Additive Fertigung: In diesen Branchen startet die Technologie durch

16.07.2020

Die Additive Fertigung bietet schier endlose Möglichkeiten für die Konstruktion von Bauteilen: komplexe Geometrien können realisiert und Leichtbauaspekte berücksichtigt werden. Dies verbessert die Qualität von Bauteilen und somit von ganzen Produkten. Doch die geringe Produktivität und teils hohen Kosten der Additiven Fertigung zwingen Unternehmen, sich auf eine sinnvolle Bauteilauswahl zu beschränken. Wann ist der Einsatz der Additiven Fertigung also überhaupt sinnvoll? Unsere Expertin Astrid Lang von der Koordinierungsstelle Additive Fertigung Detail gibt einen Überblick über Einsatzmöglichkeiten sowie faszinierende Beispiele aus unterschiedlichen Branchen.

In diesen Branchen startet die Additive Fertigung durch Flexibel und vielfältig: aber in welcher Branche ist der Einsatz der Additiven Fertigung überhaupt sinnvoll? (Bildnachweis: Bayern Innovativ/Thomas Geiger)

Luft- und Raumfahrt

Additive Verfahren sind in der Luft- und Raumfahrt von besonderem Interesse. In der Raumfahrt werden sie sowohl zur Herstellung von Prototypen als auch zur Fertigung von Bauteilen für Trägerraketen oder für Komponenten für Transportfahrzeuge, für Satelliten oder den Einsatz auf Raumstationen eingesetzt. Aktuell sind das bei Raketen beispielsweise Teile der Brennkammer, Ventile und Düsen des Triebwerks.

Einige, teils auch noch fiktive Konzepte der NASA zeigen ein großes Potenzial für additive Fertigungstechnologien. Ein Beispiel hierfür ist ein 3D-gedrucktes Biotop auf dem Mars oder das Asteroiden-Abbauprojekt mit 3D-Druck. Mit Hilfe von 3D-Druckern sollen auch neue Raketen und Raumstationen entwickelt werden. Das Unternehmen Rocket Lab möchte in diesem Jahr die Trägerrakete Ariane 6 mit Teilen aus dem 3D-Drucker ins All katapultieren.

Automobilindustrie

In der Automobilindustrie können vor einer Serienproduktion mittels 3D-Druck Miniaturmodelle und Bauteile in Originalgröße angefertigt werden, die zu Analyse- und Testzwecken verwendet werden. Auch für die Herstellung von Einzelteilen für Luxuswagen oder Oldtimer ist der 3D-Druck sinnvoll. Das große Ziel der Fahrzeughersteller ist es, zukünftig ganze Module und vollständige Karosserien in Serienproduktion zu drucken – und zwar in Leichtbauweise.

Mit dem Fahrzeugmodell Chiron Pur Sport ist es Bugatti beispielsweise gelungen, die 300-Meilen-pro-Stunde-Grenze zu durchbrechen. Die großen Gewichtseinsparungen durch 3D-Druck und die Auspuffblende aus Titan mit äußerst dünnen Wänden haben wesentlich dazu beigetragen. Das Heckdesign des Sportwagens hat eine speziell abgestimmte Aerodynamik, die für mehr Abtrieb sorgt und den Wagen durch weniger Gewicht agiler macht. Das Gewicht konnte um 50 Kilogramm reduziert werden und der Abtrieb wurde gleichzeitig erhöht. Auch andere Automobilhersteller setzen auf die Additive Fertigung, Porsche entwickelt beispielsweise anpassbare Schalensitze mit Teilen aus dem 3D-Drucker .

Elektronik

Da mittels 3D-Druck auch leitfähige Strukturen und Isolationsschichten hergestellt werden können, ist der Einsatz der Technologie auch in der Elektronik möglich. Gedruckte Elektronik, auch Printed Electronics genannt, vereinigt die Mikroelektronik und die Elektronikfertigung mit der Werkstoffkunde, der Polymerchemie und der Druck-Prozesstechnik. Für die Leistungselektronik können Leiterplatten, Widerstände, Induktivitäten, Kapazitäten, Sensoren und Kühlkörper gedruckt werden. Gedruckte Elektronik befindet sich beispielsweise in Turnschuhen, T-Shirts, Autos oder Haushaltsgeräten. Sie kann in nahezu jeden Gegenstand integriert werden, weil sie flexibel, robust, leicht und dünn ist – durch sie werden Produkte „smart“.

