Elektrische Netze – Wie müssen sie sich für die Energiewende ändern?

Netze als Marktplatz und Integrationsplattform

Autor: Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz, ie3-Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft, TU Dortmund (Stand: Februar 2015)

Die elektrischen Netze sind der Marktplatz und die Integrationsplattform für erneuerbare Energien, konventionelle Kraftwerke, Speicher und Elektrizitätskunden. Über die Netze muss der räumliche Ausgleich zwischen Stromerzeugung und -abnahme erfolgen. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Stabilität des Systems gewährleistet ist. Das bedeutet, dass immer genau soviel Leistung eingespeist wie abgenommen wird. Die einzelnen Schwankungen von Einspeisern und Lasten gleichen sich über das Netz aus. Alles was hierdurch nicht ausgeglichen wird muss durch regelbare Einspeiser oder Speicher und durch Lasteingriffe ausgeregelt werden.

Hieraus folgt, dass großräumige Netzstrukturen, tendenziell bessere Ausgleichsmöglichkeiten speziell für die stark schwankenden Einspeiser aus erneuerbaren Energien bieten und damit weniger Speicher und ausgleichende Kraftwerke benötigen. Letztendlich ist es eine politische und wirtschaftliche Entscheidung, wie großräumig die elektrischen Netzstrukturen und somit der Energieausgleich angelegt werden. Es ist bereits heute möglich energieautarke Wohnhäuser zu errichten, die sich über das Jahr hinweg selber mit Strom und Wärme versorgen. Die Kosten hierfür sind jedoch exorbitant hoch gegenüber einer konventionellen Versorgung und somit nicht wirtschaftlich. Für die Stromversorgung ist hierbei keine Reserve für technische Störungen eingebaut und würde weitere extreme Kosten verursachen, wenn nicht auf die öffentliche Versorgung mit Strom zurückgegriffen würde. Gerade um Ausfälle einzelner technischer Komponenten abfangen zu können, hat sich das elektrische Energiesystem europaweit vernetzt. Genau diese Vernetzung ermöglicht heute einen europäischen Strommarkt, der jeweils den wirtschaftlichsten Einsatz von Energieträgern fördert und gleichzeitig eine hohe Versorgungszuverlässigkeit sicherstellt. Für die weitere Erschließung erneuerbarer Energien in Deutschland und Europa stoßen die heutigen Netzstrukturen jedoch an ihre Grenzen, da die Netzkapazitäten nicht derart ausgebaut sind, um optimale Standorte für unterschiedliche erneuerbare Energien mit den Lastzentren zu verbinden.

Betrachtet man solche Lastzentren, wie z.B. das Ruhrgebiet oder den Großraum München oder Berlin, dann können diese nicht auf ihrer eigenen Fläche mit erneuerbaren Energien versorgt werden. Photovoltaik und Abfallkraftwerke können hierzu nennenswert beitragen, jedoch muss durch Windenergie aus dem großräumigen Umland, d.h. auch aus anderen Bundesländern, und Wasserkraft ergänzt werden. Für dunkle Flautenzeiten müssen auch Ausgleichskraftwerke oder Speicher zur Verfügung stehen.

Es kann festgehalten werden, dass für den Wirtschaftsstandort Deutschland Energiesystemstrukturen und damit elektrische Netze erforderlich sind, um überregional optimale Standorte für erneuerbare Energien zu erschließen, den natürlichen Ausgleich zwischen den Erzeugern zu optimieren und auch mit den europäischen Nachbarn einen wirtschaftlichen Handel und Ausgleich der Energiebereitstellung zu ermöglichen. Hierdurch ergeben sich zwangsläufig Strukturen, die z.B. die Windenergie aus Norddeutschland mit Photovoltaik aus Süddeutschland und Wasserkraft aus den Alpen und auch aus Norwegen zusammen mit Ausgleichskraftwerken an günstigen Standorten miteinander wirtschaftlich optimal zusammenfügen. Weicht man von dieser Netzstruktur im Sinne einer stärkeren Regionalität ab, so sinkt der Netzausbaubedarf und gleichzeitig steigt aber der Ausgleichsbedarf durch wesentlich teurere Ausgleichskraftwerke und Speicher, so dass das Gesamtsystem und damit die Stromversorgung teurer würden.

Flexibilitätsoptionen zur Stabilisierung des Systems

Der Ausgleich über die Netze ist letztendlich immer räumlicher Natur. Nur wenn irgendwo zeitrichtige Erzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen, können die einen Strommangel in anderen Regionen ausgleichen. Betrachtet man die europäischen Großwetterphänomene, so kann es durchaus zu sehr großräumigen Flautensituationen bei geringen Temperaturen in den dunklen Wintermonaten von bis zu zwei Wochen kommen. Die Erzeugung aus erneuerbaren Energien ist weiträumig sehr gering. Kraftwerke in Ländern mit Stromheizung, wie z.B. Frankreich werden dort selber benötigt. Um einen Ausgleich über die Netze zu ermöglichen, müsste man die europäischen Grenzen verlassen und Strom aus Nordafrika beziehen, wie es im DESERTEC-Projekt vorgeschlagen wurde. Politisch stößt man hier jedoch sicherlich an nachvollziehbare Grenzen.

