Energiewende - Ein Wegweiser in 5 Schritten

Der neue Szenariorahmen 2019-2030 der Bundesnetzagentur

Autor: Dr. Klaus Hassmann, Cluster Energietechnik Dieser Wegweiser schreibt in drei Schritten im 5-Jahrestakt Ziele fest. Bundesnetzagentur und die Übertragungsnetzbetreiber können so in kurzen Zeitspannen ein Fazit ziehen, welche Vorgaben nicht erreicht werden und warum. So können kann unmittelbar korrigierend eingegriffen werden.  Sie erhalten hier eine Zusammenfassung der einzelnen Ausbaukorridore sowie Informationen zu den zusätzlichen Randbedingungen der fünf Szenarien . Vor dem offiziellen Beschluss fand eine Anhörung vieler Unternehmen aus Politik, Forschung und Wirtschaft statt. Einige Stellungnahmen aus diesem Prozess werden wiedergegeben.

Neue Szenariorahmen für Ausbaukorridore

Der Netzentwicklungsplan wurde von der Bundesnetzagentur in Abstimmung mit den vier Übertragungsnetzbetreibern für einen Zeitraum von 2019 bis 2030 erstellt und am 15. Juni 2018 genehmigt. Davor nutzten in zwei Konsultationsrunden mehr als 100 Teilnehmerfirmen sowie einige Privatpersonen die Gelegenheit, ihre Stellungnahme abzugeben.  Im Rahmen des Netzentwicklungsplans wurden drei Szenarienhorizonte  für das Zieljahr  2025 und je ein Szenario für die Zieljahre 2030 und 2035 entwickelt. Diese geben den Zubau der Erneuerbaren Energien sowie den Abbau der konventionellen Stromerzeuger vor. 

Tabelle 1 zeigt für das Refenzjahr 2017 sowie für die Zieljahre neben anderen wichtigen Rahmenbedingungen die Ausbauziele für Erneuerbare Energien und die Abbauziele für konventionelle Energie für die wesentlichen Stromerzeuger.

Tabelle 1a: Leistung Erneuerbare Energien in GW

Referenz 2017Szenario A 2030Szenario B 2030Szenario C 2030Szenario B 2025Szenario B 2035
Wind Onshore 50,574,381,585,570,590,8
Wind Offshore5,420,017,017,010,823,2
Photovoltaik42,472,991,3104,573,397,4
Biomasse7,66,06,06,07,34,6
Wasserkraft5,65,65,65,65,65,6
Sonstige1,31,31,31,31,31,3
Summe Erneuerbare Energien112,8180,1202,7219,9168,8222,9

Tabelle 1b: Konventionelle Leistung in GW

Referenz 2017Szenario A 2030Szenario B 2030Szenario C 2030Szenario B 2025Szenario B 2035
Erdgas29,632,835,233,432,536,9
Braunkohle 21,29,49,39,09,49,0
Steinkohle25,513,59,88,113,58,1
Öl4,41,31,20,91,30,9
Pumpspeicher9,511,611,611,611,611,8
Sonstige4,34,14,14,14,14,1
Kernenergie9,500000
Summe Konventionelle Energien103,574,773,269,174,472,8

Tabelle 1c: Summe

Summe Erneuerbarer plus Konventioneller Energien216,3254,8275,9289,0243,2295,7

Tabelle 1d: Nettostromverbrauch in TWh

Nettostromverbrauch in TWh (inkl. Netzverluste)530,1512,3543,9576,5528,4549,4

Tabelle 1e: Treiber Sektorenkopplung in Mio.

Wärmepumpen im Haushalt0,71,12,64,11,72,9
Elektroautos0,11,06,010,02,08,0

Tabelle 1f: Flexibilitätsoptionen und Speicher in GW

Referenz 2017 Szenario A 2030 Szenario B 2030 Szenario C 2030 Szenario B 2025 Szenario B 2035
Power to Gas01,02,03,04,05,0
PV-Batteriespeicher0,36,58,010,13,212,3
Großbatteriespeicher0,11,52,02,41,23,4
DSM1,52,04,06,03,05,0
Marktmodellierung CO2-Vorgabe in Mio. t0max. 184max. 184max. 184max. 240max. 127

Laut Bundesnetzagentur ist der vorliegende, neue Szenarienrahmen („neu“) der energiewirtschaftlichen Entwicklung zugrunde zu legen. Ein Vergleich mit einem Vorgänger, dem Szenariorahmen mit dem Jahr 2013 als Referenzjahr („alt“) zeigt, dass bei „neu“, das Jahr 2030 mit drei Szenarien im Fokus steht, während es bei „alt“ mit vier Szenarien das Jahr 2025 war. Vergleicht man die Zielwerte für 2035, dann liegt bei den Konventionellen Energieträgern „neu“ mit 72,8 GW unter  „alt“ mit 77,5 GW. Bei den Erneuerbaren traut sich „neu“ mit 222,9 GW im Vergleich  zu „alt“ mit 181 GW eine deutliche Steigerung zu. Wind soll moderat, Photovoltaik deutlich zulegen, das heißt Photovoltaik liegt bei „neu“ auf 97,4 GW gegenüber 59,9 bei „alt“. Für das Gelingen der Steigerungen bei Photovoltaik und Wind gibt es bei Ausschreibungen mit deutlichen Preissenkungen gute Signale. Allerdings ist noch nicht klar, was mit den Altanlagen passiert, die demnächst aus der EEG-Förderung herausfallen.