Jeder kennt die Heckscheibenheizung eines Autos. Ältere Modelle besitzen eine rötlich schimmernde Linie auf der Innenseite, die sich auf Knopfdruck erhitzt. Dies ist ein Beispiel für Elektronik, die auf einer Oberfläche aufgetragen wurde. Früher wurde diese millimeterdünne Spur aufgedampft – jetzt kann sie aufdruckt werden. Mit den Nanotinten des Fraunhofer IFAM ist es möglich, Sensoren, Aktoren, Heizelemente und auch elektrische Stromerzeuger auf verschiedenste Materialien zu drucken. Die Technologie kann für Glas, Metalle, Kunststoffe und flexible Technologien eingesetzt werden.

Medizin

Egal ob in der Medizintechnik, Prothetik, Dentaltechnik, Hörgerätetechnik oder für medizinische Hilfsmittel - additive Fertigungsverfahren sind schon heute marktfähig und etabliert. Besonders bei der Produktion von Prothesen liegen die Stärken der Additiven Fertigung auf der Hand: Künstliche Kniegelenke, Hüften oder Schultern können ganz individuell für den Patienten gefertigt und millimetergenau an seinen Körper angepasst werden. Die Implantate sitzen dadurch besser und können besser einwachsen. Ein Quantensprung für das Patientenwohl – früher waren Implantate allenfalls in verschiedenen Größen erhältlich.

Deutsche Forscher vom Fraunhofer IAP-Institut arbeiten an biometrischen Polymeren für ein neuartiges System zur Unterstützung des Herzens. Erste klinische Studien werden voraussichtlich 2022 stattfinden. Die im Rahmen des Projekts PolyKARD stattfindenden Forschungen sollen außerdem einen neuen 3D-Drucker für Medizinprodukte der Klasse III hervorbringen.

Architektur und Bau

Mit der 3D-Drucktechnologie können Architekten schnelle und einfach Modelle zur Veranschaulichung fertigen. Heute ist es allerdings auch möglich, ganze Häuser vor Ort auf der Baustelle maßgefertigt zu extrudieren. Der 3D-Druck ermöglicht dabei komplexe Strukturen ohne Materialverlust, die oftmals mit konventionellen Baumethoden nicht in dieser Form beziehungsweise wesentlich kostenintensiver umsetzbar wären.

Das Start-up Apis Cor aus Russland fertigte 2017 einen Haus-Rohbau innerhalb von 24 Stunden mittels 3D-Druck. Die Gesamtkosten mit allen Elementen beliefen sich Stand März 2017 auf umgerechnet 9.500 Euro – ein Eigenheim zum Schnäppchenpreis!

In Deutschland gelten für den Bau eines Hauses jedoch sehr strenge Bauvorschriften und Normen. Der 3D-Druck von Häusern ist daher hierzulande eher schwierig.

Design

Einige Designer kreieren mittels additiver Fertigungsverfahren Designerstücke wie Möbel oder Lampen. Immer häufiger sind auch additiv gefertigte Einrichtungsgegenstände auf Möbel- und Designermessen zu finden. Die Gegenstände werden entweder direkt hergestellt oder mit Sandgussformen produziert, die zur Herstellung der Designermöbel dienen. Einzelstücke und originelle Designs sind somit fertigbar.

IKEA und das 3D-Start-up UNIQ werden gemeinsam ergonomische und individuell anpassbare Produkte für Gamer auf den Markt bringen, beispielsweise passende Tasten für die Computertastatur oder Gamingsessel. Für einen optimalen Sitzkomfort scannt der Kunde seinen Körper, versendet seine Daten und erhält innerhalb von zwei Wochen einen auf ihn angepassten Stuhl. Die ersten personalisierten Gamingsessel sollen in diesem Jahr erhältlich sein.

Spielwaren

Auch Spielwaren lassen sich dank 3D-Druck ganz individuell fertigen: Die Magdeburger Firma TinkerToys bietet beispielsweise einen digitalen Baukasten an, mit dem Kinder ihr eigenes Spielzeug konstruieren können. Der Baukasten ist laut Hersteller für Kinder ab sechs Jahren geeignet. Die STL-Dateien aller Einzelteile können dann kostenlos heruntergeladen und das Produkt gedruckt werden. Wer nicht selbst 3D-drucken kann, kann die fertige Figur von TinkerToys drucken lassen.

