Digitale Transformation in der Industrie
Die Pandemie sorgt branchenübergreifend für einen Digitalisierungsschub. Dennoch nutzen lediglich 62 Prozent aller deutschen Industrieunternehmen mit einer Unternehmensgröße ab 100 Mitarbeitenden spezielle Anwendungen für die Industrie 4.0 – so eine Bitkom-Studie aus dem Jahr 2021. Warum zögern manche Unternehmen noch? Dies gilt es herauszufinden! Deshalb sprechen wir mit Tina Johnscher – Leiterin der ZD.B-Themenplattform Digital Production & Engineering – sowie mit Dr. Maximilian Bock – Projektmanager der eben genannten Themenplattform – über Chancen und Herausforderungen. Ebenso beleuchten wir das Thema Fördermöglichkeiten, um Sie bestmöglichst zu unterstützen.

Tina, warum weigern sich manche Unternehmen noch immer, auf den Zug der Digitalisierung aufzuspringen?
Tina Johnscher: Ich würde nicht pauschal sagen, dass sich Unternehmen weigern. Das Thema ist einfach wahnsinnig komplex und stellt somit eine große Herausforderung dar. Außerdem waren die Auftragsbücher bei den meisten Unternehmen in den vergangenen Jahren ziemlich voll. Somit haben sie keinen Handlungsbedarf gesehen.
Wenn vielen Unternehmen der Handlungsbedarf nicht bewusst ist, erkläre bitte, warum die Digitalisierung für ein produzierendes KMU wichtig ist?
Tina Johnscher: Unternehmen können mit der Digitalisierung viele Herausforderungen meistern. Ich kann hier nur ein paar wenige Beispiele nennen, da ich sonst den Rahmen unseres Interviews sprengen würde. Beispielsweise lässt sich mithilfe digitaler Prozesse die CO2-Reduktion erhöhen, weil Prozesse durch Datenerfassung und -auswertung besser überwacht und optimiert werden können. Ebenso können Unternehmen durch Digitalisierung dem Lieferkettengesetz einfacher gerecht werden oder Probleme bei der Produkthaftung vermeiden.
Max, nehmen wir an, wir überzeugen die bayerischen KMU, ihre digitale Transformation zu starten. Was sollte der erste Schritt sein?
Dr. Maximilian Bock: Im ersten Schritt ist es wichtig, ein Grundverständnis im Unternehmen auf allen Ebenen zu schaffen, so dass jeder Mitarbeitende informiert ist: Was kann man mit der Digitalisierung im Umfeld von Produktion oder Engineering umsetzen? Hierfür gibt es mittlerweile viele Datenbanken, die Anwendungsfälle sammeln. Solche Best practices präsentieren wir z. B. auch bei unseren Bayern Innovativ-Veranstaltungen . Erfolgreiche Praxisbeispiele veranschaulichen schließlich am besten, welche Probleme mit welchen digitalen Prozessen gelöst werden können. Im zweiten Schritt muss ein Unternehmen klären, welche Daten es sammelt und welche IT-Systeme es hierfür bereits nutzt oder künftig nutzen möchte. Nach diesen beiden Schritten bekommt man bereits einen guten Überblick darüber, was unter welchen Voraussetzungen möglich ist. Schließlich empfehle ich auch immer eine Analyse folgender Frage: Was sind die drängendsten Probleme in meiner Produktion? Fallen z. B. bestimmte Maschinen häufiger aus? Digitalisierung dient nicht zum Selbstzweck, sondern zur Problemlösung und Identifizierung von Potenzialen!
Digitalisierung dient nicht zum Selbstzweck, sondern zur Problemlösung und Identifizierung von Potenzialen!
Das klingt nach einer Herausforderung, bei der man schnell den Überblick verlieren kann, oder?
Dr. Maximilian Bock: Durchaus! Hierbei ist besonders wichtig, dass man die Unternehmensstrategie nicht aus den Augen verliert. Im Idealfall ist die Unternehmensführung von Anfang an in die hausinterne Analyse involviert und davon überzeugt, die digitale Transformation des Unternehmens zu starten. Empfehlenswert ist es meiner Meinung nach, die Digitalisierungsstrategie in die übergeordnete Unternehmensstrategie zu integrieren und klare Verantwortlichkeiten zu definieren. So kann ein Unternehmen ein Pilotprojekt strukturiert aufsetzen, welches in der Regel schnell einen Mehrwert liefert.
Tina, welche Tipps kannst Du aufgrund Deiner Erfahrung noch ergänzen?
Tina Johnscher: Auch aus technischer Sicht ist es wirklich wichtig, dass man von Anfang an den Überblick behält. Denn man möchte ja nicht nur einen Piloten starten. Das Ziel ist schließlich, sein Unternehmen voll digitalisiert darzustellen. Dabei ist es also wichtig, dass die eigenen Anlagen und Maschinen miteinander kommunizieren können. Und dass die Software-Systeme, die man sich anschafft und die vielleicht für verschiedene Anwendungsfälle nötig sind, miteinander Daten austauschen und kommunizieren können. So dass man am Ende eine Art Leitzentrale etablieren kann, von der aus man das gesamte Unternehmen beobachten kann.
Welchen Herausforderungen müssen sich Unternehmen im Rahmen eines Digitalisierungsprozesses am häufigsten stellen?