Für derartige Szenarien werden also Flexibilitäten im System benötigt, die diese Flautenzeiten ausgleichen. Speicherkapazitäten, einschließlich Wasserstaubecken, reichen hierzu nicht aus. Lastverschiebungen sind in dem Umfang nicht möglich, können aber in gewissen Maße zu einer Spitzenglättung beitragen. Heute wären einzig Spitzenlastkraftwerke als wirtschaftliche Option sinnvoll. Der Kraftwerkspark von Kern- und Kohle-Großkraftwerken wird sich mehr und mehr hin zu flexibleren und schneller regelbaren Gaskraftwerken entwickeln. Der heutige sehr niedrige Preis an  der Strombörse spiegelt diese Notwendigkeit noch nicht wieder. Notwendige Kapazitätsmechanismen wie z.B. die Verpflichtung für Lieferanten bei der Lieferung von erneuerbarer Energie auch für den Ausgleich zu sorgen, würden jedoch geeignete Marktanreize schaffen. Derartige Konzepte werden derzeit evaluiert und müssen dringend umgesetzt werden.

Durch derartige Anreize könnten alle Flexibilitätsoptionen miteinander wirtschaftlich konkurrenzieren und zur Erbringung des notwendigen Ausgleichs beitragen.

Neben der Deckung von Leistungslücken sind für den Systembetrieb auch die Änderungsgeschwindigkeiten der erneuerbaren Energien von besonderer Bedeutung. Die Fluktuation der Leistung aus erneuerbaren Energien wird in den nächsten Jahren weiterhin extrem zunehmen. Auch hierauf muss im Gesamtsystem geachtet werden. Es kann gezeigt werden, dass relativ kleine Speichereinheiten, wie sie z.B. für die Eigenversorgung mit Photovoltaikstrom in Haushalten gerade in den Markt kommen, die Gradienten bedingt durch Solareinspeisung im Gesamtsystem deutlich verringern helfen. Diese Speicher verringern jedoch weder den Netzausbaubedarf, noch den Bedarf an Ausgleichskraftwerken, verringern aber die Anforderungen an die Regelungsgeschwindigkeit von Ausgleichskraftwerken.

Ausbaubedarf der Transport- und Verteilnetze

Der starke Zuwachs von Wind- und Photovoltaikanlagen sorgt für neue Herausforderungen beim Betrieb und bei der Planung elektrischer Netze. Je nach Struktur und regionaler Lage von Landkreisen und Gemeinden kommen unterschiedliche Anforderungen auf die Verteilnetze zu. Während die städtischen Netze meist noch große Aufnahmekapazitäten für erneuerbare Energien haben, sind sie in ausgedehnten ländlichen Regionen bereits an ihrer Belastungsgrenze. Überregional müssen die Transportnetze für Ausgleich sorgen.

Wenn die Einspeisung von erneuerbaren Energien deutlich größer wird, als die Spitzenlast, für die die Netze in der Vergangenheit geplant wurden, muss ein Netzausbau erfolgen. Gerade die Photovoltaikanlagen erfordern eine Netzertüchtigung in der Niederspannungsebene. In der Mittelspannungsebene werden zusätzlich größere PV-Anlagen sowie einzelne Windenergieanlagen angeschlossen, so dass sich die Problematik noch verschlimmert. Wenn größere Regionen das Potential erneuerbarer Energien nutzen und sich diese gleichzeitig akkumulieren, müssen auch die Hochspannungsnetze ausgebaut werden. Dieses sieht man heute besonders in ländlich geprägten Bundesländern mit hohem Windenergie- oder Photovoltaikpotential, in denen teilweise die existierenden Netzstrukturen leistungsmäßig verdoppelt werden müssen. Diesen Netzen noch überlagert sorgen die Höchstspannungsnetze für den überregionalen Ausgleich.

In der öffentlich erhältlichen dena-Verteilnetzstudie hat die TU Dortmund anhand realer Netze aus über 3.000 deutschen Gemeinden und Szenarien zur Entwicklung des Zubaus erneuerbarer Energien den Investitionsbedarf in die Verteilnetze abgeschätzt. Je nach Szenario ergeben sich zusätzlich 27 bis 42 Milliarden Euro bis 2030 für die Ertüchtigung der Verteilnetze von der Nieder- bis zur Hochspannung. Die Größenordnung liegt somit auf ähnlichem Niveau wie die Kosten für die Stromautobahnen auf Höchstspannungsebene im deutschen Netzentwicklungsplan, der mit ca. 22 Milliarden Euro bis 2025 beziffert ist.

Die zukünftige Herausforderung wird es sein, diese Investitionen durch innovative Netztechnologien und Planungsmethoden zu verringern. Intelligente Regelungen von Einspeisern und Lasten können selten auftretende Extremsituationen in den Verteilnetzen abmildern und somit den dortigen Ausbau reduzieren. Neue Betriebsmittel zur Netzregelung können in bestimmten Situationen den Bau neuer Leitungen reduzieren oder zumindest verzögern. Insgesamt wird das Potential der erneuerbaren Energien zur Versorgung des Industrielandes Deutschland aber nur genutzt werden können, wenn eine dem entsprechende leistungsfähige Netzinfrastruktur weiterentwickelt wird. Ohne den regionalen und überregionalen Netzausbau wird die Energiewende nicht in geplantem Maße stattfinden können oder zumindest wesentlich teurer.

Weitergehende Literatur:

dena-Verteilnetzstudie "Ausbau- und Innovationsbedarf der Stromverteilnetze in Deutschland bis 2030"  (http://www.dena.de/projekte/energiesysteme/verteilnetzstudie.html)

dena-Studie "Systemdienstleistungen 2030" (http://www.dena.de/projekte/energiesysteme/dena-studie-systemdienstleistungen-2030.html)