Textilien

Ein großer Anteil an Textilien wird für die Bekleidungsindustrie hergestellt. Auch hier wird additiv gefertigt, allerdings v. a. im experimentellen und künstlerischen Bereich. Im militärischen Bereich oder bei der Polizei und Feuerwehr wird Bekleidung mit Schutzausrüstungen benötigt. Komfort und Sicherheit spielen hier eine große Rolle.

VIP TIE ist ein italienischer Luxusmodehersteller, der sich auf die Herstellung von Krawatten mit dem 3D-Drucker spezialisiert hat. Charakteristisch für die VIP TIE-Krawatten sind der hohe Grad an Detailgenauigkeit und ihr Stil. Die Intention des Herstellers war es, einzigartige Produkte und Designs zu kreieren, die mit konventionellen Methoden nicht möglich waren. Dabei werden mehrere komplementäre Prozesse und Materialien zu einem Produkt kombiniert: Handwerkskunst, Stickerei, 3D-Druck, exotisches Leder, Perlmutt, Kohlefaser, Silber, Gold und versilberter Feststoff.

Rüstungsindustrie

In der Rüstungsindustrie wird der Schwerpunkt für 3D-Druck auf Verfahren für die Reparatur und Fertigung von Bauteilen für die Luft- und Raumfahrt sowie auf neue Werkstoffe gelegt.

Ein weiteres Beispiel ist eine komplett 3D-gedruckte Drohne, die ohne menschliche Beteiligung Landminen aufspüren und beseitigen kann. Die Idee hat einen humanitären Ursprung. Weltweit sind etwa 100 Millionen Minen in ehemaligen Kriegsgebieten vergraben und täglich sterben bis zu 10 Personen daran oder werden verstümmelt. Diese Idee übertrifft bisherige Methoden zur Minenaufspürung in Sachen Schnelligkeit, Sicherheit und Kosten bei Weitem.

Beim Bioprinting werden Hautzellen mit Hilfe eines 3D-Druckers auf die Wunden von Kriegsverletzten gedruckt, um eine vollständige Regenerierung zu ermöglichen. Rund 30 % der Kriegsverletzungen sind Brandwunden. Brandnarben beeinträchtigen die Beweglichkeit des Opfers, oft für immer. Forscher des Armed Forces Institute of Regenerative Medicine (AFIRM) machen große Fortschritte, sowohl Schweißdrüsen als auch angepasste Hautpigmentation und Hautfollikel wiederherzustellen.

Wissenschaft

Die 3D-Technologie eröffnet auch neue und innovative Wege für die Herstellung von Bauteilen für experimentelle Versuchsanordnungen, medizinische 3D-Anatomiemodelle, aber auch Anschauungsmodelle für Ausbildungszwecke. Lebensnahe 3D-Modelle können für Übungszwecke vor anstehenden Operationen gefertigt werden. Auch transparente Körpermodelle können herstellt werden, mit unterschiedlichen Festigkeiten für Gewebe und Organe, um diese möglichst lebensecht nachzubilden. Operationen können damit an „ausgedruckten", lebensnahen Organen geübt werden.

Aber nicht nur in der Medizin gibt es Anwendungen: Studenten des Lehrstuhls für Windenergie der Universität Stuttgart druckten Rotorblätter, Gondel und Nabe einer experimentellen Windkraftanlage mit dem 3D Drucker und testeten die Komponenten anschließend im Windkanal. Der 3D-Druck ist ein zuverlässiges und kostengünstiges Verfahren für studentische Projekte, bei denen Forschen und Entwickeln im Mittelpunkt stehen.

Lebensmittel

Das Auge isst mit. Können Sie sich Ihr Eigenheim in Miniatur aus Marzipan vorstellen? Möchten Sie bei einem Ihrer Firmenevents Ihr Firmenlogo aus Leberwurstpastete auf die Teller bringen? Das Essen von morgen wird gedruckt. In der gehobenen Gastronomie kann der personalisierte Gruß aus der Küche gedruckt werden. In der klassischen Konditorei könnte der Kunde seine Geburtstagswünsche statt auf die Karte handschriftlich aufs Tablet schreiben. Einige Minuten später bekommt er diesen als ausgedruckte Deko auf der Geburtstagstorte. Auch Fotos und Zeichnungen sind gefragt und denkbar, sowie Figuren von Hochzeitspaaren und Jubilaren, dreidimensionale Druckereien aus Schokolade oder Schokoladenselfies.

