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Keine Versorgungssicherheit ohne Kapazitätsmärkte
Autor: Andreas Sautter - Thüga Aktiengesellschaft (Stand: Juli 2016) Das Erneuerbare-Energien-Gesetz führt dazu, dass die für die Abdeckung von Spitzenlasten erforderlichen konventionellen Kraftwerke immer weniger laufen und kaum noch Geld verdienen. Kapazitätsmärkte ermöglichen ein nachhaltiges Strommarktdesign.
Der deutsche Strommarkt ist in Schieflage. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Erneuerbaren Energien Einspeisevorrang gibt, führt zu einem massiven Zubau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen und damit zu steigenden EEG-Umlagen und stei-genden Strompreisen. Weil konventionelle Kraftwerke immer weniger laufen, lässt sich mit ihnen kaum noch Geld verdienen.
Diese Kraftwerke sind aber nötig, um Verbrauchsspitzen zu decken und damit die Ver-sorgungssicherheit zu gewährleisten. Nur: Wer soll diese Anlagen bauen und betreiben, wenn sie sich nicht mehr lohnen? Irgendwie passt die momentane Umsetzung der Energiewende nicht mehr mit den Mechanismen des bisherigen Strommarkts zusammen. Die immer lauter werdende Kritik an Strompreisen, Stromtrassen und Windmühlen zeigt, dass die Unzufriedenheit wächst. Was tun, damit das Räderwerk dieses Riesenprojekts namens Energiewende reibungslos ineinandergreift? Die Antwort: Das komplette Getriebe gehört neu zusammengesetzt. Aber wie? Schließlich gehört jedes Rädchen einer anderen Interessensgruppe (Verbraucher, Erzeuger, Netzbetreiber, Umweltschützer, Standortsicherer, usw.). Und wer entwirft den Bauplan?
Dabei kann es nicht darum gehen, wer das größte Stück abbekommt. Ziel darf es auch nicht sein, bestehende Überkapazitäten auf Kosten der Stromkunden im Markt zu halten. Vielmehr muss es um das Große und Ganze gehen. Dazu folgende sechs Grundüberlegungen:
- Die politischen Ziele für eine CO2-Einsparung und den Ausbau der Erneuerbaren Energien sind klar festgelegt. Innerhalb des Marktmodells müssen diese Ziele erreicht werden können.
- Möglichst viele Komponenten des Modells sollen den Spielregeln des Marktes unterworfen sein. Nur so kann sich ein fairer Wettbewerb entwickeln.
- Die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein. Dabei kann der Grad der Versorgungssicherheit durchaus ein Marktfaktor sein.
- Das Modell sollte technologieneutral sein. Bis auf die Betreiber von Kernkraftwerken soll es für alle Anbieter offen sein, da nur so Kosteneffizienz gewährleistet ist.
- Das Marktmodell sollte diskriminierungsfrei sein. Kein einzelner Akteur darf bevorzugt oder benachteiligt werden. Damit wird eine hohe Akteursvielfalt gewährleistet und die Ausübung von Marktmacht zuverlässig verhindert.
- Das Modell muss „Europakompatibel“ sein. Alleingänge sind in einem vernetzten europäischen Markt nicht mehr möglich.
Das Strommarktgesetz – ein geeigneter Bauplan für die Energiewende?
Das nach einem über mehr als zwei Jahre hinziehenden intensiven Konsultationsprozess im Juni 2016 beschlossene Strommarktgesetz soll die Basis für das künftige Marktdesign sein. Der Gesetzgeber setzt dabei auf den Energy-only-Markt, flankiert diesen aber mit einer Kapazitätsreserve, einer Netzreserve, einer Sicherheitsbereitschaft und mit der Möglichkeit, zusätzliche so genannte Netzstabilitätsanlagen, auf Anforderung der Übertragungsnetzbetreiber, zu errichten.
