Erdgasbefeuerte Kraftwerke in Deutschland vor dem Aus?

Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik (Stand: April 2018)

In Deutschland sorgte vor der Energiewende ein Mix von Kohle-, Erdgas- sowie von Kernkraftwerken für eine sichere, zuverlässige und wirtschaftliche Stromversorgung im Lande. Marktabhängig, das heißt kosten-, preis- und nicht so sehr umweltgetrieben, wurde der Strom aus Gaskraftwerken in der Spitzen- sowie unteren Mittellast (jährlich um die 3000 bis 4000 Volllaststunden), Steinkohle in der Mittellast (um die 5000 Stunden) und Braunkohle sowie Kernenergie in der Grundlast eingesetzt.    

Was man vor März 2015 (Ersterstellung des vorliegenden Artikels) aufgrund der Rahmenbedingungen der 2011 eingeleiteten Energiewende in Deutschland hörte und las, ließ darauf schließen, dass die Betreiber von erdgasbefeuerten Kraftwerken für die Stromeinspeisung ins öffentliche Versorgungsnetz keine Perspektive mehr sahen; das gilt noch heute. Dazu ein Beispiel: Für die 2010/11 nahe Ingolstadt in Betrieb gegangenen modernen und umweltfreundlichen Kraftwerke Irsching 4 (550 MW) und Irsching 5 (846 MW) wurde die Stilllegung beantragt; vom Netzbetreiber wurde dieser Antrag aus Gründen der Systemsicherheit abgelehnt. Als finanzieller Ausgleich wird eine Entschädigung gezahlt, die – so die Betreiber – nicht kostendeckend ist. Die Betreiber versuchen weiter, die Stilllegung durchzusetzen. 

Erdgaskraftwerke - quo vadis?

Generell hat sich die Situation um die erdgasbefeuerten Kraftwerke von „aussichtslos“ auf „vielleicht geht doch noch etwas“ verändert. Dies liegt unter anderem an der deutlichen Verzögerung des Ausbaus der Transportleitungen von Nord nach Süd über das Jahr 2022 hinaus. Die Versorgungssicherheit erfordert bis zur Fertigstellung der Leitungen (und vielleicht auch darüber hinaus) neue, dezentrale Stromerzeugungsanlagen an gewissen Netzknoten. Diese Kraftwerke werden ausgeschrieben; erdgasbetrieben haben Anlagen, ob Gasmotoren oder Gasturbinen im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen beste Chancen, bei diesem Prozess zum Zug zu kommen; die „alten“ Anlagen profitieren nur, wenn sie nahe an den  gefährdeten Netzknoten liegen. 

Es bleibt jedoch dabei: Am deutschen Markt lassen sich mit Strom, erzeugt von den in Betrieb befindlichen Erdgaskraftwerken, selbst die Betriebskosten nicht mehr decken. Von einem „Verdienen“ der Investitionskosten (Abschreibung) samt Verzinsung und Gewinn kann schon gar nicht die Rede sein. Schlicht und ergreifend: Die Betreiber verlieren mangels Auslastung Geld; im vorliegenden Artikel werden einige Gesichtspunkte abgeleitet und beschrieben.

Quellen

Fachliche Basis sind die von der Bundesnetzagentur veröffentlichten Kraftwerkslisten vom 31. 3. 2017  und ausgewählter Vorjahre sowie die Ergebnisse der AG Energiebilanzen vom 7. 2. 2017; aus dem Internet wurden zusätzlich einige ergänzende Informationen gezogen. 

Entwicklung der Gaskraftwerke ab 2013  

Tabelle 1: Auswertung der oben angeführten Literaturquellen.