Der Erfinder Anjan Contractor hat ursprünglich für die Weltraumorganisation Nasa einen Drucker entwickelt, der aus Käse, Tomatensoße und Teig Pizza macht. Auch andere Produkte, beispielsweise Cupcakes und Zimtschnecken, können mit diesem Drucker hergestellt werden.

Zahlreiche Beispiele zeigen: Die Anwendungsfelder der Additiven Fertigung sind sehr vielfältig und erlauben die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

Über die Koordinierungsstelle Additive Fertigung bei Bayern Innovativ

Bayern ist bereits heute ein führender Standort im Bereich der Additiven Fertigung. Die „Koordinierungsstelle Additive Fertigung“ bei Bayern Innovativ verknüpft viele Aktivitäten rund um dieses Zukunftsthema und dient als zentrale Anlaufstelle für Kompetenzträger und Neueinsteiger in den 3D-Druck.

Mit unserer Reihe „Additive made in Bavaria” zeigen wir das bayerische Know-how. Dargestellt werden Bauteile von Unternehmen aus Bayern, mit dem Ziel, Wissen zur Additiven Fertigung zu vermitteln und die Vorteile anhand von Praxisbeispielen hervorzuheben.

Wenn Ihr Unternehmen seinen Hauptsitz in Bayern hat und Sie über 3D-Druck-Kompetenzen verfügen, würden wir uns freuen, ein innovatives Bauteil Ihres Unternehmens in unserer Online-Rubrik vorzustellen. Weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Ihr Kontakt

Astrid Lang

Quellen:

vdivde.it.de:
https://vdivde-it.de/sites/default/files/document/additive-fertigungsverfahren-3d-druck-2017.pdf

3druck.com:
https://3druck.com/visionen-prognosen/3d-druck-trends-2020-5787029/

3d-grenzenlos.de:
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/thema/3d-druck-raumfahrt/
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/thema/3d-druck-automobilindustrie/
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/3d-objekte/bugatti-chiron-pur-sport-titan-auspuffblende-aus-3d-drucker-27578873/
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/forschung/fraunhofer-iap-forscht-an-biometrischen-polymeren-27565093/
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/thema/3d-drucker-architektur/
https://www.3d-grenzenlos.de/magazin/startups/vip-tie-luxus-krawatten-aus-3d-drucker-27522543/

3ddrucker.de:
https://3ddrucker.de/anwendungen/bildung-und-wissenschaft/

3dnatives.com: https://www.3dnatives.com/de/3d-druck-beim-militar-051020161/
https://www.3dnatives.com/de/3d-druck-beim-militar-051020161/
https://www.3dnatives.com/de/ranking-3d-gedruckte-moebelstuecke130220191/

elektroniknet.de:
https://www.elektroniknet.de/markt-technik/distribution/kommt-in-zukunft-alles-aus-dem-3d-drucker-164299.html

planet-wissen.de:
https://www.planet-wissen.de/technik/computer_und_roboter/dreidimensionaler-druck/dreidimensionaler-druck-lebensmittel-100.html

elektronikpraxis.vogel.de: https://www.elektronikpraxis.vogel.de/3d-druck-additive-fertigung-in-der-leistungselektronik-a-912910/
https://www.elektronikpraxis.vogel.de/3d-druck-additive-fertigung-in-der-leistungselektronik-a-912910/
https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/digitalisierung-industrie40/funktioniert-wie-gedruckt-das-fraunhofer-ifam-entwickelt-textilien-die-fuehlen-koennen
https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/digitalisierung-industrie40/funktioniert-wie-gedruckt-das-fraunhofer-ifam-entwickelt-textilien-die-fuehlen-koennen wfb-bremen.de:
https://www.wfb-bremen.de/de/page/stories/digitalisierung-industrie40/funktioniert-wie-gedruckt-das-fraunhofer-ifam-entwickelt-textilien-die-fuehlen-koennen

manonamission.de: https://manonamission.de/kunst-design/dein-haus-aus-dem-3d-drucker-zum-spottpreis
https://manonamission.de/kunst-design/dein-haus-aus-dem-3d-drucker-zum-spottpreis

heise.de:
https://www.heise.de/make/artikel/Ausprobiert-Spielzeug-aus-dem-3D-Drucker-von-TinkerToys-4310788.html

Bayern Innovativ Newsservice

Sie möchten regelmäßige Updates zu den Branchen, Technologie- und Themenfeldern von Bayern Innovativ erhalten? Bei unserem Newsservice sind Sie genau richtig!

Jetzt kostenlos anmelden