Die Einrichtung mehrerer Reserven ist erforderlich, da ein reiner Energy-only-Markt, bei dem nur tatsächliche Energielieferungen vergütet werden, nicht aber die Bereitstellung von Leistung, die Versorgungssicherheit nicht gewährleisten kann. Grund dafür ist, dass die Spitzenlast-Kraftwerke in den wenigen Knappheitsstunden, in denen sie Strom ver-kaufen können, ihre Kosten nicht einspielen. Deshalb scheiden in einem Energy-Only-Markt Bestandskraftwerke aus dem Markt aus, neue Kraftwerke werden mangels wirt-schaftlicher Perspektiven nicht gebaut. Allerdings bewegt sich der Gesetzgeber mit der Bildung staatlich verordneter Reserven auf einem schmalen Grat zwischen der Ertüchtigung des freien Strommarkts und staatlich angeordneter Intervention.
Alternative: Fokussierte Kapazitätsmärkte
In so genannten zentralen fokussierten Kapazitätsmärkten legt ein Regulator fest, wie viel Kraftwerksleistung benötigt wird und welche Technologien zugebaut werden dürfen. Dieser planwirtschaftliche Ansatz gewährleistet zwar die Versorgungssicherheit, führt im Ergebnis aber zu Überkapazitäten mit einem teuren Kraftwerkspark, da nicht die effizientesten Technologien zum Einsatz kommen, sondern die vom Regulator festgelegten.
Die dritte Variante ist der dezentrale Leistungsmarkt. Dieser kombiniert die beiden Teilmärkte Energy-only-Markt und Kapazitätsmarkt für Versorgungssicherheit. An bei-den Teilmärkten können alle Erzeuger und Speicherbetreiber teilnehmen.
Aufgabe des „Energy-only-Markts“ ist es, den effizienten Kraftwerkseinsatz so zu orga-nisieren, dass immer nur die Kraftwerke mit den niedrigsten Brennstoffkosten Strom produzieren. Da für die Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom keine Brennstoffkosten anfallen, kommen diese „automatisch“ vor den fossilen Erzeugungsanlagen zum Zuge.
Aufgabe des „Kapazitätsmarkts für Versorgungssicherheit“ ist es, Nachfrager und Anbieter gesicherter Leistung zusammenzubringen. Zuerst bestimmt der Stromkunde, welche Leistung er in der Dunkelflaute beziehen möchte. Genau diese Leistung bestellt er bei einem Anbieter von gesicherter Leistung. Solange ausreichend Strom aus Wind und Sonne produziert werden kann, erhält der Stromkunde diesen Strom ohne jegliche Einschränkung. Erst wenn Wind- und Sonnenstrom knapp werden, speist der Erzeuger gesicherte Leistung ein, und der Stromkunde kann Strom bis zu der von ihm bestellten Leistung beziehen. Damit können die zur Leistungsvorhaltung benötigten konventionellen Kraftwerke, die nur wenige Stunden im Jahr laufen, finanziert werden. Auch wird so genau die Kraftwerkskapazität vorgehalten, die vom Kunden nachgefragt wird und die er zu finanzieren bereit ist.
Im Gegensatz zu den zentralen Modellen ist der dezentrale Leistungsmarkt marktwirtschaftlich organisiert: Der Verbraucher erhält eine starke Nachfrageposition und bestimmt den Bedarf an Leistung, die die Erzeuger für ihn bereithalten muss, wenn weder Wind- noch Sonnenstrom zur Verfügung stehen. Insofern kann der Kunde nicht nur über seinen Verbrauch, sondern auch über die von ihm bestellte Leistung Einfluss auf die Höhe seines Strompreises nehmen.
Der dezentrale Leistungsmarkt ist damit auf eine sehr effiziente und einfache Weise geeignet, Demand-Response-Potentiale zu heben. Er weckt die Bereitschaft der Stromkunden, ihren Verbrauch an die aktuelle Erzeugungssituation anzupassen. Dies bringt dem Kunden betriebswirtschaftliche und Deutschland volkswirtschaftliche Vorteile.
Da der dezentrale Leistungsmarkt von allen diskutierten Modellen die oben aufgeführten Kriterien für ein nachhaltiges Strommarktdesign am besten erfüllt ist davon auszugehen, dass das mit dem Strommarktgesetz gerade beschlossene Strommarktdesign nur von temporärer Dauer ist.