Tina Johnscher: Wir haben bereits erwähnt, dass es enorm wichtig ist, alle Mitarbeitenden von Anfang an über das Digitalisierungsvorhaben zu informieren und sie in den Prozess zu integrieren. Schließlich wissen sie in der Regel am besten, was die alltäglichen Probleme sind. Zudem ist es von großer Bedeutung, den Mehrwert der neuen System zu veranschaulichen, denn insbesondere langjährige Mitarbeitende begegnen Veränderung oftmals mit Skepsis. Es ist also eine Herausforderung, bestehende Mitarbeitende zu Fachkräften weiterzuentwickeln und gegebenenfalls gleichzeitig neue Fachkräfte einzustellen, wodurch auch bisherige Teamsturkturen verändert werden. Beim Thema Struktur ist es ebenso häufig der Fall, dass Unternehmen ihre IT-Struktur ausgelagert haben und hier entsprechende Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden müssen. Zum Teil fehlt es zusätzlich an finanziellen Möglichkeiten.
Es ist enorm wichtig, alle Mitarbeitenden von Anfang an über das Digitalisierungsvorhaben zu informieren und sie in den Prozess zu integrieren.
Als Themenplattform unterstützt Ihr selbst Unternehmen bei der digitalen Transformation. Welche Informationsquellen gibt es neben Euch?
Dr. Maximilian Bock: Wir sind in engem Austausch mit Bundesinitiativen, wie z. B. der Plattform Industrie 4.0, die vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Wir tauschen uns aber auch stark mit regionalen Initiativen aus. Hier gibt es beispielsweise Mittelstandszentren. Die gesammelten Informationen veröffentlichen wir in der Regel gebündelt auf unserer eigenen Website: https://www.bayern-innovativ.de/digital-production-engineering . Außerdem hat meine Kollegin eben schon die Herausforderung der Finanzierung angesprochen. Ein Grund, warum wir als Themenplattform auch im Bereich Fördermittelberatung aktiv sind.
Finanzielle Mittel sind von Bedeutung. Aber sind die richtigen Netzwerkpartner nicht mindestens genauso wichtig?
Dr. Maximilian Bock: Ich denke, manche Unternehmen können die digitale Transformation alleine, ohne Partner an der Hand schaffen. Das betrifft inbesondere vereinzelte Industrieunternehmen, die über eine eigene IT-/Software-Abteilung verfügen. Bei vielen Unternehmen hat jedoch in der Vergangenheit das Thema IT eher eine untergeordnete Rolle gespielt, wodurch kaum Wissen vorhanden ist. In diesen Fällen entstehen natürlich Herausforderungen und die Zusammenarbeit mit einem Partner ist empfehlenswert. Allerdings muss man bei der Partnersuche bereits ausführlich beschreiben können, welche Unternehmensziele angestrebt werden sollen, wodurch eine weitere Herausforderung entsteht. Deshalb bieten wir hierfür als Themenplattform entsprechende Austauschmöglichkeiten bzw. Partnersuchen an.
Zum Jahresende möchte ich von Euch natürlich noch wissen: Worauf müssen wir 2022 im Bereich Digital Production & Engineering gefasst sein?
Dr. Maximilian Bock: Ein großes Thema werden Daten-Ökosysteme sein. Im weitesten Sinne geht es darum, Daten über Unternehmensgrenzen hinweg auszutauschen. Ziel ist es sogar, auf EU-Ebene im Sinne einer europäischen IT-Infrastruktur Standards zu schaffen und sich auf gewisse Werte zu einigen. Eine absolut spannende Sache! Als Themenplattform möchten wir hierbei natürlich wieder die Anwendungsperspektive einnehmen und uns damit beschäftigen, was der Mehrwert für ein durchschnittliches mittelständisches Produktionsunternehmen ist. Das klingt im ersten Moment vielleicht kontraintuitiv, weil man viel über Datenschutz und Cybersecurity nachdenkt. Aber wir glauben, dass es in vielen Anwendungsbereichen wie z. B. CO2-Reduktion, Nachverfolgung über die Wertschöpfungskette, Produkthaftung etc. essenziell notwendig ist, die Daten mit anderen Unternehmen zu teilen.
Tina Johnscher: Ein zweites bedeutsames Thema wird die ökologische Nachhaltigkeit sein. Also die Frage: Welche ökologischen Nachhaltigkeitsziele kann ein Unternehmen durch Digitalisierung erreichen? Auch in diesem Themenfeld werden wir als Themenplattform die Augen nach spannenden Anwendungsbeispielen offen halten und sie zeitnah unserem Netzwerk als Inspiration bzw. Unterstützung präsentieren.
Das Interview führte Christoph Raithel, Teamleiter Event bei der Bayern Innovativ GmbH.
Hören Sie sich das vollständige Interview als Podcast an:
Die bayerische Industrie auf dem Weg zum digitalen Erfolgsmodell
In dieser Folge sprechen wir mit Tina Johnscher und Dr. Maximilian Bock von der ZD.B-Themenplattform Digital Production & Engineering über Chancen, Herausforderungen und Fördermöglichkeiten im Bereich der digitalen Produktion und des digitalen Engineerings.
Kontaktieren Sie uns jederzeit gerne, wenn Sie Fragen haben oder auf der Suche nach Unterstützung sind.
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