Widersprüchliche Sichtweisen

Die Informationen in diesem Artikel wurden einem über 200 Seiten starken Dokument der Bundesnetzagentur mit dem Titel „ Genehmigung des Szenariorahmens 2019 – 2030“ vom 15. Juni 2018 entnommen. Es enthält die Arbeitsverpflichtungen der vier Netzbetreiber sowie unter anderem auch auf mehr als 50 Seiten eine ausführliche Zusammenfassung der eingangs erwähnten Konsultationsrunden. Zu vielen Einzelthemen handelt es sich dabei um sehr widersprüchliche Sichtweisen – für Fachleute und interessierte Beobachter der Szene eine quasi unerschöpfliche Quelle von technisch-wissenschaftlichen Zusammenhängen. Dazu einige Beispiele:

Die Energiewende werde von den Übertragungsnetzbetreibern dazu missbraucht, den Netzausbau auf ein möglichst hohes Maß auszudehnen. Der Netzausbaubedarf ist jedoch auf Übertragungsnetzebene auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken; gefordert wird, dass der Entwurf zum Szenariorahmen zukünftig von der Bundesnetzagentur selbst erarbeitet wird. Dazu eine Bemerkung des Autors: Auch Konsultationsbeiträge sind nicht immer frei von Eigeninteressen.

Die Versorgung sei nicht ausschließlich mit zusätzlichem Netzausbau sicherstellen. Neue Stromanwendungen sollten netzverträglich integriert werden. Diese Integration würde überwiegend auf der Verteilernetzebene und nicht der des Übertragungsnetzes realisiert, deshalb sollte die koordinierte Planung des Verteilernetzes im Mittelpunkt des zukünftigen Netzausbaus stehen.

Höhere Ausbauraten, bei Wind On- wie Offshore sowie Photovoltaik wollen die einen, andere  nur noch PV-Zubau, da die Flächen für Windkraftanlagen knapp würden und der Widerstand in der Bevölkerung wachse. Nur durch Repowering kann Wind zulegen.

Durch eine Reduzierung der Jahreshöchstlast könnten erhebliche Kosten vermieden werden, indem von regulatorischer Seite Anreize geschaffen würden, um Flexibilitätspotenziale zu heben. Power-to-X-Anwendungen komplett abschalten, die Ladeleistung Elektromobilität bis zu 70 % verschieben,  Wärmepumpen ermöglichen eine Lastverschiebung von sechs Stunden. Darüber hinaus nehme das Lastverschiebungspotenzial der Industrie deutlich zu und stehe ebenfalls zur Senkung der Jahreshöchstlast zur Verfügung.

Eine Anzahl von 10 Mio. Elektrofahrzeugen entspricht einem Anteil von ca. 20 % am Gesamtbestand aller Autos in Deutschland. Im Szenario C 2030 ist diese Zahl eine gute Prognose. Auch ein Anteil von ca. 35 % sei vorstellbar wie einige Konsultationsteilnehmer bestätigen.

Der Anteil von Wärmepumpen zur Heizung in den jährlich ca. 100.000 Neubauten beträgt heute ca. 35 %. Perspektivisch ist zwar eine prozentuale Steigerung zu erwarten, jedoch spielen die Wärmepumpen in der Gebäudemodernisierung aufgrund ihrer technischen Anforderungen nur eine untergeordnete Rolle. Somit sei eine geringere Entwicklung auf 1,3 bis 1,6 Mio. in 2030 realistischer.

Einige Teilnehmer erachten die Effizienzsteigerungen der Szenarien A 2030 (1 %) und B 2030 (2,5 %) als realistisch. Andere erwarten jedoch höhere Effizienzsteigerungen. Aus deren Sicht zeigen regionale, praktische Beispiele, dass durch geringfügige Investitionen, Optimierung der Regel-und Steuertechnik, kleine Verhaltensänderungen und regelmäßiges Energiemanagement Einsparungen von mindestens 10 % möglich seien. Sie empfehlen für die Szenarien B 2030 5 % und für C 2030 7,5 %.

Die Annahmen zum zusätzlichen Stromverbrauch im Zuge der Sektorenkopplung seien einigen Teilnehmern zufolge zu gering ausgefallen. Für 2030 wird ein Nettostromverbrauch von mindestens 600 TWh als wahrscheinlicher erachtet.

Die Übertragungsnetzbetreiber stellen zur Einhaltung der in den Tabellen genannten nationalen CO2-Ziele vier Ansätze zur Diskussion: 

  • Methode 1: Anpassung des Kraftwerksparks durch Herausnahme von emissionsintensiven Kraftwerken. 
  • Methode 2: Verknappung der CO2-Zertifikate und dadurch künstliche Steigerung des nationalen CO2-Preises (indirekte Vorgabe einer CO2-Obergrenze). 
  • Methode 3: Modellierung von Nachrüstungen, Umbau und Modernisierung von Kraftwerken, z. B. CO₂-Abtrennung (CCS-Technologien) oder Brennstoffwechsel. 
  • Methode 4: Emissionsbudgets für einzelne Kraftwerke (Betriebsstundenvorgabe, Einsatzrestriktionen). Viele Teilnehmer beurteilen diese Methoden als realistisch, während andere einige oder auch alle Methoden ablehnen.

Die Übertragungsnetzbetreiber gehen davon aus, die Versorgungssicherheit sei in den Zieljahren auf Stromimporte angewiesen. Dem widersprechen Teilnehmer, da unter der Annahme von ausreichend Flexibilitätsoptionen wie Speicher und Power-to-Gas Deutschland trotz volatiler EE-Einspeisung ohne Importe auskommen sollte.