Monat/Jahr Kraftwerksliste      7/2014   5/20163/2017
Kraftwerke in Betrieb, MW219002210023600
Kraftwerke <10 MW  227727332752

   

Jahr     2013 2015  2016
Neubau in Betrieb, Anzahl/MW9/8783/935/1635
Stilllegung, Anzahl/MW1/124/2245/257

Bruttostromerzeugung aus der AG Energiebilanzen                                    

Deutschland gesamt, TWh    638647
Erdgaskraftwerke, TWh6862
Erdgaskraftwerke, %10,69,6

Die in Tab 1 gelisteten Zahlen für die Jahre 2014 bis 2017 zeigen bei dem in Betrieb befindlichen Kraftwerksleistungen einen leichten Anstieg um 1700 MW. In Summe der Jahre 2013, 2015 und 2016 sind ca. 2600 MW (17 Kraftwerke) an neuer Leistung in Betrieb genommen worden. Bei den größeren Blöcken handelt es sich in der Regel um Anlagen, mit deren Planung und Bau schon in den Jahren vor der Energiewende begonnen wurde. Dieser Trend dürfte sich in den nächsten Jahren deutlich abschwächen. Im Vergleich dazu wurden in diesen 3 Jahren 10 Anlagen mit insgesamt ca 500 MW Kraftwerksleistung stillgelegt, also deutlich weniger als Neue in Betrieb genommen wurden. Ebenfalls interessant: Etwas mehr als 10% der Kraftwerksleistung entfällt auf Anlagen <10 MW. 

Nach Angaben der AG Energiebilanzen betrug die Bruttostromerzeugung in Deutschland 2013 638, 2015 647 TWh; sie nahm demnach leicht zu. Aus Gaskraftwerken lag sie 2013 bei 68, 2015 bei 62 TWh. Daraus lässt sich eine Volllastbetriebsstundenzahl von ca 3000 Stunden für 2013 und 2700 Stunden für 2015 abschätzen; das sind Werte, die durchaus in die eingangs erwähnte Spitzen- bzw untere Mittellast passen. Für 2016 werden in obiger Literaturquelle noch keine endgültige Zahlen genannt, jedoch ein Schätzwert für Gaskraftwerke, der im Vergleich zu 2015 eine deutlich steigende Tendenz aufweist. 

Erdgaskraftwerke - Ein Ausblick

Ein deutlicher Rückgang der Stromproduktion aus Gaskraftwerken wie von den Betreibern prognostiziert ist in der betrachteten Zeitspanne von 3 Jahren noch nicht eingetreten. Vermutlich liegt es daran, dass zahlreiche Kraftwerke nicht nur Strom sondern auch Heiz- und Prozesswärme erzeugen; der damit verbundene Erös dürfte die niedrigen Strompreise an der Börse „erträglich“ machen. Auch industriebetriebene Kraftwerke werden dazu einen gewissen Anteil geleistet haben. Die Frage, ob sich dieser Trend fortsetzt wird spannend – die nächsten Aktualisierungsrunden dieses Artikels werden darüber Aufschluss geben.

Einige Maßnahmen,

  • die bereits erwähnte Ausschreibung von Kraftwerksleistungen an „kritischen“ Netzknoten, notwendig geworden durch Verzögerungen beim Ausbau der Transportnetze
  • die Absicht der EU, den CO2-Preis von heute einigen wenigen €/t CO2  durch deutliche Reduzierung der CO2-Zertifikate in Richtung 30 €/t CO2, also spürbar zu erhöhen
  • eine Erhöhung des Börsenstrompreises infolge der erwarteten baldigen Stilllegung der „sehr betagten“ Kohlekraftwerke falls es zur Jamaika-Regierungskoalition kommt (die Abschaltung des letzten Kernkraftwerks 2022 dürfte diese Tendenz verstärken)
  • die Tatsache, dass Anfang des nächsten Jahrzehnts die Förderung der ersten Erneuerbaren ausläuft und entschieden werden muss, ob diese Anlagen am Netz bleiben oder nicht werden zusätzlich dazu beitragen, dass Strom aus Gaskraftwerken ein Baustein zur Versorgungssicherheit bleibt.

Auch das Klima würde vom Einsatz neuer Gaskraftwerke mit um die 60% elektrischem Wirkungsgrad profitieren. Das gilt natürlich nur, solange nicht ausreichend Überschussstrom vor allem aus Photovoltaik und Wind gespeichert und in wind- und sonnenlosen Zeiten ins Netz eingespeist wird; damit dürfte in den nächsten 1 bis 2 Dekaden nicht zu rechnen sein. Auch die Transportnetze werden vermutlich länger auf sich warten lassen als von den Netzbetreibern und der Bundesnetzagentur eingeschätzt. Fazit, wie in diesem Artikel eingangs erwähnt: Vielleicht geht doch noch etwas.