Mensch bleibt im Zentrum der Entscheidungsfindung, wobei Daten als hilfreiches Instrument dienen, um tiefere Einsichten zu gewinnen und Handlungen zu steuern.
Mehr Übersichtlichkeit durch Visualisierungen
Visualisierungen sind wesentlich, um aus großen Datenmengen schnell relevante Informationen herauszufiltern. Ein Beispiel zeigt, wie visuelle Darstellungen es viel einfacher machen, Stärken und Schwächen von Standorten zu erkennen, im Gegensatz zu reinen Texten oder Tabellen. Gut gestaltete Visualisierungen machen es möglich, Trends und Entwicklungen schneller zu erfassen und gezielt darauf zu reagieren. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Standardisierung: Dashboards sollten nicht überladen sein, sondern klar und einfach strukturiert. Farben sollen gezielt eingesetzt werden, um wichtige Informationen hervorzuheben, ohne zu verwirren.
Datenqualität und praktische Umsetzung
Ein zentrales Thema ist die Datenqualität. Anstatt auf ideale Daten zu warten, sollten Unternehmen mit den vorhandenen Daten arbeiten und realistische Business Cases definieren, um gezielt Mehrwert zu schaffen.
Zwei Arten von Dashboards: Adler und Delfin
Herr Stahl beschreibt zwei grundlegende Dashboard-Typen. Die Adler-Dashboards bieten eine Übersicht über wichtige Kennzahlen und sind für Führungskräfte gedacht, um schnell Entscheidungen zu treffen. Diese Dashboards arbeiten mit einfachen Visualisierungen und bieten schnelle Einsichten in größere Trends. Die Delfin-Dashboards dagegen ermöglichen tiefere Analysen, bei denen Nutzer interaktiv in die Daten eintauchen können, um spezifische Fragen durch Filter und Drilldowns zu beantworten und komplexe Entwicklungen zu verstehen. Ein strukturiertes Dashboard-Design und eine intuitive Benutzeroberfläche helfen dabei, die Daten effizient zu nutzen. Dazu werden Tools wie Power BI, Tableau oder SAP SAC häufig genutzt, jedoch ist die Wahl des Tools weniger entscheidend als die richtige Methodik und Datenstrategie.
Wie lässt sich ein Supply Chain Risikomanagement einführen und effizient nutzen?
Ein zentrales Thema in der anschließenden Diskussionsrunde aller Teilnehmenden war die Frage nach der Einführung und Nutzung von Tools, insbesondere von Dashboards, und der bestehende Nachholbedarf in vielen KMUs. Dabei wurden die Haupthindernisse für die Einführung von Supply Chain Risikomanagement Systemen beleuchtet: hohe Kosten, der Implementierungsaufwand und der Zeitbedarf, um die neuen Technologien sinnvoll in den Arbeitsalltag zu integrieren.
Die Experten betonten, dass eine schrittweise Herangehensweise entscheidend für den Erfolg ist. Unternehmen sollten mit kleinen, überschaubaren Datenprojekten beginnen, um erste Erfolge zu erzielen und dadurch das Management von der Notwendigkeit und den Vorteilen dieser Tools zu überzeugen. Dabei spiele es eine wichtige Rolle, vorhandene und leicht zugängliche Daten zu nutzen, um unnötige Komplexität zu vermeiden und den Einstieg zu erleichtern.
Ein weiterer zentraler Punkt der Diskussion waren die sozialen Aspekte der Risikovermeidung. Es wurde hervorgehoben, dass unterschiedliche Risikotypen innerhalb eines Unternehmens – von Menschen, die Risiken sofort melden, bis zu denen, die versuchen, Probleme eigenständig zu lösen – eine Herausforderung für das Risikomanagement darstellen. Diese Unterschiede in der Risikokommunikation können die Prozesse behindern. Daher sei es wichtig, formalisierte Risikomanagement-Prozesse einzuführen, die eine offene Kommunikation fördern. Zudem müsse die IT-Kompetenz vieler Mitarbeitender gestärkt werden, insbesondere bei älteren Generationen, die oft Schwierigkeiten mit neuen Technologien haben. Für den Erfolg sei es notwendig, Daten so aufzubereiten, dass sie auch von Personen verstanden und genutzt werden können, die nicht tief in der Datenanalyse bewandert sind. Hierbei sei die Zusammenarbeit im Team unverzichtbar.
Zum Abschluss wurde darauf hingewiesen, dass ein langfristiger Erfolg nur durch klare Zielsetzungen und eine systematische Sammlung relevanter Daten erreicht werden könne. Kleinere Projekte und schrittweise Erweiterungen der Datenanalyse sollten dabei im Vordergrund stehen, um eine nachhaltige Akzeptanz und Motivation im Unternehmen zu fördern.
Die Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“
In der Webinarreihe „Aus der Forschung in die Praxis“ geben Forschungseinrichtungen und Unternehmen Einblicke in aktuelle Forschungsaktivitäten und diskutieren diese mit den Teilnehmenden. Ziel ist es, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen dabei zu unterstützen, digitale Technologien in ihren Produktionsprozessen und in ihrem Engineering sinnvoll zu nutzen.
Sie erreichen das Team des Clusters Mechatronik & Automation von Bayern Innovativ persönlich oder auch über die Mail-Adresse CMA(at)bayern-innovativ.de.
Kontaktdaten der Referierenden
Prof. Dr. Michael Krupp
Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre,
Schwerpunkt Logistik und Supply Chain Management, Hochschule Augsburg
Per Mail kontaktieren: michael.krupp(at)tha.de
Kai Uwe Stahl
Geschäftsführer „BI or DIE“
Buchautor & Dozent, Schwerpunkt Analytics und Dashboarding
Per Mail kontaktieren: kai(at)biordie.com
Die Webinare aus der Reihe „Aus der Forschung in die Praxis“ finden im Abstand von ca. 2 Monaten, jeweils Donnerstag von 13:00 bis 14:30 Uhr statt.
Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei.
Der nächste Termin findet am 05.12.2024 statt.
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